Reichs Fetischisierung der Genitalität

Man übertrage das auf die Genitalität, die Gesundheit, wie sie von Reich, Ola Rakner und Elsworth F. Baker beschrieben wurde! Nur noch die ultrakranke Neurose ist akzeptabel! Leidbilder der Gesundheit sind des kapitalistischen, faschistischen, patriarchialischen, nationalistischen und rassistischen Teufels:

Ein Diplom-Psychologe schrieb im Juli 1979 in Warum! in einem Artikel über „Sexuelle Befreiung. Anleitungen, Spiele, Übungen“ über seine Lektüre in Sachen Sexualität:

Einige Bücher und Theorien haben mich sogar daran gehindert, freier zu werden. So beispielsweise die Beschreibung des idealen und gesunden Orgasmus nach Wilhelm Reich, wie ihn ein Mensch erlebt, der sich durch Therapie von seinen Muskelspannungen und psychischen Blockaden befreit hat. Nicht etwa, daß Wilhelm Reich nicht recht hätte. Wahrscheinlich wußte er wirklich, wovon er sprach. (…) So habe ich, wie viele Freunde und Bekannte von mir, im Schweiße meines Angesichts bioenergetische Übungen getrieben, um endlich den „totalen“ Orgasmus zu erleben. Ich will damit nicht sagen, daß solche Übungen nicht hilfreich sind – aber ich sehe die Gefahr, irgendeinem Idealbild von Sexualität nachzulaufen und darüber die Akzeptierung und Gestaltung der individuellen Sexualität, wie sie sich in einem selbst im Moment darstellt, zu vernachlässigen.

Seit Ende der 1960er Jahre, imgrunde seit Mitte der 1920er Jahre, ist eines der Hauptargumente gegen Reich, dieser mache aus der Genitalität einen „Fetisch“ und falle hinter Freuds aufklärerische Tat zurück. Freud habe gezeigt, daß die Genitalität nichts Ursprüngliches sei, sondern auf die Prägenitalität zurückgehe.

Charakteristischerweise verharren diese Argumente stets im inhaltsleeren Jargon. Soweit ich es überblicken kann, werden die Kritiker nie konkret. Wovon, um alles in der Welt, reden diese Herrschaften eigentlich?!

Man kann sich kaum intensiver mit Prägenitalität beschäftigen als Reich und seine Schüler! Elsworth Baker ist sogar so weit gegangen, eine bisher unbekannte „okulare“ Stufe noch vor der oralen Stufe zu postulieren. Die gesamte Charakteranalyse Reichs beruht geradezu auf dem Konzept der Prägenitalität!

Geht es den Kritikern vielleicht gar nicht so sehr um die psychotherapeutische Theorie und Praxis, sondern vielmehr um den Geschlechtsakt selbst? Stellen sich die Kritiker vor, es wäre im Sinne Reichs die geschlechtliche Erregung auf die Genitalien zu beschränken? Das wäre schlichtweg die Negation dessen, was sich Reich unter „Genitalität“ (orgastischer Potenz) vorgestellt hat! Oder glauben die Kritiker allen Ernstes, daß Reich die Ansicht vertreten habe, Küssen (Oralität) und Geruchserotik (Analität) dürften libidinös nicht besetzt sein und man es grundsätzlich nur im Finsteren in der Missionarsstellung machen dürfe, wenn man „genital“ sein wolle?

Oder geht es diesen Kritikern um die Verteidigung von Perversionen wie Sadomaso, Homosexualität und, – vielmehr fällt einem auch kaum spontan ein, ähh, – die lebenslange Beschränkung auf „Oralsex“? Was gäbe es da zu verteidigen, denn es ist allzu offensichtlich, daß es eine genuin „prägenitale Sexualität“ gar nicht gibt! Sadomaso ist nichts anderes als die Karikatur von genitaler Betätigung. Homosexuelle Paare tun nichts anderes als heterosexuelle Beziehungen nachzuspielen. Und alle Spielarten, die sich ein pornographischer Geist mit einiger Mühe auszudenken vermag, schöpfen ihre Energie ausschließlich aus der Genitalität.

Das Gerede von „Reichs Fetischisierung der Genitalität“ trägt nicht. Es ist eine sinnleere Folge von Lauten. Und es zeugt von der ganzen Irrationalität der Massen, die letztendlich auf deren Genitalangst zurückgeht, daß dieser Unsinn überhaupt in Erwägung gezogen wurde!

