15. September 1969
The Letters Editor
The New York Times Magazine
229 West 4 Street
New York, N.Y. 10036
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich möchte mich einem Aspekt des Artikels von Paul Goodman „Die neue Reformation“ (9/14) zuwenden, nämlich der Beziehung zwischen Wilhelm Reichs Sexualtheorien und denen von Marcuse und ihm selbst. Es ist in Mode gekommen, Reich als eine Art Sexualideologen zu erwähnen, als einen Vorläufer der angeblichen sexuellen Revolution von heute und daher als einen der „Helden“ der zeitgenössischen „Revolutionäre“ und „Radikalen“. Paul Goodman weist selbst auf diesen Punkt hin in seiner Einleitung zu Ilse Ollendorff Reichs jüngster Biographie ihres verstorbenen ehemaligen Ehemannes…
Reich selbst leugnete jede Beziehung zwischen seinem Werk und Denken und dem, was von zeitgenössischen Nonkonformisten vertreten wurde. Er bezeichnete sie häufig als „Freiheitskrämer“. Paul Goodman beschreibt in einem Nachruf auf Reich in Liberation vom Januar 1958 Reichs Wut auf ihn, weil er „seinen Namen mit Anarchisten und Libertären in Verbindung brachte“. Reich war der Ansicht, daß die Menschheit in ihrem gepanzerten Zustand (ein Begriff, der charakterologische und muskuläre, d.h. biologische Rigidität bezeichnet) nicht in der Lage sei, verantwortungsbewußte Freiheit und Selbstregulierung zu praktizieren. Er war der Ansicht, daß Veränderungen langsam erfolgen sollten, wobei die Betonung auf der verantwortungsvollen Erziehung von Kindern liegen sollte („Freiheit, aber nicht Zügellosigkeit“). Die heutige Generation ist ein Produkt des Mißverständnisses und des Mißbrauchs dieses Konzepts, was zu einem Durchbruch dessen führte, was Reich als „sekundäre (zerstörerische) Triebe“ bezeichnete – häufig mit einer humanen oder sozialbewußten Rationalisierung –, die ihrer Natur nach die vorgeblichen Ziele nicht erreichen können. Stattdessen lösen sie entweder Illusionen oder eine ernsthafte Gegenreaktion aus.
Es ist daher in Fairness gegenüber Reich wichtig ihn von Marcuse und der Neuen Linken, den meisten zeitgenössischen „Radikalen“ und Nonkonformisten, und von Paul Goodman selbst abzuheben.
Respektvoll unterbreitet,
Paul Mathews
School of Continuing Education, N.Y.U.
Journal of Orgonomy, Jahrgang 3 (1969), Nr. 2, S. 268.
Schlagwörter: Anarchisten, Freiheit, Gegenreaktion, Kindererziehung, Libertäre, Marcuse, New York Times. Paul Goodman. Sexualtheorien, Nonkonformisten, Radikalen, Rationalisierung, Revolutionäre, sexuelle Revolution, Zügellosigkeit
30. April 2020 um 09:24 |
Bitte immer die Quelle hinzufügen:
JO 3(2), November 1969, p. 268
Ich würde es besser finden, wenn du den Brief nicht mit deiner Artikelserie, wie in der Überschrift geschehen, vermengen würdest. Mathews hätte seine Sicht niemals als „rechten Blick“ gesehen, sondern als funktionell, weder links noch rechts. Der rechte Blick ist ein gepanzerter Blick.
30. April 2020 um 09:34 |
Stimmt beides.
30. April 2020 um 09:35 |