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Nietzsche: MEINE SCHWESTER UND ICH (Besprechung)

1. Juli 2025

An Nietzsche scheiden sich die Geister. Die einen phantasieren in ihn einen Metaphysiker hinein, der von dem Willen zur Macht als einer Art „Grundprinzip des Seins“ ausging,während die anderen den „dekonstruierenden“ Aphoristiker sehen, der illusionslos immer wieder auf einen jeweiligen Willen zur Macht gestoßen ist. Es ist aber gleichgültig, ob man ihn als Konstrukteur einer Art „arischen“ Lebensanschauung sieht oder, um in diesem Jargon zu bleiben, als eine Art quasi „jüdischen“ Dekonstrukteur der westlichen Geisteswelt, – „Belege“ wird man in seinem Werk für alles und das Gegenteil finden –, wichtig ist einzig die von Bernd A. Laska entdeckte „initiale Krise“, die am Anfang von Nietzsches Denken steht und an der auch die beiden genannten Interpretationstraditionen dieses Denkens straucheln. Die besagte „initiale Krise“ dreht sich natürlich um die Lektüre von Max Stirners Der Einzige und sein Eigentum.

Ob die einen hinter der Wirklichkeit irgendetwas Tieferes, etwa den „Willen zur Macht“, wirken sehen oder die anderen vermeinen, die Wirklichkeit selbst spräche zu ihnen: es ist und bleibt eine Illusion, da „sie“, die Subjekte, gar nicht sie selbst sind. Sie sind nicht, um mit Stirner zu sprechen, „Eigner ihrer selbst“, sondern Besessene (nicht Eigner, sondern Besitztümer anderer), die nur Wahngebilde wahrnehmen und Unsinn sprechen. Sie sind, wie man heute so schön sagt, in einer „Bubble“.

Wir alle stecken in einer, wie Reich sich ausdrückte, „Falle“, zu der vor allem das Verleugnen dieses Tatbestandes gehört, – was genau Nietzsches „initiale Krise“ ausmacht. Das führt jedwede „Philosophie“ ad absurdum, denn für den „gepanzerten“, d.h. in der Falle befindlichen Menschen ist das Leben nicht das Leben, sondern Lüge, Krampf und Scheitern. Manche sehen zumindest die Lüge, den Krampf und das Scheitern bei den „Metaphysikern“, verheddern sich bei ihrer Dekonstruktion der Metaphysik aber selbst. Egal, was da „synthetisch“ geraunt oder analytisch zersetzt wird, es bleibt doch alles – man verzeihe mir die unverzeihliche Platitüde – im Jargon des Eigentlichen gefangen, das nichts mit dem authentischen Eigent-lichen im Sinne Stirners zu tun hat, sondern doch nur inkorporierte Kultur ist.

Bei Stirner konnte Nietzsche Dinge lesen wie: „Macht – das bin Ich selbst, Ich bin der Mächtige und Eigner der Macht“ (Der Einzige, reclam, S. 230), und: „Ich bin nur dadurch Ich, daß Ich Mich mache, d.h. daß nicht ein Anderer Mich macht, sondern Ich mein eigen Werk sein muß“ (Der Einzige, S. 256). Das übernahm er, – um den eigentlichen Sinngehalt von Stirners Werk um so besser verschwinden zu lassen. Deshalb wird er über alle Maßen verehrt!

Man kann alles Mögliche über Meine Schwester und ich sagen, – beispielsweise war ich bei meiner Erstlektüre des englischen Originals vor vielen Jahren von der wachsenden Gewißheit getriggert, hier einen „widerlichen Betrug“ vor mir zu haben; eine hinterhältige Zurücknahme von Nietzsches Machtphilosophie – im Namen Nietzsches. Jetzt bei der „Zweitlektüre“, also dem Lesen der deutschen Übersetzung, widerte mich die Fixierung der jüdischen Literaturfälscher auf ihre Jüdischheit an. Ohne das alles entscheidende Nachwort des Übersetzers und Herausgebers Christian Fernandes, das man als „Vorwort“ lesen sollte, wäre mir dabei beinahe das eigentlich Wichtige entgangen: die Bloßlegung der „Willensphilosophie“ und des, wenn man so will, „dekonstruktivistischen Zynismus“ Nietzsches als Funktion einer vollkommen vermurksten persönlichen und gesellschaftlichen Sexualökonomie, die nicht zuletzt im Holocaust mündete.

