Email [Reich als Therapeut] (2009)

Ich hatte geschrieben, daß angesichts des heute neu heraufziehenden Nationalsozialismus mit seiner Mischung aus Staatsterror, Dominanz der Großindustrie und sozialistischen Elementen (etwa dem generellen Grundeinkommen), die Neuauflage der Massenpsychologie des Faschismus ein Glücksfall sei. Gleichzeitig ist hier auch ein ungeheures Mißbrauchspotential gegeben, denn Reichs zentrale Angriffsziele sind das Kleinbürgertum (Bauern, Mittelständler, kleine Gewerbetreibende [vom Beamtentum wollen wir an dieser Stelle absehen!]) und der Individualismus.
Man könnte sagen, daß alles Gewachsene und „Widerständige“, das sich der folgerichtigen Entwicklung der Produktionsmittel entgegenstemmt, nunmehr auch mit Hilfe der Psychoanalyse überwunden werden soll. In dieser Form ist das Buch geradezu „anti-orgonomisch“.
Beispielsweise greift Reich die „Zadruga“ an, die, soweit ich es überblicke, vom Herausgeber Andreas Peglau nicht erklärt wird. Auf Wikipedia heißt es dazu:
Die Zadruga (kroatisch bzw. serbisch: Genossenschaft, im Sinne von Hausgenossenschaft; auch: Hauskommunion, Hausgemeinschaft, Großfamilie, Gemeindeschaft) war eine bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts bei den Südslawen verbreitete, Wirtschafts- und Lebensgemeinschaft, die auf den Prinzipien der patriarchalischen Autorität und der Familie aufbaute. Ihre Mitglieder führten die Landwirtschaft in einem Haushalt und unter einem Familienoberhaupt. (…) Nach einer Theorie ist die Zadruga im 14. Jahrhundert als Ergebnis der Feudalzeit entstanden, als die Bauern eine Organisationsform suchten, um dem Druck durch den herrschenden Stand zu widerstehen. (…) Nach anderer Meinung soll es sich bei Zadruga um eine urslawische Einrichtung gehandelt haben, die ihren Ursprung in dem kollektivistisch denkenden Menschen des Ostens hatte, der seinen Gegensatz zu dem individualistisch denkenden Menschen des Westens hatte. (…) Die Zadruga existierte in vielen Gegenden auch neben anderen individualistischen Lebens- und Wirtschaftsformen.
Das „individualistisch“ ist kein Widerspruch: im Westen entzieht sich das Individuum der zentralen staatlichen Kontrolle, im Osten die lokale Gemeinschaft, die in diesem Sinne „individualistisch“ auftritt. Und genau das ist der Punkt: daß der Kommunist Reich 1933 für das Kollektiv eintritt und die Kollektivierung der Landwirtschaft und Kleinbetriebe in der Sowjetunion bzw. dem zukünftigen „Rätedeutschland“. Er war damit sozusagen Sprachrohr des „Great Reset“: „Du wirst nichts besitzen, aber glücklich sein!“
Daß ist das Perfide dieser Ausgabe der Massenpsychologie des Faschismus: daß sie explizit gegen die NSDAP gerichtet ist, die sich heute als AfD tarne, implizit jedoch das Programm der NSDAP unterstützt, nämlich den besagten Great Reset, den Faschismus, der klassisch definiert ist als Zusammengehen von zentralisierter staatlicher Macht und dem zentralisierten Kapital. Entsprechend bezeichnete Reich in der revidierten und erweiterten dritten Auflage der Massenpsychologie des Faschismus den Stalinismus auch als „Staatskapitalismus“ („roten Faschismus“). Alles „Zadruga-Hafte“, alle lokale Autorität muß beseitigt werden. In diesem Sinne wird von Peglau Reich für die antiautoritäre Gesellschaft, in der an die Stelle der zahllosen lokalen Autoritäten die eine „Zentralautorität“ tritt, nutzbar gemacht.
