Orgonomie und Metaphysik (Teil 11)

Reich zufolge gründet sich das religiöse Empfinden der matriarchalen Völker auf das Erleben der orgastischen Plasmazuckung in der heterosexuellen genitalen Umarmung. Mit dem Einbruch des Patriarchats verschwindet diese Grundlage jeder Religion nicht, sondern wird nur bis zur Unkenntlichkeit entstellt – oder bis zur Kenntlichkeit karikiert. Es sei nur an all die unverkennbar sexuellen Anspielungen erinnert, die praktisch alles an den Religionen kennzeichnet, – die in ihrer Ideologie explizit antisexuell sind, aber imgrunde nur ein Thema kennen: Sex.

Man betrachte etwa die groteske Abfolge der modernen Gurus angefangen bei Ramananda und Yogananda: einer abartiger als der andere, einer perverser als der andere, einer sexbesessener als der andere, einer sexualfeindlicher als der andere. Was für Freaks! Siehe dazu das Buch Guru: Zwischen Sex, Gewalt und Erleuchtung von Geoffrey Falk (Alibri, 2011):

Jiddu Krishnamurti, Maharishi Mahesh Yogi, Satya Sai Baba, Sri Chinmoy, Bhagwan: Das Inhaltsverzeichnis des Buches liest sich wie das Who’s Who der erleuchteten spirituellen Führer des 20. Jahrhunderts – nur daß Geoffrey Falk sie uns eher als unterbelichtete Dunkelmänner vorstellt. Denn die vermeintlichen Lichtgestalten zeichnen sich vor allem durch Selbstüberschätzung, Ichbezogenheit und die Gier nach Macht, Reichtum und Sex aus. Ihre Weisheiten übersteigen kaum das Niveau von Kalendersprüchen und die einzigen, die aus ihren Lehren einen Nutzen ziehen, sind sie selbst.

Was bleibt ist vollkommener Sinnverlust, innere Leere, bestenfalls Wahnsinn.

Im ungepanzerten Organismus besteht ein unmittelbarer Kontakt zwischen dem Kern und der Umwelt. Im gepanzerten Organismus ist dieser Kontakt unterbrochen, was für Frustration, Verwirrung und ein Gefühl des „Abgeschnittenseins“ sorgt, da man am Leben nicht mehr wirklich teilhaben kann:

Nihilpanz

Es ist ein substanzloses Leben „im Spiegel“, d.h. alles wird ungreifbar und „jenseitig“. Entsprechend muß die Existenz selbst (bzw. gerade!) den Mystikern und „Heiligen“ als leer und sinnlos erscheinen. Man spricht dann von „Glaubenskrisen“, – die geradezu als Garant für „Heiligkeit“ gelten. Es müsse durch eine „Feuerwand“ gegangen werden. Am Grunde jedes religiösen Glaubens findet sich ein Nihilismus, eine Lebensverneinung, die ganz offen in Phantasien über die „Apokalypse“ in Erscheinung tritt. Und das gilt nicht nur für die abrahamitischen Religionen: kaum ein Guru, der keine sadistischen Weltuntergangsphantasien ausspinnt! Alle religiösen Lehren sind ganz beseelt von Zerstörung, Mord und Todschlag.

Nietzsche hat diese Zusammenhänge geahnt, ist aber daran gescheitert, eine Alternative zum Nihilismus anzubieten und damit die menschliche Zivilisation vor der Selbstzerstörung angesichts der allgegenwärtigen Sinnlosigkeit zu retten. Mit dem Tod Gottes, d.h. der Ausbreitung des A-Theismus, trat der Nihilismus sogar ganz nackt in Erscheinung: alles ist sinnlos, wertlos, keiner Anstrengung wert.

Die moderne Gesellschaft geht daran kaputt, daß die Menschen die innere Leere immer weniger spirituell kaschieren können, sondern sich einem krassen Materialismus hingeben, der nicht mal mehr Rücksicht auf seine eigenen Grundlagen nimmt: Hauptsache er betäubt.

Es ist eine Existenz wie in einem hoffnungslos verschütteten Bunker: die einen entdecken urplötzlich „Gott“, die anderen besaufen sich und plündern die letzten Vorräte und manche laufen Amok.

Immerhin scheint bei Nietzsche durch, daß man es beim Nihilismus nicht mit einem „philosophischen“ Problem, sondern mit einem biologischen zu tun hat. Es ging ihm um den „Übermenschen“, d.h. einen Menschen, der selbst angesichts der absoluten Sinnlosigkeit („die ewige Wiederkehr des Gleichen“) das Leben bejaht, weil jeder Augenblick unendlich tief und unendlich bedeutsam ist. Aber das ist ein untauglicher Versuch den Nihilismus zu überwinden.

Es geht nicht darum, die oben beschriebene „Trennung“ zu ertragen und an ihr „zu wachsen“, sondern sie muß aufgehoben werden, was nur gelingen kann, wenn die Panzerung verschwindet. Mit dem Verschwinden der Panzerung stellt sich die Sinnhaftigkeit der Existenz von ganz alleine her bzw. dar.

