Posts Tagged ‘Michel Foucault’

L und S und R und das Affektleben der Intellektuellen (Teil 4)

18. Mai 2023

Bereits seit etwa 1937, spätestens aber 1947, dämmerte es Reich, der sich zuvor ausschließlich in „linken“, „progressiven“ Kreisen bewegt hatte, daß seine vermeintlichen Freunde tatsächlich die schlimmsten Feinde des Fortschritts sind. Sie, die stets gegen die „Autoritäten“ (die Vater-Imago, das Über-Ich) und „das System“ (repressive Strukturen, die Panzerung), angetreten waren, kamen ins Stottern, Stolperten, wenn es tatsächlich ans Eingemachte ging und real zu werden drohte. Es waren stets nur Worte gewesen, die im Gegensatz zu ihrer biophysischen Struktur standen, also eine Lüge waren. Für Reich waren es Leute, die eine unzuverlässige oder unwahre Idee oder Ansicht vertreten: Quacksalber in Sachen Wahrheit und Freiheit, „Wahrheits- und Freiheitskrämer“. Kaum besser als Faschisten, die die reaktionäre Sau rot anmalen. Schlimmer! Denn es ist mehr als ein bloßes Zurschaustellen „des Guten“ – es gibt jenseits dieses Gutmenschentums sonst nichts beim linken Charakter. Er IST Lüge – sonst nichts. Er ist bioenergetisch hohl!

Man ist immer wieder betroffen von der schrecklichen Angst, die der Liberale zeigt, wenn man seine Abwehr erfolgreich angreift. Er gerät außer sich und wird irrational. (Elsworth F. Baker: Der Mensch in der Falle, S. 270)

Kaum, daß die wirkliche Probleme angesprochen werden, insbesondere daß Wahrheit und Freiheit solange Illusion bleiben müssen, solange nicht die Charakterstrukturen wahr und frei (ungepanzert) sind, geraten Linke in eine Situation, in der es um ihre nackte Existenz geht. Es ist, als wenn man bei strahlendem Sonnenschein den Vorhang beiseite schiebt und dem Vampir das Kruzifix vor sein Gesicht hält!

Man bemerkt (…), daß frei praktizierende Ärzte gewöhnlich konservativ sind, während Psychiater und Psychoanalytiker, die weit intellektueller und mehr auf das Wort angewiesen sind, im allgemeinen liberal sind; das mag die zunehmende Tendenz in der Psychiatrie erklären, Gefühle und Freuds Libidotheorie, die sich mit dem [bioenergetischen] Kern befaßt, weniger zu betonen und statt dessen eine neutralere, entsexualisierte Ichpsychologie vorzuziehen. (ebd. S. 272)

Genauso ist es allgemein mit den Gesellschaftswissenschaften, insbesondere aber mit der Philosophie bestellt, die gegenwärtig von Michel Foucault und Konsorten dominiert werden. Linksintellektuelle fühlen sich, je nach intellektueller Konjunktur, zeitweise von LaMettrie, Stirner und Reich magisch angezogen, nur um schließlich alles zu verkorksen, was L und S und R ausmacht, oder sie gleich ganz in den Orkus zu treten. Oberflächlich fühlen sie sich zunächst angesprochen, aber die Botschaft (die Wahrheit) stellt sich schließlich als Krypton für ihre biophysische Struktur (die Lüge) heraus.

L und S und R und das Affektleben der Intellektuellen (Teil 3)

17. Mai 2023

Mit Laska kann man sagen, daß sich heute die Naturwissenschaft mit allem und jedem beschäftigt, aber ausgerechnet die Beschäftigung mit allen „Über-Ich-bezogenen“ Begriffen (Gott, Religion, Moral, Gewissen u.a.) tabuisiert. Das Private und das Politische, d.h. Fragen der Moral, bleiben ausdrücklichst draußen vor (Laskas Einleitung zu LaMettries Der Mensch als Maschine, S. XXXIIf). In diesem Bereich tummeln sich dann die „Gesellschaftswissenschaftler“, die mit Diderot davon ausgehen, daß – „Wer nicht vernünftig denken will [also ein Rechter, gar ein Nazi ist!], verzichtet darauf, Mensch zu sein und muß daher als entartetes Wesen behandelt werden“ (z.n. ebd. S. XXXII). Die Umerziehungs-, Vernichtungslager und Gaskammern des GULAG warten auf die Gegner der rotgrünen „Vernunft“!

