Kritik an Wilhelm Reichs Entdeckung des Orgons

Die Zeitschrift für Sexualmedizin meinte 1988 in ihrer Januar-Ausgabe Digne Meller Marcovicz‘ Dokumentarfilm Wilhelm Reich: Viva Kleiner Mann (1987) sei „ein eindringliches Dokumentarvideo, hervorragend montiert (…) Das Museum of Modern Art, N.Y., will den Film (…) ins Programm aufnehmen.“ Ich fand den Film, wie die meiste moderne „Kunst“, nur dümmlich und „gewollt“. Es war ein Film mehr als „künstlerische“ Äußerung von Frau Meller Marcovicz, als ein Film über Reich.

Der Filmtitel, die brutale Art wie Meller Marcovicz mit dem Material umgegangen ist und gewisse Anklänge an Dusan Makavejevs Machwerk zeigen eine tiefsitzende Verachtung Meller Marcovicz‘ für Reich. Auch ist mir ein gewisser antiamerikanischer Unterton aufgefallen – und das Ende des Films in der UdSSR!

Es war gut Reichs Mitarbeiter zu sehen, auch wenn man z.B. von Jo Jenks kaum etwas mitbekam, was eine filmische Sauerei ist! Ansonsten fand ich alle Leute abtörnend: Peter Mills, die merkwürdigen „Vegetotherapeuten“, Reimund Reiche und als Höhepunkt aller Ekeligkeit: Volkmar Sigusch.

In Sexualmedizin wird Sigusch wie folgt zitiert:

Ein Experimentalphysiker von einem Max-Planck-Institut hat zusammen mit mir diese Orgonexperimente im Laboratorium wiederholt. Das Resultat war nach diesen genauen Messungen so beschaffen, daß von Wilhelm Reichs Behauptung, (…) nichts übrigblieb.

Dazu der Kommentar der Zeitschrift: „Also kein Orgon.“

Es ist ziemlich einfach und billig, Reich zu kritisieren. Reich schreibt dazu:

Die Erforschung neuer Gebiete erfordert geradezu, sagen wir es ruhig, einen gewissen Leichtsinn und eine gewisse Unbekümmertheit im Vorgehen. (Die Bionexperimente, Frankfurt 1995, S. 173)

Ich habe überhaupt kein Verständnis, wenn dann frischdiplomierte Möchtegernwissenschaftler jeden kleinen Fehler bei Reich hervorkramen und damit die Großen Entdeckungen Reichs niedermachen wollen. Schon zu Lebzeiten war Reich von den Einwänden und Kontrollexperimenten der Besserwisser genervt. Siehe etwa die entsprechenden Stellen in Jenseits der Psychologie. Reich schreibt dazu:

Einzig und allein die selbständige Entwicklung und Logik meiner Experimente hielt mich bei der Stange. Es ist interessant und nützlich, auf solche Unsicherheiten zurückzublicken, wenn einem die sonderbarsten Erscheinungen zu gewohntem Alltagswerk geworden sind. Das gibt den nötigen Mut, an solchen störenden und scheinbar verneinenden Kontrollergebnissen nicht hängen zu bleiben; neue Tatsachen nicht mit oberflächlicher Kontrolle zu erschlagen; negative Kontrollergebnisse selbst zu kontrollieren und schließlich nicht dem Bequemlichkeitsdrang nachzugeben, der einen so leicht sagen läßt: „Ach, es war nur eine Täuschung“. (Der Krebs, S. 111f)

Was Reichs physikalisches Halbwissen betrifft, haben diese Leute sicherlich teilweise recht, aber es war ja z.B. grade Reichs Nichtwissen auf dem Gebiet der Bakteriologie, das ihn zur Entdeckung der Bione geführt hat. Genauso hat ihn auch seine physikalische Naivität zum Orgon geführt. Es ist doch so, daß der Physiker, der alltäglich im Labor unzählige Messungen durchführt, ohne je über das Orgon zu stolpern, durch seine ganze Herangehensweise geradezu systematisch verhindert, daß sich das Orgon zeigt, genauso wie Bakteriologen noch Jahrtausende in ihren Labors arbeiten können, ohne je auf den Pleomorphismus zu stoßen. Entsprechende Proben werden als „kontaminiert“ entsorgt.

Außerdem läßt sich die Sache umkehren: Physiker, die sich beim Nachvollzug von Reichs Experimenten nicht genau an den Wortlaut, insbesondere an den Geist von dessen Vorgaben halten, sind – Laien. Es macht beispielsweise keinen Sinn bei regnerischem Wetter und in einem ORANUR-verseuchten Labor irgendwelche Effekte am Orgonenergie-Akkumulator nachweisen zu wollen.

