Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 54)

[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]

In seinen Ausführungen über „die Hybris der Vernunft“ und „das Elend der Aufklärung“ finden sich bei dem christlich-libertären Ökonomen Roland Baader, ein Schüler von Friedrich A. Hayek, folgende Aussagen:

Der Fortschritt der Naturwissenschaften führte dazu, daß mehr und mehr der Gesetzmäßigkeiten des materiellen Weltverlaufs entdeckt und erklärt werden konnten. Entsprechende Gesetzmäßigkeiten glaubte man deshalb auch im Geistigen, Sittlichen und Sozialen erkennen zu können, wenn nur die Denkmethoden entsprechend den logisch-exakten der Naturwissenschaften gestaltet werden könnten. In dieser Methodensuche wurde Descartes mit seiner Verfahrensweise des „methodischen Zweifels“ zum Wegbereiter des sogenannten philosophischen Kritizismus. Das wäre noch kein Beinbruch gewesen; der Weg dieser Erkenntnismethode jedoch führte über Hobbes und Locke zur Überzeugung, daß sich alle Erkenntnis aus der Erfahrung ableiten lasse. In einem solchen Denksystem ist Metaphysik nicht mehr möglich. Wo aber Metaphysik ausgeschlossen ist, da ist nur noch Physik. Übertragen auf Geistiges bedeutet das: krasser Materialismus. Physik als singuläre Erklärung und Substanz des Menschen, des Menschlichen und der Menschheit, der Person wie der Gesellschaft, endet konsequent in den Schlächtereien der Revolution, den Gaskammern von Auschwitz und den Friedhöfen der Gulags.

Institutionell und historisch wurde daraus anschließend die Säkularisation (modern: „Emanzipation“) nicht nur des Staates von der Kirche, sondern auch des Menschen von Gott, und schließlich die des Menschen von seinesgleichen und von sich selbst. In perfekter Konsequenz entspricht dem nur noch ein einziges „Glaubensbekenntnis“: der Nihilismus.

Anders erklärt: Aus dem „richtigen“ Erkennen – so der aufgeklärte Geist – müsse das „richtige“ Tun folgen. „Richtiges“ Handeln heiße „sittliches“ Handeln, denn Elend, Mangel und Not könnten ihre tiefste Ursache nur in fehlender oder mangelhafter Einsicht haben; weshalb der durch Vernunftgebrauch vollständig erkennende oder nur das Vernünftige anerkennende Mensch auch nur noch tugendhaft (weil „richtig“) handeln könne.

Der entscheidende logische Schritt des Aufgeklärten: Die „Tugend“ muß (vermittels Vernunft) aus ihm selbst kommen. Somit lehnt der mit den Waffen der eigenen Vernunft Befreite die Bindung an moralische Autorität oder an Tradition ab.

Am Ende dieses Denkens stehen Männer wie Holbach und de la Mettrie – später auch Marx –, für die Metaphysik nur mystischer Firlefanz und dumpfes Unwissen bedeutet, und deren Theorien folglich in krassesten, primitivsten Materialismus münden. Soweit Tugend, Sittlichkeit, Moral, Religion überhaupt noch angeführt werden, sind sie zweckrationale Instrumente einer utilitaristisch-eudämonistischen Sinnes-Glückseligkeit. Logische Konsequenz dieser geistigen Bodenbereitung ist die politische (also faktische) Säkularisation. Ihr irdischer Gott ist der neue Staatsbegriff. Wenn das Individuum nicht mehr eingebunden ist in die (vermeintlich „unvernünftigen“) Zwänge der Tradition, der Religion und der hierarchischen Autoritäten, wer soll dann seinen autarken Willen zügeln? Wer soll die Souveränität des einen Bürgers daran hindern, die Souveränität des anderen Bürgers zu verletzen? Konstruktivistisch (und „systemlogisch“) gedacht, kann das nur einer leisten: die Summe der vernünftigen Einzelindividuen und ihrer Rechte, also die „Supervernunft“ und das „Superrecht“ – und somit die höchste und einzige Autorität mit unbeschränkter Souveränität: der neue Staat. Er ist das Ergebnis eines Vertragsschlusses seiner (vernünftigen) Mitglieder. (Rousseau’s Contract [PN: sic!] Social). (Baader: Kreide für den Wolf. Die tödliche Illusion vom besiegten Sozialismus, Böblingen: Anita Tykve Verlag, 1991, S. 87)