Man besuche Gymnasien und Universitäten, Diskussionsrunden und Expertenforen – diese Zweiteilung des intellektuellen Lebens springt dir überall ins Auge. Erschreckend „kalte“ und „schizoide“ („autistische“) Naturwissenschaftler, Mathematiker, Informatiker, Ingenieure etc. die alle wirklich wichtigen Fragen „den Politikern“ überlassen – die von rein gar nichts eine Ahnung haben. Auf der anderen Seite Leute, die Michel Foucault und anderen Ideologen hinterherlaufen, deren gesamte Lebensleistung sich darum dreht L und S und R zu verdrängen. Entsprechend sind ihre Helden beispielsweise De Sade, Nietzsche und Herbert Marcuse.

Beide Gruppen von Intellektuellen, d.h. die von der Naturfakultät und die von der Gesellschaftsfakultät, wirken wie Sektenanhänger, merkwürdig blasiert, abgetrennt vom Leben und – verpeilt. Wie Reich etwa in Äther, Gott und Teufel ausgeführt hat: Naturwissenschaft kann nur funktionieren, wenn sie sich mit ihren Forschungsinstrumenten auseinandersetzt, also in erster Linie der individuell menschlichen und damit der gesellschaftlichen Struktur! Das gleiche gilt für die Gesellschaftswissenschaft. Beispielsweise ist es hochgradiger Unsinn, Fächer wie Soziologie und Politologie betreiben zu wollen, ohne Kenntnis von Elsworth F. Bakers soziopolitischer Charakterologie zu haben. Wir leben tatsächlich in einem vorwissenschaftlichen Zeitalter und das, was sich heute „Wissenschaftler“ schimpft, sind tumbe Scholastiker und gemeingefährliche Pfaffen!

Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 15)

19. August 2022

[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]

Was den neuen Menschen, der nach der autoritären Gesellschaft aufkam, die „gepiercten Typen“, betrifft: alles bei der Zucht von Nutztieren und Sklaven gelernt. Beide Arten von Tieren wurde „ein Ring durch die Nase gezogen“ – der wahre Ursprung des „Piercing“. Natürlich gab es nie Kulturen ohne innere Gewalt, ABER das Verhältnis von innerer und äußerer Gewalt, Selbst- und Fremdkontrolle kann ganz verschieden sein.

Interessanter ist, daß Reich zu einer Zeit, als er noch verhältnismäßig am meisten vom „Gott“ Stirner beeinflußt war, also so zwischen 1920 und 1925, sich mit genau jenen „neuen Charaktertypen“ auseinandergesetzt hat: Der triebhafte Charakter. Auf die gleichen Charaktertypen ist Barbara Koopman Ende der 60er Jahre in New York gestoßen: B.G. Koopman: „The Rise of the Psychopath“ Journal of Orgonomy 7(1), May 1973, pp. 40-58. Und die „gepiercten Typen“ von heute unterscheiden sich sicherlich nicht viel von ihren beiden Vorgängerpopulationen. Und erinnert Der triebhafte Charakter nicht verblüffend an La Mettries Gegenspieler de Sade?

Es ist schon interessant, daß Reich seine Karriere ausgerechnet mit der Untersuchung jener Population anfing, bei der das Über-Ich isoliert, fragmentiert und periodisch schwankt (also einmal kaum vorhanden ist, um dann unerwartet um so stärker zuzuschlagen, z.B. durch Genitalverstümmelung mittels „Piercing“). Was u.a. deshalb für „Stirner“ von Bedeutung ist, weil einerseits ausgerechnet diese Freaks an die Wand gemalt werden, um zu zeigen, wohin „Eigenheit“ führt; andererseits diese Freaks von den Pseudo-Befreiern (etwa Herbert Marcuse oder Michel Foucault) als Alternative für die über-ich-gesteuerte Gesellschaft gepriesen werden.

Freud kommt in Dusan Makavejews Film WR – Die Mysterien des Organismus nicht vor. Nur in einer Spielszene prangt an der Wand ein Bild Reichs und gleich daneben ein Bild Freuds. Das Freudphoto kreisrund und mit konzentrischen Kreisen ausgestattet als Dartscheibe mit Dartpfeilen drinnen. Merkwürdigerweise ist es aber ein Freudistischer Film: er bleibt in der polymorph perversen Mittleren Schicht stecken, als wollte er alle Freudistischen Vorurteile gegen Reich bestätigen.