Manchmal drücken sich die Kritiker des Reichschen Fetischismus auch etwas verdeckter aus. Dann ist davon die Rede, Reich habe eine „idealistische Pseudonatur“ postuliert. Diese Kritik mag zwar hochintellektuell klingen, ist in Wirklichkeit aber dermaßen dumm… Ich meine, wer idealisiert hier eigentlich die Sexualität? Alle anderen Körperfunktionen haben einen ziemlich schmalen Bereich, in dem man von „gesundem Funktionieren“ sprechen würde. Das reicht von den unterschiedlichsten Reflexen bis zur Art des Gehens. Kann mir jemand erklären, warum es ausgerechnet im Bereich der Sexualität keine Pathologie geben soll?!

Und man komme mir nicht mit der welterschütternden Erkenntnis, daß die menschliche Sexualität nicht auf Biologie reduzierbar sei! Genau das ist nämlich das zentrale Argument Reichs und seiner Schüler. Genauso, wie sich bei ihnen alles um die Prägenitalität dreht, ist bei ihnen auch die Beeinflussung der schier unendlich formbaren Sexualität durch die Gesellschaft das alles überragende Thema.

Es ist vollständig sinnlos hier weiterargumentieren zu wollen, schlichtweg weil die psychophysiologische Forschung eindeutig zeigt, was gesunde und was ungesunde Sexualität ist.

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6 Antworten to “Reichs Fetischisierung der Genitalität”

  1. Robert (Berlin) Says:

    M. E. geht es dabei eher um das Erleben des Orgasmus. Niemand der Kritiker hat Reichs Beschreibung des Orgasmus (für den orgastisch Potenten) persönlich erlebt und kann deswegen auch überhaupt nicht Reichs Schlussfolgerungen nachvollziehen.
    Reichs Ergebnisse sind eine massive Beeinträchtigung des eigenen Selbstwertgefühls, weil man eingestehen muss: 1. orgastisch impotent zu sein und 2. niemals das Erleben wird, was ein orgastisch Potenter im Sexualakt erlebt.
    Zu solcher Selbsteinschätzung wird niemand der Professoren, Doktoren, Akademikern, Spezialisten, Fachleuten und weiteren Entscheidungsträgern bereit sein.

    • O. Says:

      3. Man wird nicht wissen können, was Reich mit der Beschreibung der orgastischen Potenz meint und wie man es mit Vegetotherapie erreichen könnte, weil die Bücher dies nicht vermitteln können.
      4. Man wird niemanden treffen können im Leben, der einem den Weg durch eine Vegetotherapie zeigen kann, mangels geschulter Vegetotherapeuten.
      5. Begibt man sich in eine (beliebige) Körpertherapie wird man die kindliche Abhängigkeit zum Therapeuten erfahren dürfen, nicht jedoch eine eigene erwachsene Selbstbestimmtheit, sprich eine Genitale Phase annähernd erreichen die eine orgastischen Potenz ermöglicht.
      6. Auch der eigene Körper wird zur Falle werden, da er schon ein krumm gewachsener Baum ist.

      7. Da dies auch das Problem von heranwachsenden Therpeuten ist, gibt es weiterhin keine gut ausgebildeten Vegetotherapueten, die annähernd das Ziel der orgastischen Potenz weitergeben können, was sie nicht erreicht haben.

      Ergo: der Weg ist eine lange Reise, ob er auch das Ziel ist, bleibt wohl offen.

  2. Sebastian Says:

    Mit Sexualität hat jeder Erfahrung und deshalb fühlt sich auch jeder berufen seine Meinung darüber kundzutun. Wenn eine Frau klitoral mehr erlebt als vaginal und relativ symptomfrei ist, ist ja klar, dass sie bei der Aussage, sie sei krank, rebellieren wird. Sie behandelt den Gegenstand so als würde Aussage gegen Aussage stehen, ohne zu merken, dass sich wissenschaftliche Forschung von bloßer Meinung unterscheidet. Zu Erziehung hat auch jeder Hans und Franz eine „Meinung“. Das ist das Dilemma dieser Disziplinen.

