Reich und die Intellektuellen

In dem von Birgit Johler herausgegebenen Band Wilhelm Reich Revisited (Wien 2008) verteidigt der österreichische Kulturwissenschaftler Prof. Dr. Robert Pfaller Reich gegen Michel Foucault und dessen Adepten, die Reich als obsolet hinstellen, da „die Macht“ nicht etwa sexuelle Lust unterdrücke, wie Reich behauptet hat, sondern ganz im Gegenteil gezielt anwendet, um die Masse zu korrumpieren. Pfaller wendet dagegen ein, daß Reich gezeigt habe, daß die Klassenverhältnisse die Menschen so umgeformt haben, daß sie ihre Unterdrückung aktiv unterstützen und diese sogar als lustvoll erleben. Reich spricht von der „Schere“, die sich zwischen der zur „Progression“ treibenden ökonomischen Entwicklung und dem reaktionären Empfinden der Masse auftut. In diesem Zusammenhang gibt Pfaller ein aktuelles Beispiel:

Man hätte Ende der 1990er Jahre in Österreich erwarten können, daß eine Bevölkerung, die von den immer hastiger und zerstörerischen Bewegungen eines unter neoliberalen Bedingungen agierenden multinationalen Kapitals in beträchtlichem Ausmaß bedroht war, ihre Wut gegen dieses Kapital und gegen diese Bedingungen richtet. Stattdessen richtete diese Bevölkerung ihre Wut vor allem gegen die von diesen Bedingungen hervorgerufene Migration der Arbeitskraft; nicht selten auch gerade gegen diejenigen, die versuchten, diese Bedingungen zu kritisieren und zu verändern: gegen Intellektuelle, Kunstschaffende, politisch Engagierte. Auch hätte man erwarten können, daß eine Bevölkerung unter solchen Bedingungen die Forderung nach besserem – z.B. staatlichem, gewerkschaftlichem oder anderem – Schutz gegen die vom multinationalen Kapital angerichteten Zerstörungen erhebt. Stattdessen beobachteten wir, wie diese Bevölkerung sich mit Begeisterung gerade denjenigen zuwandte, die völlig unverhohlen versprachen, noch die letzten Einrichtungen zu beseitigen, die solchen Schutz bieten konnten. Schließlich schien es, daß diese Bevölkerung, anstatt (wie Majakowski) zu rufen: „Her mit dem schönen Leben!“, noch geradezu Gefallen an Parteien und Persönlichkeiten fand, die ihr einen „Kassasturz“, eine „Budgetsanierung“ oder, noch klarer, einen „Verlust von Annehmlichkeiten“ (…) in Aussicht stellten.

Ich könnte jetzt die Sache mit der „neoliberalen Wirtschaftspolitik“ auseinandernehmen oder erläutern, wie bizarr ich es finde, daß die Suche nach „Schutz“ „progressiv“ sein soll. Pfaller könnte dann im Einzelnen Reich zitieren, der doch all dies vertreten habe. Beschäftigen wir uns lieber mit Leuten wie Pfaller, die im krassen Gegensatz zu Reich vollkommen abgeschnitten sind von den wirklichen Lebensverhältnissen der Massen und imgrunde nichts als Verachtung für diese aufbringen. Wenn sich die Massen gegen ihre staatliche Bevormundung, die bis hin zu „Gedankenverbrechen“ reicht, gegen Erstarrung und Regelwut, gegen immer höhere Steuern und Abgaben aussprechen, wird das prompt mit Verweis auf Reich pathologisiert.

Leute wie Pfaller verzweifeln, weil die Massen einfach nicht so funktionieren, daß sie den Interessen von „Intellektuellen, Kunstschaffenden und politisch Engagierten“ dienen. Die Massen sollen gefälligst für weniger Wettbewerb und mehr Staat sorgen, damit die „Intellektuellen, Kunstschaffenden und politisch Engagierten“ sich in den staatlichen und öffentlich-rechtlichen Nischen wie Parasiten entfalten können. Die Massen haben vor allem aber eins zu tun: eine identitätslose beliebig formbare „Masse“ zu werden. Dazu muß das Volk zur „Be-Völkerung“ werden, d.h. derartig zersplittern, daß eine Solidarität unmöglich wird. Oder mit anderen Worten: durch „Migration“ soll jedwedes „Milieu“ zerstört werden. Orientierung kommt dann nicht mehr aus der Tradition, sondern von „Intellektuellen, Kunstschaffenden und politisch Engagierten“. So haben Kommunisten schon immer agiert: die „Vermassung“ fördern und, im krassen Gegensatz zur Propaganda, jedwede Solidarität zwischen den Menschen („Fraktionsbildung“!) hintertreiben. Stattdessen wollen die Kommunisten eine vollkommen infantilisierte und „schutzbedürftige“ Bevölkerung, losgelöst von ihren arbeitsdemokratischen Wurzel.

