Posts Tagged ‘Stirner’

Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 67)

28. Mai 2023

[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]

Alle blicken auf den vollkommen perplexen Reich, behandeln ihn als Sonderling, manövrieren ihn in eine Außenseiterposition, indem sie ihm vorwerfen er würde sich in eine Außenseiterposition hineinmanövrieren – und als Fazit wird dann kurioserweise IHM vorgeworfen, ER habe sich in was „hineinmanövriert“. Dies und das folgende kann man mit Variationen auch über LaMettrie am Hofe von Friedrich dem Großen und über Stirner im Umfeld der Junghegelianer sagen!

Die Frage ist doch ganz einfach: war Reich (LaMettrie, Stirner) beknackt oder alle anderen? Normalerweise liegt die Antwort auf der Hand. Das Alltagsgeschäft der Psychiater. Aber ab und an kommen auch, wie es Baker in einem Fallbeispiel beschreibt (Der Mensch in der Falle), vollkommen Gesunde zum Psychiater, weil sie sich in der Gesellschaft wie Sonderlinge vorkommen und so behandelt werden – dann ist es Aufgabe des Psychiaters ihnen klarzumachen, daß tatsächlich sie im Recht sind und praktisch 100 % ihrer Mitmenschen durchgeknallt sind. (Es wäre doch eine Ungeheuerlichkeit gewesen, hätte Baker der betreffenden Frau gesagt: „Sie sollten sich mal überlegen, ob sie nicht auch selbst teilweise Schuld für Ihre Probleme im Leben tragen!“)

Reich war so ein Fall. Daß er auch Fehler strategischer und taktischer Natur gemacht hat (wie sollte es anders sein?), fällt dabei nicht ins Gewicht. Schließlich konnte er nichts dafür, daß die Welt ein einziges großes Irrenhaus ist.

Alle Ansichten von Bakers gesunder Patientin stimmten vollkommen mit dem überein, was etwa in Die sexuelle Revolution stand. Es ist einfach „gesunder Menschenverstand“ (d.h. wirklich gesunder). Dazu gehört auch, daß die meisten dieser gesunden Menschen, inkl. Reich, ein ziemlich naives Verhältnis zur Geschichte haben. Sie sehen nur den guten Kern und glauben, was man ihnen erzählt. Entsprechend finden sie, inkl. Reich, die folgenden Leute gut: Jesus, Marx, Lenin, Lincoln, Gandhi, Luther, Nietzsche, Madame Curie, Einstein, Freud, Beethoven, Darwin, Kolumbus, Edison, etc. – durchweg Denker und historische Persönlichkeiten, die nichts mit LSR zu tun haben, bzw. teilweise geradezu LSR-Antipoden sind.

Bei Reich wechseln einige wenige, aber alles entscheidende Stellen unglaublicher Einsichten, die sonst keiner hatte (außer L und S), ab mit langen Passagen, die nicht etwa schlecht oder daneben sind, sondern einfach nur naiv. So naiv, wie jeder gesunde Mensch von Natur aus Pazifist ist (auch wenn dadurch die organisierte Emotionelle Pest triumphiert), den Dalai Lama gut findet, weil er so schön lächelt (obwohl er tatsächlich eine diabolische Figur ist) oder gegen den Klimawandel ist (obwohl er damit Milliarden Menschen auf eine Hungerkatastrophe zusteuern läßt).

Verkomplizierend kommt hinzu, daß Reich in seinen späteren Jahren teilweise nicht mehr so naiv war, sondern „konservativ“ wurde – was auch nichts mit LSR zu tun hat.

Bernd Laska begründet Reichs Verhalten damit, daß Reich im „brennenden Haus“ nicht zu Atem kam. Ich glaube das nicht. Reich war „einfach nur“ naiv.

Andererseits möchte ich mich auch dagegen verwahren, die Welt als „Narrenhaus“ zu sehen. Natürlich leben wir nicht im Narrenhaus! Wenn jemand seine Arbeit macht und die Stadt wie auf wundersame Weise perfekt funktioniert (Arbeitsdemokratie), wenn Kinder spielen, die Jugend Lebensfreude ausströmt und die Alten immer mehr ihre innere Schönheit nach außen tragen, wenn die Vögel zwitschern und die Bäume rauschen – dann sind wir nicht im Irrenhaus. Im Irrenhaus sind wir, wenn das einfache scheinbar unendlich kompliziert wird. Wenn wir vor dem „Reformstau“ stehen und „die Lage noch nie so ernst war wie heute“. Das höre ich, seit ich höre, also etwa seit 1971!

In diesem Sinne war Reichs Naivität Ausdruck seiner Gesundheit: Es gibt keine Probleme, alles ist lösbar!

Zum Themenkomplex von Reichs Naivität gehört auch, daß es schlichtweg falsch ist, daß der frühe Reich sich klar ausgedrückt hat und alles tat, um verstanden zu werden und daß der späte Reich kryptisch wurde. Abgesehen von ein paar wenigen technischen Artikeln, die eh nicht für die Verbreitung bestimmt waren, sondern „for the record“, wurden Reichs Schriften immer zugänglicher. Die frühen psychoanalytischen Aufsätze sind in einem gewundenen und mit der psychoanalytischen Geheimsprache durchsetzen Stil geschrieben, dem man nur mit großer Konzentration folgen kann. Danach hat Reich auf eine geradezu einschläfernde Weise allgemeinverständlich geschrieben. Und das mit der „orgonomischen Geheimsprache“ ist ein Mythos. Später hat er sogar weitgehend auf „Orgon“ verzichtet und lieber von „kosmischer Lebensenergie“ gesprochen. „Melanor“, etc. findet sich nur in den erwähnten paar Artikeln – und selbst die sind sofort verständlich, wenn man denn guten Willens ist. „Geheimsprachlich“ drücken sich vielmehr Reichs Gegner aus: Wissenschaftler (etwa Psychologen), die ständig mit neuen Wortschöpfungen aufwarten und „Denker“, die sich a la Adorno daran berauschen, daß kein Mensch ihnen folgen kann.

