Orgonomie und Metaphysik (Teil 3)

Reich 1950:

Materielle Organismen sind Werkzeuge der Orgonenergie und nicht umgekehrt. An dieser Stelle ist es wichtig, sich vor dem Mystiker zu schützen. (…) Die Seele des Mystikers ist nichts anderes als die Orgonität der Orgon-Biophysik. In beiden Fällen sind der Körper, die Form, die Materie nur die Werkzeuge des Geistes. Der Mystiker mißversteht uns. Wir haben es mit greifbaren, meßbaren und sichtbaren Manifestationen von Energie zu tun. Ein „Geist“ ist weder greifbar, noch meßbar, noch sichtbar. Es liegt in der Tat im Charakter eines mystischen Geistes, daß er unerkennbar, unkontrollierbar bleibt. Der Geist des Mystikers hat nichts mit der Orgonenergie zu tun, außer dieser einen Verbindung: Was wir im praktischen Sinne zu verstehen vermögen, lebt und erlebt der Mystiker als Spiegelbild. Natürlich hat auch ein Mystiker manchmal recht. Leider weiß er nicht, wo: Der mystische Geist ist das Spiegelbild unserer Orgonenergie, unverständlich, surreal, nutzlos und unmeßbar. („The Orgone Biophysical Meaning of Bions“ Orgonomic Functionalism No. 8, Spring 2021, S. 123)

Das Fatale dabei ist, daß der Mystiker dieses Ungreifbare wie einen fixen Gegenstand behandelt. Der Geist ist sozusagen die „greifbare Wirklichkeit“, während die materielle Welt nur eine Schimäre, „Maya“, ist.

Erhellend in einem negativen Sinne fand ich Seite 99 von Jürgen Fischers Buch Orgon und DOR (Berlin 1995), wo er sich kurz mit Energiefeldern beschäftigt, die die Grundlage der materiellen Erscheinungen seien. Schön und gut, aber in seiner Beschreibung sind diese Energiefelder etwas Statisches, sozusagen eine fixe Blaupause, nach der sich dann die materiellen Strukturen richten. Wenn man dies mit bestimmten Gedankgängen bei Heiko Lassek und Arnim Bechmann ebenfalls von ca. 1995 vergleicht, dann sieht man, daß hier ein Einfallstor steckt, durch das der Mystizismus in die Orgonomie eindringt. Diese Leute können als Vertreter der Orgonomie auftreten, sogar als „orthodoxe“ Vertreter der Orgonomie, denn für sie ist ja das Orgon das Primäre, auf das alles andere beruht. Für Reich war es nur so, daß die Orgonenergie das Bewegende war, während die Materie dieser Bewegung Grenzen zog (z.B. die organismische Orgonenergie vs. die sie umhüllende Membran; oder die Überlagerung zweier vorher freier Orgonenergie-Ströme, die nun einander eine „materielle“ Grenze sind): aus diesem dialektischen Gegensatz geht die Form hervor. Bei den mystischen (vermeintlichen) Vertretern der Orgonomie ist diese Dialektik verschwunden und eine starre, undialektische Naturphilosophie an ihre Stelle getreten, bei der geistige Formprinzipien sich zunächst in „feinstofflichen“ und dann in materiellen Seinsebenen äußern.

Von Seiten der „Esoterik“ wird versucht, die Orgonenergie selbst, die durch die Erforschung der orgastischen Plasmazuckung entdeckt wurde (Orgasmusformel, bioelektrische Experimente, Bion-Experimente), für „spirituelle“ Zwecke zu instrumentalisieren. Demnach ist die Orgonenergie sozusagen eine vermittelnde Zwischenschicht zwischen dieser Welt und der „geistigen Welt“. Die Orgonenergie wird zu etwas rein Subjektivem, das weitgehend bar einer physikalisch meßbaren Realität ist. Etwas, was dem „Geist“ erlaubt, sich in der materiellen Welt zu manifestieren.

Die Orgonomie war von Anfang an mit derartigen Vorstellungen konfrontiert. Schon Anfang der 1920er Jahre setzte sich Reich mit vermeintlich „esoterischen“ Ansätzen in seinen Buchbesprechungen auseinander, die er für psychoanalytische Zeitschriften schrieb. In den 1930er Jahren war Reichs Freund und Mitarbeiter Roger DuTeil ein Bergsonianer und „Spiritualist“. In seinem in der Originalausgabe Die Bione von 1938 veröffentlichten Aufsatz „Leben und Materie“, billigt er dem Leben eine metaphysische Sonderstellung zu. Reich selbst wollte diesen Aufsatz aus späteren Auflagen gestrichen wissen, was ja auch geschah, und im übrigen bestritt Reich schon damals ausdrücklich, daß „das Lebendige ein vom Nichtlebenden völlig abgetrenntes, eigens metaphysisch gegebenes Gebiet“ sei (ebd.). Sechs Jahre später sagt er in seinem Artikel „Orgonotic Pulsation“:

Wenn wir nicht vorsichtig vorgehen, könnten durchaus einige Generationen von Mystikern erstehen, die das Orgon metaphysisch, losgelöst von der nicht-lebenden Natur und nicht vom Standpunkt der Naturwissenschaft her verstehen. Und ich denke, wir haben bereits mehr als genug Mystizismus in dieser Welt. (Orgonomic Functionalism, No. 5, S. 44)

Der Artikel zeigt, wie sich Reich ganz von Zugeständnissen an sowohl den („dialektischen“) Materialismus als auch insbesondere den „Spiritualismus“ befreite. In „Orgonotic Pulsation“ strebt er danach, sich langsam von allen Begriffen, die irgendwelche Konnotationen mit materiellen oder „spirituellen“ Substanzen haben, zu befreien. Entsprechend spricht er von „orgonotischer Erregung von Isolatoren“ statt „Ladung“, und von „orgonotischer Anziehung und Abstoßung“ statt „Kontraktion und Expansion“. An anderer Stelle will er den Substanz-Begriff „vegetative Strömung“ durch die funktionelle „plasmatische Erregung“ ersetzt wissen (Der Krebs, Fischer TB, S. 347).

Was machen nun die ach so innovativen „Weiterentwickler“ der Orgonomie? Sie fallen noch hinter die provisorische, von Substanzbegriffen geprägte Orgonomie der Anfänge zurück, reden von irgendwelchen Seelensubstanzen und müssen metaphysische „Formgesetze“ erfinden, die ihr „chaotisches“ mechano-mystisches Universum ordnen. Wie Reich schreibt: „Mit Zwecken läßt sich leicht alles erklären“ (ebd., S. 77f). Man braucht nicht mehr die Natur unbekannter Funktionen mühsam ergründen, vielmehr wird einem alles fertig auf dem Tablett serviert: es ist „Gottes Wille“, es ist der „Geist“, das „Naturgesetz“, dem alles folgt. Für Blitze ist der Donnergott verantwortlich! – Nichts anderes verbirgt sich hinter inhaltsleeren Begriffen wie „Wirkstruktur“. Was ist für die Struktur der Bion-Präparate verantwortlich? Jenseitige Strukturen!

In die gleiche Kategorie gehören die „Lösungen“ für das Rätsel des menschlichen Bewußtseins. Was ist Bewußtsein? Das „metaphysische Heinzelmännchen“ wie Reich es nennt,

das angeblich im Hintergrunde der Lebensfunktionen wirkt, denkt, fühlt, empfindet, reagiert. Das führt nirgends hin. (ebd., S. 400)

Nach Reich ist Bewußtsein das Zusammenfließen der diversen Sinneseindrücke und Emotionen in eine funktionelle Einheit (Äther, Gott und Teufel, Frankfurt 1983, S. 63). Sinneseindrücke und Emotionen führt Reich ihrerseits bis „auf die Bewegungsformen der Weichtiere und Protisten“ (Charakteranalyse, KiWi, S. 519) und letztendlich auf die „Reizempfindlichkeit des rein physikalischen Orgons“ zurück (Äther, Gott und Teufel, S. 91). Das bedeutet nicht, daß Bewußtsein Tiefe hätte und bis „ins Orgon“ zurückreicht! Vielmehr tritt etwas ins Bewußtsein, wenn ein Impuls an die Oberfläche durchdringt. Bewußtsein ist demnach ein Oberflächenphänomen.

Vom Mystizismus infizierte Leute sprechen von einem „primordialen Bewußtsein“, das Erinnerungen etwa so speichert wie ein Magnetband. Dabei hat Reich in der Charakteranalyse lang und breit ausgeführt, daß das Ich die Summe aller vergangenen Erlebnisse ist. Da wird nichts mechanisch „abgespeichert“, sondern in der Vergangenheit wurden bestimmte Weichen für die Strukturierung des sich entwickelnden Organismus gestellt, weshalb „Erinnerungen“ nichts anderes sind als die Wahrnehmung der aktuellen biophysischen Struktur des Organismus. Wie sollte es auch anders sein? Imgrunde sagen die „Weiterentwickler“ der Orgonomie natürlich auch nichts anderes, nur daß sie die Welt überflüssigerweise verdoppeln.

