In vieler Hinsicht ist die Orgonomie mit Reich gestorben. Er hatte wohl immer wieder Mitarbeiter, etwa Biologen, die ihr Fachwissen einbrachten, doch imgrunde wurde die Orgonforschung von ihm allein getragen. Der einzige Bereich seiner Tätigkeit, der sich selbst trug und den er Ende der 1940er/Anfang der 1950er Jahre selbst weitgehend an andere abgetreten hatte, war die Orgontherapie. Er machte seinen Schüler Elsworth F. Baker, Psychiater und ausgebildeter Psychoanalytiker, für diesen Bereich zuständig. Beispielsweise war es Baker, der so etwas wie der „Familienpsychiater“ der Familie Reich war und zu Reichs Lebzeiten die Zeitschrift Medical Orgonomy herausbrachte. Nach Reichs Tod behauptete Baker, Reich habe ihm bei ihrem letzten Treffen vor seinem Gefängnisaufenthalt gesagt, daß er sich von allen anderen Orgonomen distanzieren solle und zusammen mit neu von ihm ausgebildeten Therapeuten die Orgonomie neu aufbauen sollte. Das ist glaubhaft, weil Reich zuvor ähnlich gehandelt hatte, etwa nach seinem Rauswurf aus der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung 1934, nach dem Scheitern der Sexpol 1936, seinem Fortgehen aus Skandinavien 1939 und den Belastungen, die mit der Pressekampagne, den Auseinandersetzungen mit der Gesundheitsbehörde und dem ORANUR-Experiment (1951) nach 1947 aufbrachen und die Orgonomie bereits vor seinem Tod grundlegend umformte.
Es kam, wie es kommen mußte: zu einem unheilbaren Bruch zwischen Baker und der überwiegenden Mehrheit von Reichs anderen Mitarbeitern. Ein Faktor war auch, daß, bis auf Michael Silvert, Baker der einzige Schüler Reichs war, der von Anfang an ein Konservativer war, während alle anderen mehr oder weniger linksliberal eingestellt waren und sich nur anpaßten, als Reich beispielsweise verkündete, daß „die Orgonomie“ Eisenhower bei seiner Wahl unterstütze. 1967 brachte Baker ein Buch heraus, Der Mensch in der Falle, in der er die drei Tabus einer gepanzerten Gesellschaft anging: Sexualität, Religion und Politik. In den ersten beiden Bereichen bestand von jeher Konsens unter Reichs Anhängern, aber Baker machte sich daran, Reichs entsprechenden Ausführungen aus den 1950er Jahren über Liberale (im amerikanischen Sinne, also Linke) und Konservative zu systematisieren. Die Kernaussage war, daß eine erfolgreiche Orgontherapie die Patienten konservativer machen würde. Wenn sie mehr in Kontakt zu ihrem „bioenergetischen Kern“ kommen, beginnen sie sich mit „dem Eigenen“ zu identifizieren, statt mit haltlosen „humanistischen“ Ideologien.
Derartige Ideen formulierten Baker und seine Schüler genau zu jener Zeit, als Amerika in Aufruhr geriet und die gesamte Kultur sich dramatisch nach links verlagerte, wobei neben Herbert Marcuse auch „Wilhelm Reich“ eine nicht unbedeutende Rolle spielte. Zur gleichen Zeit bildete sich eine neue therapeutische Kultur heraus (Esalen, Encounter Groups, die Urschrei-Therapie, Reichs Schüler Alexander Lowen und seine „Bioenergetik“ wurden ungemein populär, etc.), als Baker streng darauf beharrte, daß ausschließlich voll ausgebildete und von den Fachverbänden anerkannte Psychiater Orgontherapeuten sein konnten. Baker war so etwas wie der ultimative Spielverderber.
In seinen letzten Jahren hatte Reich mit einer therapeutischen Herangehensweise experimentiert, bei der er sehr schnell mit der Auflösung des Körperpanzers voranschritt in der Hoffnung, daß sich die damit erreichten Ansätze von Genitalität im Laufe der Zeit selbst konsolidieren würden. Baker beharrte weiter auf dem „traditionellen“ Ansatz, bei dem mehr Nachdruck auf die Charakteranalyse gelegt wurde und Zeit keine Rolle spielen durfte. Auch stellte sich im Laufe der Zeit heraus, daß gerad der heutige Mensch, d.h. der Mensch in der antiautoritären Gesellschaft mehr Charakteranalyse benötigt.
