Reich ging in seiner Studentenzeit zwischen in etwa 1919 und 1922 von vier Punkten aus, die sein gesamtes späteres Lebenswerk prägten:
- angefangen von seinen Eltern, die als Sprosse von jeweils langen Rabbiner-Dynastien vorgaben gläubige Juden zu sein, aber tatsächlich deutschnationale Atheisten waren, war ihm aufgefallen, daß es einen Unterschied gibt, zwischen dem, was Menschen sagen und dem wie sie handeln;
- war er bei seiner naturphilosophischen Lektüre irgendwo zwischen Lehrbüchern zum Medizinstudium, F.A. Lange, Bergson, Schopenhauer, Paul Kammerer, Richard Semon etc., nicht zuletzt Nietzsche, auf die Grundidee verfallen, daß es eine psychische Energie gibt und einen Grundgegensatz zwischen Energie und Materie;
- war ihm 1919/20 im Studentenseminar, über das er Freud kennenlernte, aufgefallen, daß ihm das, was andere als „Sexualität“ bezeichneten, fremd war und umgekehrt;
- durch Freuds Libidotheorie lernte er die Vorstellung einer psycho-physischen („bioenergetischen“) Entwicklung und ihrer Störungen kennen.
Zusammengefaßt ist das die Theorie von der Lebensenergie und ihrer Sperrung durch die Panzerung (Über-Ich). Sie entfaltet sich aus sich heraus „von innen“ auf natürliche Weise, wird aber „von außen“ gestört und entartet entsprechend, d.h. wird selbst zu einem Störfaktor. Das, was er später als „seelische Pest“ bzw. „emotionelle Pest“ bezeichnen sollte, breitet sich entsprechend aus. Die Menschen versuchen das entstehende Chaos mit „Moral“ in den Griff zu bekommen, doch verschlimmert dies die Situation noch mehr.
Nietzsche hatte wie kaum ein anderer ein Gefühl für diese Dynamik, nur kam dieser „Sado-Masochist an sich selber“ (so Lou Salome über Nietzsche) zu der – sadomasochistischen Vorstellung, daß der Mensch an diesem Konflikt zu wachsen habe. Aus dem Krampf soll virtuose Eleganz und aus der Lüge die Wahrheit erwachsen, aus der Überspanntheit eine neue Leichtigkeit. Aus sekundären Trieben soll etwas Authentisches und Wertvolles werden. My Sister and I enttarnt das alles als Perversion und Flucht vor dem Leben.
Schlagwörter: Atheisten, Bergson, F.A. Lange, Freud, Lebensenergie, Libidotheorie, Moral, Naturphilosophie, Nietzsche, Paul Kammerer, Rabbiner, Richard Semon, Sadomasochismus, Schopenhauer, Sexualität, Wilhelm Reich
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