Reich hat dazu seinem Werk Die sexuelle Revolution folgendes „Aus dem Tagebuch des Schülers Kostja Rjabzew“ vorangestellt:

Der Redakteur der Garnrolle, der die Frage: „Wozu leben wir?“ gestellt hat, scheint Lust zu haben, sich in das Gestrüpp der Philosophie zu begeben. Vielleicht aber hat ihn großes Zittern und Beben vor der Nichtigkeit des menschlichen Lebens erfaßt. Im ersten Fall ist‘s ja gut, im zweiten ist‘s schlimm. Und zwar aus folgendem Grunde: „Leben, um zu leben“ ist die einzige Antwort auf die gestellte Frage, so sonderbar und so einseitig das auch klingen mag. Der ganze Zweck, der ganze Sinn des Lebens besteht für den Menschen im Leben selbst, im Prozeß des Lebens. Um den Zweck und den Sinn des Lebens zu erfassen, muß man vor allem das Leben lieben, gänzlich, wie man so sagt, im Wirbel des Lebens untertauchen; erst dann wird man den Sinn des Lebens erfassen, wird man verstehen, wozu man lebt. Das Leben ist etwas, was im Gegensatz zu allem, was der Mensch geschaffen hat, keine Theorie benötigt; wer die Praxis des Lebens erfaßt, dem wird auch die Theorie des Lebens klar.

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2 Antworten to “Orgonomie und Metaphysik (Teil 11)”

  1. Denis Roller Says:

    Es gibt nichts selbstverständlicheres als das Leben. Und gerade weil es so selbstverständlich ist, ist es das größte Wunder überhaupt… Ein Wunder, an dem viele überhaupt nicht teilnehmen, und sich dessen überhaupt nicht bewusst sind, weil sie Leben mit Existenz gleichsetzen.

    „Mit dem Verschwinden der Panzerung stellt sich die Sinnhaftigkeit der Existenz von ganz alleine her bzw. dar.“

    Rein theoretisch – alles klar. Trotzdem rauche ich immer noch kette, kämpfe als „kleiner Mann“ gegen meine Migräne, krieg nix auf die Reihe mit meinen fast 30 Jahren, und fühle mich wie nie erwachsen geworden, während ich davon träume, wie toll, lukrativ und sinnerfüllt es sein muss, Person x,y zu sein. Wie beseitigt man die „okulare Panzerung“, die „Panzerung im Gehirn“, die robotische Existenz des Laberns und Reflektierens über die Reflektion der Reflektion? … Wie befreie ich meine „Hände“? Dass sie wieder mit meinen Augen zusammen arbeiten können? Was sollte ich mir genauer „ansehen“ und was lieber „ausblenden“, dass ich als „Seele“, als „Organismus“, als „Individuum“ überhaupt – lebe? Es sollte viel, viel mehr authentische Literatur über genau dieses Gebiet der Orgonomie geben: Du und ich! Wie steht’s mit unserem Leben? Wie kaputt sind unsere Seelen? Was sagen „Dein“ und „Mein“ Spiegelbild? Wie viel „Verantwortung“ können wir überhaupt „sehen“, geschweige denn „ertragen“, geschweige denn „bewusst annehmen“ oder gar „suchen“. Gepanzerten Menschen, gepanzerten Gesellschaften muss bewusst gemacht werden, wie fern ab des wahren Lebens sie sich befinden. Dann würden sich die „Gurus“ von selbst lächerlich machen und müssten nicht erst „entlarvt“ werden. Dann gäbe es keinen Unterschied mehr zwischen Arbeitsdemokratie und Religion. Zwischen Arbeitsdemokratie und Politk. Zwischen individueller und gesellschaftlicher Selbstregulation.

    Die Orgonomie, sowie das Leben selbst, steht und fällt mit der praktischen Umsetzung der Reflektionsgabe von alltäglichen Menschen im Alltag. Hier muss man ansetzen! Wir brauchen Vorbilder. Richtige Vorbilder. Keine Kino- Helden. Vorbilder des Fleißes und des Erfolgs. Vorbilder in Sachen Liebes-, Arbeits- und Lebensglück. Vorbilder in Sachen Selbstregulation.

  2. Peter Nasselstein Says:

    American College of Orgonomy 
    A Different Kind of Psychiatry Podcast
    „Treating the Effects of Permissive Parenting“
    with Alberto Foglia, M.D.

    We invite you to listen to the next episode of our A Different Kind of Psychiatry Podcast. This episode features audio from one of our recent webinar presentations. Chris Burritt, D.O. and Alberto Foglia, M.D. discuss the care of Dr. Foglia’s patient, Mario. Mario was a hyperactive, aggressive, angry three-year-old boy who terrorized other children in his pre-school. The presentation and discussion demonstrate the powerful effects of medical orgone therapy but also highlight a key aspect: the importance of distinguishing primary healthy expressions and emotions from secondary unhealthy ones. Listen in to hear how Dr. Foglia helps Mario and his mother and demonstrates the importance of setting boundaries and asserting natural parental authority when raising children.

    https://adifferentkindofpsychiatry.blubrry.net/2021/11/23/treating-the-effects-of-permissive-parenting/

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