Peter liest die Laska/Schmitz-Korrespondenz (Teil 8)

Stark vereinfacht geht Hermann Schmitz von zwei Sündenfällen aus. Der erste ist der, den auch Reich in Christusmord beschreibt. Schmitz typisch verquast:

Der erste Sündenfall, der nach dem biblischen Mythos, besteht darin, daß die Menschen lernen, was gut und böse ist, also Vorzugsrichtungen des Verhaltens zu ihnen zustoßenden Herausforderungen nicht mehr nur blind, sondern mit Wissen und Wollen folgen können. Dabei lernen sie aber erst, was gut und böse ist, als handle es sich bei allem, was sie zu wissen nötig haben, um objektive oder neutrale Tatsachen. (…) Der erste Sündenfall schafft Halt nach außen, durch die Möglichkeit selbständiger, einsichtiger Orientierung am Gegebenen. (S. 175)

Schmitz beschreibt hier die Genese der Panzerung. Die Menschen verlieren die Unmittelbarkeit. Es ist, als wenn sich eine Wand, die Panzerung, zwischen sie und ihre Umwelt und zwischen sie und ihre Innenwelt schiebt. Bei letzterem denke man etwa an Freuds Entdeckung des unbekannten Kontinents des Unbewußten. Aber sie haben immer noch eine Orientierung sozusagen „am Sternenhimmel“ dort draußen und dem „sittlichen Gesetz“ hier innen: der Rahmen der autoritären Gesellschaft.

Der zweite Sündenfall ereignete sich, Schmitz zufolge, um das Jahr 1800 herum mit der „Entdeckung der strikten Subjektivität“ durch Johann Gottlieb Fichte (1762-1814):

Der zweite Sündenfall, der Fichte’sche, belehrt sie, daß es nicht so ist, daß sie also nicht einfach nachsehen können, was (an sich und für alle) ist und sein soll, sondern sich jeder in seinem Namen darum kümmern muß, was meine (seine) Tatsache, sein Programm, sein Problem ist. (ebd.)

Der zweite Sündenfall schafft dem Menschen Unsicherheit im Verhältnis zu sich, weil sich herausstellt, daß der Halt, der nach dem ersten Sündenfall noch gegeben war, langsam aber sicher wegbricht: alles ist subjektiv, willkürlich und unsicher.

Was Schmitz hier beschreibt, sind zwei menschheitsgeschichtliche Einschnitte, die sich vor etwa 6000 Jahren und ziemlich präzise um das Jahr 1960 ereignet haben: der Einbruch der sexuellen Zwangsmoral und damit der Körperpanzerung und der Beginn der vermeintlichen „sexuellen Revolution“ und damit die weitgehende Ersetzung der Körperpanzerung durch die okulare Panzerung. Der Einbruch des kompletten Wahnsinns von Timothy Leary bis heute, der Freigabe des Cannabis-Konsums:

Man hört geradezu wie die Körperpanzerung Anfang der 1960er Jahre zusammenbricht! An ihre Stelle tritt die komplette Orientierungslosigkeit, der radikale „Werteverfall“ und – der Tod. Seit nun über 60 Jahren macht die Menschheit diese zweite Zensur durch, deren Bedeutung man nicht überschätzen kann, – sie könnte final sein.

Einerseits muß man Schmitz zugutehalten, daß er ein Gespür dafür hat (wer sonst hat diese beiden Sündenfälle so treffend beschrieben?), andererseits ist es fundamental verfehlt, wenn er schreibt, daß der erste Sündenfall „der Ausgang aus der Selbstsicherheit des skrupellosen instinktiven Lebens in die Verantwortung rationalen Prüfens und Wägens von Gut und Böse“ war (S. 179). Der Zusammenbruch der Selbststeuerung und Einbruch des Irrationalismus und der Perversion war für ihn „rational“, das Leben davor „skrupellos“. Schmitz ist ein in der Wolle gefärbter Reaktionär: die Kultur geht vor!

Den zweiten Sündenfall, den er, wie gesagt mit Fichte (und Stirner) und dem Beginn der „ironistischen“ Romantik verbindet, will Schmitz auffangen, indem er sie sozusagen vollendet, – indem er von dem „dem Vorurteil herunterkommt, alle Tatsache müßten objektiv sein, so daß das Subjektive in eine rätselhafte Rand- und Schwebestellung gerät, für die man bald die Metapher des (selbst paradoxen) Nichts erfindet; so kommt es zum Nihilismus. Dieses Mißverständnis, und damit der Nihilismus, kann geheilt werden“ (S. 176). Die Heilung vom Nihilismus verspricht die Neue Phänomenologie, indem sie sozusagen die Welt wiederverzaubert: Subjekt und Objekt verzahnen sich wieder. Die Welt ist dann nicht mehr etwas, wo man seine Stellung in der objektiven Welt findet, „sondern (die Menschen) müssen jeweils ihre Stellung durch eigene Stellungnahme finden und ständig neu gegen Erschütterungen, emotionale Hinfälligkeit, Labilität, personale Regression, sich aufrichtend, behaupten“ (S. 183).