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Eine notwendige Anmerkung: 1940 schrieb Reich an Fritz Brupbacher: „Was sie als neuen Individualismus bezeichnen, glaube ich für meine Person zunächst nur für mich unter dem Begriff ‚Arbeitsdemokratie‘ formuliert zu haben.“
[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]
Charles Konia hat den die westliche Welt zerstörenden Antiautoritarismus wie folgt definiert:
Antiautoritär bezieht sich auf die absolute Ablehnung jeglicher Form von sozialer Autorität auf lokaler Ebene. Wenn die lokale Autorität abgeschafft wird, entsteht unweigerlich Chaos. Um zu überleben, muß die Gesellschaft daher ein anderes autoritäres System auf zentraler Ebene einführen. In der Tat ist die antiautoritäre Politik die Taktik der politischen Linken, um die Macht zu ergreifen. Ein Beispiel ist die antiautoritäre russische Revolution von 1917 und der Aufstieg des roten Faschismus und die Geburt der totalitären Sowjetunion. (Clueless, S. 142, Hervorhebungen hinzugefügt).
Entsprechend schreibt Dimitri Wolkogonow in seiner Stalin-Biographie: „Der Stalinismus führte zu dem Anachronismus des Primats der [„zentralen“] Politik gegenüber der [„lokalen“] Ökonomie, des [„zentralen“] Staates gegenüber der [„lokalen“] Gesellschaft“ (Stalin. Triumph und Tragödie, Düsseldorf 1989, S. 738). Das paßt zur Litanei der Linken, daß sich endlich wieder die Politik gegen die Ökonomie durchsetzen müsse und daß die Menschen wieder politisch bewußter werden müßten. Wolkogonow: „Stalinismus – das ist die absolute Diktatur der Politik über die Ökonomie, über das soziale und geistige Leben, über die Kultur“ (ebd.). Ich erinnere an die alles erstickende linke Political Correctness, die an sich nur einen Feind kennt: die Selbstorganisation der Massen.
Die lokale, die Gesellschaft erhaltende Autorität, insbesondere des ökonomischen Fachwissens, wird ersetzt durch die Pseudoautorität vollkommener Traumtänzer, die die Hebel der Zentralmacht in Händen halten bzw. diese für die Zukunft erträumen, wie dem „Kriegsökonomen“ Trotzki, dem kubanischen „Wirtschaftsleiter“ Che Guevara oder etwa dem „Wirtschaftsexperten“ Rudi Dutschke. Wichser! Michael S. Voslensky erinnert sich, wie seine Genossen in der KPdSU immer sagten: „Man darf nichts dem Selbstlauf überlassen!“ (Das Geheime wird offenbar. Moskauer Archive erzählen. 1917-1991, München 1995).
Nicht nur Wichser, sondern mörderische Wichser! Kommunisten haben das Vergasen von Menschen erfunden. Seit 1936 hat der NKWD LKWs benutzt, deren Abgase ins Innere geleitet wurde. Erfinder dieser Massentötungsmaschine war ein NKWD-Mitarbeiter namens Berg. Gaskammern wie bei den deutschen Sozialisten wurden nicht benötigt. So berichtet der Häftling Lew Rason, daß im Herbst 1937 sein Häftlingstransport aus Moskau mit 517 Mann abging. Im Frühjahr waren davon noch 22 Häftlinge am Leben – der „natürliche Schwund“ in sowjetischen Lagern. Von den 1 000 000 Erschießungen zwischen 1917 und 1990 will ich gar nicht erst anfangen. Zum Beispiel beschloß der NKWD am 5. August 1937 in den folgenden vier Monaten 75 950 „antisowjetische Elemente“, also einfache Leute von der Straße, zu verhaften und zu erschießen. Der Plan wurde übererfüllt. Während neun Monaten im Jahre 1937/38 wurden insgesamt 140 000 „Schädlinge“ erschossen. Da eignet sich gut ein Vergleich mit den Einsatzkommandos des SD der SS: sie erschossen am Anfang des Feldzugs in der UdSSR 90 000 Juden. Ausrottung ganzer Völker war den Kommunisten ebenfalls nicht fremd: als die halbe Million Tschetschenen und Inguschen im Frühling 1944 aus dem Kaukasus nach Kasachstan vertrieben wurden, brachte man die transportuntüchtigen Kranken, Greise und Kinder um, indem man sie z.B. in Scheunen trieb und diese anzündete und unter Feuer nahm. Insgesamt wurden 2,5 Millionen Menschen umgesiedelt, aus dem gleichen Grund, den die Deutschen für ihren Feldzug angaben (und noch heute für ihre Umvolkungsprogramme angeben): neue Siedlungsgebiete. Die Kommunisten haben es sogar soweit getrieben, daß nach dem Holocaust Stalin ein antijüdisches Pogrom plante und im Ostblock die „antizionistische“ Hetze sich in wirklich nichts von Streichers Stürmer unterschied.