Es waren vor allem Ollendorff und Neill, die Reich vorgeworfen haben, er würde es seinen Lesern viel zu schwer machen. Das hat Reich ernst genommen und tatsächlich noch einfacher geschrieben (etwa in Äther, Gott und Teufel). In seiner Naivität erkannte Reich nicht, daß es nicht etwa an der (nicht vorhandenen) Kompliziertheit seiner Ausdrucksweise lag, – sondern an der inneren Abwehr von Ollendorff und Neill.

Hierher gehört auch, daß Reich nur „immanente Kritik“ zuließ, – denn selbst ihm wurde die innere Abwehr seiner Mitmenschen manchmal zu viel. Wer nicht zuhören, wer nicht lesen kann (und die meisten Menschen, können nicht lesen – sie lesen, was sie lesen wollen, nicht was auf dem Papier steht), – hat kein Recht „kritische Fragen“ zu stellen! Das meinte Reich mit seiner Forderung nach „immanenter Kritik“.

Die Welt ist ein Irrenhaus, also ist es nur logisch, daß der Nicht-Beknackte Reich da zugrunde gehen mußte? Kein gesunder Mensch braucht in dieser Welt zugrundezugehen. Die meisten, praktisch alle, kommen sogar hervorragend zurecht. Wie etwa Neill verblüfft konstatierte, als ausgerechnet seine Schüler hervorragend im wohl neurotischten Teil der Gesellschaft zurechtkamen, der Armee. An ihr (und allgemein an der Gesellschaft) scheitern allenfalls die Allerkränkesten… Ich bin nicht stolz auf mein Scheitern als Soldat!

Auch Reich ist hervorragend in der Welt zurecht gekommen: im Krieg, als Emigrant.

Er ist nicht an seiner Gesundheit gescheitert, sondern wegen dieses „Plus“, von dem ich oben sprach: das „LSRische“. Kurz: er hatte eine Mission. Das hat die Emotionelle Pest aktiviert. Deshalb auch seine Faszination für die Christus-Figur.

Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 65)

21. Mai 2023

[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]

Warum sind alle, die versuchen den Bereich der ko-existierenden Wirkung zu nutzen, so unglücklich? Ich kenne keinen einzigen wirklich glücklichen „Okkultisten“. Bereits in den primitiven Gesellschaften waren die Medizinmänner und Magier stets die Freaks, die Hermaphroditen, die Schizophrenen etc. Es ist kein Zufall, daß Freud, der sich fast ausschließlich im Bereich der ko-existierenden Wirkung (Traumdeutung etc.) bewegte, den Todestrieb konzipierte und auch in anderer Hinsicht der genaue Gegenpol Reichs war, der sich kaum für dieses eigentliche Metier der Psychoanalyse, „das Hören mit dem Dritten Ohr“, interessierte. Man denke auch an C.G. Jungs tiefe Affinität zum Nationalsozialismus oder das haltlose Geraune eines Martin Heidegger.

Es ist, als wenn eine dunkle Wolke über diesen Menschen hinge und sie von einem übelriechenden Dunst umgeben wären.

Der funktionelle Gegensatz der ko-existierenden Wirkung ist die relative Bewegung. Es sind zwei heteronome Funktionen, die ineinander übergehen können. Wird dieser Übergang unterbunden („frustriert“), entsteht genau das Miasma, das ich soeben zu umreißen versuchte. Das bedeutet nichts anderes, als daß man sich im Bereich der ko-existierenden Wirkung nicht dauerhaft aufhalten kann. Es ist wie ständiges Flirten, ohne daß einer der beiden einen Schritt vorwärts macht. Was bleibt, ist Frust und Enttäuschung. Oder man nehme die Psychoanalyse: eine Deutung kann befreiend sein, aber das ständige Räkeln im Unbewußten erzeugt genau das, wovon die Psychoanalyse doch heilen will. Der Gegensatz von Reichs Drang zu sozialer Aktion („Bewegung“) in den 1920er Jahren und das Sitzenbleiben und Spintisieren seiner psychoanalytischen Kollegen war genau das.

Man nehme beispielsweise Kenneth Angers The Inauguration of the Pleasure Dome, wo alles immer in der Schwebe bleibt. Es gibt nicht, wie in einem normalen Film eine Auflösung der Spannung, d.h. den Übergang in eine reale Handlung, die der üblichen Logik von Ursache und Wirkung folgt – der Bewegung von A nach B. Genauso bleibt ein Actionfilm oberflächlich und zutiefst unbefriedigend, wenn ihm „das Geheimnis“ abgeht, es ihm an „ko-existierender“ Tiefe mangelt. Genau deshalb gehört beispielsweise Clint Eastwoods Pale Rider zu meinen Lieblingsfilmen.

Im übrigen handelt Ursula Jauchs Buch über LaMettrie, Jenseits der Maschine, von der „Maschine“ (der pulsierende und von Strömungen durchzogene Körper) und der Imagination. Bei Stirner ist es das, was ich im vorangegangenen Teilen, insbesondere Teil 28, angeschnitten habe: es ist etwas vorhanden, was im Sinne einer „eigensinnigen“ Subjektivität (heute insbesondere „Transgender“) mißbraucht werden kann.

