von Richard Schwartzman, D.O. *a
Diese Fallgeschichte wurde 1982 veröffentlicht. Ich habe sie mit Fußnoten aktualisiert, die durch eingeklammerte Buchstaben gekennzeichnet sind. Die Ursache für das Stottern bleibt unbekannt. Die Behandlung von Erwachsenen mit diesem Leiden kann, nach Ansicht der heutigen Experten auf diesem Gebiet, niemals eine vollständige Heilung bringen. Die Faktoren, von denen man heute annimmt, dass sie für die Erkrankung verantwortlich sind, wurden auf einige wenige reduziert, wobei sich die Forschung auf genetische Anomalien und Veränderungen in der Neurophysiologie konzentriert. Emotionale Faktoren werden nun als nicht mehr für die Entstehung der Krankheit verantwortlich angesehen.
Stottern ist eine Störung, bei der der Rhythmus oder der Sprechfluss durch Unterbrechungen oder Blockaden beeinträchtigt wird. Die Ätiologie bleibt unklar, wobei jede Therapieschule ihre Behandlungsmethode auf der Grundlage bestimmter theoretischer Konstrukte vertritt. Die vielen Theorien und Therapien, die vorgebracht werden, unterscheiden sich in gewisser Hinsicht voneinander. Ältere Konzepte von spezifischen Ursachen sind dem Eindruck gewichen, dass sich mehrere Faktoren in bisher unbekannter Weise verbinden, um das Stottern zu erzeugen. Weit voneinander abweichende Behandlungen haben zu positiven Ergebnissen geführt und an fast jeder Theorie ist wahrscheinlich etwas Wahres dran. [A] Hahn (1) glaubt, dass Kliniker, die sich den unterschiedlichen Theorien anschließen, jeweils Erfolg haben können, basierend auf der Idee, dass überlappende Faktoren bei der Behandlung für die Heilung verantwortlich sind, oder dass Unterschiede zwischen den Therapien eher theoretisch als real sind. Ausserdem sind die Daten hinsichtlich Besserungen, möglicherweise aufgrund von unwissenschaftlichen Methoden zur Bestimmung der Ergebnisse, nicht genau.
Eine anfängliche Reaktion auf die Behandlung von Stottern wird oft festgestellt und ist manchmal ziemlich dramatisch. Perkins (1) berichtet in seiner Studie von 1973, dass zwar 70% der Befragten ein normales Sprechen erlernten, später aber mehr als die Hälfte rückfällig wurde. Die Häufigkeit von Rezidiven bei der Behandlung dieser Störung ist so häufig, dass es mittlerweile Ernüchterung hinsichtlich jeder Maßnahme gibt, die sofort fließendes Sprechen bewirkt. Erste Erfolge zeigen sich oft in der Behandlung vieler Erkrankungen, aber solche Durchbrüche mit neuen Techniken bewähren sich häufig nicht und das Therapieversprechen wird nicht erfüllt.
Stottern hat, wie die Biopathien Krebs und Schizophrenie, eine klassische wissenschaftliche Erklärung, die ohne ein integrierendes gemeinsames Funktionsprinzip auskommt. Wilhelm Reichs Entdeckung des natürlichen Energieflusses im Organismus und der Bildung einer Panzerung oder Blockade dieses Flusses mit nachfolgender Symptombildung bietet ein wissenschaftliches Verständnis, das bei der Behandlung von Stottern hilfreich sein kann. Ein Überblick über die wichtigsten Theorien (1) zur Erklärung dieses uralten Leidens wird helfen, das energetische Konzept besser in Perspektive zu setzen.
Coriat (1) erläutert eine psychoanalytische Ansicht, die besagt, dass es sich um eine Psychoneurose handelt, die durch ein frühes, prägenitales orales Aufziehen, das oral-sadistische und anal-sadistische Komponenten hat, verursacht wird, und das bis in das spätere Leben fortwirkt. Hier repräsentiert der Akt des Stotterns den Widerstand gegen eine plötzliche Entladung von Oralerotik. Blantons Theorie (1) besagt, dass die Hauptursache für Stottern ein Angstzustand ist, der verhindert, dass der Kortex die Kontrolle über die Sprechorgane ausübt. Fletchers Konzept ist, dass Angst, Furcht, Ängstlichkeit und Sorge aus spezifischen Kindheitserfahrungen entstehen, die mit dem Bemühen zu reden verbunden waren. In dieser Sichtweise wird das Problem nicht in der Lautäußerung gesehen, sondern in der Unfähigkeit in bestimmten sozialen Situationen mit Leuten zu reden. Dunlap folgert, dass Probleme beim Sprechen eine Angewohnheit sind, die überwunden werden kann, und empfiehlt, dass Wahrnehmung, Gedanken und Gefühle auf die zukünftige Reaktion und nicht auf die gegenwärtige Gewohnheit gerichtet sein müssen. Die Orton-Travis-Theorie war in den 1930er Jahren sehr populär und behauptete, dass die zerebrale Dominanz durch eine Änderung der Händigkeit beeinflusst wurde und dass dies den Stotterer erzeugte. Linkshänder haben meist eine Dominanz in der rechten Hemisphäre, und es wurde angenommen, dass das Wechseln der Händigkeit das Dominante schwächt und das Nichtdominante stärkt, so dass die beiden Hemisphären gleich stark werden und Disharmonie erzeugt wird. Es wurde geglaubt, dass Einseitigkeit die dominante Hemisphäre stärkt, aber die Lateralitätsforschung unterstützte die Theorie nicht, und es wurde festgestellt, dass die Mehrheit der Kinder, deren Händigkeit geändert wurde, nicht stotterte. [B] Andere Ansichten der Störung betonen widersprüchliche Sprechmuster, semantische Theorie, operante Konditionierung und die Lerntheorie von Verhaltensforschern. [C] Aus energetischer Sicht beziehen sich die faszinierendsten Beobachtungen auf die körperliche Wahrnehmung des Stotterers und Muskelkontraktionen und -bewegungen. Es wurde eine Theorie aufgestellt, dass die Fähigkeit zur Visualisierung mangelhaft sei, und es wurden Körperentspannungstechniken mit Atmung, Gesang und Vokalisierung empfohlen. Es ist interessant, dass diese Techniken den östlichen Meditationstechniken ähnlich sind, denn wir betrachten gegenwärtig solche Methoden als effektiv bei der Verlagerung von Energie von der linken zur rechten Gehirnhälfte.