Es ist wirklich vollständig egal, was Leute wie Pfaller mehr oder weniger Kluges über Reich schreiben; ob sie für oder gegen ihn sind, Foucaultianer sind oder nicht. Wichtig ist einzig und allein, was für Interessen sie vertreten! Oberflächlicher sozioökonomische Interessen, tiefer „charakterstrukturelle“ Interessen. Es geht schlicht darum, daß Kommunisten (die sich heute als „Sozialisten“ und „Linksliberale“ tarnen) das „freie Spiel der Kräfte“ nicht ertragen können („die immer hastiger und zerstörerischen Bewegungen“). Im Namen des „Antifaschismus“, gar im Namen von Wilhelm Reich, perpetuieren sie deshalb das (faschistische) Elend.

Während Philosophen wie Pfaller und Foucault naiv herumphilosophieren und an ihren Theorien herumbasteln, beschäftigt sich die Orgonomie mit den arbeitsdemokratischen und biologischen Hintergründen ihres Denkens.

Nur ein Idiot kann begeistert sein, wenn sich Geistesgrößen wie Pfaller dazu herablassen Reich ideologisch bzw. „wissenschaftlich“ (man beachte die Anführungszeichen!) zu „rehabilitieren“. Die Orgonomie bewegt sich auf einer ganz anderen Ebene als alle Philosophien und „Weltanschauungen“. Sie steht grundsätzlich außerhalb derartiger „Diskurse“, deren Inhalt vollkommen nebensächlich ist. Das einzige, was zählt, ist die Funktion des ach so klugen Geredes.

Überhaupt die IntellektuellenAch ja

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8 Antworten to “Reich und die Intellektuellen”

  1. Avatar von Robert (Berlin) Robert (Berlin) Says:

    Leider sehe ich mich gezwungen, dir zu deiner Argumentation Recht zu geben, obwohl ich Pfaller sehr schätze; ich habe es partiell genauso wie du empfunden – der verköpfte Intellektuelle, der die Massen kritisiert. Pfaller hat eigentlich ein offen kommunistisches Programm („Wofür es sich zu leben lohnt – Elemente materialistischer Philosophie“ usw).

  2. Avatar von Jean Jean Says:

    „Ich könnte jetzt die Sache mit der „neoliberalen Wirtschaftspolitik“ auseinandernehmen….“
    Hier, liebe Blogleser, frage ich mich immer: was ist natürliches „freies Spiel der Kräfte“, wenn die Reichen-Lobby die Gesetze macht? Die Tendenzen der Globalisierung nutzen wenigen und schaden vielen.
    Auf die Gefahr hin, mich lächerlich zu machen:
    Ich finde, beispielsweise stellt M.J.Müller (http://www.das-kapital.eu) trotz Kommunismus- verdächtiger Internetadresse die richtige Frage, nämlich warum das Kapital ein Volk gegen das andere ausspielen kann, und fordert als Lösung die Rückbesinnung auf die Marktwirtschaft, in der der Staat einen schützenden Ordnungsrahmen setzt.
    Seit 1980 stieg die Produktivität in der BRD um 70%, während die Reallöhne um 10% sanken. M.J.Müller (der selbst als Foto- Versandhändler nicht-parasitär lebt 🙂 macht v.a.den von der Kapitallobby betriebenen Wegfall der Zollschranken für das weltweite Umwelt-, Währungs-, Sozial- und Lohn- Dumping verantwortlich. Dadurch werden erst hohe Gewinne für die Kapitaleigner möglich. Gegen Staaten, die massiv ihre Umwelt zerstören oder ihre Bevölkerung ausbeuten, können wir angeblich nur mit gleichen Mitteln „gegenhalten“.
    Bei intakten Zollschranken hätte unsere Bevölkerung aber das Geld, die eigenen teuren Produkte zu kaufen, da die Löhne hoch und die Importprodukte noch teurer wären. Die Exportabhängigkeit würde sinken, da sich der Binnenmarkt vergrößert. Dazu gehörte auch eine ausgeglichene Besteuerung von Arbeit rationalisierenden Maschinen (die im Vergleich zur Arbeit viel zu billig wegkommen und daher Menschen ersetzen, obwohl es gesamtwirtschaftlich gerechnet teurer ist – zahlt halt nur ein anderer, nämlich der Arbeitnehmer) und ein anderes Steuersystem (das auch die Arbeit übermäßig belastet).
    Kennt sich hier jemand besser in Wirtschaftsdingen aus? Natürlich lockt jede Art von Gesetzen die Regelwütigen hervor, aber Müller scheint mir sinnvolle Vorschläge zu machen, die gerade die Solidarität unter uns Deutschen ansprechen, ohne anderen Völkern zu schaden.