Eine Leseliste zur Einführung in Bernd A. Laskas LSR-Projekt

20. Mai 2023

Die folgenden Bücher und Artikel sollte man in dieser Reihenfolge lesen, um sich in Bernd A. Laskas LSR-Projekt einzuarbeiten.

Am Anfang steht natürlich Laskas Reichs Biographie sowie Reich selbst und zwar jenes Buch, das Laska ursprünglich in seinem LSR-Verlag neu herausbringen wollte: Reichs von seinen beiden engsten Mitarbeitern, dem Psychiater Elsworth F. Baker und dem Gynäkologen Chester M. Raphael, kurz nach Reichs Tod zusammengestellte Ausgewählte Schiften.

Daß Reich in dieser Liste an erster Stelle steht, hat sowohl historische als auch inhaltliche Gründe: mit ihm hatte sich Laska zuerst beschäftigt (und das als einer der ersten in unserem besetzten Vaterland) und zweitens ist Reich eine notwendige Einführung, um LaMettrie überhaupt verstehen zu können, nämlich daß sich beide Ärzte mit genau den gleichen beiden Dingen beschäftigt haben – nur daß dies bei LaMettrie zeit- und „verfolgungsbedingt“ nicht so eindeutig ist. Die besagten beiden Dinge sind das Angehen des Charakterpanzers (also des Über-Ichs) und die Orgasmustheorie, bei LaMettrie entspricht das seinen Theorien über das Schuldgefühl und „die Kunst Wollust zu empfinden“.

Die Frage ist natürlich, warum ich Stirner an die dritte Stelle verschoben habe, hatte Laska diesen doch nach Reich und vor LaMettrie für sich entdeckt. Zunächst einmal waren Reich und LaMettrie Ärzte und ihre beiden Theorien machen, wie angedeutet, einander verständlicher und zweitens wollte Laska in der Chronologie seines LSR-Projekts zunächst durchaus inhaltlich vorgehen, d.h. jeweils die Theorien seiner drei Helden herausarbeiten. Ansatzweise hat er das bei Reich und den Vorreden zu seinen LaMettrie-Übersetzungen auch gemacht, doch änderte er dann seinen Plan: „Die Widerstände und Abwehrmechanismen gegen L/S/R traten (….) in den Vordergrund meines Interesses; sie waren aufzudecken und zu studieren, bevor an ein Verständnis für die Intentionen von L/S/R auch nur zu denken war. Hier bot sich allerdings aus verschiedenen Gründen vorzugsweise Stirner bzw. dessen Wirkungsgeschichte an, so daß anstelle der ursprünglich geplanten Schriftenfolge zunächst die Stirner-Studien erscheinen.“ Dieses „Zunächst“ erwies sich dann als der eigentliche Abschluß des LSR-Projekts. Stirner ist nur in der von Laska angedeuteten Weise erschließbar, d.h. vom Widerstand gegen sein Werk her, und die Vorkenntnisse, die wir durch die Auseinandersetzung mit Reich und LaMattrie erworben haben, dienen uns hierbei als Orientierungspunkte, ohne die wir uns allzuleicht verirren könnten, beispielsweise „Stirner als Vertreter des Egoismus und Herold der nihilistischen Transgemeinde“.

Bernd A. Laska: Wilhelm Reich (https://www.amazon.de/gp/product/3499502984)

Wilhelm Reich: Ausgewählte Schriften (https://www.buchfreund.de/de/d/p/76916429/ausgewaehlte-schriften-eine-einfuehrung-in-die)

Bernd A. Laska: Zum Status der Reich’schen Theorie (1980): A. Allgemeiner Überblick (http://lsr-projekt.de/wrb/wrstatus.html)

Bernd A. Laska: Zum Status der Reich’schen Theorie (1980): B. „Früher“ contra „später“ Reich eine überflüssige Kontroverse (http://lsr-projekt.de/wrb/wrstatusb.html)

Bernd A. Laska: Zum Status der Reich’schen Theorie (1980): C. Freuds „Kommentar“ zu Reich (http://lsr-projekt.de/wrb/wrstatusc.html)

Bernd A. Laska: Zum Status der Reich’schen Theorie (1980): D. Reichs Krise 1926/27 (http://lsr-projekt.de/wrb/wrstatusd.html)

Bernd A. Laska: Wilhelm Reich – ohne Freud, Marx, Orgon (http://lsr-projekt.de/wrlex.html)

Bernd A. Laska: Die Negation des irrationalen Über-Ichs bei Wilhelm Reich (http://lsr-projekt.de/wrnega.html)

Bernd A. Laska: Wilhelm Reich als Sexuologe (http://lsr-projekt.de/wrsex.html)

Bernd A. Laska: Wilhelm Reich als Faschismusforscher (http://lsr-projekt.de/wrfasch.html)

Bernd A. Laska: Wilhelm Reich – Essenz und Konsequenz (http://lsr-projekt.de/wrinnuce.html)

Bernd A. Laska: Intro LSR (http://lsr-projekt.de/intro.html)

Bernd A. Laska: LSR als „anarchistisches“ Projekt (http://lsr-projekt.de/anarcho.html)

Julien Offray de La Mettrie: Der Mensch als Maschine (http://lsr-projekt.de/verlag.html#lsrqu1)

Julien Offray de La Mettrie: Über das Glück oder Das höchste Gut („Anti-Seneca“) (http://lsr-projekt.de/verlag.html#lsrqu2)

Julien Offray de La Mettrie: Philosophie und Politik (http://lsr-projekt.de/verlag.html#lsrqu3)

Julien Offray de La Mettrie: Die Kunst, Wollust zu empfinden (http://lsr-projekt.de/verlag.html#lsrqu4)

