Warum Reich Marx als obsolet betrachtete (Teil 1)

Angesichts der Weltwirtschaftskrise haben „Alternativen zum Kapitalismus“ wieder Hochkonjunktur. Das Erschreckende ist, daß sie über kurz oder lang wieder im Roten Faschismus landen. Sei dies über Silvio Gesell oder gleich ohne Umweg durch eine aufgepeppte Neuauflage des Realsozialismus.

Beispielsweise appelliert der Kolumnist Peter Zudeick in seinem Buch Tschüß, ihr da oben (Vom baldigen Ende des Kapitalismus), wir sollten uns von den Kapitalisten emanzipieren. Wer will dem so recht widersprechen? Der Mann begeht jedoch einen grandiosen Denkfehler, der die Linke geradezu konstituiert: Wenn sich die Massen befreien können, warum haben sie es nicht schon längst getan? Wer oder was hindert uns daran, unser Leben selbst in die Hand zu nehmen und glücklich zu sein? Die Linke antwortet mit Hinweis auf „Strukturen“ und das „System“. Wieder haben sie nicht so Unrecht, schaut man aber, wie das Leben konkret abläuft, erkennt man schnell, daß ausgerechnet jene Dinge uns niederhalten, die uns aufrichten sollen. Der Dschungel der gesetzlichen Regelungen, Sozialstandards und konfiskatorischer Steuern und Abgaben, machen es dem Einzelnen, insbesondere dem, „der von unten kommt“, extrem schwer, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen.

Und man komme mir nicht damit, daß das „von oben“ aufgezwungen wurde! Vielmehr haben die Massen aus ihrer Freiheitsangst heraus selbst die individuelle Panzerung sozusagen „externalisiert“. Es ist wie in einer unerträglichen Beziehung, bei der man sich fragt, warum die beiden überhaupt zusammenbleiben. Der Partner hilft dabei, die eigenen Antriebe in Schach zu halten. Er wurde zum integralen Teil der eigenen Panzerung und wird deshalb verzweifelt umklammert. (Das ist der überwiegende Teil dessen, was heutzutage als „Liebe“ bezeichnet wird!)

Wie sehr Zudeick daneben liegt, zeigt sich an seiner Alternative zum Kapitalismus, die ein Rezensent wie folgt zusammenfaßt:

Zudeicks revolutionärer Furor ist nicht mehr zu stoppen. Er will wirklich ein neues Gesellschaftssystem etablieren, gemäß dem alten Motto: Planwirtschaft ist machbar, Herr Nachbar! Denn anders als zu Zeiten des gescheiterten real existierenden Sozialismus ließen sich heute, so sein Argument, mit Hilfe von allgemeiner Computerisierung alle Bedürfnisse und Gesellschaftszustände berechnen. Hieß es einst in der UdSSR, Sozialismus sei Sowjetmacht plus Elektrifizierung, verficht Zudeick die Parole: Die neue Gesellschaft beruht auf den Säulen Gerechtigkeitsapostel plus Großrechner.

In den 1960er Jahren hat Walter Ulbricht versucht, die Planwirtschaft mit Hilfe der damals aufregend neuen Kybernetik auf Vordermann zu bringen. Honecker ersetzte in den 70er Jahren diesen Ansatz mit seiner „Einheit von Sozial- und Wirtschaftspolitik“, weil die „DDR“-Machthaber einsehen mußten, daß die Menschen keine Maschinen sind, sondern „materieller Anreize“ bedürfen. Zudeick will offenbar zurück zum spätstalinistischen Ansatz!

Gleichzeitig zeigt sich, daß die mechanistische Lebensauffassung untrennbar mit Mystizismus verbunden ist. Irgendjemand muß nämlich „den Computer“ mit Programmen und Daten füttern, was, damit denn „der Plan“ überhaupt funktionieren kann, sinnvollerweise nur von einem allwissenden unfehlbaren Superhirn geleistet werden kann. Wer soll das anderes sein als der promovierte Meisterdenker Zudeick?!

Mir fällt dazu nur das Lied der Who ein: We don’t get fooled again!

Zu Reichs Zeiten waren, außer Ellsworth F. Baker und Michael Silvert, alle Orgonomen mehr oder weniger links eingestellt. Manche, wie etwa Victor Sobey, betrachteten sich sogar als „Marxisten“. Wiederholt hat Reich Baker gefragt, ob diesen seine, Reichs, alten gesellschaftspolitischen Vorstellungen von der Orgonomie entfremden könnten. Er versicherte Baker, daß dieser sich keine Gedanken machen müsse, da Marx‘ Ansatz mittlerweile vollständig irrelevant geworden sei, da die Arbeiter in Amerika genug verdienen würden, um die Fabriken selbst zu übernehmen, wenn sie denn bereit wären, die Verantwortung zu tragen. Nicht die Kapitalisten, sondern ihre eigene charakterstrukturelle Verantwortungsscheu würde sie davon abhalten (R.A. Harman: „Editorial Note: Masses and State“^, Journal of Orgonomy, 32(2), 1998).