In diesem Zusammenhang ist auch interessant, wie Reich mit Eigenheit, Einbindung und Rebellion umgegangen ist:

Neill verfügt in hohem Maße über die seltene und so wichtige Eigenschaft der völligen Unabhängigkeit bei gleichzeitiger Unterordnung unter eine gemeinsame Sache. Dies unterscheidet ihn von dem Rebellen, der sich gegen die Unterordnung unter eine gemeinsame Sache wehrt und seine tiefe Abhängigkeit nie überwindet. So gingen Meinungsverschiedenheiten in vielen Erziehungs- und Sozialfragen einher mit einem tiefempfundenen Verantwortungsgefühl für die wichtigste gemeinsame Aufgabe. („Orgonomy 1935-1950 – A Brief Review (I)“ Orgone Energy Bulletin Vol. 2, July 1950, S. 143-151)

Das finstere Mittelalter der Orgonomie

5. September 2012

Nach Reichs Tod Ende 1957 sah es denkbar finster für die Orgonomie aus. Gerettet wurde sie vom „Aufbruch der 60er Jahre“. Die Menschen wollten sich von den alten rigiden Strukturen befreien. „Bewegung“ war das Zauberwort. Hier kam Reich wie gerufen. Wie kein anderer war er dazu prädestiniert, dieser Grundtendenz des Aufbruchs Stimme zu geben:

Entsprechend blühte die Orgonomie: Konferenzen, Universitätskurse, zahlreiche Forschungsprojekte, immer neue Zeitschriften und Bücher, Medizinstudenten interessierten sich für eine Laufbahn als medizinischer Orgonom, etc.

Obwohl die Eigendynamik dieses Aufbruchs vielleicht noch ein oder eineinhalb Jahrzehnt nachwirkte, kam es mit Anbruch der 1980er Jahre zu einem vollkommen unerwarteten Einbruch. Es begann das 30 Jahre andauernde finstere Mittelalter der Orgonomie. Es war, als ob in den 1980er, 1990er und 2000er Jahren für die Orgonomie kein rechter Platz mehr vorhanden war. Das Interesse und Engagement nahm rapide ab, für größere Aktivitäten fehlte die Nachfrage und es wurden in dieser Zeit kaum neue medizinische Orgonomen ausgebildet. Heute fehlt eine ganze Generation medizinischer Orgonomen!

Was war geschehen? Die Orgonomie war überflüssig geworden! Die alten Strukturen waren erstaunlich schnell zerfallen und die Botschaft von „sexueller Befreiung“ und Infragestellung der Autoritäten auf allen Ebenen war kein unwiderstehliches Faszinosum mehr, sondern wirkte eher schal und abgeschmackt. Leute, die „auf der Suche“ waren, wandten sich eher „spirituellen Pfaden“ zu und „kritischen Geistern“ ging es nun darum auch noch die letzten Festungen der „repressiven Genitalität“ zu schleifen. Mit Leuten wie Michel Foucault konnte Reich einfach nicht mehr mithalten.

Während dieser finsteren Jahrzehnte war die Orgonomie natürlich alles andere als untätig. Tatsächlich ist sie in dieser Zeit erst richtig zu sich selbst gekommen. Die Orgonometrie, die vorher kaum existierte, wurde ausgebaut, die soziale Orgonomie wurde zu einem eigenständigen Bereich, der an Bedeutung der medizinischen Orgonomie in nichts nachsteht, und die Orgontherapie hat ihre wahrscheinlich endgültige Form erhalten. Waren die ersten 20 Jahre vor allem von Elsworth F. Baker geprägt, so die letzten 30 Jahre von Charles Konia.