Bernd A. Laska: La Mettrie und die Kunst, Wo(h)llust zu empfinden – ein Portrait (http://lsr-projekt.de/lmsex.html)

Bernd A. Laska: La Mettrie – ein gewollt unbekannter Bekannter (http://lsr-projekt.de/lm-un-bekannt.html)

Bernd A. Laska: 1750 – Rousseau verdrängt La Mettrie (http://lsr-projekt.de/Rousseau-La-Mettrie.pdf)

Bernd A. Laska: Die Negation des irrationalen Über-Ichs bei Lamettrie (http://lsr-projekt.de/lmnega.html)

Bernd A. Laska: Panajotis Kondylis – unfreiwilliger Pate des LSR-Projekts (http://lsr-projekt.de/kondylis.html)

Bernd A. Laska: Martin Walser und La Mettrie (http://lsr-projekt.de/walser.html)

Max Stirner: Der Einzige und sein Eigentum (https://www.amazon.de/Einzige-sein-Eigentum-Reclams-Universal-Bibliothek/dp/3150030579)

Bernd A. Laska: Parerga, Kritiken, Repliken (http://lsr-projekt.de/verlag.html#lsrqu2)

Bernd A. Laska: Ein heimlicher Hit (http://lsr-projekt.de/verlag.html#ss1)

Bernd A. Laska: Ein dauerhafter Dissident (http://lsr-projekt.de/verlag.html#ss1)

Bernd A. Laska: „Katechon“ und „Anarch“ (http://lsr-projekt.de/verlag.html#ss1)

Bernd A. Laska: Max Stirner in nuce (http://lsr-projekt.de/msinnuce.html)

Bernd A. Laska: Max Stirner – Leben, Werk, Wirkung (http://lsr-projekt.de/mslex.html)

Bernd A. Laska: Der Stachel Stirner (http://lsr-projekt.de/stachel.pdf)

Bernd A. Laska: Die Negation des irrationalen Über-Ichs bei Max Stirner (http://lsr-projekt.de/msnega.html)

Bernd A. Laska: Max Stirner als Psychologe (http://lsr-projekt.de/Max-Stirner-Psychologe.html)

Bernd A. Laska: Nietzsches initiale Krise (infolge Stirner) (http://lsr-projekt.de/nietzsche.html)

Bernd A. Laska: Die Individualanarchisten und Stirner (http://lsr-projekt.de/msinda.html)

Bernd A. Laska: Der schwierige Stirner (http://lsr-projekt.de/msswi.html)

Bernd A. Laska: Den Bann brechen ! – Teil 1: Stirner, Marx, Marxforschung (http://lsr-projekt.de/msbann1.html)

Bernd A. Laska: Den Bann brechen ! – Teil 2: Stirner, Nietzsche, Nietzscheforschung (http://lsr-projekt.de/msbann2.html)

Bernd A. Laska: Max Stirner – ein anarchistischer Pädagoge? (http://lsr-projekt.de/mspa.html)

Bernd A. Laska: Der sexuelle „Verein“: Prototyp des Stirner’schen „Vereins“ (http://lsr-projekt.de/mssex.html)

Bernd A. Laska: Vade retro! – Zur Repulsionsgeschichte von Stirners ‚Einzigem‘ (https://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/opus4/frontdoor/deliver/index/docId/52066/file/Jahrbuch_FVF_22_2016_Laska_71_100.pdf)

L und S und R und das Affektleben der Intellektuellen (Teil 4)

18. Mai 2023

Bereits seit etwa 1937, spätestens aber 1947, dämmerte es Reich, der sich zuvor ausschließlich in „linken“, „progressiven“ Kreisen bewegt hatte, daß seine vermeintlichen Freunde tatsächlich die schlimmsten Feinde des Fortschritts sind. Sie, die stets gegen die „Autoritäten“ (die Vater-Imago, das Über-Ich) und „das System“ (repressive Strukturen, die Panzerung), angetreten waren, kamen ins Stottern, Stolperten, wenn es tatsächlich ans Eingemachte ging und real zu werden drohte. Es waren stets nur Worte gewesen, die im Gegensatz zu ihrer biophysischen Struktur standen, also eine Lüge waren. Für Reich waren es Leute, die eine unzuverlässige oder unwahre Idee oder Ansicht vertreten: Quacksalber in Sachen Wahrheit und Freiheit, „Wahrheits- und Freiheitskrämer“. Kaum besser als Faschisten, die die reaktionäre Sau rot anmalen. Schlimmer! Denn es ist mehr als ein bloßes Zurschaustellen „des Guten“ – es gibt jenseits dieses Gutmenschentums sonst nichts beim linken Charakter. Er IST Lüge – sonst nichts. Er ist bioenergetisch hohl!

Man ist immer wieder betroffen von der schrecklichen Angst, die der Liberale zeigt, wenn man seine Abwehr erfolgreich angreift. Er gerät außer sich und wird irrational. (Elsworth F. Baker: Der Mensch in der Falle, S. 270)

Kaum, daß die wirkliche Probleme angesprochen werden, insbesondere daß Wahrheit und Freiheit solange Illusion bleiben müssen, solange nicht die Charakterstrukturen wahr und frei (ungepanzert) sind, geraten Linke in eine Situation, in der es um ihre nackte Existenz geht. Es ist, als wenn man bei strahlendem Sonnenschein den Vorhang beiseite schiebt und dem Vampir das Kruzifix vor sein Gesicht hält!