Die „Orgonmystiker“ fallen der Panzerung zum Opfer. Das, was sie wahrnehmen, ist die durch die Panzerung „umgebogene“ und verzerrte Orgonenergie, die entsprechend etwas Krankhaftes, „Okkultes“ an sich hat und auf ein „Jenseits“ ihrer selbst verweist – d.h. auf jenseits der Panzerung. Die vermeintliche Wahrnehmung der Orgonenergie entspricht hier der krankhaften Transformation von Emotion in Sensation.

Wenn etwa Tantra Antisexualität ist, nämlich orgastische Impotenz, sind entsprechend „Orgonesoteriker“ Antiorgonenergie, d.h. Panzerung.

Die folgende Abbildung beschreibt in etwa was geschieht:

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3 Antworten to “Orgonomie und Metaphysik (Teil 3)”

  1. Robert (Berlin) Says:

    Es ist erstaunlich, wie viele Orgonomen und Reichianer irgendeine mystische „Ergänzung“ benötigen, weil sie mit der Orgonomie und der Orgontherapie nicht zufrieden sind. Von fernöstlichen bis indianischen Praktiken wird alles „integriert“. Es ist inzwischen schon verwunderlich, wenn einige frei von solchen Zusätzen bleiben.
    In den Bibliotheken fällt die Orgonomie schon in das Fach Esoterik. Wäre man zynisch, würde man sagen, zurecht.

  2. Klaus Says:

    „Wenn wir nicht vorsichtig vorgehen, könnten durchaus einige Generationen von Mystikern erstehen, die das Orgon metaphysisch, losgelöst von der nicht-lebenden Natur und nicht vom Standpunkt der Naturwissenschaft her verstehen.“ Das ist längst eingetreten, und zwar in einer Weise, deretwegen Reichs Termini kaum noch Gewinn bringend verwendet werden können. Ich glaube, dass man – um eine Theorie anbahnen zu können – sich künftig viel reduzierter auf Korrelationen zwischen physiologischen Parametern bei ORAC-Nutzung und Therapieinterventionen einerseits und Empfindungen sowie körperl. Reaktionen andererseits beziehen müsste.

    <>
    Was Reichs Ausführungen, die letztlich das in der Philosophie so genannte Leib-Seele-Problem betreffen, angeht, habe ich Zweifel, ob sie noch sehr brauchbar sind. Mit den Begriffen „Supervenienz“ und „Emergenz“ scheint mir die Analytische Philosophie Davidsons und Kims brauchbarere Begriffe geliefert zu haben. „Zusammenfließen […] in eine funktionelle Einheit“ ist eine arg metaphorische Formulierung. Da hilft es für den Erklärungswert nichts, sich auf ‚tiefes orgonotisches Empfinden‘ u. dgl. zu berufen.

  3. O. Says:

    1995 war das Schicksalsjahr Reichs in Berlin (und Deutschland, vielleicht sogar weltweit). Reich wurde von seinen sich selbst ernannten (hier als mystisch beschriebenen, ich will sagen durch und durch unorthodoxen) Vertretern ins Gegenteil verkehrt. Orgon wurde zu DOR in jeder Weise. Die „Orgonakkumulatoren“ wurden zu Todeskisten – zu DOR-Akkumulatoren – ohne dass es jemand geahnt oder gar gespürt hätte. Der gepanzerte Vertreter der (angeblichen) Orgonomie zerstörte informell und in seinem Bestreben die Orgon-Biophysik zu begreifen bis zum heutigen Tag und darüber hinaus die gesamte Orgonomie. Er kann nicht anders als zu töten. „Orgon existiere nicht“ bestimmte die Reichszene damals in 1995.

    Um es mit dem zu vergleichen, was heute politisch geschieht. Um einen gefährlichen Virus einzudämmen, wird eine für einzig richtig gehaltene Strategie durch gepeitscht, an die alle glauben müssen. Dies schützt niemanden und wird alles Leben zerstören – was insgeheim auch das erklärte Ziel zu sien scheint – es endet in dem schlimmsten Faschismus, den wir je hatten.

    Der Grund liegt klar auf der Hand: Der Mensch in der Panzerfalle seiner selbst wird zum organiserten Pestcharakter (s. Charakteranalyse).

    Niemand will dies sehen oder wissen. Deswegen kann die Zerstörung des Lebens bei Reich und heute auf dem Planeten so erfolgreich sein. Nichts wird dies aufhalten, wenn wir es nicht aufhalten (können und wollen).

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