Gegenwärtig sind wir Zeitzeugen des Beginns einer dritten Phase in der Entwicklung „der Orgonomie nach Reich“. Der Zerfall der antiautoritären Gesellschaft ist vorangeschritten und hat derartig katastrophische Ausmaße erreicht, daß die jungen Menschen heute im allgemeinen entropischen Chaos nach Struktur, Orientierung und Halt suchen:

Nach ihrer Konsolidierung unter Charles Konia steht die Orgonomie unvermittelt als zutiefst konservative Kraft da, die sich nie vom Zeitgeist der „Genderstudien“, „Dekonstruktion“, Political Correctness, Verharmlosung, wenn nicht sogar Glorifizierung „weicher Drogen“, vermeintlicher „Esoterik“ und all dem anderen Unsinn hat korrumpieren lassen. Sie hat sich nie der jeweiligen „Jugendkultur“ angebiedert. Die Orgonomie wirkt wie der letzte Hort geistiger und emotionaler Gesundheit und Klarheit, wie die letzte Festung der Integrität, wie der letzte Halt vor dem Fall in den Wahnsinn.

Das ist zwar eine grundsätzlich andere Situation als in den 1960er und 1970er Jahren, trotzdem hat die Orgonomie wie damals wieder eine gesellschaftliche Funktion inne. Uns allen steht eine Zeit ungeahnter und aus der Natur der Sache heraus diesmal zeitlich nicht begrenzter Blüte und Expansion bevor. Die erste Gleichung steht für Zerfall, die zweite für Dauer.

Die antiautoritäre Gesellschaft am Beispiel des Ärztestandes

23. Juni 2012

ein Gastbeitrag von Dr. med. Mann

Hört man das Wort „antiautoritäre Gesellschaft“, denkt man an Rebellion oder gar „Emanzipation“. Manche werden sich fragen, ob dieser Begriff nicht ein fataler Fehlgriff ist, um eine Gesellschaft zu beschreiben, die (unter dem Deckmäntelchen der „Demokratisierung“) immer mehr Lebensbereiche reglementiert und bürokratisiert; was sich letzten Endes als weitaus repressiver entpuppt, als es die vielbeklagte „Repression in der bürgerlichen Gesellschaft“ je gewesen ist. Am Beispiel des Arzt-Berufs läßt sich zeigen, welch totalitäre Züge die antiautoritäre Gesellschaft annimmt, trotz vordergründig gegenteiliger Assoziationen bei dem Begriff „antiautoritär“.

Kaum ein Berufsstand war in der autoritären Gesellschaft geachteter als der des Arztes. Dabei spielten zwar Standesdünkel und Mystizismus („Halbgötter in Weiß“) hinein, aber diesem verzerrten Kontakt zum bioenergetischen Kern entsprach dennoch eine gewisse arbeitsdemokratische Rationalität. Es galt, was der Arzt sagte und verordnete. Das sorgte für einen gewissen Dezentralismus und autonome Strukturen. Kein Gesetzgeber, keine Regierung oder Versicherung kam auf den Gedanken, das fachärztliche Urteil anzuzweifeln oder an seiner Gültigkeit zu zweifeln. Patienten folgten widerspruchslos den Anordnungen und Verordnungen des Fachmanns.

Das hat sich grundlegend geändert und zeigt plastisch die fatalen Auswirkungen der antiautoritären Gesellschaft. Zunächst einmal versteht sich der Patient zunehmend als „kritischer Kunde“ und tritt mit einem entsprechend übersteigerten Anspruchsdenken an den Arzt heran, dem ganz offen Wunderkuren abverlangt werden, weil der Patient möglichst gar nichts tun (und nichts an sich und seinem „ungesunden Lebenswandel“ ändern) will – außer den Arzt zu kritisieren. Hiervon kann jeder Arzt „ein Lied singen“, der z.B. mit der „Einstellung“ eines Diabetes mellitus zu tun hat. Dazu passend, verstehen sich viele Ärzte und sogar Psychotherapeuten mittlerweile nicht mehr als „Heiler“, sondern als hochspezialisierte „Dienstleistungs-Anbieter“.

Dabei tritt der Arzt zunehmend in Konkurrenz mit Ratschlägen aus den Massenmedien und jeder Menge anderer „Fachleute“. Oder mit anderen Worten, seine Autorität wird ständig infrage gestellt. Fast jeder Patient (v.a. die jüngeren), der selber nullkommanull Erfahrungen mit Psychopharmaka hat, meint den Arzt (dessen entsprechende Empirie auf Tausenden von Fällen sowie auf seiner Kenntnis unzähliger wissenschaftlicher Studien beruht) gleich im Erstgespräch belehren zu müssen, daß das von ihm vorgeschlagene Medikament laut Google-Recherche ja „fürchterliche Nebenwirkungen“ habe. Tatsächlich ist deren Auftretens-Wahrscheinlichkeit jedoch gegebenenfalls geringer als diejenige, daß man sich beim Autofahren beide Beine bricht.