Mal abgesehen davon, daß ich hier „Nietzsche pur“ höre, ist das ganze nichts anderes als ein ständiges Ausweichen vor dem Wesentlichen. Platt ausgedrückt: es geht weder darum, wie du dich in der Falle verortest (wie nach dem ersten Sündenfall), noch darum, wie du zur Falle Stellung beziehst (wie Schmitz es nach dem zweiten Sündenfall uns nahelegen will), sondern erstens mußt du sehen, DASS du in der Falle sitzt, um dann zweitens diese Falle zu verlassen. Laska versucht ständig Schmitz diesen einfachsten aller Gedanken nahezubringen, aber Schmitz ist blind, verrannt. Wie ALLE Philosophie dient auch die Neue Phänomenologie dazu, die Existenz der Falle zu sichern.

Letztendlich dokumentiert das Laska/Schmitz-Buch die Diskussion zwischen einem realitätstüchtigen Erwachsenen (Laska) und einem komplett verpeilten Kind (Schmitz) – mit manchmal ganz interessanten Einsichten.

Nachbemerkung: Wie „1800“ und „1960“ vereinbaren? Der Riß von 1960, der durchaus die Vernichtung der Menschheit besiegeln könnte, hat eine lange Vorgeschichte. Man denke nur an die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, den Ersten Weltkrieg, der, nicht zuletzt in sexualökonomischer Hinsicht, den gesamten Planeten auf den Kopf gestellt hat. Man denke an Nietzsche als Seismographen einer ungeheuren Umwälzung: den Einzug des alles zerfressenden Nihilismus. Kierkegaard. „Schmitz‘ Fichte“. Die Französische Revolution. Rousseau – der auf LaMettrie zurückgeht. Das ganze ist untrennbar verbunden mit der industriellen Revolution, die bereits Goethe am Ende von Faust II thematisiert. Unter diesem ständig wachsenden Druck, die letzten Faktoren waren vielleicht die Pille und die Drogenkultur (schon zu Reichs Zeiten mit der „Beat-Generation“ vorbereitet), hat dann in den 1960er Jahren die Körperpanzerung begonnen wegzubrechen und die Augenpanzerung trat an ihre Stelle: Its a Mad Mad Mad Mad World (1963)

https://www.youtube.com/watch?v=ejDx-zn7M5Y

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16 Antworten to “Peter liest die Laska/Schmitz-Korrespondenz (Teil 8)”

  1. Robert Hase Says:

    „Seit nun über 60 Jahren macht die Menschheit diese zweite Zensur durch, deren Bedeutung man nicht überschätzen kann, – sie könnte final sein.“

    Eben das stimmt nicht. Es betrifft nur die westliche Welt. Der Rest ist autoritär.

    • Peter Nasselstein Says:

      Darauf gibt es vier Antworten. Erstens wird der gesamte Planet nach wie vor von der westlichen Kultur geprägt, insbesondere durch „Hollywood“. Das gilt insbesondere für die Jugendlichen etwa im Iran und der arabischen Welt. Zweitens: dank der Geburtenexplosion insbesondere in Afrika bricht die autoritäre Gesellschaft schon allein „mangels Masse“ zusammen. Früher waren die Alten fast schon Götter, heute gilt ihnen ein „Halt die Fresse alter Mann!“ Das gilt selbst für die islamische Welt insgesamt, wo die traditionellen Scharia-Autoritäten wegbrechen und an ihre Stelle ein McDonalds-Islam a la ISIS tritt. China mag wie eine Ausnahme wirken, aber in diesem dritten Fall wirkt die antiautoritäre Kulturrevolution nach und kurioserweise das diametrale Gegenteil von Afrika: die Einkindfamilie, die nicht nur die chinesische Kultur in ihrem Kern (Ahnenkult) zerstört, sondern auch Generationen von verwöhnten Einzelkindern erzeugt, „die sich nichts sagen lassen“. Als vierte Antwort kann man noch etwas anfügen, das ebenfalls wie ein Widerspruch zu dem davor gesagten (Antwort 1) wirkt: der weltweite „Antirassismus“ (Antiweissismus, „Befreiungsbewegungen“, Antikolonialismus, Wertepluralismus, Relativismus) ist in seinem Wesenskern antiautoritär.