    • Avatar von Jean Jean Says:

      Zum Grundgehalt schreibt Müller: „Solange es gute Möglichkeiten gibt, die Probleme wie Massenarbeitslosigkeit, schlechte Reallohnentwicklung (…) zu lösen (…) schaden utopische Wunschbegehren nur. Unrealistische Forderungen drängen die wirklich machbaren Reformen in den Hintergrund (…)
      Genau das ist ja das Problem, dass Menschen/Gruppen/Völker usw. in Schwierigkeiten stecken, die sich durch pragmatismusche Änderungen deutlich verbessern ließen, aber es werden Maximalforderungen nach idealen Lösungen gestellt, die dann nicht angegangen werden, weil jeder in der Tiefe spürt, dass es nicht realistisch ist. (ich spreche aus eigener Erfahrung :-))

    • Avatar von Peter Nasselstein Peter Nasselstein Says:

      Tja, der Staat als Anwalt der Schwachen, letztendlich nutzen ihn immer die Starken aus. Klientelkapitalismus („crony capitalism“). Man vergleiche etwa fast staatsfreie Bereiche (z.B. die Computerindustrie) mit staatlich regulierten (z.B. die „Gesundheitsindustrie“): im einen Bereich wird alles ständig billiger, geradezu ruinös billig, während im „geschützten“ Bereich die Kosten (und die Profite) unkontrolliert steigen.

      • Avatar von Jean Jean Says:

        Aber wie werden die „ruinös billigen“ Computerteile hergestellt? Auf Kosten der Menschen und der Umwelt in Asien. Ich möchte mit Müller argumentieren, durch entsprechende Anti-Dumping-Zölle auf den China- Importe könnte die heimische Industrie mithalten, die Global Players könnten die chinesischen Firmen nicht mehr gegen die deutschen ausspielen. Die Einnahmen könnten für Entwicklungshilfe herhalten. Ja, ich weiß, die nächste Bevormundung 🙂 In den USA kann der Staat Betriebsumsiedlungen aus nationalen Interessen verbieten.
        Zölle wurden als Protektionismus geächtet, das heutige Dumpingsystem wird akzeptiert, obwohl es nur 10% der Welt hilft und 90% benachteiligt.
        „Diese ständige Appeasement- Politik und Scheckbuch- Diplomatie hat uns die Probleme eingebrockt, die immer weitere Teile der Bevölkerung resignieren lässt“ (…) (Müller).
        Wollen wir den langjährigen Arbeitslosen helfen oder „haben wir Angst vor der Kritik des Auslands und der inländischen Presse?“

  3. Avatar von claus claus Says:

    Angesichts des aktuellen Stern-Covers http://meedia.de/2017/08/23/cover-der-woche-stern-macht-trump-zum-hitler-der-spiegel-zum-ku-klux-klan-anhaenger-und-die-taz-zum-rambo/
    waren heute auch die Zeitungshändler am Bahnhof genervt. Tatsächlich sind die Schriftsprach-Professionellen Idioten und bestimmen dabei öffentliche Diskussionshintergründe. https://mises.org/sites/default/files/Intellectuals%20and%20Socialism_4.pdf

  4. Avatar von Peter Nasselstein Peter Nasselstein Says:

    Hirntotes GESINDEL!!!

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