Das Problem mit derartigen Ausführungen ist, daß Holbach und La Mettrie natürlich denkbar scharfe Gegensätze waren, der erstere etwa eine „Ethokratie“ schrieb und LaMettrie einen „Wahnsinnigen“ nannte. Leute wie Holbach glaubten an die Gesellschaft und deren Ethik, während LaMettrie diese Gesellschaft transzendierte. Natürlich nicht im Sinne Baaders, denn er wußte, daß all das Böse, das Baader zurecht bekämpft, auf den Einfluß der Gesellschaft zurückgeht, dem die „frei Geborenen“ ausgesetzt sind, und daß die metaphysische Ethik (die stets an ihren „ethischen Dilemmata“ verreckt) nur eine pervers verzerrter Ausfluß dieses Naturempfindens sind.

Dagegen nun quasi „gnostisch“ zu argumentieren, daß es (ganz im Sinne der in Teil 53 erwähnten „Familie“) kein „Wahres im Unwahren“, kein „Gutes im Schlechten“ geben könne, also in Radikalopposition zu gehen, ist, wenn man so will, eine „linke“ Interpretation des LSR-Projekts. Eine die logisch-abstrakt durchaus zu rechtfertigen ist, die aber meiner „rechten“ Warte, die nicht an eine im Kern verdorbene Welt, einen „teuflischen Demiurgen“ glaubt, diametral entgegengesetzt ist: die „Familie“ ist mein Todfeind.

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11 Antworten to “Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 54)”

  1. Peter Töpfer Says:

    Vollste Zustimmung!
    ((Das mit Baader und dem „Fortschritt der Naturwissenschaften“ ist, ganz abgesehen vom Tenor Ihres Postings, ein schöner Beleg für eine Aussage in meinem Buch „Pan-Agnostik“, an dem ich gerade schreibe – der Nachrichtenbrief lohnt sich! Sehr brauchbare Infos! Quelle wird natürlich genannt.))

  2. Peter Töpfer Says:

    Die stupide Religiosität der Libertären sucks. Die sind ja alle so: Lichtschlag, Markus Krall… Ihr Säulenheiliger ist Schafarewitsch mit seinem Sozialismus-Buch („Der Todestrieb in der Geschichte“), der den Sozialismus rein „idealistisch“ erklärt. Sehr enttäuschend an dieser Stelle, die Libertären (die ja sonst nicht so verkehrt sind).

  3. Peter Nasselstein Says:

    Peter von Minute 4:43 bis 4:57

  4. Peter Nasselstein Says:

    Die Massenpsychologie des Faschismus. Gerade an einer Frauendemo vorbeigegangen. Es ging nur um MÄNNER, die Frauen sein wollen, und Frauen, die MÄNNER sein wollen. Abtreibung und Verhütung und Nein zum Muttersein. Die Mädchen und Frauen alle in Sack und Asche und auf häßlich und unfraulich getrimmt. Die Stimmung cancerös-morös. Eine einzige Verneinung der Frau!

  5. Peter Töpfer Says:

    Ich arbeite gerade mit dem Baader-Zitat. Darf ich noch mal kurz nachfragen: Steht das wirklich so bei Baader?: „Institutionell und historisch wurde daraus anschließend die Säkularisation (modern: ‚Emanzipation‘) nicht nur des Staates von der Kirche, sondern auch des Menschen von Gott…“
    => Säkularisation des Staates von der Kirche? Säkularisation des Menschen von Gott? Mit dem Begriff „Emanzipation“ würde das Sinn machen, aber der steht ja nur in der Klammer. Ist Baader tatsächlich so ein schlampiger Schriftsteller?
    Dank im voraus!

  6. Peter Töpfer Says:

    P.S.: Könnten Sie vielleicht am besten einfach nur die Seite 87 von Baader, Kreide für den Wolf, fotografieren und hier reinstellen? Danke!

  7. Peter Nasselstein Says:

    Orgontherapie!

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