Reichs Schüler Elsworth F. Baker hat zwischen dem liberalen und dem konservativem Charakter unterschieden und damit die gesellschaftliche Dynamik erklärt. Der Liberale ist von intellektueller Abwehr bestimmt, der Konservative von muskulärer. Worum es geht, zeigt sich in folgendem Interview mit amerikanischen Konservativen, die den konservativen Osten Oregons mit dem weitgehend konservativen Idaho vereinigen wollen, um sich so von der „liberalen Westküste“ zu befreien. Ein vollkommen legitimes, zutiefst demokratisches Verlagen. Es ist egal, ob man das Amerikanisch im Video versteht oder nicht. Was wichtig ist, ist die simple „Körperlichkeit“ der konservativen Aktivisten und das verächtliche, selbstgefällige, herablassende Getue des pseudointellektuellen Interviewers. Am besten den Ton ausschalten:
Das illustriert Bakers grundlegenden Beitrag zur Orgonomie perfekt. Das Problem, das ich mit Baker habe, ist – Reich und Konsorten. Baker war das, was man heute einen „Paläokonservativen“ nennt, d.h. ein isolationistischer Mensch, der am Bewährten festhält, eben weil es sich bewährt hat, und ansonsten mit der Außenwelt so wenig zu tun haben will, wie nur irgend möglich. Sprachrohr dieser erzkonservativen Amerikaner war Anfang der 1950er Jahre Senator und Präsidentschaftskandidat Robert A. Taft, der zuvor gegen den Kriegseintritt der USA im Zweiten Weltkrieg war und auch, obwohl beinharter Antikommunist, gegen den Kalten Krieg und die NATO. Die USA sollten sich auf ihre eigene Hemisphäre konzentrieren und ansonsten die Welt sich selbst überlassen. Statt ihm wurde 1953 Eisenhower zum Präsidenten der USA gewählt. Reich war begeistert, während Baker mißmutig der Kolonne folgte.
Eisenhower führte ungebrochen Trumans Politik der „Eindämmung“ und des weltweiten militärischen Engagements Amerikas fort, die bis heute anhält. Baker und insbesondere sein Schüler Paul Mathews untermauerten diese (heute so bezeichnete) „neo-konservative“ Außenpolitik mit orgonomischer Theorie. Ich frage mich dabei jedoch zusehends, ob hier nicht ein eklatanter Verrat an der Bakerschen Grundeinsicht über die oben skizzierte soziopolitische Charakterdynamik vorliegt, denn… All diese geostrategischen Überlegungen hinsichtlich etwa des Irak, des Irans, der Ukraine, etc. sind vollkommen losgelöst vom Alltagsleben des einfachen Amerikaners, der diese Länder nicht mal ansatzweise auf einer Landkarte lokalisieren könnte, und dem diese ganzen Verwicklungen letztendlich nur schaden.
Um was es geht, wird deutlicher, wenn wir den Beitrag von Bakers Schüler Charles Konia zur sozialen Orgonomie betrachten: die um das Jahr 1960 erfolgte Transformation von der autoritären Gesellschaft, wie Reich sie analysiert hatte, zur vollkommen andersgearteten antiautoritären Gesellschaft, in der wir heute leben. Der Hauptunterschied ist der Fokus von Autorität: in der autoritären Gesellschaft war sie lokal (der Vater und Vaterfiguren), während in der antiautoritären Gesellschaft diese lokalen Autoritäten systematisch der Lächerlichkeit preisgegeben und durch die staatliche Autorität ersetzt werden. Man schaue sich etwa die Politik der pestilenten Organisation SPD an: von der Krippe bis zur Bahre staatliche Kontrolle bis in dein Denken und Fühlen hinein bei einem gleichzeitigen antiautoritären („antifaschistischen“) Impetus. Oder wie mir am Montag die Antifa mit haßverzerrten Gesichtern entgegen schrie: „Eure Kinder werden wie wir!“
Hervorragende Analyse durch Konia, doch auf internationaler Ebene tritt er weiterhin für ein offensives Eintreten der USA, etwa in Syrien oder im Ukraine-Konflikt, ein. Doch was bitte sehr geht die USA ausgerechnet Syrien an? Um den „Tyrannen“ Assad zu bekämpfen, muß man mit sunnitischen „Befreiungsorganisationen“ kooperieren, die sich in nichts von ISIS unterscheiden, und Kurdenverbände bekämpfen, die für nichts anderes einstehen als das Selbstbestimmungsrecht ihres Volkes. Amerika kann nur seine eigenen Prinzipien verraten und seiner Seele verlustig werden, wenn es sich in eine Sache einmischt, die nicht seine Sache ist! Lokale Autoritäten sollen ihre lokalen Konflikte gefälligst selbst ausfechten! Jede „internationale“ Einflußnahme kann nur zu Chaos führen, das in logischer Konsequenz im kommunistischen Weltstaat münden wird.