* Medizinischer Orgonom. Diplom des Amerikanischen Gremiums für Psychiatrie und Neurologie. Ass. Prof., Department of Mental Health Sciences, Hahnemann University Hospital of Philadelphia. Stationärer Ärztlicher Direktor, Hahnemann Mental Health Services Division, Strafvollzugssystem Philadelphia.
Anmerkungen des Übersetzers
a Doctor of Osteopathic Medicine.
ZUSÄTZLICHE HINWEISE
[A] Bei einem Erwachsenen gilt Stottern als unheilbar. J. Scott Yaruss, außerordentlicher Professor für Kommunikationswissenschaften und -störungen an der University of Pittsburgh School of Health and Rehabilitation Sciences und Co-Direktor des Stuttering Center of Western Pennsylvania, erklärte in der Ausgabe des Scientific American vom 13. Dezember 2005: „Es ist kein Heilmittel gegen Stottern bekannt, obwohl sich viele Behandlungsansätze als erfolgreich erwiesen haben, um den Sprechern dabei zu helfen, die Anzahl der Beeinträchtigungen in ihrer Sprache zu verringern.“
[B] Die Orton-Travis-Theorie besagt, dass das Stottern aus einem Konflikt zwischen der rechten und der linken Gehirnhälfte resultiert, wenn sie um die Kontrolle der Strukturen kämpfen, die das Sprechen ermöglichen. Es wurde angenommen, dass das Erzwingen der Verwendung der rechten Hand durch ein linkshändiges Kind zum Verlust der normalen einseitigen Dominanz des Gehirns führt, und es wurde angenommen, dass diese auferlegte Änderung das Stottern verursacht.
[C] Heute, im Jahr 2011, sind die Ursachen für das Stottern einer erheblichen Neubewertung unterlegen. Die Stuttering Foundation ist nun der Ansicht, dass es nur vier Faktoren gibt, die am wahrscheinlichsten zur Entwicklung der Störung beitragen. Dies sind (1) die Genetik (Familienmitglieder, die stottern), (2) die Entwicklung der Kinder (Kinder mit anderen Sprech- und Sprachproblemen oder Entwicklungsverzögerungen), (3) die Neurophysiologie (die Verarbeitung von Sprache und Sprechen ist anders als bei denjenigen, die nicht stottern) und (4) Stotterer und Familiendynamik (hohe Erwartungen und ein gehetzter Lebensstil).
Von diesen vier Faktoren stehen nun die Hirnforschung (Neurophysiologie) und die Genetik an der Spitze der Liste als die wichtigsten und vielversprechendsten Bereiche, die zu untersuchen sind. Das liegt daran, dass mit Hilfe der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) Bereiche mit Über- und Unteraktivität im Gehirn identifiziert wurden und dass bei einem kleinen Prozentsatz der Stotterer Genmuta
tionen, die genetische Variationen verursachen, ausgelesen wurden.
Dennis Drayna, ein Genetiker und leitender Autor einer Studie, die im New England Journal of Medicine (10. Februar 2011) erschienen ist, schätzt, dass es drei Genvarianten gibt, die 9% aller Stotterer ausmachen. Er sagte, wie von msnbc.com zitiert: „Es ist wirklich keine emotionale Störung. Sie entsteht nicht durch Ihre Interaktionen mit anderen Menschen.“ Er wird auch mit der Aussage zitiert, das Stottern „mit ziemlicher Sicherheit ein biologisches Problem ist“. Solche Aussagen stehen im Einklang mit dem heutigen mechanistischen Ansatz zum Verständnis medizinischer Störungen.
Literatur
1. Hahn, E.F.: Stuttering, Significant Theories and Therapies. Stanford, Ca.: Stanford University Press, 1943.
Quelle der Übersetzung:
https://orgonomist.blogspot.com/p/stuttering-by-richard-schwartzman-do.html
Erstabdruck: Journal of Orgonomy, Jhg. 16, Nr. 2 (ohne zusätzliche Hinweise)
Übersetzung: Robert (Berlin)
Veröffentlichung mit freundlicher Erlaubnis von Dr. Schwartzman