Zum weiteren Verständnis muß zunächst eine Grundschwierigkeit ausgeräumt werden, an der viele bei ihrer Beschäftigung mit Max Stirner scheitern: er hat nicht der subjektiven „solipsistischen“ Willkür Tür und Tor geöffnet, sondern ganz im Gegenteil sich gegen die Willkür der Menschensatzungen empört, um den Gesetzen der Natur wieder Geltung zu verschaffen, gegen die jede Empörung einfach nur eine Kinderei, also Religion ist. Aber genau das haben sich seine „Nachfolger“, Adorno & Co., zuschulden kommen lassen: kindsköpfigerweise „entlarvten“ sie auch „die Natur“ (z.B. die Genitalität) als bloße Ideologie – und öffneten so der Willkür wieder Tür und Tor. Getoppt wird diese merkwürdige „Dialektik der Aufklärung“, indem plötzlich Reich und Stirner als Faschisten „entlarvt“ dastehen (vgl. dazu Bernd Laskas rororo Bildmonographie über Wilhelm Reich, S. 39).
Zum besseren Verständnis Stirners möchte ich Nietzsche zitieren:
Wir aber wollen Die werden, die wir sind, – die Neuen, die Einmaligen, die Unvergleichbaren, die Sich-selber-Gesetzgebenden, die Sich-selber-Schaffenden! Und dazu müssen wir die besten Lerner und Entdecker alles Gesetzlichen und Notwendigen in der Welt werden: wir müssen Physiker sein, um, in jenem Sinne, Schöpfer sein zu können, – während bisher alle Wertschätzungen und Ideale auf Unkenntnis der Physik oder im Widerspruch mit ihr aufgebaut waren. Und darum: Hoch die Physik! (Die fröhliche Wissenschaft, A 335)
Die Nähe zu Reich, dem „Stirnerischen“ Naturwissenschaftler, ist evident.
In der Denkweise der Kritischen Theorie wird Reich „entlarvt“ als Instrument der kapitalistischen „instrumentellen Vernunft“, die ihn zum totalen Herrscher über die Schöpfung macht, indem er den Menschen und insbesondere dessen Sexualität verdinglicht. Nochmals: Das ist Reich (bzw. Stirner) gegen sich selbst gewendet! Die Kritische Theorie stellt eine radikale Absage an „Stirner-Reich“ dar – indem deren „Aufklärung über die Aufklärung“ gegen die „Aufklärung über die Aufklärung“ gewendet wird.
Jenen (Reich und Stirner), die gegen die „Enteignung des Einzigen“ bzw. gegen die Zerstörung der Selbstregulation protestieren, wird Hybris vorgeworfen: als Non-Plus-Ultra-Kapitalisten würden sie die Natur enteignen. Mit diesem Vorwurf unterscheiden sich Adorno & Co. aber in nichts von den christlichen Kritikern der Aufklärung. Theodor Adornos Dialektik der Aufklärung entlarvt sich so letztendlich als pfaffenhafte Anti-Aufklärung, die aufschreit: „Nichts ist diesen Teufeln heilig!“
Schauen wir, wie Adorno Reichs soziologische Erklärung der Wende von Weimar nach Hitler-Deutschland, bewertet hat:
Es ist nicht so, daß psychologische Dispositionen wirklich Faschismus verursachen, sondern „Faschismus“ bezeichnet eigentlich ein psychologisches Gebiet, das von Kräften, die ihn aus ganz unpsychologischen Interessengründen fördern, erfolgreich ausgenutzt werden kann. (z.n. Annete Leppert-Fögen: Die deklassierte Klasse, Fischer TB, 1974, S. 191)
Was, um alles in der Welt, sind „unpsychologische Interessengründe“? Das soll wohl Adornos „Materialismus“ zum Ausdruck bringen. Adorno will Beweggründe entlarven, verschleiert aber ihren ideologischen, d.h. „bio-psychologischen“ Hintergrund! Überhaupt trifft das ganz allgemein auf den Marxismus zu: er will entlarven, verschleiert aber nur, weshalb er sich so hervorragend als Herrschaftsideologie eignete.
Und was oder wer sind jene „Kräfte“, die ein „psychologisches Gebiet“ (sic!) aus rein materiellen „Interessengründen“ ausnutzen? Natürlich das mythische „Kapital“ mit seinen Klasseninteressen. Nun hat aber Reich gezeigt, daß der Faschismus alles andere als eine Verschwörung des „Finanzkapitals“ war, das ein „psychologisches Gebiet“ rational für seine Interessen manipulierte, sondern daß hier vollkommen irrationale politische Prozesse am Werk waren, die wiederum auf bestimmten Charakterstrukturen beruhten, nicht auf vagen „psychologischen Dispositionen“.
Es geht nicht um isolierte „Dispositionen“, sondern um Charakterstrukturen, die mit der gesellschaftlichen Struktur funktionell identisch sind. Funktionell identisch in der Hinsicht, daß es um die Erfüllung bzw. Nichterfüllung der biologischen Grundbedürfnisse geht. Das sind die „unpsychologischen Interessengründe“. Adornos Kritik zielt also ins Leere. Ein eklektisches Zusammenmanschen von laienhafter Psychoanalyse und abstraktem Pseudomarxismus, das Reich seit Beginn der Sexualökonomie 1928 vernichtend kritisiert hat.