Übrigens, wenn man wirklich alles liest und genauer hinschaut, merkt man, genau wie zuvor bei Baker, daß Konia im Grunde seiner Seele nicht mit dem neo-konservativen Projekt übereinstimmt, etwa wenn er über den „arabischen Frühling“ schreibt:
Die biologisch bedingten Einschränkungen der Menschen, die sich aus der individuellen und sozialen Panzerung ergeben, zu erkennen, und die starren gesellschaftlichen Bedingungen zu verstehen, die sie daran hindern ihr Leben zu regeln und im Alltag frei und verantwortungsbewußt zu handeln, macht verständlich, warum alle Bewegungen des Arabischen Frühlings zwangsläufig scheitern mußten. Die Versuche Amerikas, die durch ihre Stammesstruktur gesellschaftlich rückständigen Länder Afghanistan und Irak zu „befreien“, zeigen die tragischen Folgen, wenn man dieser grundlegenden biosozialen Realitäten nicht gewahr ist. (Clueless, S. 118)
Die folgende Diskussion, die mich an die Gespräche zwischen Linken in den 1970er Jahren erinnert, ist ein schönes Beispiel, wie man sich heillos in verwirrenden Auseinandersetzungen über das verfangen kann, was links und rechts und politisch praktikabel und so weiter ist. Es nimmt kein Ende bzw. am Ende ist man nur verpeilter als am Anfang. Elsworth F. Baker hat mit einem Hieb, diesen Gordischen Knoten durchtrennt!
[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]
In einer Vorbemerkung zur Neuherausgabe von Russel Kirk: The Conservative Mind. From Burke to Eliot, Washington, D.C.: Regnery Publishing, Inc., 1995 schreibt der Verleger:
Die Wirkung von The Conservative Mind, als es 1953 zum ersten Mal erschien, ist heute kaum noch vorstellbar. Nach der langen Vorherrschaft des Liberalismus mit seiner Verherrlichung des „kleinen Mannes“, seinem Glauben an mechanistische politische Lösungen für alle menschlichen Probleme, seiner Ablehnung der tragischen und heroischen Aspekte des Lebens und der nicht gerade inspirierenden Prosa, in der seine Ideen gewöhnlich zu Papier gebracht werden, nach all dem, ich wiederhole, wirkten folgende Gefühlsäußerungen wie Regen nach einer langen Dürre: „die ungekaufte Gnade des Lebens“, die „ewige Kette des Rechts und der Pflicht, die Großes und Verborgenes, Lebendes und Totes verbindet“, eine Auffassung von Politik als „die Kunst, die Gerechtigkeit, die über der Natur steht, zu begreifen und anzuwenden“. (S. vi)
Das Buch wurde allgemein enthusiastisch aufgenommen, mit ein paar Ausnahmen.
Vor allem die eingefleischten Liberalen in der Wissenschaft waren nicht bereit, Kirk irgendetwas zuzugestehen. [Der bekannte Freud-Biograph] Peter Gay von der Columbia University beendete beispielsweise seine Rezension im Political Science Quarterly (Dezember 1953) mit der Feststellung: „Indem er versucht hat, Lionel Trillings Position zu widerlegen (daß amerikanische Konservative keine Philosophie haben und sich nur ‚in Aktionen oder reizbaren mentalen Gesten‘ ausdrücken), hat Kirk sie nur bestätigt.“ (S. viii).