Der Arzt wird sogar als „Agent der Pharmaindustrie“ verdächtigt, d.h. als Geschäftemacher im Verbund mit „bösen Mächten“. An die Wirksamkeit der Medikation wird sowieso nicht mehr geglaubt, und es gibt ein ewiges Ringen um die „Compliance“ (also Krankheitseinsicht und Mitarbeit) des Patienten. Dieser Aspekt ist auch volkswirtschaftlich von großer Relevanz, da verschiedenen Untersuchungen zufolge etwa jede zweite ärztlich verschriebene Tablette nicht im Magen des Patienten landet, sondern im Müll oder der Toilette entsorgt wird.

Daraus sich ergebende ausbleibende Therapieerfolge werden natürlich dem Arzt angelastet: „die da oben“ haben immer schuld! Wenn man in ein Flugzeug steigt, funktioniert die Arbeitsdemokratie: jeder Passagier vertraut ganz selbstverständlich dem Piloten sein Leben an, da dieser ja im Gegensatz zu den Insassen „von der Pike auf gelernt“ hat, ein Flugzeug zu steuern. Im Gesundheitswesen ist es hingegen ganz anders: fast jeder Patient sieht sich selber als „kleinen Arzt“ oder Psychologen. So beklagte Wilhelm Reich schon zu seinen Zeiten, daß sich jeder „kleine Mann“ für einen psychiatrischen Experten hält, nur weil er selber Emotionen hat.

Hinzu kommt, daß genau wegen dieser grundsätzlich antiautoritären Haltung das Leben zunehmend „kollektiviert“ und bürokratisiert wird. Sie wirkt sich dadurch nicht etwa „emanzipatorisch“ aus, sondern läuft im Gegenteil auf eine totalitäre Kontrolle sämtlicher Lebensbereiche hinaus. Heutzutage verbringt ein Arzt fast die Hälfte seiner Arbeitszeit nicht etwa mit der Behandlung von Patienten, sondern damit, unzählige Schreiben zu verfassen und Formulare auszufüllen, um sich gegenüber viel weniger fachlich qualifizierten Sachbearbeitern von gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen (die den Patienten und die Begleitumstände seiner Erkrankung gar nicht persönlich kennen), der Kassenärztlichen Vereinigung, Rentenversicherungsträgern, der Ärztekammer, Gerichten, Gutachtern für Psychotherapie-Anträge, dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen usw. ständig dafür zu rechtfertigen, ob die von ihm gestellte Diagnose und die darauf basierende Behandlung auch richtig ist.

Schon bei der Auswahl des geeigneten Medikaments ist der Facharzt nicht etwa frei (früher gab es mal die so genannte „Therapie-Freiheit“ des Arztes), sondern hat sich an verbindliche „Behandlungs-Leitlinien“ der Fachgesellschaften zu halten, wenn er nicht „mit einem Bein im Gefängnis stehen“ will. Das unsägliche „Punkte-System“ der Kassenärztlichen Vereinigungen mit Fallpauschalen bzw. „DRGs“ (Diagnosis Related Groups), „Richtgrößen-Volumen“ „Budgetierungen“ und entsprechenden Regreß-Forderungen bei deren Überschreitung, tun ihr Übriges, um den VerwaltungsAufwand (und den Frust des Arztes) extrem in die Höhe zu treiben.

Daß das „Gesundheits“-Wesen v.a. aus diesen Gründen hoffnungslos überbürokratisiert, organisiatorisch „gepanzert“, korrupt und konsekutiv viel zu teuer ist, ist eine der „heiligen Kühe“, die in der öffentlichen Diskussion tabu sind – schließlich geht es doch um den „Erhalt von Arbeitsplätzen“ (also z.B. die der über 100.000 „SOFAs“ = SozialversicherungsFachangestellten), was das Herz jedes Gewerkschafters und Sozialdemokraten höher schlagen läßt.