Ein weiterer Faktor der Spaltung war der Orgonenergie-Akkumulator. In seinem Buch Der Mensch in der Falle hatte er sorgsam jede Erwähnung des Akkumulators vermieden und auch in dem seit 1968 erscheinenden Nachfolgeorgan von Medical Orgonomy, der Zeitschrift Journal of Orgonomy wird der Akkumulator ausschließlich in Zusammenhang mit Tierexperimenten und physikalischen Messungen erwähnt. Das mußte wie der ultimative Verrat an Reich erscheinen, zumal Baker bereits zu Reichs Lebzeiten ganz und gar nicht einverstanden war, wie Reich mit den Gesundheitsbehörden umging. Reich wollte offensiv für sein Recht kämpfen Menschen mit dem Akkumulator zu helfen, während Baker dafür plädierte, alles den Rechtsanwälten zu überlassen. Nach Reichs Tod schrieb Baker der FDA, daß er nichts mit dem Akkumulator zu tun habe und auch nichts zu tun haben wolle. Das hat einen zweifachen Hintergrund: erstens Angst, daß den heutigen Orgonomen das gleiche widerfahren könnte wie Reich selbst und zweitens ist da die berechtigte Angst vor den Berufsverbänden und Versicherern mit horrenden Regreßforderungen und einem effektiven Berufsverbot. In Europa besteht dieses Problem zum Glück nicht in diesem Ausmaß.
Hier zeichnet sich auch das eigentliche Problem der heutigen Orgonomie ab: Psychiater sind in den USA dermaßen in ein System aus überbordender Bürokratie und einem Berufsbild eingespannt, das sich ausschließlich um „Gehirnchemie“, das Verabreichen von Psychopharmaka und das „Management“ des Falles erschöpft (d.h. die Zuweisung an Neurologen, Internisten, etc. und vor allem an neuerdings weitgehend nichtmedizinische Psychotherapeuten), daß das Berufsbild des klassischen Psychiaters, der sich zum Orgonom fortbilden kann, zunehmend verschwindet. Es fehlt schlicht der Nachwuchs. Andererseits wäre es ziemlich absurd Nichtmediziner als Körpertherapeuten auszubilden und Nichtpsychiater angesichts einer Bevölkerung auszubilden, die zunehmend psychiatrisch auffällig ist („Frühstörungen“, Substanzmißbrauch, zerrüttete Familien, etc.).
Um was es hier zentral geht, kann man sich am Beispiel Alexander Lowens, dem Begründer der „Bioenergetik“ vergegenwärtigen. Er war einer der ersten Schüler Reichs in Amerika, aber leider nur Rechtsanwalt und Gymnastiklehrer. Deshalb wurde er von Reich aufgefordert Medizin zu studieren, wenn er wirklich als Therapeut arbeiten wolle. Dies tat Lowen dann auch unter großen persönlichen Opfern in der damals noch billigen Schweiz. Als er nach seiner Rückkehr nach Amerika aber auch noch Psychiater werden sollte, verließ er die Orgonomie unter dem Vorwand sie sei zu „kultisch“ geworden. Die Krankheitslehre, die er dann aber in einer Reihe von Büchern ausbreitete, zeigte genau das: den eklatanten Mangel an psychiatrischen Kenntnissen, so daß sein System geradezu gemeingefährlich ist, auf jeden Fall aber Verwirrung stiftet.
