Das Aufkommen des Psychopathen (Teil 1)

von Dr. med. Dr. phil. Barbara G. Koopman*

Ein mir bekannter Top-Analytiker bemerkte kürzlich: „Die heutigen Jugendlichen haben alle sexuelle Freiheit, die sie wollen – sie geben sich ihr nach Herzenslust hin. Doch wenn ich sie auf meiner Couch sehe, stelle ich fest, dass sie genauso viele sexuelle Probleme haben wie ihre Pendants von vor zwanzig Jahren: Frigidität, Impotenz, wilde Promiskuität, sexuelle Frustration, unstillbare Suche nach dem Nervenkitzel. In der Tat geht es ihnen vielleicht schlechter. Die sexuelle Revolution hat ihnen überhaupt nicht geholfen!“ Diese Ergebnisse entsprechen der Beobachtung vieler heutiger Orgonomen. Der problemlose Zugang zu Sex und Empfängnisverhütung hat unsere Jugendlichen nicht befreit.

Was ist schiefgelaufen? Anstatt sexueller Freiheit verbunden mit Verantwortung gibt es Zügellosigkeit. Anstelle einer ernsthaften sexuellen Verpflichtung ist das mit jemandem Schlafen so beiläufig geworden wie ein Bier zusammen trinken. Statt der Belastbarkeit und Reife, die mit der orgastischen Potenz einhergeht, gibt es eine nicht enden wollende Anspannung, die den verzweifelten Organismus dazu treibt, seinen Frieden in Drogen, im Rückzug oder der gewaltsamen Entladung auf dem gesellschaftlichen Schauplatz zu suchen.

Das obige Bild ist weit entfernt von dem selbstregulierten, genitalen Charakter, der aus der sexuellen Revolution hervorgegangen sein sollte. Wie ist es schiefgegangen?

Unterdrückung vs. Selbstregulierung

Untersuchen wir die Grundprinzipien der sexuellen Revolution, wie sie von Reich um 1935 dargelegt wurden (1): eines davon war der Schutz der genitalen Rechte von Kindern und Jugendlichen nach sexualökonomischen Grundsätzen. Das andere war die Ersetzung der patriarchalischen Familie durch die natürliche Familie. Beide beinhalteten Erziehungspraktiken, die auf Selbstregulierung und der Abschaffung der sexuellen Zwangsmoral beruhten. Reich glaubte zunächst, ein solches Programm sei eng mit dem Klassenkampf und dem marxistischen Konzept verbunden. Er wurde schnell von den Marxisten enttäuscht und brach mit ihnen vollständig – eine historische Tatsache, trotz der gegenwärtigen Bemühungen der Neuen Linken, Reich als einen der ihren zu beanspruchen. 1944 erklärte Reich ausdrücklich, das Problem sei nicht der Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat und dass es hinsichtlich der Charakterstruktur keine Klassengrenzen gebe. Er bemerkte weiterhin, dass die gesellschaftliche Ideologie kein Spiegelbild der ökonomischen Zustände sei, sondern dass sowohl die Ideologie als auch die Wirtschaft in der psychischen Struktur der Massen verankert seien.

Reich war zutiefst besorgt über jede Facette des menschlichen Elends, war jedoch der Ansicht, dass das Kernproblem die kranke Charakterstruktur des Menschen sei, die von Energieblockaden im Organismus herrührt. Die Hauptschuldigen sah er in der Sexualmoral und ihrer Dienstmagd, der religiösen Mystik, die die Massen davon abhalten, Herren ihres eigenen Geschicks zu werden. Im Jahre 1949 warnte er davor, dass die Zukunft der Welt von der Lösung des Problems der Charakterstruktur der Massen abhängt.

Hinweise

*Medizinische Orgonomin. Diplom in Psychiatrie, Amerikanischer Vorstand für Psychiatrie und Neurologie. Mitglied des American College of Orgonomy.

Literatur

1. Reich, W.: The Sexual Revolution. New York: Noonday Press, 1969.

[Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Charles Konia.
Journal of Orgonomy, Jahrgang 7 (1973), Nr. 1, S. 40-58.
Übersetzt von Robert Hase]

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14 Antworten to “Das Aufkommen des Psychopathen (Teil 1)”

  1. Robert (Berlin) Says:

    „…seinen Frieden in Drogen, im Rückzug oder der gewaltsamen Entladung auf dem gesellschaftlichen Schauplatz zu suchen.“

    Es gibt wohl nur noch wenige Jugendliche, die nie Cannabis probiert haben. Im Rückzug kann auch die Isolation in die Computerwelt bedeuten. Und die Entladung von Schlägertrupps der Linken ist schon alltägliche Normalität geworden.

    „Er wurde schnell von den Marxisten enttäuscht und brach mit ihnen vollständig – eine historische Tatsache, trotz der gegenwärtigen Bemühungen der Neuen Linken, Reich als einen der ihren zu beanspruchen.“

    Reich blieb noch lange Marxist, mindestens 10 Jahre lang (1926-36), aber er wurde nach vier Jahren Mitgliedschaft aus der KP ausgeschlossen. Also so kurz war es auch wieder nicht.