Parallel dazu hat der Gesetzgeber (ebenfalls im Rahmen der genannten „Demokratisierung“) neulich dafür gesorgt, daß die „Patienten-Rechte“ noch weiter gestärkt werden. Was sich auf den ersten Blick gut anhört, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als veritabler Schwachsinn. Jeder Patient kann jeden Arzt „einfach so“ wegen eines vermeintlichen Behandlungsfehlers auf unglaubliche Summen Schadensersatz verklagen. Pikanterweise muß dazu nicht etwa (wie im sonstigen Rechtssystem selbstverständlich) der Patient nachweisen, daß ein solcher Fehler geschehen ist, sondern der Arzt muß vielmehr vor Gericht selber den positiven Nachweis erbringen, daß er korrekt behandelt und nichts falsch gemacht hat! Was natürlich in der Konsequenz dazu führt, daß die umfangreiche schriftliche Dokumentation wichtiger wird als die Behandlung selber. Welcher Kassenpatient kennt nicht die (daraus resultierende) groteske Situation, daß der Facharzt während des Erstgesprächs den Patienten kaum noch ansieht, sondern bereits auf seiner PC-Tastatur wie wild Daten und Abrechnungsziffern eintippt? Dies ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie die Kontroll- und Regulationswut der Institutionen in Wahrheit zur zunehmenden Panzerung der Arzt/Patient-Beziehung führt, die doch eigentlich das „A und O“ einer jeden guten Behandlung darstellt.

Besonders perfide an dieser Art des systematischen Totalitarismus ist, daß man heute (im Gegensatz zu den Zeiten der autoritären Gesellschaft) nicht mehr auf einzelne „autoritäre“ Herrscher bzw. Individuen wütend sein kann, da die Entmündigung des Bürgers im ach so „demokratisch aufgeklärten“ Zeitalter sehr viel subtiler erfolgt durch die Allmacht der allgegenwärtigen Institutionen (die noch dazu vorgeben, sie täten das alles ja im Sinne der Bürger bzw. Patienten-Rechte).

So kommt es, daß Gesetze und Vorschriften zunehmend den Gestaltungsfreiraum des Arztes einschränken und ihn zu einem bloßen Rädchen im Getriebe machen, das zu funktionieren hat und das ja nichts aus eigenem Antrieb unternehmen darf. Gegenwärtig wird er sogar von umfassendem „Qualitäts-Management“ und „Zertifizierungs-Maßnahmen“ gepiesakt, was wirklich jeden Handschlag standardisiert und vor allem eins bedeutet: zusätzlicher Papierkram, der von der eigentlichen Arbeit abhält. Das Fachwissen und die Erfahrung des Einzelnen gelten nichts mehr. Er hat sich standardisieren zu lassen und muß sich vor irgendwelchen Gremien rechtfertigen, wenn er aus der Reihe tanzt.

Zu allem Überfluß nimmt der Druck von Seiten der privaten Versicherungen zu, und der Arzt muß sich immer mehr gegenüber irgendwelchen Sachbearbeitern rechtfertigen, weil beispielsweise die Medikation (ihrer Meinung nach!) nicht mit der Diagnose harmoniert. Da diese Auseinandersetzungen grundsätzlich über den Patienten laufen, wird so die Autorität des Arztes und das Vertrauen in den Arzt zusätzlich unterminiert.

Und schließlich kommt etwas zum Tragen, was insbesondere in Amerika den Arztberuf zu einem veritablen Alptraum gemacht hat: Patienten, die für ihr Leid ganz „antiautoritär“ immer andere verantwortlich machen, beginnen die rechtlichen Mittel auszuschöpfen. Groteskerweise geht es bei etwaigen Gerichtsverhandlungen aber gar nicht um den Arzt, sondern um seine Haftpflichtversicherung, die möglichst wenig an Entschädigung zahlen will und entsprechend den Arzt weiter entmündigt. Selbst wenn er einen Fehler gemacht hat, darf er den nicht offen einräumen! Er und andere dürfen aus seinen Fehlern nicht klug werden.

Eines der Hauptresultate von alledem sind explosionsartig steigende Kosten (nicht zuletzt aufgrund der der Haftpflicht), die gegenwärtig z.B. die Gilde der freiberuflichen Hebammen buchstäblich auslöschen. Dies und die damit einhergehenden schreienden Ungerechtigkeiten werden natürlich „dem Kapitalismus“ angelastet, was die antiautoritäre Ideologie weiter unterfüttert und nach mehr bürokratischer „Abhilfe“ ruft – so daß sich der Teufelskreis immer weiter fortsetzt.