Es gibt einen Fall, wo dies umgekehrt war, d.h. den Arbeitern diese Übernahme aufgezwungen wurde. Der Kapitalist Hannsheinz Porst („Photo-Porst“) verstand sich als Marxist und verordnete 1972 seiner Belegschaft die „totale Mitbestimmung“ innerhalb eines „Mitarbeiter-Unternehmens“. Nur so könne es, so Porst, zur „Bewußtseinsbildung der Massen kommen, die sich letzten Endes systemverändernd auswirken muß.“

Er übergab die Hälfte der von ihm kontrollierten Firmengruppe der „Mitarbeiter-Beteiligungs-KG“ (MAB). In ihr fungierte jeder einzelne Mitarbeiter als Gesellschafter. Der MAB sollten alle Gewinne zufließen. Die Vollversammlung der Beschäftigten hatte die Macht, die Geschäftsführer abzuberufen und Mitarbeiterausschüsse konnten über Entlohnung, Arbeitszeit und Urlaub entscheiden.

Interessanterweise opponierte die zuständige Gewerkschaft, die als besonders links geltende Handel, Banken und Versicherungen (HBV), gegen dieses Modell, da die Ausschüsse den Betriebsrat überflüssig machten. Außerdem war ihr die produktivitätsorientierte Lohnpolitik ein Dorn im Auge.

Zehn Jahre später war die MAB pleite. Porst machte dafür, neben Veränderungen im Markt, die gewerkschaftseigene BfG-Bank mitverantwortlich, weil sie den Geldhahn aus den angedeuteten ideologischen Gründen zugedreht hatte.

Dietger Hamacher, damals Sprecher der Geschäftsführung, und Günther Kandlubek, der ein Buch über Porst schrieb, machen jedoch die Mitarbeiter- und Mitbestimmungskonstruktion der Firma für das Scheitern verantwortlich. In der MAB sammelte sich zu wenig Kapital an. Die Löhne lagen rund 20% über dem Branchendurchschnitt. Die Mitbestimmung sei von den Beschäftigten, so Hamacher, teilweise „maßlos ausgenutzt“ worden. Endlose Diskussionen hätten schnelle Entscheidungen verhindert.

Dies zeigt, daß es sich bei der „Ausbeutung im Kapitalismus“ primär um ein charakterologisches Problem handelt. Die Charakterstruktur der Masse der Menschen ist zur Selbstregulation unfähig. Eine „soziale“ Politik und die Gewerkschaften perpetuieren und verschlimmern eine infantile Mentalität von Verantwortungslosigkeit und Hilflosigkeit.

masspsychfascism

Schlagwörter: , , , , , , , , , , , , , , , ,

12 Antworten to “Warum Reich Marx als obsolet betrachtete (Teil 1)”

  1. Avatar von Manuel Manuel Says:

    Das Buch von Peter Zudeick kenne ich nicht. Was er in dem Video-Ausschnitt von „Hart aber Fair“ sagt, halte ich für nachdenkenswert. Es ist ein Appell an den „Kleinen Mann“, die Verantwortung für die soziale und wirtschaftliche Gestaltung der Gesellschaft selbst zu übernehmen anstatt sie den „Großkopferten“ zu überlassen. Was ist daran verkehrt?

    • Avatar von Peter Nasselstein Peter Nasselstein Says:

      Anfang des letzten Jahrhunderts klangen Lenin, Mussolini, Luxemburg, etc. klangen genauso – es mündete im größten Massenmord der Geschichte. Das Problem ist, daß die Wirtschaft keine Maschine, sondern ein Organismus ist, in dem man nicht „planerisch“ eingreifen kann. Und zweitens werden die Menschen durch die Wirtschaft nicht immobilisiert, sondern mobilisiert: würde es „gerecht“ zugehen, würde das zum endgültigen gesellschaftlichen Verfall führen. Dazu beispielsweise folgender Artikel über die S-Bahn-Mörder von München: S-Bahn-Mord in München: Sozialismus tötet

  2. Avatar von David David Says:

    mit Hilfe der damals aufregend neuen Kybernetik auf Vordermann zu bringen …

    Einem Bericht zufolge, den ich im Fernsehen gesehen habe, richteten eben diese Kybernetik-Fachleute, die in der DDR waren, an die Ulbricht-Regierung in gewissem Maße eine Kritik. Sie sagten Ulbricht und den anderen „höheren Genossen“, dass zur Kybernetik auch gewisse Prozesse von Selbstregulierung gehören würden.

    Wie ich glaube, wollten Ulbricht und seine Kollegen das gar nicht hören sondern hätten diese Wissenschaftler am liebsten ins Gefängnis geworfen. Aber dann hätten sie auf dem Gebiet niemand mehr gehabt; folglich blieben die Kybernetik-Fachleute an ihren Arbeitsplätzen.

    Sie wollten das nicht hören, konnten es – infolge ihrer Charakterstruktur – aber vielleicht auch nicht verstehen.

