Das LSR-Projekt und die Orgonomie

Warum hat sich Laska nie erklärt? Nie den Kern seines LSR-Projekts mundgerecht und für alle nachvollziehbar in wenigen programmatischen Sätzen zusammengefaßt und seiner Netzseite vorangestellt?

Meines Erachtens ist das so, weil die Geschichte der Stirnerianer und Reichianer gezeigt hat, daß dabei nur Trivialitäten herauskommen würden, die das ganze ins Gegenteil verkehren. Bei Stirner war das der „Egoismus“, dem doch ohnehin jeder frönt, bei Reich, und auch LaMettrie, die Lust, die doch ohnehin jeder anstrebt. Und selbst, wenn man alles ganz im Sinne Laskas formulieren würde, von wegen „Kinder der Zukunft“. „Über-Ich“ etc. Die Antwort seriöser Menschen auf „LSR in 10 Punkten“ wäre ein: „Bitte belästigen Sie mich nicht mit derartig pubertärem Zeugs!“

Aus einem ähnlichen Grund hat Reich die Psychoanalyse zur Charakteranalyse und dann zur Orgontherapie weiterentwickelt: weil inhaltliche Deutungen wie „Sie haben Ihre Mutter geliebt und Ihren Vater als Konkurrenten angesehen!“ verpuffen und mit einem müden Achselzucken goutiert werden: „Bitte belästigen Sie mich nicht mit derartigem Kinderkram!“

Laskas Projekt entspricht eindeutig dem Vorgehen des Orgontherapeuten. Anders als in der Psychoanalyse werden nicht Ideationen („freie Assoziation“, spontane Erinnerungen) benutzt, um Affekte auszulösen, sondern umgekehrt: die Lockerung der Panzerung und die mit ihnen einhergehenden Affekte produzieren spontan Ideationen (Erinnerungen), oder auch nicht, und die sind dann auch reliabel, bringen den Patienten tatsächlich weiter und erzeugen ihrerseits Affekte. Genauso mit dem LSR-Projekt: Laska wollte nicht „herumphilosophieren“, die Welt mit irgendwelchen letztendlich willkürlichen Theorien beglücken (durch Verwirrung noch mehr ins Unglück stürzen), sondern er wollte zu zwingenden Einsichten führen. Also nicht „Einsichten“ präsentieren, denen man sich anschließen kann, sondern zeigen, wie eine bestimmte, nicht genannte Einsicht bisher systematisch verdrängt wurde. Laska wies dabei auf ganz bestimmte historische Vorkommnisse hin.

Seine These war, daß die Aufklärung gescheitert ist und daß es drei, und zwar ausschließlich diese drei, hochspezifischen Schlüsselereignisse gegeben hat, die dieses Scheitern nicht nur exemplifizieren, sondern auch zeigen, wie man die Aufklärung doch noch retten könnte: LaMettries Verdrängung durch die Enzyklopädisten und deren Umfeld, insbesondere Rousseau, Stirners Verdrängung durch Marx und Nietzsche, und Reichs Verdrängung durch Freud und die Freudo-Marxisten. Es ging jeweils um das Über-Ich als unhinterfragbare Instanz und vor allem als eine Instanz, die sich hinter allen möglichen „aufklärerischen“ Masken verbirgt.

LSR ist an die besagten drei Ereignisse gebunden, deren Durchdringung die Aufklärung (d.h. die Aufhebung induzierter Unmündigkeit = die Auflösung des Über-Ich) wieder in Gang setzen könnte. Die Orgonomie hingingen ist weniger eingeschränkt, hat es einfacher, da sie durch Reichs Charakteranalyse über ein Strukturmodell verfügt, das jedem vermittelbar ist. Die Orgonomie kann auf jeder Ebene, zu jeder Zeit, bei jedem Ereignis ansetzen. Dem LSR-Projekt fehlt es vom Grundansatz her an einer solchen „Schablone“. Und überhaupt: wie einem Bäcker, Schreiner, Spezialisten für Quantenchromodynamik, der noch nie von Stirner gehört hat und der nur eine vage Vorstellung von Rousseau hat, – wie dem das LSR-Projekt nahebringen? Laskas Zielgruppe sind die heutigen Entsprechungen zu den „Enzyklopädisten“, „Junghegelianern“, „kritischen Theoretikern“. Die Zielgruppe der Orgonomie hingegen ist eher der „Laie“ als der Spezialist. Das sieht man schon daran, daß sich ab etwa 1928 Reichs Schreibstil drastisch veränderte: von einem mit Fremdworten gespickten „Psychoanalysesprech“ zu einer einfachen Sprache, die wirklich jeder ohne Anstrengung verstehen kann. Bezeichnenderweise ist er zu dieser Zeit auch nie dem typischen „Marxismussprech“ verfallen, den kein Mensch nachvollziehen kann – und der sich in nichts auflöst, wenn man ihn in einfache Sprache überträgt. (Man mache sich mal den Spaß und „übersetze“ auf diese Weise eine Rede Rudi Dutschkes!)

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3 Antworten to “Das LSR-Projekt und die Orgonomie”

  1. Avatar von Peter Nasselstein Peter Nasselstein Says:
  2. Avatar von Peter Töpfer Peter Töpfer Says:

    Ich habe mit meiner Tiefenwahrheit versucht, eine noch einfacherer Sprache zu finden: was die Philosophen „Phänomenologie“ nennen: Sage, wie es ist. Sage es aber ggf. über die Worte hinaus bzw. darunter, drücke es emotional aus, laß auch deine Gefühle „sprechen“. Laß deine Gefühle dabei vollständig bewußt werden, helle sie also auf, laß Licht in sie fallen: das ist die cis-kognitive, cis-verbale Aufklärung, von der Laska spricht:

    „Stirners Postulat, die (alte) [Klammer sic BAL] Aufklärung, die im kognitiv-rationalen Bereich operierte, sei am Ende ihrer Möglichkeiten und deshalb durch eine neue, im affektiv-emotionalen Bereich operierende – und damit ‚praktisch’ werdende – fortzusetzen (…), dieses Postulat stieß bis heute stets auf spontane Abwehr in sehr unterschiedlichen (…) Formen, …“ – und jetzt präzisiert Laska, wer diese Fortsetzung der Aufklärung mit neuen Mitteln abwehrte, das waren nämlich nicht die Gegenaufklärer –: „… wobei die interessanteren Fälle freilich die Autoren sind, die ein aufklärerisches, irreligiöses etc. Selbstverständnis haben.“ Die Abwehrer, die Feinde der Neuen Aufklärung, sind also die sich selbst Aufklärer nennenden Pseudoaufklärer. Weiter Laska: „Die atheistischen Aufklärer vermochten Stirner in dieser entscheidenden Einsicht nicht zu folgen. (…) Sie waren ausser Stande, die von Stirner initiierte ’neue Aufklärung‘ rational zu prüfen, und erstickten sie stattdessen im Keime.“ (Bernd A. Laska: >Ein dauerhafter Dissident, 150 Jahre Stirners „Einziger“. Eine kurze Wirkungsgeschichte<, Nürnberg 1996, S. 103) 

    Peter Töpfer: Radikale Aufklärer und Gegenaufklärer – vereinigt Euch! (20.8.2022)
    https://multipolaristen.de/multipolaristen/post-philosophie-2/peter-toepfer-radikale-aufklaerer-und-gegenaufklaerer-vereinigt-euch-20-8-2022/

  3. Avatar von Peter Nasselstein Peter Nasselstein Says:

    Die organisierte und schwerbewaffnete Emotionelle Pest:

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