Die Zukunft der Orgonomie in Deutschland

Wenig begreift das Volk das Große, das ist: das Schaffende. Aber Sinne hat es für alle Rufführer und Schauspieler großer Sachen.

Um die Erfinder von neuen Werten dreht sich die Welt – unsichtbar dreht sie sich. Doch um die Schauspieler dreht sich das Volk und der Ruhm: so ist der Welt Lauf.

Nietzsche: Also sprach Zarathustra.
Von den Fliegen des Marktes

 

Die Zukunftschancen der Orgonomie werden durch drei Aussagen Reichs umrissen:

Eine sozialwissenschaftliche Anschauung von einigem Format kann nur dann durchdringen und soziale Praxis werden, wenn sie von den Menschenmassen bereits im Leben spontan erworben wurde. (Die Massenpsychologie des Faschismus, Fischer TB, S. 195)

Er sagt aber auch:

Man macht Geschichte nur, wenn man Prozesse und Probleme, die der Allgemeinheit verborgen sind, rechtzeitig sieht. (Menschen im Staat, Stroemfeld, S. 45)

Und:

Der Neue Führer führt vielleicht schon eine ganze Welt, ohne daß er selbst davon weiß oder ohne daß sich die Welt bewußt ist, von diesem Führer geführt zu werden. (…) Die Art, in der der Neue Führer lebt, seine Ideen, sein Verhalten und seine Ziele können schon weit in das öffentliche Bewußtsein gedrungen sein, ohne daß es auch nur jemand gemerkt hat. (Christusmord, Walter, S. 376f)

Die Orgonomie kann sich unmöglich ausbreiten, wenn sich nicht bereits in der Bevölkerung spontan lebenspositive, quasi „orgonomische“, Anschauungen immer weiter durchsetzen. Man denke beispielsweise an die „lebensreformerischen“ und „mentalhygienischen“ Motive, die am Ende des vorletzten und Anfang des letzten Jahrhunderts die Gesellschaft durchzogen: Freud und nach ihm Reich sind daraus hervorgegangen und getragen worden.

Leider war die Reaktion stärker, die Nazi-Bewegung. Heute haben wir eine ähnliche Situation angesichts all der Mystiker und „Esoteriker“, die der Orgonomie mit ihrer „Spiritualität“ das Wasser abgraben – manchmal im Namen „Wilhelm Reichs“!

Die Orgonomie wird nur überleben können, wenn sie der Gesellschaft voraus ist. Sie wird untergehen, wenn sie ständig die alten Kamellen wiederkaut, etwa über die „autoritäre Gesellschaft“. Es ist einfach nur zum Kotzen, wenn „Reichianer“ beispielsweise so argumentieren, als wären Lehrer Autoritäten, gegen die man rebellieren müsse.

Hier, frei nach dem Journal of Orgonomy von 1999 (Salvatore Iacobello: „The Prison of Permissiveness: Understanding Adolescent Misery Today“), 11 Punkte, die die heutige anti-autoritäre Gesellschaft kennzeichnen.

