Francesco Foroni von der Freien Universität Amsterdam und Gün Semin von der Universität in Utrecht haben in einer neuen Studie gezeigt, daß Sprache sich nicht nur im Gehirn abbildet, sondern buchstäblich „ver-körpert“ wird. Sie ist also kein rein „geistiges“ System aus abstrakten Symbolen, sondern Sprache und körperlichen Reaktionen beeinflussen sich wechselseitig. Die aufgenommenen Symbole werden direkt in körperliche Reaktionen umgesetzt und so verstanden.
Die Probanden lasen Wörter ab, während die Aktivität jener Gesichtsmuskeln gemessen wurde, die das Stirnrunzeln und das Lächeln steuern. Bei „positiven Wörtern“ wie „Lächeln“, „Grinsen, „Lachen“ bewegten sich die Mundwinkel, „negative Wörter“ wie „Stirn runzeln“, „Weinen“, „Kreischen“ verursachten hingegen eine Bewegung der Stirn. Die Begriffe und die mit ihnen einhergehenden spontanen körperlichen Reaktionen führten auch zu entsprechenden emotionalen Reaktionen. Beispielsweise fanden die Testteilnehmer Comic-Abbildungen komischer, wenn sie vorher durch „positive“ Begriffe darauf eingestellt waren. Wurde die Muskelaktivität verhindert, indem der Proband einen Stift mit den Lippen festhielt, blieb die Belustigung aus.
Daß Körper und Geist funktionell identisch sind, zeigen auch die Forschungen von Meredith Rowe und Susan Goldin-Meadow von der University of Chicago. Sie berichten von einer Langzeitstudie an fünfzig Familien, bei der sie herausfanden, daß Kleinkinder, die mit 14 Monaten häufig gestikulieren, im Alter von viereinhalb Jahren über einen größeren Wortschatz verfügen als ihre gestikulationsfaulen Altersgenossen.
Eine Erklärung, wie die Gestik des Kindes zu einem größeren Wortschatz führt, haben die Forscherinnen auch parat. Die Mutter reagiert beispielsweise auf den Fingerzeig ihres Sprößlings, indem sie ihm erklärt, was es sieht. Das Kind seinerseits benutzt die Hände, um sich seiner Umwelt mitzuteilen, wenn es bestimmte Dinge noch nicht aussprechen kann.
Hier haben wir eine hervorragende Illustration für die Einheit von Psyche (Wortschatz) und Soma (Gestik). Sogar beim Lernen von Mathematik ist die Wechselwirkung mit Gesten wichtig, wie die besagten Forscher der Universität von Chicago experimentell zeigen konnten.
Sozioökonomische Unterschiede wirken sich bereits mit 14 Monaten auf die Gestik aus, noch bevor sich die Kinder in ihrer gesprochenen Sprache unterscheiden, d.h. in Familien aus sozial besser gestellten Schichten wird mehr gestikuliert und die Kinder haben später einen entsprechend größeren Wortschatz.
Die meisten würden wahrscheinlich davon ausgehen, daß in den Unterschichten, „die es nicht so mit Worten haben“, mehr gestikuliert wird als in den ökonomisch besser gestellten Klassen. Dieser Widerspruch löst sich aus bioenergetischer Sicht sofort auf, wenn man daran denkt, daß die ökonomisch niedrige Stellung mit einer generellen Kontraktion der bioenergetischen und biosozialen Funktionen einhergeht: das eine bedingt das andere.
Man braucht nur in eine Fabrik gehen und wird dies sofort anhand der gedrückten Körpersprache der Arbeiter im Vergleich mit der souveränen Körpersprache der Führungskräfte illustriert sehen. Menschen der Unterschicht sprechen lauter, verlassen sich ganz auf ihr Organ. In der Bahn, im Restaurant, überall: schaut man sich jene an, die unangenehm laut sind, hat man stets einen Proleten vor sich. Nonverbale Hinweise, Zwischentöne, leise Andeutungen und Rücksicht scheint es für diese Leute nicht zu geben.
Was „bioenergetische Lebendigkeit“ angeht: Samuele Marcora (Universität in Bangor, Wales) et al. konnten experimentell nachweisen, daß geistige Erschöpfung auch die körperliche Leistungsfähigkeit beeinträchtigt. Man empfindet nach geistiger Verausgabung eine körperliche Belastung als deutlich anstrengender und fühlt sich eher erschöpft. Dabei arbeiten die Muskeln und das Herz-Kreislauf-System weiter ohne meßbare Veränderungen. Es ist, als senke das Gehirn die Toleranz für körperliche Anstrengung. Die Forscher versuchen hier neue Ansätze für die Behandlung von Erschöpfungszuständen wie etwa dem chronischen Erschöpfungssyndrom zu erschließen. Sie denken dabei an „Kontrollzentren im Gehirn“, den „Gyrus cinguli, ein Teil des Limbischen Systems, in dem motorische Kontrolle mit Emotionen und kognitiven Prozessen zusammengeführt wird“ und den Botenstoff Dopamin.