Man bemerkt (…), daß frei praktizierende Ärzte gewöhnlich konservativ sind, während Psychiater und Psychoanalytiker, die weit intellektueller und mehr auf das Wort angewiesen sind, im allgemeinen liberal sind; das mag die zunehmende Tendenz in der Psychiatrie erklären, Gefühle und Freuds Libidotheorie, die sich mit dem [bioenergetischen] Kern befaßt, weniger zu betonen und statt dessen eine neutralere, entsexualisierte Ichpsychologie vorzuziehen. (ebd. S. 272)

Genauso ist es allgemein mit den Gesellschaftswissenschaften, insbesondere aber mit der Philosophie bestellt, die gegenwärtig von Michel Foucault und Konsorten dominiert werden. Linksintellektuelle fühlen sich, je nach intellektueller Konjunktur, zeitweise von LaMettrie, Stirner und Reich magisch angezogen, nur um schließlich alles zu verkorksen, was L und S und R ausmacht, oder sie gleich ganz in den Orkus zu treten. Oberflächlich fühlen sie sich zunächst angesprochen, aber die Botschaft (die Wahrheit) stellt sich schließlich als Krypton für ihre biophysische Struktur (die Lüge) heraus.

L und S und R und das Affektleben der Intellektuellen (Teil 2)

16. Mai 2023

Es ist wirklich auffallend: praktisch jeder, der sich bei der Wahl zwischen Reich und Freud für den letzteren entscheidet, argumentiert quasi „Schopenhauerisch“. Er ziehe den Stoiker Freud vor, weil der illusionslos gewesen sei, was die Natur des Menschen und dessen Stellung im Universum betrifft. Das ist so bezeichnend, weil Nietzsche auf diese Weise Stirner entkommen ist. Wie Laska entdeckt hat, hat Nietzsche seine schicksalswendende Entdeckung von Schopenhauers Die Welt als Wille und Vorstellung vorgeschoben, um so die Erschütterung durch Stirners Der Einzige und sein Eigentum zu bewältigen und den Konsequenzen durch Pseudoradikalität auszuweichen: die gesellschaftliche Sauerei verblaßt zu einem Nichts, weil das ganze Universum die Hölle ist. Jeder, der ein optimistisches Weltbild hat, ist entsprechend, so Nietzsches Meinung, ein verachtenswerter Philister.

Diesen Mechanismus, dieses Weglaufen von Stirner und Reich in die vermeintliche Illusionslosigkeit findet sich immer wieder in der Rezeptionsgeschichte der Werke Stirners und Reichs. Man nehme etwa das erste Buch des Psychoanalytikers und Historikers Bernd Nitzschke:

Handschriftliche Notiz [Bernd Nitzschkes erstes Buch] (2002)

Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 64)

14. Mai 2023

[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]

Während Otto Fenichel Gedankengymnastik betrieb, ist Reich auf die Straße gegangen, hat demonstriert, hat sich „die Hände schmutzig gemacht“. Während andere die Psychoanalyse durch immer neue Theorien „ausbauten“, beschäftigte sich Reich mit klinischen Problemen. Während andere „Parteiarbeit“ betrieben, fragte er sich „was in den Massen vorgeht“, hat sich mit Arbeitern angefreundet.

Eine Zeitzeugin berichtet, wie die Frankfurter Instituts-Mitglieder Horkheimer, Marcuse, Adorno, Friedrich Pollock, etc. die Institutsmitarbeiter behandelt haben: so wie ihre Eltern mit deren Bediensteten umgegangen waren. „Man spricht nicht mit dem Personal.“ – Marxisten und „Antiautoritäre“ (Studien über den „autoritären Charakter“), die sich weiterhin wie großbürgerliche Arschlöcher aufführten. Reich war da ganz anders, zuerst in seinem Institut in Norwegen – wo er gleich vom „Personal“ ausgenutzt wurde, weil das nicht gewohnt war, als Menschen behandelt zu werden. Und in Amerika, wo er lieber mit dem Waldschrat Templeton, den Bauarbeitern auf Orgonon und den Krämerladenbesitzern in Rangeley sprach als mit „Seinesgleiches“.

Reich war einfach ganz anders als jene, die über Theorien erbittert diskutiert und gestritten haben (und dafür das erforderliche „Bildungsgut“ hatten), über Marxismus, Nationalsozialismus, Psychoanalyse, „Kultur“. Was hatte Reich mit diesem bildungsbürgerlichen Abschaum zu schaffen? Ein Abschaum, der über Reich richtete und noch heute richtet, weil dessen Analysen nicht komplex genug gewesen seien und seine Lösungsansätze zu einfach. „Holzschnitt“!

Adorno hat allen Ernstes noch Ende 1933 die Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer beantragt. Noch geraume Zeit nach der Machtübernahme versuchte er sich als Musikkritiker, etwa in einer Nazi-Musikzeitschrift vom März 1934. Er lebte in seiner eigenen Welt aus Musik und Büchern. Horkheimer machte sich ein schönes großbürgerliches Leben (in Amerika kein Familienhaus, sondern eine Villa) mit dem Stiftungskapital, das für Marxistische Studien bestimmt war. Marcuse und die anderen dienten sich dem CIA an. Nach dem Krieg machte das Institut vollkommen sinnlose, pseudowissenschaftliche „empirische Studien“ für die Großindustrie. Noch als Greise: Adornos Studenten waren schockiert über dessen devotes, infantiles Gehabe Horkheimer gegenüber.

Ich schreibe das nicht etwa, um diese traurigen Gesellen auf eine billige Weise niederzumachen, sondern weil das ganze ein bezeichnender Licht auf zweierlei wirft, was hier etwas näher ausgeführt wird: die gesamte woke „Frankfurter“ Agenda, unter der wir heute leiden, geht zweitens auf die „Frankfurter“ Enttäuschung an der Arbeiterklasse zurück. Die Bürgersöhnchen waren von den Arbeitern enttäuscht und haben stattdessen absonderliche Freaks als „Helden der Befreiung“ kreiert – die nunmehr die Arbeiterklasse terrorisieren, Marke „Klimakleber“.