  2. Peter Nasselstein Says:

    Eine Gesellschaft kurz vor dem endgültigen Kollaps:

    LANZ zündet erstmals Realitäts-BOMBE! 💥⚡️| Markus Lanz – YouTube

  3. adamrhau Says:

    Weil wir schon beim New age sind: war Reich die Analogie zwischen seinem Auflösen der Panzerungen und dem „Öffnen der Chakras“ eigentlich bewußt- nur, daß er von oben beginnt?

    wahrscheinlich nicht, und wenn, wäre es ihm wohl unangenehm gewesen; er sah sich als positivistischer Wissenschaftler.

  4. adamrhau Says:

    Ich halte die Freigabe von Cannabis und der Psychedelika für höchst überfällig. Ein Wahnsinn war deren jahrzehntelange Bekämpfung durch das System – nicht, um die Kultur zu retten, sondern weil man die entkonditionierende Wirkung der Psychedelika fürchtete (Vietnam-Krieg!).

    Haben Sie nie über die psychotherapeutische Anwendung von Psychedelika gelesen?

    Zwischen Reich und Leary gibt es zahlreiche Parallelen – bis hin zu den UFOs. Auch das Erleiden der Verfomgung lief parallel.

    • Robert (Berlin) Says:

      De facto ist der Zugang an Drogen seit Jahrzehnten nicht sehr schwierig. Es ging hierbei auch nicht um die Kultur, sondern um eine neue Geisel, die sehr viele Menschen apathisch oder psychotisch werden lässt. Dass Drogen mit ein Sargpfeiler für den verlorenen Vietnamkrieg waren, ist unbestritten, aber dazu kommen noch andere Faktoren, wie die Unterwanderung der USA durch Kommunisten, die aus dem Ausland gesteuert wurden.

      Die psychotherapeutische Anwendung ist eine medizinische Sache, und nicht für Selbstversuche geeignet. Es stimmt jedoch, dass die Verteufelung von Cannabis ist der bisherigen Form übertrieben und unsachlich war.

      Leary war aber kein Mediziner, sondern ein verantwortungsloser Prediger des Substanzmissbrauchs. Ihn mit Reich zu vergleichen, ist typisch für das antiautoritäre Zeitalter, welches primäre und sekundäre Triebe nicht unterscheiden kann.

      • adamrhau Says:

        Natürlich hat Leary mit seinen Übertreibungen und seiner missionarischen Art selbst dem System einen schönen Vorwand zum Kampf gegen die Psychedelika geliefert. Trotzdem ist er genauso wie Reich ein Opfer des us-Repressivsystems.

        Klar gehören Psychedelika in die Hand des Psychotherapeuten, ich denke da etwa an den bekannten Stanislav Grof.

    • Peter Nasselstein Says:

      Leary hat sogar öffetlich damit angegeben, daß er mit dem CIA zusammengearbeitet hat. Die gesamte psychedelische Drogenkultur der 1960er Jahre war eine CIA-Operation, um die Jugend von der Politik fernzuhalten. Schon vorher wurden Jazz-Musiker von den Produzenten unter Drogen gesetzt, um sie gefügig zu machen und zu kontrollieren. Die Grünen sind die Partei des CIA in Deuschland und die Drogenfreigabe dient nur einem: die Jugend ruhigzustellen, damit sie die Umvolkung widerstandlos hinnehmen.

    • Peter Nasselstein Says:

      Conne Island – CEE IEH #58, Keine Macht den Drogen – Woodstock-Mythos durch zünftigen Riot zerstört (conne-island.de)

    • Peter Nasselstein Says:
  5. Peter Nasselstein Says:

    Die Roten Faschisten wählen ein neues Volk durch Umvolkung und schalten den gesamten Staatsapparat inklusive Justiz gleich:

  6. Peter Nasselstein Says:

    Die CIA versucht eine neue Farb-Revolution zu inszenieren:

    Massenprotest in Budapest: Zehntausende Ungarn stellen sich gegen Orbán (t-online.de)

  7. Peter Nasselstein Says:

    Der Weltplan der CIA:

    Molekularmediziner bei AUF1: „Welt stürzt in Zombie-Modus“ | PI-NEWS

  8. Thomas Says:

    Augenpanzerung, die

    https://twitter.com/Kranzschwinger/status/1783572152953762166

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