Ich verweise in dieser Hinsicht auf die Arbeit des Max Planck-Wissenschaftlers H.-U. Demisch, mit dem Sigusch zusammengearbeitet hat. Dazu die sehr gute Besprechung in Stefan Müschenichs Der Reichsche Orgonakkumulator (Frankfurt 1987): Es gibt nicht den geringsten Hinweis, daß Demisch‘ überhaupt Reichs Prämissen verstanden hat. Bei Reich scheint ihm alles zu „subjektivistisch“ und „intuitiv“ zu sein. Demisch vermißt einfach mit elektronischen Temperaturfühlern Metall- und Styroporplatten, ohne jede Berücksichtigung von Umwelteinflüssen. Groteskerweise gelingt ihm nicht einmal das Nullexperiment, d.h. er ist ständig mit unkontrollierbaren Temperaturgradienten konfrontiert. Man rauft sich die Haare, wenn man seine Arbeit liest…

Reich hat selbst auf derartige Physiker geantwortet und zwar in einem Brief an Neill vom 22.12.1942:

Mich stört es nicht, wenn er sagt, ich verstünde nicht viel von Physik, denn die kosmische, biophysikalische Energie Orgon wurde von mir und nicht von ihm entdeckt; und ich überlasse das physikalische Wissen gern ihm und werde die Probleme des Orgons selbst lösen, auch „ohne Wissen“. Als Beispiel für sein völlig wirres Denken verweise ich auf eine Passage seines Briefes, in der er schreibt, daß „das Funkeln der Sterne von starken kalten Luftströmungen in den höheren Schichten der Atmosphäre verursacht wird“. Wenn Du 100 Physiker hast und ein Phänomen, dann kannst Du 100 verschiedene Interpretationen von ein und demselben Phänomen hören, verkündet mit der erhabensten Würde der reinen Wissenschaft. Ich bin froh, daß ich mich von dem Respekt vor solcherart Wissenschaft freigemacht habe. Um zu zeigen, daß ich damit recht habe: Vor etwa einer Woche habe ich mit meiner Frau das New Yorker Planetarium besucht. Sogar unser Physiker wird zugeben, daß es in einem solchen Planetarium keine Luftschichten in großer Höhe gibt, und dennoch haben die künstlichen Sterne gefunkelt. Sicher wird er eine andere Erklärung für dieses Phänomen im Planetarium parat haben. Ebenso hat er die experimentelle Reproduktion des Sternenfunkelns in jedem Orgon-Akkumulator übersehen, die man feststellen kann, wenn man einfach ein paar Löcher in die Wände bohrt und im Dunkeln hineinschaut, wobei innen ein gedämpftes, grünes Licht angebracht ist. Es ist jahrtausendelang die Aufgabe der Naturwissenschaft gewesen, Hunderttausende von verschiedenen Tatsachen auf ein einziges Prinzip zurückzuführen und nicht eine einzige Tatsache mit Hunderttausenden von Worten zu erklären, wie es die meisten der sogenannten Physiker tun. Kurzum, die Einstellung Deines Physikers ist extrem irrational und stimmt mit dem Irrationalismus der ganzen mechanistischen und metaphysischen Wissenschaft völlig überein. (Zeugnisse einer Freundschaft, S. 133)

Das Elend der Vorgehensweise der Kritiker liegt auch darin, daß sie die Reichsche Kette „Experiment → Theoriebildung → Experiment → Theoriebildung“ in Experiment hier und Theorie dort aufreißen – und dann braucht man wahrhaftig kein Genie zu sein, um Reich zu „widerlegen“ – mit dem man sich in Wirklichkeit nie wirklich auseinandergesetzt hat.

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Eine Antwort to “Kritik an Wilhelm Reichs Entdeckung des Orgons”