Das ganze ist engstens mit LSR verknüpft, geht es doch um die Befreiung von den verinnerlichten gesellschaftlichen Normen, um die Eigenheit, um Selbstbestimmung. Das Perfide dabei ist, daß, wenn man denn etwas tiefer blickt, tatsächlich diese „Emanzipationsbewegung“ das exakte Gegenteil von LSR ist. Rousseau, der Prophet der Französischen Revolution, hatte den LaMettrie’schen Impuls auf eine ähnliche Weise umgekehrt, wie die Frankfurter Schule den Reich’schen: in woken Tugendterror. Stirner wurde zum Propheten der perversen Freaks umgelogen und zum unfreiwilligen Ahnherrn der „höheren Menschen“ im Nachklang von Nietzsche, Rudolf Steiner, Heidegger, Satre et al. Und Reich fiel in die Arme der „Reichianer“. Man denke nur an das Wilhelm Reich Museum und sein Umfeld, das neuerdings alles tut, um Reich ins „Frankfurter“ Umfeld zu verpflanzen.

Das folgende Video zeigt alles, was ich hier sagen will. Wichtig ist nicht das „schwarze Tier“, sondern ihre „Frankfurter“ Managerin!

Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 63)

7. Mai 2023

[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]

Reich kam aus einer bürgerlichen Welt. Es ist nur natürlich, daß er aus dieser verkorksten Welt, die er gerade noch als Offizier in aller Pracht erlebt hatte, zur Linken floh. Ein Milieu, in dem er den Rest seines Lebens zubrachte. Ich glaube, die einzige bedeutende Ausnahme in seiner Umgebung war Elsworth F. Baker.

Interessant, wie er sich zunehmend entfremdete: erst in Skandinavien, was er in seiner Rede an den Kleinen Mann beschreibt, dann von seiner Sekretärin Gertrud Gaasland und den ganzen SAP-Sympathisanten um Ilse Ollendorff herum Anfang der 1940er Jahre in New York. Darauf brachten ihn seine ultralinken Anwälte (insbesondere Hays) in eine unmögliche Situation gegenüber zunächst Mildred Brady und dann der FDA, was ihn endgültig zum Umdenken zwang.

Oder man denke nur an Neill. Ein bekannter, „einflußreicher“ Mann in der englischen Linken, der von einer Peinlichkeit in die andere stolperte, als er unter seinen Bekannten für Reich Werbung machte.

Der Mann (Reich) muß eigentlich ständig zu sich selbst gesagt haben: „Ich verstehe die Welt nicht mehr!“

Meines Erachtens liegt des Rätsels Lösung in den Beweggründen für Reichs fanatischen Linksradikalismus 1927-1934: endlich wirklich ernst machen mit dem Linkssein. Überhaupt das erste Mal wirklich ernst machen. Das ganze ist kläglich gescheitert, weil sich Reich falsch verortet hatte (Marx, Lenin und im Hinterkopf auch Nietzsche).

Ich glaube nicht, daß Reich von irgendeiner realen Linken noch irgendetwas hielt. Siehe seine Ablehnung gegen jene, die ihm noch am ehesten Sympathie und sogar praktische Hilfe entgegenbrachten: die englischen Anarchisten und die amerikanische Bürgerrechtsorganisation ACLU.

Stattdessen eine fiktive, bzw. eine denkmögliche Linke: eine, die beispielsweise den „Kern-Marx“ („die lebendige Arbeit“) begriffen hat. Er glaubte wohl tatsächlich Marx besser verstanden zu haben, als ein Erich Fromm und die anderen Marx-Talmudisten, die sich ihren Lebtag mit nichts anderem beschäftigt hatten. (Ähnlich mit den Freudianern.) Es wäre auch irgendwie peinlich gewesen, wenn ausgerechnet der Ultra-Leninist Reich von 1928-1934 sich theoretisch von Marx abgewandt hätte.

Reichs „linke Gesprächspartner“ waren die toten Klassiker. Seine Adressaten waren zukünftige Generationen. Aber ich glaube nicht, daß er auch nur ansatzweise glaubte, Linke müßten die Konsequenzen, die er aus dem Scheitern der Linken gezogen hat, besser nach- und mitvollziehen können als andere.

Bezeichnend ist doch etwa die Auseinandersetzung mit Theodore P. Wolfe und Gladys Meyer über Pfaffen: Reich hat den Gedanken ventiliert, ausgerechnet in dieser Gruppe vielleicht Verständnis zu finden. Und nicht von ungefähr kommt die Tradition, die nach 9/11 selbst James DeMeo angesteckt hatte, bei der amerikanischen Rechten nach Resonanz für die Orgonomie zu suchen. Die Konservativen hätten ihre Seele noch nicht dem Teufel übereignet. Ausgerechnet sie glauben noch an die Zukunft. Man denke nur an den Greis Reagan, der voller jugendlichem Elan war.

Imgrunde geht es doch darum, daß die Linke seit Jahr und Tag zynisch, sarkastisch und voll von Verachtung ist. Erstaunlich miefig, defätistisch, depressiv und pestig aufgrund von Verwesung. Verliebt in den Untergang (a la Extinction Rebellion) und ins Obskure und Perverse (etwa Transgender). Imgrunde verkörpern sie jene blasierte, dem Untergang geweihte Welt, aus der Reich einst geflohen war. Es gibt nichts Traurigeres als einen Altlinken: die größten Arschlöcher, die miefigsten Launebremsen sind „alternde, impotente linke Sozialpädagogen“.

