Wilhelm Reich und die Liebe zur Weisheit: von der „lustvollen Tugend“ zur „tugendhaften Lust. Oder: Der Protestantismus als gescheiterte biologische Revolution

„Philosophie“ bedeutet „Liebe zur Weisheit“. „Weisheit“ wiederum ist definiert als die „Tugend des Urteilsvermögens“. Sokrates zufolge führt Tugend zu „Glück und Erfüllung“. Tugend ist demnach also lustvoll. Beispielsweise läßt man sich, gemäß der Tugend der Tapferkeit, in einer Schlacht brav niedermetzeln, statt der ersten Eingebung des Selbsterhaltungstriebs zu folgen und sich davonzustehlen. Letztendlich ist nämlich, so Sokrates, der Heldentod befriedigender als das Dahinsiechen als elender Feigling. Praktische Philosophie, d.h. man bringt sein Urteilsvermögen zur Anwendung! Die Gegenposition zu dem, was sich später zum „Epikureismus“ entwickelte, bildete Seneca, der Tugend und Lust voneinander trennen wollte – scheinbar, denn auch bei ihm soll die Mäßigung letztendlich auch zu „Glück und Erfüllung“ führen, d.h. zu Lust. Ein schlagendes Beispiel wäre der Buddhismus, dessen letztendliches Ziel, trotz allem Verzicht und Altruismus, doch das „Nirwana“ ist – Glück und Erfüllung.

Hinter all dieser angeblichen Weisheit steckt die diese Gesellschaft konstituierende Abpanzerungsdressur: „Wenn du schön artig bist, bekommst du nachher ein Leckerli!“ Selbst hier dreht es sich bei allen philosophischen und religiösen Verrenkungen, egal wie gegensätzlich sie angeblich auch sein mögen, immer nur um das eine: die Reichsche Orgasmustheorie, d.h. das Verhältnis von Neurose (Irrationalismus) und Libidohaushalt (Frustration vs. Erfüllung), wobei das „Tugend führt zu Lust“ das Markenzeichen der orgastischen Impotenz ist.

Auch im Christentum geht es letztendlich darum im Paradies zu landen, wenn auch durch Selbstaufgabe „für den Nächsten“. Die Letzten werden letztendlich die Ersten sein! Es geht dem vermeintlichen Altruisten um das eigene Glück, die eigene Erfüllung! Erst die Reformation machte dieser eklatanten Verlogenheit, auf deren brüchigen, da inhärent widersprüchlichen Grundlage keine dauerhaft bestehende Gesellschaft zu errichten ist, ein Ende, als sie im Anschluß an Jesu Predigten gegen die verlogenen Pharisäer, insbesondere aber im Anschluß an Paulus‘ Theologie klarstellte, daß keine Tugendhaftigkeit der Welt vor Gottes Gerechtigkeit bestehen könne und daß wir nur auf die durch Jesus verkörperte willkürliche, da nicht verdienbare, also wahrhaft „bedingungslose“ Liebe Gottes setzen können. Hier führt dann nicht mehr die Tugend zur Erlösung (Lust), sondern die erlösende Liebe (also die erfüllende Lust) zur Tugend. Der erlöste Christ lebt selbstverständlich, sozusagen automatisch, tugendhaft, da er dank der Gnade Gottes gar nicht mehr das Bedürfnis zu sündigen verspürt.

Erst durch diese Umkehr des universellen Moralgesetzes einer dressierten Menschheit, „ich bin Tugendhaft, weil das am Ende die größte Lust verschafft“ (das ist beispielsweise die Lebensmaxime jedes Moslems!), zum protestantischen „ich bin erlöst und deshalb tugendhaft“ wurden Kapitalismus, Wissenschaft und Demokratie möglich. Diese beruhen nämlich durchweg darauf, daß ich ohne kleinliches Lustkalkül handele, d.h. ohne Fokus auf einen zukünftigen Lustgewinn, sondern vollkommen sachlich im Hier und Jetzt agiere. Man tut etwas um der Sache willen! Gingen in der Wirtschaft, im Labor, in der Politik ständig alle im obigen Sinne berechnend vor, würde jede Gesellschaft, die auf Vertrauen aufgebaut ist, kollabieren. (Man lese dazu die ganz auf „Sachzwänge“ zielenden Ausführungen über die „Arbeitsdemokratie“ in Reichs Massenpsychologie des Faschismus.)