  1. Eine zunehmende Impulsivität, triebhaftes Verhalten. Das zeigt sich im Konsum, wo Leute sich für Dinge verschulden, die sie im nächsten Augenblick schon nicht mehr interessieren, und im persönlichen Umgang, wo es zu unvorhersehbaren Ausbrüchen kommt („Da habe ich ihm eine gescheuert!“). HEUTE GEHT ES NICHT MEHR UM DEN GEHEMMTEN CHARAKTER!
  2. Eine Zunahme der Augenpanzerung. Die Konsequenzen des eigenen Verhaltens werden buchstäblich „nicht mehr gesehen“. Es kommt zu einer erstickenden (Pseudo-) Intellektualisierung, bei der alles buchstäblich „wegerklärt“ wird. Man denke etwa an die sinnleere Verbaldiarrhöe mit der man eingedeckt wird, wenn man die schleichende Islamisierung Deutschlands diskutieren will. ES GEHT HEUTZUTAGE NICHT PRIMÄR UM MUSKELPANZERUNG!
  3. Mit dem Zusammenbruch der autoritären Gesellschaftsordnung wächst im Individuum und in der Gesellschaft generell der Angstpegel. ES GEHT NICHT UM EINE ZERSTÖRUNG „GEPANZERTER“ STRUKTUREN!
  4. Trivialkultur und Sentimentalität ersetzen zunehmend emotionale Intensität und Nähe. Man denke nur mal daran, wie Millionen am Schicksal irgendwelcher Promis „anteilnehmen“ – Leute, denen die Krebserkrankung des Nachbarn am Arsch vorbeigeht. DAS LÄCHERLICHMACHEN DER HOCHKULTUR FÜHRT VOM KERN WEG!
  5. Ein zunehmendes Anspruchsdenken hinsichtlich dessen, was einem „die Gesellschaft“ schuldig ist. EINE „MOBILISIERUNG“ DER MASSEN, DIE FÜR IHRE „RECHTE“ KÄMPFEN SOLLEN, FÜHRT VON DER ARBEITSDEMOKRATIE WEG!
  6. Der Zeitgeist ist von reaktiver Expansion geprägt, die ich in Zukunftskinder diskutiert habe. „ENERGETISCHE EXPANSION“ UM JEDEN PREIS IST NICHT LEBENSPOSITIV!
  7. Die Grenze zwischen dem persönlichen- und dem öffentlichen Leben verschmieren. Persönliche Konflikte, die man normalerweise mit sich selbst und der engeren Umgebung ausmacht, werden in die Öffentlichkeit getragen. Beispielsweise Gerichtsprozesse angestrengt, am Arbeitsplatz gemoppt, vollkommen unbeteiligte involviert, etc. DASS DAS PERSÖNLICHE GLEICHZEITIG AUCH IMMER „POLITISCH“ SEI, IST EIN ZERSTÖRERISCHER SLOGAN!
  8. Natürliche expansive Funktionen gehen zurück. Beispielsweise wird der persönliche Austausch durch die unpersönliche virtuelle Welt ersetzt, wo „Avatare“ miteinander kommunizieren. SICH DER „GEPANZERTEN GESELLSCHAFT“ ZU ENTZIEHEN, ETWA DURCH EIN PROVOZIERENDES ÄUSSERES, ZERSTÖRT DAS EMOTIONALE LEBEN!
  9. Die alten Werte, wie Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit, werden durch ihr Gegenteil ersetzt: die wetterwendische Anpassung an das, was grade en vogue ist. „LIBERAL“ ZU SEIN FÜHRT VOM KERN WEG!
  10. Die sekundäre Schicht wird ausgelebt und die natürliche Abneigung gegen „das Böse“ und „das Abscheuliche“ ausgetrieben. Man betrachte nur einmal die Jugendkultur. DAS AUFBEGEHREN GEGEN DIE „HEILE WELT“ DER SPIESSER FÜHRT VOM KERN WEG!
  11. Die Grenzen zwischen der zärtlichen Genitalität und der sadomasochistischen Prägenitalität lösen sich auf in einer Gesellschaft, die durch Pornographie und Political Correctness geprägt ist. DIE BEFREIUNG „DER“ SEXUALITÄT FÜHRT VON DER GENITALITÄT WEG!

Als weiteren Punkt würde ich die zunehmende Infantilisierung anführen. Die Jugendphase, wenn nicht sogar die der Kindheit, wird immer weiter ausgedehnt. „Echte“ Männer und Frauen werden immer rarer. Milchbubis wie Matt Damon oder Leonardo DiCaprio in Heldenrollen wären früher in Hollywood undenkbar gewesen. DER JUGENDKULT IST NICHT MEHR LEBENSPOSITIV, SONDERN LEBENSNEGATIV.

Man führe sich auch vor Augen, daß zur Zeit des Ersten Weltkriegs sich die Leute bei Filmen von Charlie Chaplin vor Lachen auf dem Boden gewälzt haben, während wir heutigen über seine Filme kaum noch lächeln können. Wir lachen hysterisch über Mister Bean. Der Unterschied liegt darin, daß Chaplin einen Erwachsenen verkörpert hat, der sich selbst todernst nahm, während Rowan Atkinson einen 12jährigen im Körper eines vertrottelten 30jährigen spielt. Verglichen mit den Menschen des 19. Jahrhunderts sind wir „nicht satisfaktionsfähige“ Witzfiguren!