Angesichts dieser Fakten waren die Angriffe etwa gegen Ernst Nolte grotesk. Es war einfach so, daß der Holocaust eine Reaktion auf den Kommunismus war: ohne den Zivilisationsbruch GULAG hätte es kein Auschwitz gegeben. Natürlich gab es keinen mechanisch-kausalen Zusammenhang, sondern nur eine „dialektische“ Verbindung, aber mit der Dialektik standen die „Dialektischen Materialisten“ ja schon immer auf Kriegsfuß.
In Archipel Gulag legte Solschenizyn den Roten Faschismus bloß. Mit diesem Buch waren die Bolschewiki erledigt. In seinem zweiten großen Werk Das Rote Rad, das vom Revolutionsjahr 1917 und dessen Vorgeschichte handelt, beachtet er die Bolschewiki und ihren lächerlichen Oktober-Putsch gar nicht, sondern konzentriert sich auf die Februar-Revolution: all sein Haß gilt den antiautoritären Liberalen, die das eigentliche Verhängnis darstellen.
In einem Buch von Michail Bakunin unterstrich sich Stalin folgenden Satz: „Verlieren Sie keine Zeit des Zweifels an sich selbst, weil das die sinnloseste Beschäftigung ist von denen, die der Mensch erdacht hat“ (Wolkogonow: Stalin, S. 237). Bakunins Satz sagt alles über Stalins Verhalten, seinen Charakter aus. Der Schlüssel zum Modju per se (Mocenigo-Djugashwilli). Aber ist das nicht auch irgendwie „Stirneriansch“? Immerhin wußten Bakunin und Stirner voneinander. Über den „Nihilisten“ Netschajew war Lenin mit Bakunin verbunden. Dergestalt findet sich Stirner nicht nur, wie allgemein bekannt ist, im Gründungsgebälk des italienischen Faschismus, sondern auch (wie ich an einem Beispiel zeigen werde) des deutschen Nationalsozialismus und eben auch des Bolschewismus.
All das („inspiriert durch Stirner“) beruht auf einer „mißglückten biologischen Revolution“: die lokalen Autoritäten (das Über-Ich) werden beseitigt, doch alles wird schlimmer, weil an ihre Stelle eine abgehobene, vollkommen kontaktlose und deshalb im Effekt massenmörderische zentrale Autorität tritt (das ultimative Über-Ich).
Oswald wollte mit dem Mord an John F. Kennedy unsterblich werden, einer verpfuschten, schizoiden, vollkommen leeren und perspektivlosen Existenz entkommen – und selbst im fernen Hamburg noch nach Jahrzehnten ein Begriff sein. Außerdem haßte er Amerika und insbesondere dessen Repräsentanten abgrundtief. Das geht eindeutig aus seinen Aktivitäten, seine „Flucht“ in die Sowjetunion und seine Aktionen für Castro, und aus seinen Äußerungen hervor, seine Tagebucheintragungen und das, was er etwa seinen Kameraden bei den Marines erzählte.
Ich möchte diesem Mörder und widerlichen Gernegroß hier jedoch kein weiteres Denkmal setzen, sondern ihn nur als Beispiel für das nutzen, was jeden rationalen Diskurs zerstört: der fatale Hang zur Mythenbildung im mechano-mystischen Zeitalter. Nach der gleichzeitig mystischen und mechanistischen Auffassung des gepanzerten Menschen muß ein großes Ereignis (etwa der Mord an einem kultisch verehrten jugendlich wirkenden US-Präsidenten) einen entsprechend großen Auslöser haben (eine gigantische Verschwörung).
Immer populärer wird die Verschwörungstheorie, daß Lyndon B. Johnson Kennedy ermorden ließ! Denn damit der Mordkomplott möglich war, müssen nicht nur die Mafia, die Polizei von Dallas, das CIA und das FBI involviert gewesen sein, sondern auch der Secret Service, also der Geheimdienst, der für den Schutz der höchsten Regierungsvertreter verantwortlich ist, insbesondere aber für den Präsidenten und den Vizepräsidenten!
