[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]
Kurt Hiller, mit dem ich mich kurz in Band 1 von Der Rote Faden (S. 69f) beschäftige, schrieb 1943 über Marx:
Bei allen großen Denkern beobachten wir Entwicklung, Wachstum, gewisse Wandlungen; aber bei Karl Marx sehen wir einen Bruch. Nach 1845 dachte und schrieb Marx das genaue Gegenteil von dem, was er bis 1845 dachte und schrieb. Nicht in politischer Hinsicht das Gegenteil, aber in philosophischer Hinsicht. Während er bis 1845 auf der Linie jenes ethischen Aktivismus philosophierte, der seit Echnaton und Moses, seit Zoroaster und Kungfutse, seit Sokrates und Christus allen Großen der Menschheit gemeinsam ist, ging er nach 1845 dazu über, zu antiphilosophieren: das Geistige als Funktion herabzusetzen, Ethik als Kategorie lächerlich zu machen, über die Idee IDEE zu spotten. Dies war sein berühmter „Materialismus“; nicht, daß er die materielle Bedingtheit des seelisch-geistigen Daseins behauptete und insonderheit die ökonomisch-materielle, deren Schauerlichkeit für einen bedeutenden Sektor der Bevölkerungen unter dem Kapitalismus er erkannte. Er teilte diese Erkenntnis mit den Sozialisten vor ihm, den von ihm „utopisch“ genannten, und die Bedeutung des Materiellen überhaupt war bereits drei, vier Generationen vor ihm von der Aufklärung, besonders der französischen, erfaßt worden und längst Gemeinbesitz aller Gebildeten, gerade auch aller gebildeten Idealisten. Marx‘ „Materialismus“ mit seiner immer noch nicht erloschenen Herausforderung ist: sein Nein zur philosophischen Methode. Welche er bis zu seinem siebenundzwanzigsten Jahre selber großartig angewandt hat. Wie der Bruch zu erklären sei, darüber mögen Historiker mit Psychologen, Zeloten mit Zynikern streiten. (Kurt Hiller: Marx-Kritik in der Nußschale. In: Köpfe und Tröpfe, Hamburg 1950, S. 153-170)
Man kann mit Fug und Recht sagen, daß 1845 der Rote Faschismus begann. Siehe wieder Der Rote Faden. Der gesamte Marxismus war nichts anderes als eine gescheiterte, sich ins Gegenteil kehrende biologische Revolution!
Was war 1845 geschehen? Marx war (übrigens wie später gewisserweise auch Freud!) Feuerbachianer, d.h. „Gott“ und damit alle Ideale wurden als bloße Projektionen „des Wesens des Menschen“ entlarvt. Man war „Humanist“. Dann kam Stirner und entlarvte dieses „Menschenwesen“ als bloßen Spuk; ein Gespenst, das das einzig Reale bedrückt, den einzelnen konkreten Menschen. Damit brach Marx‘ gesamtes Weltbild zusammen. Kein „Ideal“ mehr und sei es „der Mensch“. Um kein Stirnerianer werden zu müssen, entwarf Marx den Historischen Materialismus, d.h. den realen Verhältnissen wird kein Ideal, kein normativer Maßstab, äußerlich entgegengehalten:
Worum es Marx ganz wesentlich geht, ist, die materiellen Verhältnisse als solche auszuweisen, die aus sich selbst heraus notwendig „die realen Bedingungen ihrer eignen Aufhebung“ hervorbringen und so die Menschen in den Zustand versetzen, erstmals zum Subjekt zu werden, „das in dem Produktionsprozeß nicht in bloß natürlicher, naturwüchsiger Form, sondern als alle Naturkräfte regelnde Tätigkeit erscheint“. Damit wären die „universal entwickelten Individuen, deren gesellschaftliche Verhältnisse als ihre eignen, gemeinschaftlichen Beziehungen auch ihrer eignen gemeinschaftlichen Kontrolle unterworfen sind, (…) kein Produkt der Natur, sondern der Geschichte“. (Matthias Spekker: „ihrem Wesen nach kritisch und revolutionär“. Wahrheit in Marx‘ wissenschaftlicher Gesellschaftskritik)
Hinter all dem verqueren Wortgeklingel, das die Wahrheit verbergen soll, wird dem dialektisch geschulten Blick unmittelbar deutlich, worum es geht – um etwas, was später Reich von den Marxisten um die Ohren gehauen werden sollte: die Gesellschaft, die Geschichte gegen die Biologie, die Natur; die Gesellschaft gegen das Individuum; Regulierung und Planung gegen Selbstbestimmung und Selbststeuerung. Hinter all dem pseudo-aufklärerischen Bombast kehrt die Reaktion in potenzierter Form zurück: Roter Faschismus. Schlimmer: die Reaktion hatte wenigstens noch einen vagen Respekt vor dem Individuum und der Natur, während der Marxismus nur Unterdrückung und Zerstörung kennt.
Marx war sozusagen besessen und wurde, trotz seines intensiven Stirner-Studiums, seine Gespenster nicht wieder los. Um Reich zu paraphrasieren: diese Pseudo-Revolutionäre müssen ihre Seele dem Teufel verkaufen, während der Konservative wenigstens die Chance hat anständig zu bleiben.