Schlagwörter: Alexander Lowen, Bioenergetik, Encounter Groups, Esalen, Frühstörungen, Gehirnchemie, Körpertherapie, Konservativ, Konservative, linksliberal, Orgontherapie, Politik, Psychiater, Psychoanalytiker, Psychopharmaka, Religion, Sexualität, Substanzmißbrauch, Urschrei-Therapie, Wilhelm Reich, zerrüttete Familien
3. Januar 2017 um 06:34 |
Ich persönlich halte das ACO etwas „über der Zeit“ d.h.mMn in tlw. starren Dogmatismus verfallen. Jedoch muss man dieser Organisation einiges zu Gute halten.
a.) sie ist in meiner Wahrnehmung die einzige orgonomische Organsiation die die ursprüngliche Orgonomie bewahrt hat und dafür Sorge trägt, dass sie ihren Auftrag gut ausübt mit der sie mehr oder weniger von W.R. beauftragt wurde.
b.) sie stellt sicher das nur kompetente Personen Zugang dazu erlangen und die Orgonomie auch beruflich umsetzen (Stichwort Lowen) ohne Patienten mit Pseudotherapien und Ausbildungen zu belästigen bzw. sogar zu schädigen.
c.) sie betreibt mehr doer weniger noch eine Art von orgonomischer Forschung. Eine solche findet m.E. nur mehr sehr begrenzt und von Einzelpersonen durchgeführt statt. Die eingeschränkten personellen und finanziellen Mitteln (plus Streitigkeiten mit Gegenorganisationen („Lassek-Company“ und Konsorten)) zeigen leider eindeutige Grenzen auf. A propos: Was ist eigentlich aus dem angedachtem Konzept einer Finanzierungsstruktur ebd. geworden Peter nasselstein? Es wird ja so etwas angedacht – leider seit jahren nur angedacht (bin mir der Schwierigkeit der Umsetzung durchaus bewusst – aber gibt es was neues?).
Allerdings sehe ich zumindest einige Kritikpunkte:
a.) die Anbiederei des ACO bei beinahe jedweden Republikaner (weil Reich mal die Republikaner für wählbar hielt) ist zwar dezent peinlich aber das vehemente Verteidigen von Konzernen und eines Geldadels (wie war das noch mit der Großmutter von W.R. und leistungslosem Einkommen mittels Dividenden…?) ist in meiner Wahrnehmung nur mehr eine groteske griechische Tragödie. Manche mögen dies anders sehen.
b.) Wo ist beim ACO eine Arbeitsdemokratie zu finden? Soweit ich das sehe ist Konia ein greiser Alleinherrscher der vorgibt was orgonomisch ist und was nicht.
c.) Dialektik. Jede Form von der Linie abweichenden Meinungsäußerung wird per sofort mit dem Stempel der „EP“ versehen und damit automatisch aus der Debatte gezogen/verdrängt. Das sieht man deutlich bei tlw. abenteuerlichen „Diagnosen“ von Politikern durch Konia – Bush gut; Putin mies. Obama (ein übler Geselle zugegeben!! Ein txpischer Erschaffer von Sozialdrohnen und Zerstörer des Unternehmertums!) ein emotioneller Pestcharakter. Donald Trump (notorischer Pleitegeier, Protege der NRA und diverser Fundi-Sekten; Totengräber der blue-collar Schicht in den USA) ist dafür wieder super. Ehrlich? So ganz kann ich das nicht nachvollziehen aber ich bin auch gepanzert. Von den schrägen, ERLAUBTEN Verschwörungstheorien sehe ich jetzt mal von einer Beschreibung ab.
Trotzdem: eine Organisation wie das ACO bleibt dennoch für die Menschheit einer der letzten Überlebenschancen. Aber eventuell muss Konia mal abtreten und der nächsten Generation das Zepter in die hand drücken (sofern es überhaupt eine gibt die noch arbeitsfähig ist und noch nicht im Rollstuhl rumgurkt); desweiteren ist DRINGEND erforderlich eine ordentliche Finanzierungsstruktur aufzubauen (eine WRG bekommt auch ihre Kohle zusammen; reicht sogar um bei einem Film mitzuwirken); es ist beschämend das dies bis auf dem heutigen Tag noch nicht ermöglicht wurde. Man sollte auch über die Verlegung der ACO nach Europa nachdenken (die Schweiz oder noch besser Island (warum werde ich andersmal erläutern) wären gut geeignet; vielleicht sogar die BRD/Österreich wo die Orgonomie quasi ihren Ausgangspunkt hatte) – durch das Verbot mit orgonomischer technologie zu experimentieren wird die entsprechende Forschung künstlich massiv gebremst. Dieser Zustand ist nicht länger haltbar. Es sind Massnahmen zu treffen anstatt sich in ständiger Wiederholung von Blogeinträgen in einer Endlossschleife oder der n-ten Verherrlichung von sinnfreien Parteien (AfD) und Personen (Broder,..) Zeit zu vergeuden. Da dieser Blog lt. eigener Darstellung sich als DAS einzige legitime Sprachrohr der Orgonomie im deutschsprachigen Raum versteht sollte es auch entsprechend handeln. Scharfe Kritik aber wie ich Peter Nasselstein richtig einschätze wird er gut darauf reagieren (frei von zynismus dieses Kommentar).