Was absolut typisch für derartige extrem exotische Verschwörungstheorien ist, ist die Fixierung auf nebensächliche Details, die über jedes Maß aufgeblasen werden, und der Verweis auf angebliche „Zeugen“, deren Aussagen niemand überprüfen kann. Währenddessen finden die zentralen Punkte, das Wesentliche, wirklich nie Erwähnung. Bezeichnend ist dafür auch Oliver Stones Film JFK, der wirklich an keiner Stelle auch nur eine einzige Andeutung auf die 53 (sic!) Beweise für Oswalds Schuld enthält. Auch erfährt man so gut wie alles über Oswalds Mörder Jack Ruby, nur nicht, daß er mit einer Hündin (sic!) liiert war, deren Welpen er als seine Kinder betrachtete, und daß er unter einem hirnorganischen Schaden litt.
Kaum einer der Verschwörungstheoretiker gibt sich die Mühe, den fünfstündigen Gerichtsprozeß zu verfolgen, in dem Oswalds Schuld ohne Zweifel von einer unabhängigen Jury festgestellt wurde.
Der Ankläger Oswalds, Vincent Bugliosi hat ein 1600seitiges Buch verfaßt, an dem er über 20 Jahre lang arbeitete. In diesem Buch, Reclaiming History: The Assassination of President John F. Kennedy, wird erstmals der gesamte Fall in allen seinen Aspekten, einschließlich aller bekannten Verschwörungstheorien, abgehandelt. Aber Verschwörungstheoretiker lassen sich durch nichts in der Welt von ihrem Wahn abbringen, daß große Ereignisse, große Ursachen haben müssen.
Am Fall Oswald läßt sich ablesen, worum es im Leben geht: daß man sich an das Wesentliche hält, statt mit unüberprüfbaren Nebensächlichkeiten das Wesentliche wie ein Taschenspieler aus dem Fokus der Aufmerksamkeit zu lenken. Wie in der individuellen Neurose, in der die Lebensenergie beispielsweise in vollkommen sinnlosen Grübeleien über abstruse Nichtigkeiten oder gar über zusammenphantasiertes Zeugs verausgabt wird, gehen in diesen Verschwörungstheorien der Gesellschaft unglaubliche Ressourcen verloren. Ganze Bibliotheken sind mit schierem Unsinn gefüllt – und in all den Hunderten, wenn nicht Tausenden von Bänden wird man nirgends die erwähnten, wohldokumentierten 53 Beweise finden und wenn doch hier und da den einen oder anderen, dann werden sie schlichtweg zerredet.
Man nehme etwa das berühmte Photo, das Oswald mit dem Gewehr zeigt, mit dem er Kennedy erschoß, der Pistole im Halfter, mit der er den Polzisten J.D. Tippit erschoß und einer kommunistischen Zeitung in der Hand. Unzählige Traktate wurden darüber verfaßt, daß dieses Photo, das allein schon in jedem Mordprozeß den Angeklagten an den Galgen bringen würde, „ganz offensichtlich gefälscht sei“, was „zig Experten“ nachgewiesen hätten. Wie oft muß Oswalds Witwe eigentlich bestätigen, daß sie das Photo im Garten ihres Hauses geschossen hat? Es gibt einen Zeugen, der aus dem fünften Stock des School Book Depository direkt in der Etage über sich drei Schüsse hörte und sogar die Patronenhülsen auf den Boden fallen hörte. Der Attentäter hatte sich vor dem Fenster einen regelrechten Hinterhalt gebaut, d.h. Kisten so aufgetürmt, daß man bei Betreten des Raumes den Schützen nicht gleich sehen konnte. Niemand hat irgendjemand Fremden im Haus gesehen. Oswald war der einzige, der nach der Parade bzw. dem Attentat nicht zu seiner Arbeitsstelle zurückkehrte. Er hatte am Morgen erstmals ein längliches Paket mit zur Arbeit gebracht. So kann man mit 53 Beweisen, der jeder für sich für eine Verurteilung ausreichen würde, fortfahren. Doch die Verschwörungstheoretiker wären wahrscheinlich nicht mal zu überzeugen, hätte man Oswald bei der Tat gefilmt! „Fälschung!“ „Wer sagt, daß er überhaupt auf Kennedy geschossen hat?“ „Und wenn, daß er getroffen hat?“ „Und wurde der Film überhaupt am Tag des Attentats aufgenommen?“ „Ist das überhaupt Oswald?“
Das Infame bei der ganzen Angelegenheit ist, daß die Verschwörungstheoretiker mit dem Anspruch auftreten, daß sie „den Finger auf die Wunde“ legten, während Leute wie Bugliosi nur immer ängstlich ausweichen würden. Damit wird in der Gesellschaft aktiv die okulare Panzerung verbreitet: die Menschen sollen nicht mehr glauben, was sie sehen und was bei näherer Betrachtung selbstevident ist, sondern sie sollen sich in der Phantasiewelt extrem komplizierter und vollkommen unglaubwürdiger Plots mit ausufernden Querverbindungen verlieren. Oder mit anderen Worten: sie sollen paranoid werden! Sie sollen so denken, wie Schizophrene denken, bei denen alle Eindrücke das gleiche Gewicht haben! Und das alles im Namen der Aufklärung!