  1. Avatar von O. O. Says:

    Ein sogenannter „kritischer Nachvollzug“ von reichs Experimenten beginnt mit einer „kaputten“ Haltung Reich gegenüber, die nicht immer auch so benannt wird, ist aber nicht selten das Hauptmotiv – neben der eigenen Langeweile im Leben.
    Ferner möchte man Aufmerksamkeit, die man mit Reich immer zu bekommen glaubt (siehe Turner).
    Dann wird vergessen Reich ordentlich zu studieren und man hat kein Empfinden für Orgon, was man für Unvoreingenommenheit hält.
    Hätte man Reich gut studiert, würde einem auffallen, dass das eben nicht alles so einfach ist, schon das Labor muss so ausgesucht werden, dass es keine energetische Kontamination und Interferenz mit Oranur gibt, was vorraussetzt, dass man etwas spürt, was man als Kritiker aber nicht tut, sonst wäre man ja schon gleich voreingenommen.
    Ferner hat man ja oft theoretisch schon nichts verstanden, möchte aber auch mal experimentieren. Hätte man Reichs Therorie verstanden, würde man schon nicht mehr „Objektiv“ sein können und mit distanzierter Haltung arbeiten.
    Ferner fehlt einem evtl. auch noch der akademische Titel, unter einem Professor brauch man wohl gar nicht anfangen, weil es keiner lesen wird. Und ist man Prof. und lässt für sich von seinen HiWis ein Experimente durchführen, weiß man nicht, ob sie das auch gut gemacht haben … und man ist längste Zeit Prof. mit Anstellung gewesen.
    Also bleibt der Nachvollzug (ob kritisch oder nicht) an Laien hängen, ohne eine Ahnung von Versuchsdesigns und Auswertungsmethoden, geschweige denn, dass sie Reichs Experiment verstanden haben.

    Was kostet ein Orgon Experiment? Auch diese Frage wird nicht gestellt, somit geht man von einer billigen Angelegenheit aus, die man mit Baumarktartikeln durchführen kann. All das mag für den Hobbytüftler noch kein Hindernis sein, einfach mal wie Reich drauflos zu experimentieren. Für eigene Experimente reicht es ja auch. Doch was ist mit der Dokumentation? Oder Diskussion und Austausch mit anderen … (mit wem auch?)

    Welche historischen Experimente gab es, hier eine Auswahl:
    1. Einsteins Versuch des Nachvollzugs: glühendes Anfangsinteresse und pötzlicher Kontaktabbruch. Versuch in jeder Hinsicht gescheitert.
    2. FDA „Untersuchung“: keine Publikation, also irrelevant.
    3. ACO Experimente, unzählige meist direkt auf Reich bezogen: kein Versuchsaufbau, interessante Theoriebildungen und Ergebnisinterpretation im Sinne Reichs: wenig objektiv oder nachvollziehbar, dennoch als Literatur und Hinweisgeber tauglich. Jedoch dubios, dass keine physikalischen Orgonexperimente (Kurse) zum Nachvollzug in Europa angeboten wurden. Ebensowenig von DeMeo.
    4. Müschenich und Gebauer: endlich mal was brauchbares. Standards wurden hier gesetzt.
    5. Im ebengenannten wurde ein Kuriosum erwähnt, eine medizinische Dokumentation mit Heilungsbehandlungen durch „Orgondecken“ etc.in Farbbildern festgehalten (Fuckert, Skript), sehr bildlich überzeugend, wurde aber in den letzten fast 30 Jahren nichts ähnliches mehr fortgesetzt, wo sich natürlich die Frage stellt, wer hat das eigentlich gemacht? (Abschreiben und mit fremden Federn schmücken ist envoke in dieser Szene) – also eine „Eintagsfliege“.
    6. Harrers Projekt, alles zu untersuchen und dann als „physikalisch ganz normal“ hinzustellen mit der Interpretation, dass Reichs Interpretation falsch gewesen sei. Schlussfolgerung: „Orgon existiere nicht als physikalische Energie“. Keine Darstellung in einer Dokumentation; Versuchsprotokolle wurden geführt und nicht veröffentlicht. Heftigste Diskussionen innerhalb der Szene (s. DeMeo, WRG) über Vorträge und Meinungen über das vermeintliche Ergebnis. „Dokumentation“ im Versanddienst dann letztlich doch, aber nicht über die Experimente, von denen wieviel funktioniert haben? Öh. Bei welchem sei Reichs Ergebnis nachgewiesen worden? Öh. Tja, Orgon existiere ja sowieso nicht also kann ja nichts rauskommen.
    7. Last and least mein Lieblingsexperiment der Wilhelm Reich Akademie, Wilhelm Reich Gesellschaft Deutschland, Holos Assoziation (gibt´s nicht), Dr Haus Trettin Nümbrecht, Orgon Praxis Köln und irgendwas in Berlin: Veröffentlichung im Internet ca. späte 90-er:
    Versuchsaufbau: ich lasse den Kühlschrank auf, fahre in Urlaub, entdecke danach einen völlig vereisten Kühlschrank, mache ein Foto oder zwei und veröffentliche das Experiment unter „Nachvollzug der Bione“: quasi wurde hier das neue Orgon-Eis-Bion entdeckt.

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