    • Peter Nasselstein Says:

      Reich und Marxismus: Reich hatte es in den 40er/50er Jahren mit drei „Fraktionen“ innerhalb seiner Anhänger zu tun: 1. linksliberale Wischiwaschis (die absolute Mehrheit), 2. Konservative (Baker, Duval, Silvert) und 3. Leute, die sich für den frühen Reich interessierten (Sharaf und ein paar Randständige). Den ersten hat er nicht Marx nahegelegt (was, ähhh, nahegelehen hätte), den zweiten hat er erklärt, sie bräuchten sich null mit Marx auseinandersetzen, um Orgonomen zu sein und den dritten hat er explizit erklärt, Marx wäre überholt, um sie zur Orgonomie zu bringen. Das zeigt Marx‘ Stellenwert in der Orgonomie. Unabhängig davon wollte Reich natürlich die Kontinuität und die innere Geschlossenheit seines Lebenswerks wahren, deshalb etwa das Marx-Kapitel in MENSCHEN IM STAAT.

      Das ganze kann man nur vor dem Hintergrund der Sozialdemokratie richtig einordnen: zunächst war Marx einer von vielen (Dühring, Lassalle, etc.). Erst nach seinem Tod und unter dem (auch finanziellen!) Einfluß von Engels wurde Marx zu DEM Säulenheiligen der SPD und diese wurde zu einer explizit Marxistischen Partei. Das war sie bis weit in die 50er Jahre! Das war aber nur Firniß, denn du konntest Sozialdemokrat sein, ohne dich je um Marx gekümmert zu haben. Das galt anfangs sogar für die Kommunisten: Lenin war wohl „Marxist“, aber sein Handeln hatte wohl kaum irgendwas mit Marx zu schaffen, sondern beruhte ganz und gar auf dem russischen Anarchismus/Nihilismus. Und selbst ein Mann wie Karl Liebknecht hat NICHTS von Marx theoretischen Ergüssen gehalten. Und die echten Marxisten in der Sozialdemokratie, insbesondere Kautsky, die waren derartig vom ökonomischen Determinismus/Automatismus überzeugt, daß ihr Marxismus realpolitisch keinerlei Auswirkungen hatte.

      Das, was wir heute „Marxismus“ nennen, entstand erst etwa 1927, als Stalin die volle Macht übernahm und begann Lenins „Neue ökonomische Politik“ durch „Marxistische“ Orthodoxie zu ersetzen und die kommunistischen Parteien vom „Liebknechtschen“ Geist zu reinigen und in „Marxistische“ Sekten zu verwandeln. Genau zu diesem Zeitpunkt ist Reich eingestiegen. Mit der Veröffentlichung der MASSENPSYCHOLOGIE, die bei genauerem Hinsehen den Marxismus ad absurdum führte, wurde er dann immer „sozialdemokratischer“ in seinem Marxismus. Er blieb zwar Marx bis zum Ende treu, siehe etwa die Marx-Zitate aus dem KAPITAL in CONSPIRACY, aber das hatte genau den Stellenwert wie bei Schumacher, Ollenhauer etc. – nämlich so gut wie keinen. Kein normaler Mensch hat Reich je wirklich ernst genommen. Man betete ihn an – aber das war „Tradition“. Auf eine vage Weise sollte die Demokratie „sozial“ sein. Das Stichwort dafür war „Marx“. Wobei natürlich kaum jemand wirklich das vollständig unlesbare KAPITAL gelesen hatte! (Ist Reich je über die vielleicht ersten 200 Seiten hinausgekommen, denn auf etas anderes hat er sich nie bezogen?!) Ausschließlich Stalinistische Sektierer haben Marx‘ Schwachsinn wirklich verwirklichen wollen.

      Der heutige „Marxismus“ ist ein Fall für die Psychopathologie.

  2. Robert (Berlin) Says:

    Die Überschrift hätte auch „Der Aufstieg des Psychopathen“ sein können (The rise of the psychopaths), aber vor 1973 war die Gesellschaft noch größtenteils autoritär und deswegen entschied ich mich für das Aufkommen. Gruseligerweise sind die Nachkommen der damaligen Hochschul-Psychopathen nun in den Parlamenten in der westlichen Welt und wollen die Genitalität zerstören, Drogensucht legalisieren und die „weiße Rasse“ unterdrücken.

  3. Robert (Berlin) Says:

    Wie würde die Zwischenüberschrift heutzutage heißen?

    Unterdrückung vs. Zügellosigkeit

  4. Peter Nasselstein Says:

    Wider den Verfall:

  5. Christian Says:

    Im ÄRZTEBLATT entdeckt:

    https://www.aerzteblatt.de/archiv/57540/Wilhelm-Reich-Orgastische-Potenz-und-Vegetotherapie

  6. O. Says:

    lockdown song

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