Sicherlich gehören diese physiologischen, neurologischen und biochemischen Elemente zum Gesamtbild, doch was ist dieses Gesamtbild?
Schlagwörter: Angewandte Sprachwissenschaft, Chronic Fatique Syndrome, chronisches Erschöpfungssyndrom, Gehirn, Geist, Hirnforschung, Körper, Leib-Seele-Problem, Linguistik, Logopädie, Medizin, Mimik, Motorik, Psychologie, Psychosomatik, Sportmedizin, Sprache, Sprachentwicklung, Spracherwerb, Spracherziehung, Sprachförderung, Sprachheilpädagogik, Sprachtherapie, Sprechmotorik, Wortschatz

7. Januar 2014 um 18:28 |
Was Forscher wieder zum Erschöpfungssyndrom finden wollen: Natürlich untersuchen sie keine Fäkalien oder Urin, sondern Botenstoffe des Gehirns, was sie seit 30 Jahren erfolglos tun. Oh wie neu ist dieser Ansatz, wenn man noch bedenkt, dass eine Erschöpfung doch eher für eine Depression gehalten wird. Immerhin wenden sie sich jetzt vom Großhirn ab, da konnten sie nix finden, dann muss eben mal das limbische System untersucht werden.
Dann will ich doch schon mal einen zukunftsweisenden Forschungsansatz für 2050 vorschlagen: Das Persistent Sexual Arousal Syndrome PSAS könnte mit dem Kleinhirn und dem Serotonin zusammenhängen, tja daran denkt heute noch keiner, die Fixierung auf die Genitalien ist doch wirklich lächerlich.
17. Januar 2022 um 23:57 |
Hier die souveräne Körpersprache unserer „Führungskräfte“ …
https://twitter.com/MissFallen2020/status/1482829481647742978
15. November 2023 um 20:37 |
In „Spektrum der Wissenschaft“ 11.23, schreibt eine Linguistin über die andamanischen Sprachen:
„Es stellte sich heraus, dass Großandamanisch eine Ausnahme unter allen Sprachen der Welt ist. Sie ist anthropozentrisch aufgebaut. So sind die grammatischen Kategorien vom menschlichen Körper abgeleitet. Auf diese Weise werden selbst abstrakte Konzepte wie die räumliche Orientierung oder das Verhältnis von Objekten zueinander beschrieben. Um keine Missverständnisse entstehen zulassen: Auch im Deutschen kann man Dinge sagen wie »Er ist die rechte Hand des Direktors«, »Das Stuhlbein ist angeknackst« und »Die Natur erwacht«. Aber im Großandamanischen nehmen solche Beschreibungen eine extreme Form an. Die kleinsten bedeutungstragenden Spracheinheiten, die so genannten Morpheme, sind bestimmten Körperbereichen entlehnt. Sie werden mit Substantiven, Verben, Adjektiven und Adverbien verknüpft – also mit so ziemlich jedem Teil der Sprache –, um verschiedene Bedeutungen zu bilden. Bisher ist keine andere Sprache bekannt, deren Grammatik auf demmenschlichen Körper beruht oder mit Großandamanisch verwandte Wörter aufweist, die sich in Bedeutung und Aussprache ähneln und daher auf einen gemeinsamen Ursprung zurückgehen könnten. Daher stellt die Sprache eine eigene Familie dar.
Sprachhistorisch gesehen ist die Struktur einer Sprache ihr beständigster Part; sie kann Jahrtausende unverändert überdauern. Meine Forschungen legen nahe, dass
sich Großandamanisch jahrtausendelang abgeschottet
von anderen Kulturen entwickelt hat. Genetische Untersuchungen untermauern diese These. Offenbar stammen
die Bewohnerinnen und Bewohner der Andamanen von
den ersten modernen Menschen ab, die von Afrika aus
gen Südostasien gewandert waren. Sie zogen entlang der
Küste der Indischen Halbinsel und erreichten die Insel
gruppe vor etwa 50000 Jahren. Seither lebten sie dort
fast völlig isoliert. Das Grundprinzip der andamanischen
Sprachen legt somit nahe, dass frühe Menschen ihre Welt
als menschlichen Körper verstanden.“
[…]
„Genstudien haben gezeigt, dass die Indigenen
der Andamanen Zehntausende von Jahren ohne Kontakt
zur Außenwelt gelebt haben. Das legt nahe, dass der
Ursprung ihrer Grammatik und ihrer gesamten Sprachfamilie sehr weit zurückreicht – in eine Zeit, als die Menschen ihre Umwelt als menschlichen Körper auffassten. Will man daraus auf die Weltanschauung dieser Menschen rückschließen, dann scheinen sie alles – vom Allergrößten bis zum Allerkleinsten, zudem alles, was existiert und geschieht – als untrennbar miteinander
verbunden zu verstehen“
[…]
„Die Großandamaner scheiden die Natur in zwei Teile:
»tajio«, das Lebendige, und »eleo«, das Unlebendige.“
Seiten 19-21