    Zusätzlich fällt es aufgrund der Tabuisierung auch extrem schwer Zu- und Eingeständnisse zu machen. Es könnte ja auf Unwissen, Unerfahrenheit oder Unfähigkeit zur Erfahrung hinweisen, was ein direkter Angriff auf das Ideal der Potenz wäre! Oh Gott, was für eine Schmach! Die Angst vor Tratsch etc. verstärkt diese Abwehrreaktion. Der Vorwurf der Fetischisierung ist ja nichts anderes als die spezifische Pestreaktion.

    Versucht man die Begriffe der Orgasmustheorie zu diskutieren, ist die letzte Ausrede, wenn man keine Argumente mehr hat, dass die Theorie zu „abstrakt“ sei und man lieber relativistisch-pornographisch mehr „Meinungen“ hören will. Dabei beruht JEDE Theorie auf „abstrakten“, eben fachlichen, Begriffen, aber bezüglich Orgasmus darf das wohl nicht sein.

  3. Sebastian Says:

    Stellen sich die Kritiker vor, es wäre im Sinne Reichs die geschlechtliche Erregung auf die Genitalien zu beschränken?

    Ja, Helmut Dahmer spricht zB von einer „isolierten“, „gereinigten“ Funktion, wenn er von Genitalität spricht. Gereinigt von der prägenitalen Sexualität, die durch Befriedigung der genitalen „austrocknet“.

    Oder glauben die Kritiker allen Ernstes, daß Reich die Ansicht vertreten habe, Küssen (Oralität) und Geruchserotik (Analität) dürften libidinös nicht besetzt sein und man es grundsätzlich nur im Finsteren in der Missionarsstellung machen dürfe, wenn man „genital“ sein wolle?

    Ja, für Dahmer ist Genitalität die Fähigkeit zur Kopulation. Zudem nimmt er anscheinend an, dass die Trübung des Bewusstseins in der Phase der unwillkürlichen Muskelkontraktionen dazu führt, dass die Fähigkeit zu Denken bzw. zur Reflexion abstirbt.

    Oder geht es diesen Kritikern um die Verteidigung von Perversionen wie Sadomaso, Homosexualität und, – vielmehr fällt einem auch kaum spontan ein, ähh, – die lebenslange Beschränkung auf „Oralsex“?

    Ja, denn die Befriedigung der genitalen Sexualität „schwächt“ die „Triebrevolte“. Man würde dann nicht mehr leiden, was das Ziel der Kritiker, die „praktisch-reflexive Weltveränderung“, untergräbt. Es würde zu einem fälschlichen glücklichen Bewusstsein führen. Reich sei der „Prophet“ der gegenwärtigen Sexualökonomie mit seinen genitalen Schlafwandlern gewesen.

    Das alles bei Dahmer, der das, was aus der Ecke der Frankfurter Schule kam, ganz gut zusammenfasst.

  4. O. Says:

    Die Reduzierung Reichs auf den Moment der Genitalität durch seine Kritiker, die nicht mehr als einen Absatz zu äußern vermögen, zeigt, dass sie in Reichs Thesen eine Gefahr für sich (und ihre Weltsicht) verstehen. Ihre Orgasmusangst ist aktiviert worden oder wie Sebastian es sagt, der Selbstwert aufrund erahnten Mangels an sex. Potenz und Erlebbarkeit, bringt sie zum Angriff auf den, der sie mit der Nase auf ihr Problem gestuppst hat. Und damit wird Reichs These der Emotionellen Pest gleichsam bestätigt. Doch was sie am meisten stören mag, ist die Universalität von Reichs Thesen. Diese versuchen sie durch ihre Reduzierung auf den Orgasmusreflex zu vernebeln. Ihre Kritik (wenn man diese als solche so annehmen möchte) ist mehr ein Schachzug. Ein „neuer Reich“ könnte jetzt mit der (erneuten) Erklärung der Universalität von Reichs gesamter Theorie antworten, ohne sich ständig auf Reich zu beziehen, was die Abwehr seiner Person nur verstärke.
    Natürlich würde unwillkürlich eine neuer Schachzug mit neuen Argumenten folgen, aber keiner hat bis jetzt gesagt, dass das Spiel (der Argumente) schon fertig – gewonnen oder verloren – sei.

  5. Peter Nasselstein Says:

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