3. Januar 2017 um 20:18 |
„für die Menschheit einer der letzten Überlebenschancen“
Ist so eine Formulierung nicht größtenteils irre? Ein paar Nervenärzte in den USA sollen die Menschheit retten. Wovor? Vor orgastischer Impotenz?
4. Januar 2017 um 06:15 |
Nein wenn man es mit der Bedrohung durch DOR und Aliens abgleicht ist diese durchaus real und sicher auch irre. Es sei denn das ganze ist eh nicht so wild und man kann es dann gleich wieder vergessen. Dies würde im Umkehrschluß jedoch implizieren, dass ein Gutteil des Theoriegebäudes der Orgonomie zusammenfällt. Von orgastischer Impotenz schrieb ich ja nicht – habe aber vergessen den Schwerpunkt meines Kommentares auf das Bedrohungsszenario durch die o.g. Fakten (?) zu lenken. Mein Fehler. Ändert aber nichts am Inhalt meiner berechtigten Kritik wie ich das sehe.
4. Januar 2017 um 06:16 |
nachtrag: im hinblick auf das Projekt kinder der Zukunft wird das ganze um einige Dimensionen größer und wesentlicher.
3. Januar 2017 um 18:26 |
Baker hat den DOR-Buster erwähnt und daß er ihn benutzt. Es heißt „Sobey“, Rothenberg war auf Orgonon wurde aber von Baker ausgebildet und hat sich dann später von ihm getrennt. Es war „Sean Haldane“. Jeder kann tun und lassen, was er will. Jeder kann von sich behaupten, was er will. Wer sollte etwas dagegen tun? Er sollte aber keine Anerkennung erwarten und auch keine „Werbung“ für seine Aktivitäten.
3. Januar 2017 um 20:16 |
Ist etwa Rothenburg gleich Haldane oder wie kann der Außenstehende das verstehen?
3. Januar 2017 um 21:04 |
Rothenberg war zu Reichs Zeiten ein Student, der in den Sommermonaten auf Orgonon im Labor gearbeitet hat. Nach Reichs Tod war er einer der ersten neuen Orgonomen, die von Baker ausgebildet wurden. Er hat auch im Journal of Orgonomy veröffentlicht, sich dann aber von Baker getrennt und hat allein im Nordwesten der USA gearbeitet. Später wurde er bekannt, weil er an Spocks Babybuch mitarbeitete, dessen Einfluß auf die amerikanische Gesellschaft gar nicht überschätzt werden kann: https://www.amazon.com/Dr-Spocks-Baby-Child-Care/dp/B01K3H6JCM/
Haldane, ich weiß gar nicht was ausgerechnet der groß mit Orgontherapie zu tun haben soll. Ich habe sein Buch Pulsation einem Orgonomen gezeigt. Sein Kommentar: diese „Therapie“ ist keine Bedrohung für den Panzer.
4. Januar 2017 um 00:58 |
Welcher Schluss müsste jemand nun ziehen?
Option 1: Die Möglichkeit zu einem Neubeginn ohne Bezug auf bisherige Strukturen/ Organisationen erhöhen.
Option 2: nichts tun, bevor man scheitert.
Bei Option 1 wird man immer an die Grenzen menschlicher Charakterstruktur kommen und deren Gruppendynamik …