Das ganze ist exakt wie eine individuelle Neurose aufgebaut, deren kompliziertes Gebäude nur dem einen Zweck dient, das Individuum vor der Wirklichkeit, der Wahrheit, vor dem Kontakt zu schützen. Gepanzerte Menschen können klares Denken, wie es Bugliosi vorexerziert, ein Denken von A zu B zu C zu D und letztendlich zu Z nicht zulassen. Alles wird zerredet, nie kommt man zum Kern der Angelegenheit. Noch schlimmer: jene, die auf den Kern verweisen, wird vorgehalten, sie wollten die Wahrheit einfach nicht sehen. Diese aktive Aufrechterhaltung der Neurose, dieses aktive Bekämpfen der Gesundheit, bezeichnet man übrigens als Emotionelle Pest! Auf die gleiche Weise wird etwa von sogenannten „Skeptikern“ die Orgonforschung zerredet.
Es ist wie in der Orgontherapie, wenn der Patient auf den Hinweis, daß er unmotiviert vor sich hin grinse, nicht etwa damit reagiert, daß er seine Kontaktlosigkeit überwindet und etwa anfängt zu weinen, sondern indem er seine „intellektuelle Überlegenheit“ ausspielt. Solchen Patienten, meist pseudo-liberale Charaktere, kann man nicht helfen, sie sind untherapierbar. Genauso kann man Verschwörungstheoretikern nicht helfen, da sie sich mit ihrem Glaubenssystem perfekt abgepanzert haben. Das schlimme ist, daß sie diese ihre Neurose aktiv verbreiten und so die gesamte Gesellschaft verpanzern. Sie sind wie Kiffer, die den unwiderstehlichen Zwang empfinden, andere zu Proselyten zu machen, auf daß schließlich alle um sie herum bekifft, d.h. kontaktlos sind. Verschwörungstheoretiker bekämpfen nicht etwa die Emotionelle Pest, sie sind die Emotionelle Pest.
Beispielsweise wurde dem bekannten klinischen Psychologen Mattias Desmet angesichts seines Buches The Psychology of Totalitarianism vorgeworfen, seine, Reichs Massenpsychologie des Faschismus ziemlich nahekommende, Analyse würde den Verschwörern des Great Reset um Klaus Schwab, Bill Gates und George Soros in die Hände spielen. Die Massenpsychologie würde systematisch den Blick von den Verschwörern ablenken, stattdessn auf ihre Opfer, die Massen, hinlenken und so eine Nebelwand errichten, hinter der die Verschwörer weiter ungehindert agieren können. Genauso könnte man mit Charles Konias neuem Buch Clueless umgehen!
Muß man also alles glauben, was „die Mächtigen“ vorgeben, um als „gesund“ gelten zu können? Nein, natürlich nicht. Beispielsweise wollte Bugliosi aufgrund des Irak-Krieges George W. Bush wegen Mordes anklagen! Der Unterschied ist, daß Bugliosi mit neuen Beweisen seine Meinung ändern wird. Bei diesen geht es übrigens stets um „berechtigte Zweifel“, nie um absolute Sicherheit. Wenn es nach der ginge, dann könnte niemand niemals zu irgendetwas verurteilt werden! Einmal muß die Gestalt geschlossen werden – oder wir werden alle miteinander verrückt…
Das gesagte läßt sich natürlich auch auf die diversen Verschwörungstheorien um 9/11 anwenden.