Ich persönlich hasse sie aber aus einem ganz anderen Grunde: IHR Produkt begegnet mir tagtäglich auf der Straße, diese außerirdischen Wesen, diese „Kinder der Zukunft“ der 68er. Und schaue ich zurück, finde ich bei Stirner Trost, nicht bei Marx, bei LaMettrie und nicht bei Rousseau.

Ich muß gerade daran denken, ob nicht Reichs Denken eine radikale, fast schon „Leibnizsche“, Absage an jede Form von Utopismus (= der Suche nach einer besseren Welt) ist, „an sich“: „Arbeitsdemokratie“ und „Kinder der Zukunft“ als Verkörperungen der dynamischen Kraft des Faktischen. Beides im Sinne der „Nichteinmischung“ – da alles perfekt ist, so wie es ist – bzw. ohne das ständige Einmischen es wäre.

[Jan Hendrik van den Berg] Lektüren 1981 (nach alten handschriftlichen Aufzeichnungen)

5. Mai 2023

[Jan Hendrik van den Berg] Lektüren 1981 (nach alten handschriftlichen Aufzeichnungen)

Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 62)

1. Mai 2023

[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]

Der amerikanische Philosoph Eric Hoffer, den ich hier nach Charles Konias Clueless (S. 246) zitiere, schreibt etwas über die junge Generation, das man so auch auf das innige Verhältnis von Konservatismus und Stirners Anthropologie anwenden kann:

Menschen, die [wie es „woke“ Linke tun] ihr Leben als unheilbar verdorben betrachten, können in der Selbstverwirklichung kein lohnendes Ziel finden. Die Aussicht auf eine individuelle Karriere kann sie nicht zu einer gewaltigen Anstrengung bewegen, noch kann sie in ihnen Glauben und hingebungsvolle Zielstrebigkeit hervorrufen. Sie betrachten das Eigeninteresse als etwas, das mit dem Bösen behaftet ist, als etwas Unreines und Unglückliches. Alles, was unter der Schirmherrschaft des Egoismus unternommen wird, scheint ihnen zum Scheitern verurteilt. Nichts, was seine Wurzeln und Gründe in der eigenen Person hat, kann edel und gut sein. Ihr innerstes Verlangen ist das nach einem neuen Leben – einer Wiedergeburt – oder, falls dies nicht möglich ist, nach einer Chance, durch die Identifikation mit einer heiligen Sache neue Elemente des Stolzes, der Zuversicht, der Hoffnung, der Sinnhaftigkeit und des eigenen Wertes zu erlangen. Eine aktive Massenbewegung bietet ihnen Möglichkeiten für beides. Wenn sie sich der Bewegung als vollständige Konvertiten anschließen, werden sie in einem neuen Leben in ihrem eng verbundenen kollektiven Körper wiedergeboren, oder wenn sie sich zu Sympathisanten hingezogen fühlen, finden sie Elemente des Stolzes, der Zuversicht und des Ziels, indem sie sich mit den Bemühungen, Errungenschaften und Aussichten der Bewegung identifizieren.

Den Enttäuschten bietet eine Massenbewegung entweder Ersatz für ihr ganzes Selbst oder für die Elemente, die das Leben erträglich machen und die sie aus ihren individuellen Ressourcen nicht hervorbringen können.

Der Erfolg des Westens im allgemeinen und des Kapitalismus im besonderen beruht darauf, daß Menschen ihre Sache auf nichts gestellt haben. Durch bloße Initiative erschaffen sie sich, nach dem Vorbilde Gottes, aus dem Nichts ( = voraussetzungslos, im Sinne von spontan, nicht-mechanisch!). Man hat eine Geschäftsidee und verwirklicht sie, ohne seine Gedanken über den Zustand dieser Welt zu verschwenden. Das beste Beispiel ist Reich selbst, der eine „Gesellschaft“ nach der anderen aus dem Boden gestampft hat. Oder wie der Rocksänger Sammy Hagar nach seinem Rauswurf bei Van Hallen einmal in einem Interview sagte: „Setz mich nackt irgendwo in der Wüste Arizonas aus. Nach zwei Jahren werde ich in einem Ferrari zurückkehren.“

Elsworth F. Baker hat gezeigt, daß der Konservative der Vater-Imago („Gott“) nacheifert, während der Linke dagegen rebelliert, gegen die „Ungerechtigkeit“ protestiert und in der Jauche der Jammerei versinkt. Kein Wunder, daß Stirner als „Urvater des Faschismus“ „entlarvt“ wurde… (Ich verweise wieder auf The Omega Man aus Teil 53!)

Nochmal: „seine Sache auf nichts bauen“. Die Erschaffung der Welt aus dem Nichts, ist keine naturphilosophische oder gar „physikalische“ Aussagen, sondern hat eine theologische Bedeutung: Gott handelt spontan, „selbstherrlich“. Gott (und damit sein in seiner Natur mit ihm identische Sohn Christus) wird von Anfang an so definiert, daß nichts über ihm steht, das ihn zu irgendetwas veranlassen könnte. Gewisserweise ist Gott bzw. Christus als „über-ich-frei“ (ungepanzert) definiert, d.h. als spontan agierend.

Wenn man aus dieser Sichtweise Stirners Der Einzige und sein Eigentum, insbesondere aber seine Parerga, Kritiken, Repliken liest, wird offensichtlich, warum Reich Stirners Hauptwerk in die Bibliographie am Ende seines Werkes aufgenommen hat. Der „Einzige“ (sic!) ist der ideale genitale Charakter, der, frei nach Elsworth F. Baker, im realen Leben dem konservativen Charakter noch am nächsten kommt.

Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 61)

28. April 2023

[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]

Es ist wie beim Betrachten eines Gemäldes: wenn man den Kopf erst zu jener Seite, dann zu dieser Seite neigt und es unter unterschiedlichen Lichtverhältnissen betrachtet, und die Augen Zusammenkneift, damit jede verwirrende und bedeutungslose Einzelheit verschwimmt, kann man einen logischen Sinn im anfangs Sinnlosen zumindest erahnen. Genauso muß man vorgehen, wenn man bei Reich, oder jeder beliebigen Entsprechung, Stirner oder allgemein „LSR“ ausmachen will.

In American Odyssey setzt Reich bereits 1940 Arbeitsdemokratie mit Individualismus gleich. Schreibt er doch (S. 9) an den linken Schweizer Mitstreiter Fritz Brupbacher:

Trotz des massiven Unglücks, das alle unsere Hoffnungen beeinträchtigt hat, ist hier und da ein Kern von Gedanken und Lebensweisen erhalten geblieben, der sich in Zukunft als wertvoll erweisen könnten. Sie haben sicher recht, wenn Sie sagen, daß die Enttäuschung über alle möglichen Parteien und Führungspersönlichkeiten viel zu groß ist, als daß ein vernünftiges Handeln nach traditionellen Grundsätzen denkbar wäre. Dennoch bleibe ich persönlich optimistisch. Was Sie als neuen Individualismus bezeichnen, habe ich, glaube ich, meinerseits einfach unter dem Begriff „Arbeitsdemokratie“ formuliert.

Interessant ist, daß Reich 1940, als er noch ein Linker und ein starker Befürworter der Roosevelt-Administration war, Arbeitsdemokratie mit Individualismus gleichsetzt. Aber was genau war Brupbachers „neuer Individualismus“?

Wie alle Nonkonformisten ist auch Brupbacher schwer einzureihen und zu etikettieren. Bei den Sozialdemokraten galt er als antisozialistischer Anarchist, bei den Kommunisten als kleinbürgerlicher Individualist, die Historiker verwenden für seinesgleichen verschiedene, gegeneinander nicht genau abgegrenzte Begriffe wie Anarchosozialist, Anarchosyndikalist oder libertärer Sozialist. Diese Schwierigkeit der Klassifizierung mag für Lexika und andere Nachschlagewerke ein Nachteil sein, die Kehrseite davon ist jedoch die andauernde Aktualität vieles dessen, was Brupbacher gedacht und getan hat. https://www.birsfaelder.li/wp/politik/fritz-brupbacher-revolutionaer-zwischen-allen-stuehlen-2/

Dies ist wichtig, da Leute wie Philip Bennett Reichs frühe Formulierungen zur Arbeitsdemokratie mit dem kollektivistischen „Rätekommunismus“ gleichsetzen.

Genauso ist es mit dem „Kommunisten“ Reich bestellt. Wenn ich mir den „Stalinistischen“ Haufen der KPÖler Ende der 1920er Jahre so anschaue: „funktionell betrachtet“ waren die SPÖler (wie etwa der Freud-Intimus Paul Federn oder der Rassehygeniker Julius Tandler) die Stalinisten, die verächtlich auf das anarchische Lumpenproletariat hinabblickten, die ihre „eigene“ Sache machen (siehe Der Rote Faden).

Nehmen wir auf der anderen Seite des politischen Spektrums einen Libertären wie Gerard Radnitzky, der einerseits Erhard, Thatcher, Reagan und Richardson über den Klee lobte – andererseits aber ein derartiger wüteriger „Staatsfeind“ war, daß die linken „Progressiven“ sich dagegen wie Gartenzwerge mit roten Zipfelmützen ausnahmen. Na gut, daß ist immer noch nicht „LSR“ (innerlich radikal frei), aber …. immerhin der Schutz des Individuums (äußerlich radikal frei).

Wenn Leute wie Radnitzky, die allenfalls in „rechten“ Medien veröffentlichen können, z.B. hervorheben, daß bloße Mitbestimmung (das Leitwort der Linken) etwas ganz anderes ist als Selbstbestimmung (das Leitwort der Rechten), und daß Selbstbestimmung nur im Rahmen eines freien Marktes möglich ist, ja, dann ist das immerhin „Stirnerianismus“. (Man beachte die Anführungszeichen.)

Man muß halt auch sehen, daß jener „Konservatismus“, der sich seit den 1940er Jahren organisierte, deutlich libertäre und „Stirnerianische“ Züge trug. Oder daß etwa Friedrich von Hayek geradezu ein „Leninistisches“ Umerziehungsmodell vertrat: „konservativ“ Rücksicht auf die Traditionen nehmen (deren ganze Sinnhaftigkeit dem Einzelnen sowieso unerschließbar ist) und ihren rationalen Kern herauspräparieren, um in ferner Zukunft den Staat und allen „Über-Ich-Zwang“ beseitigen zu können. (Wobei ich mir bewußt bin, daß Hayek ständig auf Marx und Freud [immer als Paar!] einschlug und dabei den „Freudo-Marxisten“ Reich meinte.)

Genauso war auch jener „Wiener Kommunismus“ in vieler Hinsicht ein geradezu „libertärer“ Aufstand gegen ein kleinbürgerlich-proletarisches Rotes Wien, das geradezu „volksdemokratisch“ eng war. (Und das Reich so ähnlich im sozialdemokratischen Skandinavien wieder vorfand – und sehr schnell mit „Faschismus“ gleichsetzte, spätestens nach der Zeitungskampagne der weitgehend sozialdemokratischen Presse gegen ihn.)