Man kann sich den „Lösungsansatz“ etwaiger Reformer schon denken: es wird natürlich alles darauf hinauslaufen, „autoritäre Strukturen“ noch radikaler zu hinterfragen und die fachliche Autorität der Ärzte noch mehr zur Disposition zu stellen. Auf diese Weise zerstört die antiautoritäre Gesellschaft die Arbeitsdemokratie in einer scheinbar unaufhaltsamen Abwärtsspirale, während die frühere autoritäre Gesellschaft zumindest eine Karikatur der Arbeitsdemokratie bewahrte.

Am Ende wird vor allem einer der Dumme sein: der Patient und Steuerzahler, um den sich ja angeblich alles dreht und der alles bezahlen muß. Tatsächlich geht es aber bei dieser Angelegenheit jedoch nur um eines, nämlich um das auf den gesellschaftlichen Schauplatz verlagerte ödipale Drama – die „antiautoritäre Emanzipation“ mit ihrer infantilen Rebellion gegen die „Vaterfigur“ Arzt.

Die „Organmediziner“ sind in ihrer Position ziemlich sicher, da letztendlich doch die Realität, etwa in Gestalt eines Blinddarmdurchbruchs, die Oberhand behält und so für den Erhalt einer gewissen arbeitsdemokratischen Ordnung sorgt. Ganz anders sieht es aber im Bereich der Psychiatrie (sowie Psychotherapie, Psychosomatik udgl.) aus, die seit Beginn der antiautoritären Ära, also seit etwa 1960, von absurden Bewegungen wie der „Anti-Psychiatrie“ oder dem „Sozialistischen Patientenkollektiv Heidelberg“ und wirren Pseudo-Philosophen wie Michel Foucault grundsätzlich in Frage gestellt wird. Wer es wagt, „psychische Gesundheit“ zu definieren, steht gleich als „Nazi“ da.

Reich und die Intellektuellen

31. Oktober 2011

In dem von Birgit Johler herausgegebenen Band Wilhelm Reich Revisited (Wien 2008) verteidigt der österreichische Kulturwissenschaftler Prof. Dr. Robert Pfaller Reich gegen Michel Foucault und dessen Adepten, die Reich als obsolet hinstellen, da „die Macht“ nicht etwa sexuelle Lust unterdrücke, wie Reich behauptet hat, sondern ganz im Gegenteil gezielt anwendet, um die Masse zu korrumpieren. Pfaller wendet dagegen ein, daß Reich gezeigt habe, daß die Klassenverhältnisse die Menschen so umgeformt haben, daß sie ihre Unterdrückung aktiv unterstützen und diese sogar als lustvoll erleben. Reich spricht von der „Schere“, die sich zwischen der zur „Progression“ treibenden ökonomischen Entwicklung und dem reaktionären Empfinden der Masse auftut. In diesem Zusammenhang gibt Pfaller ein aktuelles Beispiel:

Man hätte Ende der 1990er Jahre in Österreich erwarten können, daß eine Bevölkerung, die von den immer hastiger und zerstörerischen Bewegungen eines unter neoliberalen Bedingungen agierenden multinationalen Kapitals in beträchtlichem Ausmaß bedroht war, ihre Wut gegen dieses Kapital und gegen diese Bedingungen richtet. Stattdessen richtete diese Bevölkerung ihre Wut vor allem gegen die von diesen Bedingungen hervorgerufene Migration der Arbeitskraft; nicht selten auch gerade gegen diejenigen, die versuchten, diese Bedingungen zu kritisieren und zu verändern: gegen Intellektuelle, Kunstschaffende, politisch Engagierte. Auch hätte man erwarten können, daß eine Bevölkerung unter solchen Bedingungen die Forderung nach besserem – z.B. staatlichem, gewerkschaftlichem oder anderem – Schutz gegen die vom multinationalen Kapital angerichteten Zerstörungen erhebt. Stattdessen beobachteten wir, wie diese Bevölkerung sich mit Begeisterung gerade denjenigen zuwandte, die völlig unverhohlen versprachen, noch die letzten Einrichtungen zu beseitigen, die solchen Schutz bieten konnten. Schließlich schien es, daß diese Bevölkerung, anstatt (wie Majakowski) zu rufen: „Her mit dem schönen Leben!“, noch geradezu Gefallen an Parteien und Persönlichkeiten fand, die ihr einen „Kassasturz“, eine „Budgetsanierung“ oder, noch klarer, einen „Verlust von Annehmlichkeiten“ (…) in Aussicht stellten.