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11 Antworten to “Die Zukunft der Orgonomie in Deutschland”

  1. Klaus Says:

    Hier stimme ich durchweg zu. In Folgendem würden Sie wohl widersprechen: Die Erforschung der von Reich mit Orgon erklärten Phänomene muss bei 0 anfangen und dabei das Bekannte zwar berücksichtigen. Es kann aber sein, dass sich die Begriffe ändern. Der Mist am universitären Widerstand gegen Reichs Einsichten ist das Ignorieren von Phänomenen. Diese Phänomene betreffen psychophysiologische Wirkungen des ORAC, körperliche Veränderungen im Laufe charakteranalytischer und ‚orgontherapeutischer‘ Behandlung, Wechselwirkungen dieser Wirkungen mit Wirkungen des ORAC (z. B. die veränderte Toleranz gegenüber durch ORAC geförderten Ladungsgefühlen bei Fortschritt in der Therapie, das von Reich im „Krebs“ beschriebene ‚zu schnelle‘ Eintreten des Orgasmusreflex bei starker ORAC-Behandlung bei best. Typen, …..). Ein weiteres Übel liegt in denjenigen Komponenten der gegenwärtigen Wissenschaftstheorie, derentwegen subjektive Empfindungen NICHT EINMAL ALS VAGE ANZEICHEN ernst genommen werden selbst dann, wenn diese Empfindungen – in für den damit Erfahrenen offenkundiger Entsprechung zum Ladungszustand – sich systematisch verändern.
    Das wird aber nicht besser, solange eine Reichianer-Szene sich nicht die durchaus wertvollen Mittel der analytischen Wissenschaftstheorie (Carnap, Hempel, …) und formalen Logik aneignet und letztlich bei ‚dialektischem Materialismus‘ stehen bleibt. Hier merkt man immer wieder die Herkunft des typischen Reichianers im 68er- oder 78er-Laden, aus dem ja auch der Linksliberalismus hervorging. Gerade die Aneignung dieser wissenschaftstheoretischen Kenntnisse als Basis eines neuen Anlaufs in Sachen Orgon, Bione, DOR … müsste wohl zu einer ReFORMULIERUNG führen. (Ich kenne durchaus ein bisschen interessierte Naturwissenschaftler. Aber – ich glaube – was denen fehlt, ist vor allem das eigene subjektive Erleben, so dass merkwürdigerweise die erforderliche Neugier nicht zustandekommt.) Für Außenstehende MUSS alles, was hier unter Orgonomie läuft, Eso-Kram sein, umso mehr, als die Eso-Szene ‚Orgonstrahler‘ in allen erdenklichen Varianten anbietet. Da wäre eine Reformulierung (die für Esos im Übrigen gar nicht mehr nachvollziehbar wäre) nur wünschenswert. Dass in den Rahmen dieser Reformulierung auch das ORANUR-Experiment gehört, sollte eigentlich garantieren, dass ein praktisches Ergebnis nicht DOR-Maschinen und DOR-Menschen sind. Das sollte allerdings auch schon die in Therapie erfolgende Sensibilisierung garantieren. Na ja, alles schöne Wünsche – …

    • Peter Nasselstein Says:

      Vielleicht hilft hier weiter:

      Andreas Hellmann
      Perspektiven der Lebensenergieforschungen im 20. Jahrhundert
      Die Rekonstruktion der Orgonphysik Wilhelm Reichs im Hinblick auf einen lebensenergetisch fundierten Begriff des Lebens
      Tectum Verlag, Marburg 2004

      Ich kenne das Buch nicht.

  2. Klaus Says:

    Oh, danke für den Hinweis. Noch eins: Wenn ich Harrers Einwände lese, bekomme ich den Eindruck, dass er sich nie lange – wenn überhaupt – auf die ORAC-Erfahrung eingelassen hat. Dies wäre aber förderlich gewesen, um die Zusammenhänge zwischen therapeutischen Interventionen und (bei Nutzung) ORAC-Wirkung nachzuvollziehen. (Es geht ja beispielsweise nicht bloß um eine Temperaturdifferenz, unabhängig von allem anderen betrachtet.)

  3. Robert (Berlin) Says:

    Ich kann nur von meinen persönlichen Erfahrungen ausgehen, da komme ich teilweise zu ganz anderen Schlüssen, auch wenn ich in der Mehrzahl zustimme.
    Die Menschen sind heute gehemmter und gepanzerter wie früher, auch weil die Agressivität zugenommen hat (Punkt 3). Andere Punkte, wie der Nr. 10. kann ich nur zustimmen. Punkt 5 halte ich für falsch, weil die Leute heutzutager weniger politisch sind, kaum noch Gewerkschaftsmitglieder. Deswegen auch die wirtschaftliche Misere, weil niemand mehr an Solidarität und politischen Kampf interessiert ist.