[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]
Reichs „Wiener Geschichte“ ist eine einzige große Auseinandersetzung mit LSR:
# „Gott Stirner“ (siehe Leidenschaft der Jugend)
# der triebhafte Charakter: (pseudo-)„Stirnerisch“ frei und gleichzeitig verfolgt von einem sadistischen Über-Ich („FICK mich!“): de Sade, Foucault
# die SPÖ als Vertretung des rigiden Über-Ich, die KPÖ als Vertreterin des rebellischen Lebens, das von Dämonen verfolgt wird („sadistisches Über-Ich“)
# „orgastische Potenz“ als Lösung des Dilemmas der Triebhaftigkeit (der Triebgehemmtheit ja sowieso)
# die Kulturdebatte mit Freud und erste Zweifel an der Sowjetunion
# allererste Anfänge der Orgonomie, d.h. einer Welt „jenseits der Kultur“ (man denke sowohl an Freuds Jenseits des Lustprinzips als auch an sein Unbehagen in der Kultur)
Von vorne bis hinten Bernd Laskas LSR-Projekt (LaMettrie, Stirner, Reich):
# der orgastisch potente LaMettrie gegen den triebhaften Charakter de Sade
# der orgastisch potente Stirner gegen den Moralisten Marx (verkörpert in der austromarxistischen pfaffenhaften SPÖ)
# der orgastisch potente Reich gegen Freud (die sozialdemokratischen Psychoanalytiker a la Federn, die auf die triebhaften kommunistischen Untermenschen hinabblicken)
Verfolgen wir Reichs „LSR-Entwicklung“ weiter über Berlin bis nach Rangeley:
Bereits in der Massenpsychologie des Faschismus von 1933 gab Reich den Nationalsozialisen recht: man dürfe die Bedeutung des „Seelischen und Religiösen“ nicht unterschätzen (Massenpsychologie des Faschismus, Fischer TB, S. 139), denn die religiöse Erregung ist, wie er einige Jahre später formulierte, „nicht nur antisexuell, sondern in hohem Grade selbst sexuell“ (ebd. S. 144).
Er wollte das wieder auflösen, die „seelischen und religiösen ‘Entitäten’“ wieder zum bioenergetischen Strömen bringen: die Panzerung auflösen, die Sexualität aus ihrer religiösen Perversion befreien. Und genau wie in seiner charakter/vegeto/orgon=orgasmotherapeutischen Arbeit wuchs dabei im Laufe der Jahre Reichs „Respekt“ vor dieser „alten Welt“, die es doch aufzulösen galt. Den gleichen „Respekt“, den man einem räudigen Kampfhund entgegenbringt.
Es gibt kein Weg zurück, wie es auch in der Entpanzerung des Körpers keinen Weg zurück gibt. Es besteht aber eine Gefahr, die Reich seit seiner Arbeit mit dem triebhaften Charakter vor Augen stand, die er aus der eigenen therapeutischen Praxis kannte und die nicht zuletzt das Geschehen in Deutschland und Rußland der 1930er Jahre kennzeichnete: wenn man zu schnell vorgeht, kommt es zum Kollaps und das Über-Ich schlägt im sich „entpanzernden System“ härter zu als jemals zuvor und zwar diesmal auf unberechenbare „triebhafte“ Weise. Wenn dieser Zustand aber erreicht ist, dann ist jede weitere Entpanzerung ausgeschlossen, was den endgültige Sieg der „Reaktion“ bedeutet. Nicht zuletzt sieht man das an den gruseligen „Körperpsychotherapeuten“ und „Reichianern“, die die Orgonomie unrettbar zerstören. Wie Reich gezeigt hat, gibt es als Gegenmittel nur die Sequestration der Pestratten.
Diese Erkenntnis, also die Gefahr, die in der Entpanzerung steckt, ist ein entscheidender Fortschritt. Gewisserweise muß gerade die wahre Aufklärung die „Heiligtümer der alten Welt“ als „heilig“ erachten, einfach weil sie eine Doppel-Funktion haben: sie perpetuieren nicht nur die alte Welt, sie sind auch die einzige Möglichkeit, um die alte Welt zu vernichten. Platt ausgedrückt: man benötigt militärische Disziplin um einer faschistischen Militärmaschinerie entgegentreten zu können. Genauso wie der Orgontherapeut heutzutage (als noch die Zwangscharaktere dominierten, sah das Vorgehen natürlich anders aus) nicht einfach den Panzer auflösen will, sondern erstmal (z.B. beim schizophrenen Charakter) einen Panzer erzeugen (bzw. natürlich verlagern) muß, damit nicht der Organismus aus Orgasmusangst sich endgültig abpanzert.