Der Übersetzer und Herausgeber Christian Fernandes präpariert das aus dem Wust an Aphorismen und pseudo-autobiographischen Versatzstücken heraus, was Bernd A. Laska als „Jahrtausendentdeckung“ bezeichnet hat: indem wir den Wahnsinn unterdrücken, erzeugen wir ihn. Nietzsche selbst ist vor dieser Einsicht unter einem ungeheuren Aufwand geflohen und hat dabei, wie angeschnitten, ein ganzes philosophisches Gebäude aufgebaut bzw. abgerissen. In Meine Schwester und ich gibt er, die literarische Figur „Nietzsche“, dieses (bzw. diese) Unterfangen auf, weil er dessen Grundlage zumindest erahnt – seine abschließende Endkrise. Das ist auch der Grund, warum Reich auf (zugegeben arg naive Weise) von der Authentizität des Buches überzeugt war und selbst der stets vorsichtig-skeptische Bernd Laska dem Buch in dieser Hinsicht über Gebühr Kredit einräumte.

Für den NACHRICHTENBRIEF hat dieses Buch zwei Gesichter: Erstens war Reich zeitlebens ein Nietzsche-Verehrer. Beispielsweise hang die Totenmaske in Reichs Studierstube in Wien. Entsprechend mußte es 1951 auf Reich dramatisch wirken, daß Nietzsche am Ende seines Lebens (vermeintlicherweise) seine Willensphilosophie zugunsten von „Liebe, Arbeit und Wissen“ aufgegeben hatte. In der Folgezeit gehörte Meine Schwester und ich zu Reichs „10 Büchern“, das jeder Student der Orgonomie gelesen haben muß. Zweitens fügt sich Fernandes‘ Veröffentlichung dieses Buches in das weiterlaufende paraphilosophische „LSR-Forschungsprojekt“ ein.

Hier liegt gerade Volker Gerhardts Nietzsche-Monographie aus den 1990er Jahren auf meinem Schreibtisch. Hinten auf dem Einband findet sich folgendes Zitat von Nietzsche – das also den gesamten Nietzsche charakterisieren soll:

Wozu die Menschen da sind, wozu „der Mensch“ da ist, soll uns gar nicht kümmern: aber wozu Du da bist, das frage dich, und wenn Du es nicht erfahren kannst, nun so steck Dir selber Ziele, hohe und edle Ziele und gehe an ihnen zu Grunde! Ich weiß keinen besseren Lebenszweck als am Großen und Unmöglichen zu Grunde zu gehen…

Das findet sich auch auf S. 11f von Gerhardts Buch mit dem abschließenden lateinischen Spruch „… animae magnae prodigus“.

„Wozu die Menschen da sind, wozu ‚der Mensch‘ da ist, soll uns gar nicht kümmern“, ist natürlich Stirner pur. Nur wird es im Folgenden instantan ins Über-Ich zurückgeholt: man soll sich DOCH opfern! Nietzsche als „Überwinder Stirners“! In Meine Schwester und ich wird genau das ad absurdum geführt: Nietzsche geht sinnlos zugrunde und hat ein verpfuschtes Leben hinter sich – von wegen „Verschwender einer großen Seele“!

Der Universitätsprofessor Gerhardt ist vollkommen taub für derartige Zusammenhänge. Er spricht von Nietzsches „großer Seele“ und deren „edlen Zielen“… Meine Schwester und ich zeigt zu recht den obszönen Mittelfinger!

Rechtfertigt das alles den Aufwand einer deutsch/englischen Ausgabe? Am Anfang war ich skeptisch („So dick?!“), bis mir auffiel, wie wenig ich doch vom englischen Original bei meiner Erstlektüre wirklich mitbekommen hatte. Die Fälscher haben sich eines derartig verschwurbelten, prätentiösen englischen Schreibstils befleißigt, daß selbst ein „native speaker“ Probleme hätte, dem Text zu folgen. Von daher kann Fernandes‘ Leistung als Übersetzer gar nicht überbewertet werden – zumal er sich der unmittelbaren Überprüfung stellt.