  4. Klaus Says:

    „Punkt 5 halte ich für falsch, weil die Leute heutzutager weniger politisch sind, kaum noch Gewerkschaftsmitglieder. Deswegen auch die wirtschaftliche Misere, weil niemand mehr an Solidarität und politischen Kampf interessiert ist.“ Für mich ist die Gesellschaft durch und durch politisiert, weil die Leute sich selbst politischen Lagern in einem merkwürdig antiquierten Rechts-links-Spektrum zuordnen. Diese Einordnung ist offenbar vor allem ästhetisch motiviert (Szene-Ästhetik) und verhindert jegliche sachliche Orientierung. Auch in den Gewerkschaften pflegt man ja ein Selbstverständnis irgendwie näher an SPD als an CDU, eher links als rechts u. ä. – jedenfalls handelt es sich nicht einfach um die Vertretung von Arbeitnehmerinteressen.

  5. Robert (Berlin) Says:

    Für mich ist die Gesellschaft durch und durch politisiert…

    Aber das trifft doch nur auf politische Gruppen zu, die gesamte Gesellschaft ist doch eher durch den Konsumismus, Spassgesellschaft und Privatfernsehen immer unpolitischer geworden.

    Auch in den Gewerkschaften pflegt man ja ein Selbstverständnis irgendwie näher an SPD als an CDU, eher links als rechts u. ä.

    Das ist schließlich ihre Aufgabe, mit den Parteien näher zusammenzuarbeiten, die die Interessen der Lohnabhängigen vertreten. Darum näherten sie sich auch der Linkspartei an, weil die SPD immer „Christdemokratischer“ wurde.
    Es stimmt zwar, dass die Gewerkschaften parteipolitisch, verlogen und politisch einseitig sind, aber ohne sie sähe es in manchen Branchen wesentlich schlechter aus.
    Ihre Fehler sind ihre Politik der Zuwanderung (Lohndrückerei), ihr fanatischer Hass auf alles Rechte und ihr Vergessen der Arbeitslosen.
    Wären die Gewerkschaften wirklich stark, gabe es keine Leiharbeit, Minijobs, Rente mit 67 etc.

  6. Klaus Says:

    Für die meisten ist es selbstverständlich, sich irgendwo ins ideologische Spektrum einzuordnen, auch wenn sie sich nicht politisch betätigen. Und dadurch geraten vernünftige Positionen in Zusammenhänge, in die sich nicht gehören. Wer keine Atomkraftwerke haben will, wird links eingeordnet und ordnet sich meistens selbst so ein. Ich wünsche mir nicht, dass er sich weiter rechts einordnet, sondern: Diese Kategorien sind Käse, entstammen einer Parlamentssitzordnung und haben heute wirklich vor allem eine ästhetische Funktion (Haarschnitt, Klamotten, …). Solange es so ist, lässt sich schwer diskutieren.

  7. Robert (Berlin) Says:

    Irgendwie passt der folgende Artikel zu den obigen 11 Punkten:

    Zehn Regeln für eine ausgewogene und faire Berichterstattung

    http://www.tagesspiegel.de/meinung/zehn-regeln-fuer-eine-ausgewogene-und-faire-berichterstattung/1884222.html

  8. Robert (Berlin) Says:

    Es gibt noch weitere Punkte, wie die nicht-autoritäre „Bildung“ und die Verflachung der Sprache. Kein schweren Leistungsanforderungen in der Schule (alle bekommen „gute Noten“) und kein Anspruch an gutem Deutsch, deswegen Einführung der „leichten Sprache“ oder Kanackdeutsch als Umgangssprache.

  9. Peter Nasselstein Says:

    Wie als Konservativer im Roten Faschismus überleben?

  10. Peter Nasselstein Says:

    Ein beliebiges Beispiel dafür, wie abgrundtief krank die heutigen „Antiautoritären“ sind:

    https://www.heise.de/forum/Telepolis/Kommentare/NRW-Wahl-ist-Ausdruck-des-gesellschaftlichen-Rechtsrucks-in-Deutschland/Antideutsch-erklaert-am-Beispiel-Julia-Schramm-Landesvorstand-die-Linke-Berlin/posting-30395233/show/

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