In unserer Gesellschaft kann das natürlich nicht bedeuten, daß man auf religiöse Gefühle oder die humanistischen Phrasen Rücksicht nimmt und schon gar nicht, daß man irgendwelche Kompromisse, außer denen der praktischen Lebensklugheit, macht. Es geht erstmal um die Vermittlung des Problembewußtseins („Leute, der Panzer hat eine Funktion!“) und zweitens darum, mit welchen Leuten man sich zusammentut. Was nichts anderes bedeutet, als das die „natürlichen Freunde“, etwa die Anarchisten, zu meiden sind als hätten sie die Beulenpest.
Und genau das (die soeben angeführten zwei Handlungsmaximen) hat Reich befolgt, das erstere vor allem im Christusmord und das letztere dadurch, daß er sich sukzessive von seinen „natürlichen Freunden“ abwandte bzw. gar nicht an sich herankommen ließ (etwa die „Beatniks“) und zum „Eisenhower-Fan“ wurde. Zunächst mußten die Linken dran glauben (z.B. die Trennung von seiner sozialistischen Assistentin Gertrud Gaasland) und schließlich sogar die amerikanischen Liberalen (praktisch zwang er die, außer Baker, Duvall und Silvert, durchweg liberalen Orgonomen auf Republikaner-Kurs), von Greenwich Village brauchen wir gar nicht erst zu reden, auch nicht von seiner Reaktion auf Paul Ritter und David Boadella.
Es geht nicht um „Fürsten“ oder ein „Zurück in die alte Welt“, es geht nicht mal um Eisenhower, Reagan und die AfD, sondern um den grundsätzlichen Respekt vor dem Status quo, der durch Eisenhower, Reagan, AfD, etc. archetypisch verkörpert wird. Es muß der Status quo verteidigt werden, um den Status quo zu ändern. Dialektik!
Was auf den ersten Blick wie Reichs Abfall oder zumindest Relativierung von der radikalen Aufklärung aussieht, erweist sich bei genauerer Betrachtung als Reichs konsequente Zuendeführung seines spezifischen Beitrags, den ich oben („Reich in Wien“) skizziert habe.
Im folgenden werde ich in drei Teilen Auszüge (der Anfang und das Ende) von Die Sexualrevolution in Rußland von Dr. Batkis, Dozent am sozialhygienischen Institut in Moskau aus dem Jahre 1925 vorstellen. Übersetzung aus dem russischen Manuskript von Stefanie Theilhaber. Das ganze erschien in der Reihe BEITRÄGE ZUM SEXUALPROBLEM herausgegeben von Dr. Felic A. Theilhaber als Heft IV. Es erschienen in dieser Reihe insgesamt 20 Hefte im anarchistischen Verlag Der Syndikalist, Fritz Kater.
Die ersten beiden hier präsentierten Ausschnitte lassen erkennen, warum Reich sich 1927/28 voll Begeisterung dem Kommunismus zuwandte, der letzte Teil kündigt aber bereits die Sexualreaktion des Stalinismus an. (Der Rest des Heftes beschäftigt sich mit dem Kleinklein der Sowjetgesetzgebung insbesondere Ehe- und Abtreibungsrecht.)
Reich kannte diese Broschüre. Jedenfalls erwähnt er sie in Die sexuelle Revolution als „Die sexuelle Revolution in der Sowjetunion“ in Zusammenhang mit der Abtreibungsfrage und der Ehegesetzgebung.
Die heutige Sexualgesetzgebung der Sowjetrepubliken ist das Werk der Oktoberrevolution. Diese Revolution ist nicht nur als politische Erscheinung, sofern sie dem Proletariat die politische Diktatur sicherte, von Wichtigkeit. Die von ihr ausstrahlenden Umwälzungen erstrecken sich auch auf das übrige Leben.