Problem ist natürlich, daß die christliche (protestantische) Erlösung als Massenpsychose illusorisch ist und entsprechend auch die „protestantische Tugend“ auf wackeligen Beinen steht. Mit dem Tod Gottes folgt in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik ein Betrugsskandal dem anderen und das Kartenhaus wird bald endgültig kollabieren. Die einzige, DIE EINZIGE, Alternative ist das wahrhaftige „Lust führt zu Tugend“, die tugendhafte Lust, wie sie von LaMettrie und Reich beschrieben wurde.

Wenn ich befriedigt bin, bin ich automatisch „tugendhaft“. Orgastische Potenz führt über den Kapitalismus hinaus zur Arbeitsdemokratie, bei der der wirtschaftliche Erfolg des Gegenübers mit dem meinigen einhergeht. Wissenschaft muß nicht ständig durch Doppelblindexperimente vom vermeintlichen „Wissenschaftler“ geschützt werden, sondern ist wirklicher Kontakt mit der Natur. Und was für Wirtschaft und Wissenschaft gilt, gilt erst recht für die Administration der gesellschaftlichen Beziehungen. Gelingt uns diese tatsächliche Umkehr von gepanzerter „Tugend –> Lust“ zu ungepanzerter „Lust –> Tugend“ nicht, hat die Menschheit keinerlei Überlebenschance, da wirkliche Liebe zur Weisheit GENITALE LIEBE ist – die tugendhafte Lust!

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6 Antworten to “Wilhelm Reich und die Liebe zur Weisheit: von der „lustvollen Tugend“ zur „tugendhaften Lust. Oder: Der Protestantismus als gescheiterte biologische Revolution”

  1. Avatar von David Mörike David Mörike Says:

    Liebe zur Weisheit altgriechisch glaube ich = Philo-Sophia.

  2. Avatar von Peter Nasselstein Peter Nasselstein Says:
  3. Avatar von Peter Nasselstein Peter Nasselstein Says:

    Erst erklären mir „Linke“, wir brauchten die Asylanten als Arbeitssklaven und dann – „Berlin stellt Abertausenden Asylmigranten Reisepässe aus. Wer in Deutschland Asyl erhält, darf einen ‚Blauen Paß‘ zum Herumreisen beantragen.“

    Lange halte ich das in diesem IRRENHAUS nicht mehr aus!

  4. Avatar von Peter Nasselstein Peter Nasselstein Says:

    Herr Dr. Habeck, wenn nicht über Politik, wollen Sie sich in meiner Küche vielleicht über Wissenschaft mit mir unterhalten?

    Ist die Doktorarbeit von Robert Habeck simulierte Wissenschaft?

    plagiatsgutachten.com

    Ist die Doktorarbeit von Robert Habeck simulierte Wissenschaft?

    Ganz viel Unsinn, Undurchdachtes und Widersprüchliches schon auf dem Klappentext der Buchfassung der Dissertation

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  5. Avatar von Erik Erik Says:

    Seneca scheint hier missverstanden zu werden. Es geht nicht um zukünftiges Glück. Er schreibt: Die Tugend genügt sich selbst.

    Ein tugendhaftes Leben kann jederzeit begonnen werden und die Freude entfaltet sich sofort. Sie liegt darin, zu erkennen und zu akzeptieren, was das Richtige ist, und danach zu handeln.

    Reich’s genitaler Charakter hingegen ist schwierig bis unmöglich zu erreichen. Bei mir z.B. haben 6 Jahre wöchentliche Orgon-Therapiesitzungen in Lugano nicht gereicht (mit dem Resultat bin ich trotzdem sehr zufrieden).

    Die philosophische Grundsatzfrage lautet für mich: Wie kann ich dem Guten, Schönen und Wahren dienen und einen positiven Beitrag zur Linderung von Leid leisten?

    In einer relativ ungepanzerten Gesellschaft, die psychisch noch einigermassen intakt wäre und auf 10’000 Einwohner ein medizinischer Orgontherapeut käme, müsste ich vielleicht überlegen, ob Reich oder die (stoizistische) Tugendhaftigkeit der bessere Weg wäre.

    Ich persönlich habe das grosse Glück, von beiden Wegen profitieren zu können.

    • Avatar von Peter Nasselstein Peter Nasselstein Says:

      „In einer vernünftigen Seele vereinigen sich Pflichtbewußtsein und Sensibilität für Lust so vorzüglich, daß sie, weit davon entfernt, einander zu beeinträchtigen, sich gegenseitig verstärken“ (La Mettrie 1748).

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