Peter auf dem Weg zur Orgonomie (Teil 7)

Meine Generation und die Gefährten meiner frühen Kindheit:

Mit Sicherheit bin ich mit einigen von denen, die hier zu sehen sind, in die gleiche Grundschule an der Schwarzen Brücke gegangen. Wären wir, vertrieben durch die Hafenerweiterung, in die nahe Mümmelmannsberg-Siedlung gezogen, statt in den fernen und so fremden bürgerlichen Norden Hamburgs, ich wäre jetzt tot, wie so absurd viele, Knastologe, Dogenwrack, Alki, was auch immer. Ich wäre ein vollkommen anderer Mensch!

Man darf das mit dem „Charakter“ nicht übertreiben, so als sei er vom Himmel gefallen. Charakter ist ein gesellschaftliches Phänomen, d.h. er ist in der kleinen „Gesellschaft“ Familie entstanden, so wie Freud, Abraham, Reich und Baker es beschrieben haben. Und das zieht sich durch: Menschen nehmen den „Charakter“ ihrer Umgebung an. Wenn du etwa in einer kommunistischen Gesellschaft gezwungen wirst, wie ein Kommunist zu funktionieren, dann wirst du schließlich auch einer. Wir identifizieren uns mit dem, was uns vernichten könnte. In der Familie identifizierst du dich mit den Eltern, von denen du auf Leben und Tod abhängig bist, d.h. du wirst wie sie (= Charakterformation) und das setzt sich etwa in Cliquen wie den obigen fort. Der Konformitätsdruck ist unerbittlich. Man schaue sich doch nochmal das Video an: Klone!

Und by the way: Das waren die letzten Deutschen! Der Ausländeranteil meiner Grundschule war schon vor 20 Jahren 100 %, als erste Grundschule in Deutschland überhaupt. Und Billstedt ist heute eine Mischung aus Istanbul und Kabul. Zu meiner Zeit 0%, wenn man mal von all den Zigeunern absieht, aber die habe ich nie als anders empfunden und – die waren auch nicht anders.

Ich komme nicht von diesem Filmdokument los, weil es mich erinnert, wie sehr ich diese Leute gehaßt habe. Die Mädchen kommen mir noch heute ordinär und billig vor und dann das ganze Macho- und Kumpelgehabe und der Alkohol, alles was ich Zeit meines Lebens verabscheut habe. Aber bei all dem unechten Getue und Gemache – diese Menschen waren noch… Hinter der Fassade war etwas, etwas mit Gewicht und Substanz, „Schicksal“. Das änderte sich, vielleicht um 1973 herum, schleichend, aber doch deutlich. Das ist natürlich eine Rekonstruktion, gefärbt durch mein heutiges Wissen, aber ich vermeine, es gespürt zu haben, u.a. weil sich die Schulbücher in ihrer ganzen Aufmachung änderten. Die äußere soziale Fassade des Charakters und das Gehirn wurden langsam aber sicher alles. Geblieben sind leere Hüllen.

Immerhin kommen mir die damaligen Mädchen einigermaßen „normal“ vor, während es heute nur noch unglaublich entweder unangenehme Zicken oder vollkommen konturlose Puppen zu geben scheint. Und viele tragen Makeup, nicht nur diese clowneske Bauernmalerei, sondern richtig fett aufgetragen, wie man es bei Leichen macht, die noch einigermaßen unverwest aussehen sollen…

Der Freund meiner späten Kindheit hieß Andreas. Er war und ist genau der Prolet, den Campino spielt. Nur daß die Realität weniger „erotisch“ ist. Neulich habe ich Andreas gesehen: ein alter gebeugter alkoholkranker Mann mit riesiger grotesker „Stirn- und Mönchs-Glatze“ und an den Seiten langen schwarzen fettigen Haaren. Er hat sich gegen die gepanzerte Gesellschaft gewehrt, er war der wüste Schläger – und sie hat es ihm heimgezahlt. Auf seine Art war er auch zu gesund (jedenfalls gesünder als ich), um in dieser Gesellschaft überleben zu können. Reich hat ja genug über solche Menschen geschrieben, angefangen vom Triebhaften Charakter bis zu Walter Kolbenhoffs Untermenschen.

Andreas wurde später zu einem Typ wie etwa hier:

Währenddessen malte ich.

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Eine Antwort to “Peter auf dem Weg zur Orgonomie (Teil 7)”

  1. adamrhau Says:

    In meiner Schule – einem gutbürgerlichem Gymnasium – war es Anfang der 70er-Jahre üblich (Konformitätsdruck), lange Haare zu tragen – Klone. Ich war weit und breit der einzige, der das unpraktisch fand und daher das Haar kurz trug. Wer war jetzt der ‚Protestler‘?
    Da gibt es einen Bilderwitz: ein moderner Maler steht mit seiner Freundin vor einem seiner Werke und sie frägt ihn: ‚Warum bist du eigentlich Nonkonformist wie alle anderen?‘

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