  3. Avatar von Robert Robert Says:

    Heutzutage gehen über 50 % aller Steuer- und Staatseinnahmen an die Banken wegen Schuldentilgung. Inzwischen ist durch die Bankenkrise jeder Bundesbürger um 3000 € neuverschuldet. Die öffentliche Hand kann gar nicht mehr funktionieren, weil sie bis zur Funktionsunfähigkeit „gesund“gespart wird. Ich empfinde es als schäbig, diesen Thatcherismus und seine Folgen dem Sozialstaat in die Schuhe zu schieben.
    Es stimmt, dass wir freiheitsunfähig sind, aber die Menschen dem freien Spiel der Konzerne auszuliefern, ist die noch schlechtere Alternative.

    • Avatar von Peter Nasselstein Peter Nasselstein Says:

      Zum ausufernden Sozialstaat und seine verheerenden Folgen siehe Kassandra2030 .

      • Avatar von Peter Nasselstein Peter Nasselstein Says:

        Gerade auf Kassandra2030 entdeckt:

        Von 82 Millionen Menschen in Deutschland…
        … leben 25,9 Millionen von Arbeitslosengeld, Renten
        und anderen Leistungen (darunter 8 Millionen von
        staatlicher Grundsicherung („Hartz 4“, Sozialgeld
        u.ä.)) (Datenreport 2006)
        … leben 24,0 Millionen Menschen von der Unterstützung
        durch Angehörige
        … leben schließlich lediglich 32,4 Millionen von
        eigener Erwerbstätigkeit.
        Das sind gerade noch etwa 39%, die vom eigenen
        Einkommen leben.

        Jeden Tag gibt der deutsche Staat:
        – 1.550.684.932,00 € für soziale Sicherung
        – 180.821.917,80 € für die Schuldentilgung
        – 93.150.684,93 € für Wirtschaftssubventionen
        – 24.657.534,25 € netto für die EU-Mitgliedschaft
        – 12.328.767,12 € für Entwicklungshilfe
        aus.

  4. Avatar von Robert Robert Says:

    Hier noch ein interessanter Artikel, der Peters Position eher bestätigt:

    [blockquote]Wie der deutsche Staat uns schröpft!
    Michael Grandt

    Nach der Wahl wollen SPD, Grüne und DIE LINKE die Steuern erhöhen. Aber schon jetzt ist beim deutschen Arbeitnehmer im Durchschnitt über die Hälfte des Lohnes weg. Wie sieht das in anderen Ländern aus?[/blockquote]

    http://info.kopp-verlag.de/news/wie-der-deutsche-staat-uns-schroepft.html

  5. Avatar von David David Says:

    … leben 24,0 Millionen Menschen von der Unterstützung
    durch Angehörige …

    Dies ist eine erschreckende Zahl, denn es sind fast so viele, wie die, die „Stütze“ vom Staat bekommen.

    Ich nehme mal an, die unter 18-jährigen, also die Kinder und Jugendlichen, für die es normal ist auf Kosten der Eltern zu leben, sind da nicht enthalten. Welche Leute sind das dann? Studierende, deren BAFöG aufgehört hat? Langzeitarbeitslose, bei welchen das Einkommen der eigenen Kinder bzw. der Eltern nicht besonders niedrig ist, so dass sie daher kein ALG2 („Hartz4“) erhalten?

    Populistische Forderungen wurden laut, Hartz4 abzuschaffen bzw. es zu reduzieren auf 600 Euro im Monat, und zwar inklusive der Miete, so dass für einen Single dann gerade mal 200 Euro im Monat zum Leben bleiben.

    Wie ich glaube, besteht jedoch die Gefahr, dass so etwas gemacht wird, ohne gleichzeitig den Arbeitsmarkt zu deregulieren. Die Folge wird sein, dass eben die armen, hart arbeitenden Angehörigen noch mehr als bisher ausgebeutet werden, weil es ja nach wie vor keine Arbeit gibt.

    Die Kehrseite einer Deregulierung allerdings wird sein – was für jeden Modern Liberalen natürlich furchtbar ist – dass wie in den USA die „Working Poor“ existieren werden, d.h. Menschen, die hart und lange arbeiten, vielleicht 40, in Einzelfällen auch 50 bis 60 Stunden in der Woche, und dabei ein Einkommen erzielen, welches unterhalb des heutigen ALG2 liegt!

    Aber das muss man, wie ich glaube, in Kauf nehmen.

  6. Avatar von Robert (Berlin) Robert (Berlin) Says:

    „Honecker ersetzte in den 70er Jahren diesen Ansatz mit seiner „Einheit von Sozial- und Wirtschaftspolitik“, weil die „DDR“-Machthaber einsehen mußten, daß die Menschen keine Maschinen sind, sondern „materieller Anreize“ bedürfen.“

    Neues zu Honecker
    http://www.michaelgrandt.de/geheimakte-honecker-terrorist-verraeter-und-nazi-kooperateur/

Hinterlasse eine Antwort zu Robert (Berlin) Antwort abbrechen

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..