Ich könnte jetzt die Sache mit der „neoliberalen Wirtschaftspolitik“ auseinandernehmen oder erläutern, wie bizarr ich es finde, daß die Suche nach „Schutz“ „progressiv“ sein soll. Pfaller könnte dann im Einzelnen Reich zitieren, der doch all dies vertreten habe. Beschäftigen wir uns lieber mit Leuten wie Pfaller, die im krassen Gegensatz zu Reich vollkommen abgeschnitten sind von den wirklichen Lebensverhältnissen der Massen und imgrunde nichts als Verachtung für diese aufbringen. Wenn sich die Massen gegen ihre staatliche Bevormundung, die bis hin zu „Gedankenverbrechen“ reicht, gegen Erstarrung und Regelwut, gegen immer höhere Steuern und Abgaben aussprechen, wird das prompt mit Verweis auf Reich pathologisiert.

Leute wie Pfaller verzweifeln, weil die Massen einfach nicht so funktionieren, daß sie den Interessen von „Intellektuellen, Kunstschaffenden und politisch Engagierten“ dienen. Die Massen sollen gefälligst für weniger Wettbewerb und mehr Staat sorgen, damit die „Intellektuellen, Kunstschaffenden und politisch Engagierten“ sich in den staatlichen und öffentlich-rechtlichen Nischen wie Parasiten entfalten können. Die Massen haben vor allem aber eins zu tun: eine identitätslose beliebig formbare „Masse“ zu werden. Dazu muß das Volk zur „Be-Völkerung“ werden, d.h. derartig zersplittern, daß eine Solidarität unmöglich wird. Oder mit anderen Worten: durch „Migration“ soll jedwedes „Milieu“ zerstört werden. Orientierung kommt dann nicht mehr aus der Tradition, sondern von „Intellektuellen, Kunstschaffenden und politisch Engagierten“. So haben Kommunisten schon immer agiert: die „Vermassung“ fördern und, im krassen Gegensatz zur Propaganda, jedwede Solidarität zwischen den Menschen („Fraktionsbildung“!) hintertreiben. Stattdessen wollen die Kommunisten eine vollkommen infantilisierte und „schutzbedürftige“ Bevölkerung, losgelöst von ihren arbeitsdemokratischen Wurzel: „Her mit dem schönen Leben!

Es ist wirklich vollständig egal, was Leute wie Pfaller mehr oder weniger Kluges über Reich schreiben; ob sie für oder gegen ihn sind, Foucaultianer sind oder nicht. Wichtig ist einzig und allein, was für Interessen sie vertreten! Oberflächlicher sozioökonomische Interessen, tiefer „charakterstrukturelle“ Interessen. Es geht schlicht darum, daß Kommunisten (die sich heute als „Sozialisten“ und „Linksliberale“ tarnen) das „freie Spiel der Kräfte“ nicht ertragen können („die immer hastiger und zerstörerischen Bewegungen“). Im Namen des „Antifaschismus“, gar im Namen von Wilhelm Reich, perpetuieren sie deshalb das (faschistische) Elend.

Während Philosophen wie Pfaller und Foucault naiv herumphilosophieren und an ihren Theorien herumbasteln, beschäftigt sich die Orgonomie mit den arbeitsdemokratischen und biologischen Hintergründen ihres Denkens.

Nur ein Idiot kann begeistert sein, wenn sich Geistesgrößen wie Pfaller dazu herablassen Reich ideologisch bzw. „wissenschaftlich“ (man beachte die Anführungszeichen!) zu „rehabilitieren“. Die Orgonomie bewegt sich auf einer ganz anderen Ebene als alle Philosophien und „Weltanschauungen“. Sie steht grundsätzlich außerhalb derartiger „Diskurse“, deren Inhalt vollkommen nebensächlich ist. Das einzige, was zählt, ist die Funktion des ach so klugen Geredes.