Seinerseits hat (bzw. hätte) Horkheimer als guter Marxist den Reichschen Ansatz, über den Umweg Nietzsche, wie folgt kritisiert:
Weder im individuellen noch im nationalen Charakter liegt der Grund der von ihm (Nietzsche) bekämpften (intellektuellen) Unsauberkeit, sondern in der Struktur der gesellschaftlichen Totalität, die beide in sich enthält. Indem er als typisch bürgerlicher Philosoph die Psychologie, wenngleich die tiefste, die es bis heute gibt, zur Grundwissenschaft der Geschichte machte, hat er den Ursprung der geistigen Verkommenheit sowie den Weg aus ihr verkannt, und das Schicksal, das seinem eigenen Werke widerfuhr (…) hat daher seine Notwendigkeit. (z.n. Steven E. Aschheim: Nietzsche und die Deutschen, Stuttgart 1996, S. 195)
Diese Aussage von 1935 ist vorweggenommen die perfekte Marxistische Kritik an der „faschistischen“ sozialen Orgonomie, wie sie sich heute darstellt. Es ist imgrunde die gleiche Kritik, die der frühe Marx Stirners Der Einzige und sein Eigentum angedeihen ließ: Selbststeuerung und die Bio-Psychologie ihrer Verhinderung sind des Teufels.
Dieses Zusammenspiel von „psychologischen Dispositionen“ (dilettantische Psychoanalyse) auf der einen und „unpsychologischen Interessengründen“ (dilettantische Politökonomie) auf der anderen Seite zeigt die ganze Scharlatanerie Adornos, der als Laie sowohl nichts von Psychologie, Psychiatrie und Medizin als auch nichts von Volkswirtschaft versteht, und zu allem Überfluß nie einen direkten Kontakt mit dem sozialen Kampf der Massen hatte. Aber „Soziologie“ betreiben… In Wirklichkeit ist er einfach nur ein spintisierendes Kind, das mit Freudschen und Marxschen Mythen („das Kapital“, „das Über-Ich“, etc.) wie mit Bauklötzen spielt und sich ein verschrobenes Märchenschloß errichtet, an dem nichts aber auch rein gar nichts stimmt! Daß modern-liberale Charaktere auf diesen Dreck reinfallen, liegt an ihrer Kontaktlosigkeit: der Intellekt ist kein Erkenntnisorgan mehr (Kontakt), sondern ein Organ der Abwehr (Unterbindung von Kontakt).
Wie ist Adorno mit den Stirnerschen Einsichten über das „Heilige“ umgegangen? Er hat, um sowohl dem „Heiligen“ als auch den Stirnerschen Einsichten zu entgehen, einen „dialektischen“ Irrgarten angelegt, in dem sich keiner mehr zurecht findet. Ein Alptraum von kontaktlosem Intellektualismus. Wie Adorno so schön schreibt: „In schroffem Gegensatz zum üblichen Wissensideal bedarf die Objektivität dialektischer Erkenntnis nicht eines Weniger, sondern eines Mehr an Subjekt“ (Negative Dialektik, suhrkamp, S. 50). In seinem reaktionären Obskurantismus unterscheidet er sich in nichts von Figuren wie Heidegger (dem er einen „Jargon der Eigentlichkeit“ vorwirft) und Carl Schmitt.
Daß solche Leute mit ihrer „Dialektik der Aufklärung“ Reich entlarven und die Natur vor seinem sexualökonomischen und orgon-technologischen Zugriff bewahren wollen – ist einfach ein schlechter Witz. Ihre Verteidigung von Natur und Autonomie erinnert fatal an die Verteidigung des Proletariats durch die Marxisten. Es ist in jedem Sinne des Wortes Verrat an Stirners „Aufklärung über die Aufklärung“.
Was ist dann falsch an der Moderne? Es ist nur eines falschgelaufen und das hat nichts mit der Moderne per se zu tun: die Panzerung des Menschentiers. Am sichtbarsten wird diese Panzerung in der Verdoppelung der Welt in das angeblich „barbarische“ Tier und die objektive Wertewelt. Wie Stirner hat Reich gezeigt, daß der Mensch gespalten ist:
Er ist im Grunde hilflos, freiheitsunfähig und autoritätssüchtig, denn er kann nicht spontan reagieren; er ist gepanzert und erwartet Befehle, denn er ist widerspruchsvoll und kann sich auf sich selbst nicht verlassen. (Die Funktion des Orgasmus, Fischer TB, S. 176)
Aber Adorno, Zygmunt Bauman, et al. haben nichts besseres zu tun als weiter gegen die „barbarische Natur“ zu kämpfen. Natürlich predigen sie keine objektive Wertewelt, sondern – die Selbstrücknahme, den Selbsthaß. Gramgebeugte Pfaffen! Etwa wenn Bauman als Essenz seines Denkens in Dialektik der Ordnung „eine Ethik der Distanz und des Ferneffekts (fordert), die mit der unheimlichen Zunahme der räumlichen und zeitlichen Folgen technischen Agierens vereinbar wäre“ und gegen den „nackten, nüchternen Überlebenswillen“ zu mobilisieren sei… Klingt gut, aber dahinter tun sich pseudo-liberale Abgründe auf…