Das ganze wird erhellend, wenn man an Reichs „Angriff“ auf den „kleinen Mann“ und seine Prosa denkt – und die Verachtung, die Peter Gay dem Autor Kirk entgegenbringt. Sicherlich liegt hier, in Gays „liberaler“ Grundhaltung, einer der Gründe dafür, daß er Reich so auffällig in seiner Freud-Biographie übergeht. Reich war ihm wohl einfach „zu dumm“ und „un-Freudianisch“ – ich verweise zurück auf Teil 23.
Betrachten wir einen mitteleuropäischen Konservativen, den Habsburg-Fan Erik Kuehnelt-Leddihn. Das besondere an ihm ist, daß er den durch und durch faschistischen Charakter der liberalen Demokratie bloßlegt. Etwa die genauso hoch-demokratische wie viehische Vertreibung der Sudetendeutschen (und der überlebenden deutschsprachigen Juden!). Auch auf kleinster Ebene: etwa das, was man hochbegabten oder spezialbegabten Kindern antut. – Bis ins äußerste zuendegedacht landet man mit Erik Kuehnelt-Leddihn wohl nicht gerade bei Stirner, aber doch bei einer Art „Stirnerianismus“.
Alles wird von den Demokraten, dieser Bande von Kleinen Männern, plattgemacht und eingeebnet. Hitler hat in der Rede über Abessinien, die Reich so gefiel, ja auch manches an den Demokratien bloßgelegt. Aber dem anti-völkischen Erik Kuehnelt-Leddihn zufolge war Hitler auch nur ein gottverfluchter Demokrat. Kuehnelt-Leddihns bringt nur abgrundtiefe Verachtung für alle Kollektivisten von Links bis „Rechts“ auf – für den „modernen Menschen, diesem Kollektivknirps“. „Daher auch das laute Geschwätz von ‚Pluralismus‘: man redet immer über das, was man nicht hat“ (Kuehnelt-Leddihn: Austria Infelix, Wien 1983, S. 80).
Ich habe mich in Kuehnelt-Leddihn verliebt. Zum Beispiel Sätze wie: „Wenn heute der Mann auf der Straße eine Meinung äußern soll, weiß man sofort, welche Klischees er von sich geben wird. Ideen, Gedanken, ja selbst Gefühle werden dem Auge und dem Ohr in kleinster Auswahl von der Stange als Intellektualkonfektion geliefert … und selten kritisch geprüft“ (ebd., S. 15). Sowas paßt sowas von gut zu Stirner. Doch „Reichianer“ werden nur die Nase rümpfen, weil Kuehnelt-Leddihn gegen Abtreibung war oder etwa für Rhodesien – merken aber gar nicht, daß sie genau so funktionieren, wie der besagte „Mann auf der Straße“, der „Kleine Mann“ Reichs.
Die konservativ-autoritäre Gesellschaft hatte mehr Kontakt zum bioenergetischen Kern und damit waren die Autoritäten allgemein in einem besseren Kontakt, d.h. standen mehr im Einklang mit der Realität und ihren arbeitsdemokratischen Erfordernissen. In der (pseudo-) „liberalen“ antiautoritären Gesellschaft ist dieser Kontakt verlorengegangen und dementsprechend handelt das, was als „Autoritäten“ übrigbleibt (groteske Figuren wie Scholz, Habeck, Baerbock und der Rest des Horrorkabinetts), völlig willkürlich und ahnungslos bzw. nach einer Ideologie, die mit der arbeitsdemokratischen Wirklichkeit fast nichts zu tun hat.
Man denke nur an die „Corona-Politik“, die Energiepolitik und neuerdings die Außenpolitik. Die Willkür, die herrscht, ist unmittelbarer Ausdruck der „Kern-Kontaktlosigkeit“ der Protagonisten. Das ist so, weil die Arbeitsdemokratie unmittelbarer Ausdruck von bioenergetischen Kernfunktionen ist. Das, was Reich in der autoritären Gesellschaft als abgehobenes „Politikantentum“ gebrandmarkt hat, potenziert sich in der antiautoritären Gesellschaft. Früher waren die Politiker, etwa ein Konrad Adenauer oder ein Franz-Josef Strauß, zumindest teilweise in sich selbst verankert (verzerrter Kernkontakt) und damit in der Realität (Eingebettetsein in der Arbeitsdemokratie, d.h. sie wären auch ohne Politik im Leben erfolgreich gewesen). Demhingegen sind die heutigen Politiker innerlich, bioenergetisch „hohl“ und eben auch im umgangssprachlichen Sinne „hohl“: gescheiterte Existenzen, die nur durch ihr Parasitentum überleben können.
Da wahre Autorität auf Kernkontakt und (unlösbar damit verbunden) auf der Verankerung in der Arbeitsdemokratie beruht, sind die „Autoritäten“ der antiautoritären Gesellschaft – „Pseudoautoritäten“. Das, was etwa ein Maas oder eine Baerbock an Autorität als Außenminister hatten bzw. haben, war bzw. ist allein „dem Amt“ zu schulden, d.h. dem „Kapital“, das zwischen Bismarck und Genscher mühsam erarbeitet wurde.
Die Sache mit dem Gehirn („liberal“) und dem Bauch („konservativ“) bringt mich schließlich zum leidigen Thema „Verschwörung“.
Um das ganze einordnen zu können muß man Reichs Entwicklung verfolgen. Anfangs war da das Konzept einer Kapitalistenklasse, die die Arbeiter ausbeutet und um dies effektiv zu tun mit Hilfe von Staat und Kirche deren Sexualität unterdrückt, um sie buchstäblich zu „Ochsen“ zu machen, die man, kastriert wie sie sind, leichter abrichten und unters Joch spannen kann. Eine Verschwörung „von oben nach unten“.
Sehr bald entwickelte Reich jedoch seine „Massenpsychologie des Faschismus“, derzufolge die ökonomische Unterdrückung die Menschen rebellisch macht, die dazu komplementär verlaufende sexuelle Unterdrückung sie jedoch ängstlich und folgsam macht, so daß sie die Rebellion aufgeben oder auf Scheinziele (beispielsweise „die Juden“) umlenken – und genau das ist Faschismus: das nach oben Buckeln und nach unten Treten. Die Massen unterdrücken sich selbst aus Angst vor der Freiheit (Orgasmusangst): sozusagen „von unten nach oben“.
Den ersten Ansatz konnten die Kommunisten noch eben gerade akzeptieren und wollten ihn für ihre Parteipropaganda nutzen (die Anfänge von Reichs „Sexpol“), doch die zweite Analyse trug Reich spätestens 1933 den maßlosen Haß der Kommunisten ein, der sich nochmals zuspitzte, als er Massenpsychologie des Faschismus 1946, ergänzt um eine Kritik am Stalinismus und die Präsentation des Konzepts „Arbeitsdemokratie“ (= der einzig wirkliche Antifaschismus: die Massen nehmen ihr Leben selbst in die Hand), in Amerika herausbrachte.
Daraufhin entwickelte Reich eine erneute „Verschwörungstheorie“: eine Klasse von Nichtsnutzen, die dem Arbeitsprozeß vollkommen entfremdet sind, versuchen „Liebe, Arbeit und Wissen“ zu zerstören, weil diese Funktionen ihre Charakterstruktur buchstäblich zu zerreißen droht: die organisierte Emotionelle Pest, die vor allem von Linksintellektuellen verkörpert wird.
Man muß stets mit beiden Faktoren rechnen: der Hilflosigkeit und dem latenten Faschismus der Massen einerseits und den Machtinteressen (letztendlich charakterlichen Zwängen) vermeintlicher „Eliten“ („die öffentlich-rechtlichen Medien haben einen Bildungsauftrag“).