Ihr Befreiungswerk eröffneten die Führer der Revolution nicht damit, daß sie mutig und entschlossen sich der Fesseln der alten Gesetze und Einrichtungen entledigten und mit einer Proklamation großer und geschwollener Prinzipien den Umsturz einleiteten. Denn leicht stürzen Prinzipien bei einem Zusammenstoß mit dem Alltag, mit der Wirklichkeit, wie Kartenhäuser zusammen. Dafür ist die Geschichte der ersten französischen Revolution das lehrreichste Beispiel, wo Stubenluft und graue Theorie für ihre Einrichtungen und Gesetze Gevatterschaft standen.
Die soziale Gesetzgebung der russischen kommunistischen Revolution will kein Produkt reiner Kathederweisheit sein, sondern stellt einen Niederschlag des Lebens dar. Erst nach der erfolgten Umwälzung, nach dem Triumph der Praxis über die Theorie, trachtete man nach neuen, festen Bestimmungen einer ökonomischen Ordnung. Damit wurden auch Formen für die Einrichtung des Familienlebens und für die Gestaltung der sexuellen Beziehungen gemäß den Nöten und den natürlichen Erfordernissen des Volkes geschaffen.
Die zaristische Gesetzgebung bestand aus mehreren Bänden, in denen grenzenloser Despotismus, Sanktionierung der Willkür, der Gewalttätigkeit und der Versklavung des Weibes die Grundnote abgaben.
Das alte russische Ehe- und Familienrecht war der Abklatsch des allgemeinen Systems, das auch in politischer und ökonomischer Beziehung das System der Bedrückung war.
Die Auffassung und Wahrnehmung der Familie als, einer Privatangelegenheit, die unbegrenzte Machtbefugnis des Hauptes der Familie über alle Familienmitglieder, nach dem Vorbild der römischen Paterfamilie, das Anführen verschiedener unwissenschaftlich kanonischer Gesetze mit religiöser kirchlicher Moral, die die Frau als das „Gefäß des Teufels“ bezeichnen, vollkommene Ignorierung der natürlichen Verhältnisse, – das waren die charakteristischen Seiten dieser zaristischen Gesetzgebung.
„Die Frau muß ihren Mann fürchten“, jene Redensart, die während der Eheschließung in der rechtgläubigen Kirche der Frau mit auf den Lebens- und Eheweg gegeben wurde, war das grundlegende Motiv jener Gesetze. Ähnlich war auch die Lage der Kinder in der Familie. Der Teil der Gesetzgebung, in dem die entsprechenden Gesetze niedergeschrieben waren, trug die charakteristische Überschrift „Über die Macht der Eltern“.
Die uneheliche Mutterschaft, fast ohne Schutz, die Abtreibung mit Zwangsarbeit bestraft, grenzenlose Exploitation der Frauen-und Kinder-Arbeit, die sinnlose Einmischung der Gesetze und Beschnüffelung des persönlichen, intimen sexuellen Lebens unter der Maske der Besorgnis für die öffentliche Sittlichkeit einerseits und andererseits das begünstigende Einwirken auf die Verbreitung der Prostitution zu derselben Zeit – das waren die weiteren Tendenzen dieser Gesetzgebung.
Die breiten Volksmassen, insbesondere die Bauern waren vollkommen unter dem Einfluß der unwissenden Geistlichkeit und der Amtsbehörden.
Die Geistlichkeit lehrte jahrhundertelang die Bauern den Glauben an die teuflische Herkunft des Weibes, das aus der männlichen Hüfte zur Lust des Mannes geschaffen worden ist, und sie nährte den Glauben an die göttliche Autorität dieser wahrhaft teuflischen Gesetze.
Die Arbeiter und die Bauern, ewig unterdrückt, ewig erniedrigt im politischen und ökonomischen Leben, hatten nur eine einzige Möglichkeit, wo sie die Herren sein könnten, ein einziges Feld, wo sie anderen unter der Gönnerschaft von Gott und Gesetz ihre unbegrenzte Macht fühlen lassen konnten. Dieses Feld war ihre eigene Familie, diejenigen, auf die sich ihre Macht erstreckte waren ihre Weiber und ihre Kinder.
Seit langem schon erklärten die vorgeschrittenen Arbeiter und Bauern und die freiheitlichen intelligenten Elemente der russischen Gesellschaft, daß sie Feinde dieser mittelalterlichen Normen seien. Normen, die die freie Entwicklung der Gesellschaft und des Individuums hemmten, