Leserbrief an Paul Ritters Zeitschrift ORGONOMIC FUNCTIONALISM
Posts Tagged ‘Psychoanalytiker’
Eine Hommage an Elsworth F. Baker, M.D. (Teil 1)*
5. Oktober 2020von Paul Mathews, M.A.
Wir sind hier, um das Andenken unseres geliebten Lehrers und Freundes Dr. Elsworth F. Baker zu ehren, der am 2. Juni 1985 verstorben ist. Während wir unseren persönlichen Verlust zutiefst betrauern, versammeln wir uns hier im Bewusstsein, dass Dr. Baker sich dem Leben gewidmet hat – dass wir es in vollen Zügen leben sollten, indem wir uns mit Arbeit, Freude, Vergnügen und Liebe erfüllen. Lassen Sie uns heute unser unglaubliches Glück feiern, die Führung, Weisheit, das Mitgefühl und die Freundschaft dieses wahrhaft großen Mannes gehabt zu haben.
Es hat zwei Giganten der Orgonomie gegeben: Reich, der Entdecker und Gründer, und Elsworth F. Baker, der Reichs Wunsch erfüllte, die Verantwortung für das Überleben und die Entwicklung der Orgonomie nach Reichs Tod zu übernehmen.
Er wurde am 5. Februar 1903 in Summit, South Dakota, in eine Pionierfamilie hineingeboren und wuchs hauptsächlich im Mackenzie-Distrikt der kanadischen Nordwest-Territorien auf, wohin seine Familie zog, als er zwei Jahre alt war. Als Schüler zeigte er von Anfang an Brillanz und schloss die Highschool im Alter von vierzehn Jahren als jüngster seiner Klasse ab. Er erhielt seinen medizinischen Abschluss cum laude 1928 von der Universität von Manitoba in Winnipeg, machte ein Praktikum am Vancouver General Hospital in Vancouver, British Columbia, und zog dann nach New Jersey, wo er eine dreijährige Facharztausbildung in Psychiatrie am Greystone Park State Hospital absolvierte.
In der Folge wurde er sowohl in Wien als auch hierzulande bei Abram Kardinera zum Psychoanalytiker ausgebildet. Später wurde er Leiter der Frauenheilkunde am Marlboro State Hospital in New Jersey und diente als Vorsitzender des Ausschusses für Psychohygiene der Monmouth County Medical Society. Er hatte Mitgliedschaften und Stipendien in vielen medizinischen und wissenschaftlichen Organisationen inne und erhielt zahlreiche Ehrungen für seine Leistungen, darunter eine lobende Erwähnung des Präsidenten anlässlich seines 80. Geburtstages 1983.
Im Laufe seiner frühen Karriere als klassischer Psychiater begann Dr. Baker Ideen und Techniken zu entwickeln, die etwas nahekamen, was er später als Reichs Konzept der Charakteranalyse entdeckte. Als er die Literatur nach Bestätigung seines Denkens durchforstete, stieß er auf Reichs Schriften und wusste sofort, dass dies der Mann war, nach dem er suchte. Obwohl er eine äußerst vielversprechende Karriere in der klassischen Medizin hatte, gab er dennoch den gesicherten Erfolg und sogar eine Führungsrolle auf diesem Gebiet für die Hingabe an Reichs Werk auf. Er wusste sehr wohl um die Gefahren einer Verbindung mit Wilhelm Reich, als er zum Beispiel seine Position im Marlboro State Hospital aufgab, anstatt den Forderungen der Verwaltung nachzukommen, sich von Reich zu distanzieren.
Anmerkungen
* Diese Laudatio wurde von Prof. Paul Mathews am 29. Juni 1985 in der St. Peter-Kirche in New York City anlässlich des Gedenkgottesdienstes für Dr. Baker gehalten.
Anmerkungen des Übersetzers
a Kardiner, Abraham, 1891-1981, US-amerikanischer Psychiater, Psychoanalytiker und Ethnologe, gilt als Vertreter der Neo-Psychoanalyse. 1930 Mitbegründer des New York Psychoanalytical Institute, der ersten Ausbildungsstätte für Psychoanalyse in den USA. Zusammen mit dem Ethnologen Ralph Linton führte er kulturvergleichende Studien durch und entwickelte die für die Kulturanthropologie wichtigen Begriffe Basispersönlichkeit (basis character structure) und Kulturmuster (pattern). (Quelle: Spektrum)
Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Charles Konia.
Journal of Orgonomy, Jahrgang 19 (1985), Nr. 2, S. 165-168.
Übersetzt von Robert (Berlin)
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21. Mai 202066. Mechanistischer Kausalismus, mystischer Finalismus und energetischer Funktionalismus
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Lore Rubin Reich: ERINNERUNGEN AN EINE CHAOTISCHE WELT
26. März 2020Dieses Buch ist eine Übersetzung des unveröffentlichten Originalmanuskripts. Obwohl die Autorin diese Übersetzung ausdrücklich lobt (S. 9), ist sie holprig und voller Fehler. Sätze wie: „Es gab kein Bedürfnis nach einer Revolution und auch kein Verlangen danach“ (S. 218). Es gab keinen Bedarf! Fast alle unterschätzen, wie schwer das Übersetzen vom Englischen ins Deutsche ist. Außerdem sollte der Übersetzer sich im Sujet auskennen. Wie kann man etwa von „Kamerad Thomas“ sprechen, statt „Genosse Thomas“! Und dann Reichs Tochter Lore selbst: wie, äh, aaarghhhh muß man sein, um Reichs Theorie damit zu „erklären“, daß nur der Orgasmus Neurosen auflösen könne (S. 30)?! Das macht ebensoviel Sinn, als behauptete man, nur Geschlechtsverkehr könne erektive Impotenz heilen oder nur das Gehen einen Querschnittgelähmten. Oder etwa zu schreiben: „Ich bin mir sicher, daß er seine Patienten dazu brachte, ihre Hemmungen soweit fallen zu lassen, daß sie vor ihm einen Orgasmus hatten“ (S. 155). Sic! Aus dem ganzen spricht einfach nur Böswilligkeit und Verachtung! Und dann sich fragen, warum Reich so „aggressiv“ gewesen sei!
Trotzdem verlohnt es „Mein Leben als Tochter von Annie Reich und Wilhelm Reich“ zu lesen, einfach weil es die Reich-Biographie plastischer macht. Da wäre die graue Kindheit der beiden Reich-Töchter und die Knappheit der Mittel, die es zum Problem machte eine vernünftige Hauskraft/Kindermädchen anzustellen. Die Familie war imgrunde arm, weil Reich nur genausoviel zur Familienkasse beitrug wie Annie, die als Mutter und psychoanalytische Anfängerin nur wenig verdiente. Wo erfährt man sonst, daß Annie sieben Abtreibungen hatte oder daß Lore dem armen Reich aufgedrängt wurde, um die Ehe zu einer Zeit zu retten, als Reich „politisch“ aktiv wurde. Entsprechend betrachtete er Lore stets als Annies Kind. Die ungemütlichen Wohnverhältnisse, da, wie damals bei Psychoanalytikern üblich, zuhause gearbeitet wurde; Reichs aufbrausendes und manchmal verstörendes Temperament; dazu das Kontrastprogramm: der dickliche und kleine Genosse Thomas als „Hausfrau“ (S. 140); bis hin zur Beschreibung von Reichs Beerdigung, bei der die Familie an den Rand gedrängt wurde. Lore hatte große Probleme im trüben November zum abgelegenen Orgonon zu gelangen, nur um auf der Beerdigung zu erfahren, daß gleich drei ihrer Kollegen an der psychiatrischen Klinik, in der sie zu der Zeit tätig war, führende Orgonomen waren und einen Flug nach Orgonon organisiert hatten. Sie hatten sich ihr nie zu erkennen gegeben und ignorierten sie auch auf der Beerdigung demonstrativ (S. 247f).
Die ganze Dynamik von Reichs erster Ehe wird in einer Szene deutlich, die gleichzeitig das definitive Ende der Beziehung zwischen Annie und Wilhelm beschreibt. Reich floh nach dem Reichstagsbrand sofort mit seiner Frau Richtung Österreich und zwar als Bergtouristen getarnt, um Grenzkontrollen zu entgehen. „Meine Mutter berichtete, daß mein Vater voller Angst war. Auf einmal verspürte sie eine enorme Verachtung ihm und seiner Angst gegenüber. In diesem Moment konnte sie sich endlich von der Knechtschaft, in der er sie gefangenhielt, befreien. Deswegen konnte sie umkehren und ihn auf dem Berggipfel alleine lassen. Sie kehrte nach Berlin zurück und organisierte den Umzug der Möbel aus der Wohnung“ (S. 38). Offensichtlich war bei einer Hysterikerin die Übertragung zerbrochen, als sich der angebetete Held selbst „hysterisch“ benahm.
Oder wie inflationär und laienhaft der Begriff „verrückt“ von Psychoanalytikern benutzt wurde, um das Renommee „abtrünniger“ Psychoanalytiker nachhaltig zu zerstören. Nicht nur Reich war Opfer dieser Taktik, sondern auch Rado, Rank, Jung, Adler, Tausk, Ferenczi, Melanie Klein und deren Tochter Melitta Schmiedeberg (S. 67). „Mein Vater war ein naiver und vertrauensvoller Mann“, der die psychotherapeutische Behandlung seiner Tochter Eva zwei Frauen überließ, nämlich Berta Bornstein und Anna Freud, welche Bornstein supervidierte, „die voller Haß ihm gegenüber waren“ (S. 77). Beide lebten „ihre Neurose wie bösartige Geister unter dem Deckmantel der psychoanalytischen Rechtschaffenheit aus“ (S. 80).
Lores Buch bietet einige Ergänzungen zu Der Rote Faden etwa, daß viele fanatische Trotzkisten später Neokonservative wurden. Lore selbst war von den späten 1940er bis zu den frühen 1960er Jahren in einer Trotzkistischen „Partei“ (Sekte!) aktiv. Oder etwa, wenn sie beschreibt, unter welcher Daueranspannung ihr Schwiegervater Genosse Thomas litt: „Eines Tages sah er in unserem Wohnhaus einen Psychoanalytiker in Begleitung eines Agenten der sowjetischen Geheimpolizei, den Thomas kannte. Aus Angst entdeckt zu werden, eilte er zurück in den Aufzug; er war schockiert von diesem Vorfall“ (S. 140). Dieser Vorfall habe, so Lore, auch gezeigt, welchen Zuspruch Stalins KP noch in den USA genoß. So hätten auch Psychoanalytiker Umgang mit der KP gepflegt, trotz all der Greueltaten.
Sie beschreibt die kommunistische Unterwanderung Amerikas sehr gut: Während sie in Europa nur Menschen getroffen hatte, die von der KP desillusioniert waren, traf sie in Amerika viele Erwachsene, die Kommunisten waren. New York sei voller genauso idealistischer wie ignoranter Leute gewesen, die die UdSSR verherrlichten. „Jahrelang, sogar nach dem Krieg, bis Mitte der 1950er Jahre, folgten diese Leute der kommunistischen Parteilinie ohne zu wissen, daß diese von Moskau aus diktiert wurde, marschierten in Maiparaden und hielten sich für ‚die Guten‘.“ Sie hielten sich stets an die jeweilige Linie der Partei, selbst wenn die, wie zu Anfang des Krieges, die Unterstützung Hitlers vorsah. „Heute sind Menschen der Meinung, daß man damals ‚unter jedem Bett einen Kommunisten sah‘ und verleugnen, wie groß die Anhängerschaft, zumindest in New York, war. Natürlich waren diese Menschen keine Spitzel, da sie diese Überzeugungen offen zur Schau stellten. Stattdessen übten sie enormen Druck auf die öffentliche Meinung, die Kunst und die Medien aus“ (S. 145f).
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David Holbrook, M.D.: EIN SCHIZOPHRENER NÄHERT SICH DER COUCH (Einführung)
30. September 2019Die Begegnung Wilhelm Reich – Albert Einstein (Teil 1)
27. Februar 2019von Bernd Laska
Vorbemerkung über die Anerkennungsproblematik
Reich stieß mit seinen Theorien von Anfang an auf erbitterte Gegnerschaft; ob es bei den ‚aufgeklärten‘ Psychoanalytikern war; ob es bei den Kommunisten und Sozialisten mit ihrer ‚wissenschaftlichen Weltanschauung‘ war; oder ob es bei den ‚nüchternen und sachlichen‘ Naturwissenschaftlern war; von anderen Gruppen ganz zu schweigen. Jede von diesen dreien sich auf ihre Rationalität etwas zugute haltenden Gruppen ‚liquidierte‘ Reich auf ihre Art, aber keine setzte sich ernsthaft mit seinen Argumenten auseinander.
Nun ist Reich aber nie ein im eigentlichen Sinne unpolitischer Mensch geworden, der mit seiner Forschung und einer kleinen Anhängerschaft zufrieden gewesen wäre. Er war nur zu der Ansicht gekommen, daß die Veränderung der Welt zum Besseren hin nicht länger durch relativ ungerichtete Aktivität und Agitation erreicht werden kann, auch wenn diese unter den (inhaltlich nie klar ausgefüllten) Schlagwörtern „Fortschritt“, „Freiheit“, „Emanzipation“ usw. läuft; ein Problem, das heute leider noch so aktuell ist wie vor vierzig Jahren, als Reich sich vom organisierten Marxismus löste.
Und gemäß dieser Einsicht, die Reich nicht aufgrund philosophischer Spekulationen und von Wunschdenken gelenkt, sondern durch praktische und theoretische Arbeit an Mensch und Gesellschaft erlangte, arbeitete Reich an einem wissenschaftlichen Menschenbild, das den ganzen Menschen und seine Stellung in Natur und Gesellschaft erfassen sollte und den obenerwähnten Schlagworten einen konkreten Sinn geben konnte.
Ich glaube, daß die Entstehung der oft als unpolitisch bezeichneten Orgonforschung ohne diesen Gesichtspunkt nicht voll verständlich ist. Nach dem Fiasko in der Sowjetunion resignierte Reich nicht wie so viele ehemalige Sympathisanten und ‚fellow travellers‘ aus dem Westen, sondern er suchte und fand die Ursache, die allerdings sehr viel tiefer liegt als der gewöhnliche Intellektuelle akzeptieren möchte.
Das Thema verlockt zur weiteren Ausführung; ich muß aber im Rahmen dieser Vorbemerkung hier abbrechen. Nur noch soviel: Wenn Reich sich später z.B. um die Entwicklung eines Orgonmotors bemühte, so sicher nicht, um den herkömmlichen Motoren Konkurrenz zu machen. Er wollte damit sowohl das wissenschaftliche Fundament seiner Entdeckungen (also auch der Funktion des Orgasmus) verbreitern, als auch die Menschen dazu bringen, daß sie sich damit auseinandersetzen. Gerade er wird sich dabei voll bewußt gewesen sein, daß dies noch lange nicht genügt hätte; aber es hätte ein Anfang sein können.
Ähnliche Motivationen kann man vielen seiner Aktivitäten in der Orgonforschung unterstellen, ob es nun die Experimente zum Krebsproblem, zur Immunisierung gegenüber der Radioaktivität (Oranur) oder zur Wetterbeeinflussung waren. Die Orgonforschung war in einem höheren (oder tieferen) Sinn immer hochpolitisch (zumindest intentional), weil sie nie zu trennen war von Reichs Person und seinem Menschenbild, das vielen „linken“ Idealen erst eine wissenschaftliche Grundlage liefern und sie damit ihres illusionistischen Charakters entledigen könnte.
Literatur:
/1/ The Einstein Affair, Rangeley USA 1953
/2/ Ilse Ollendorff-Reich, Wilhelm Reich, München 1975
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Aus: Wilhelm Reich Blätter 2/76N.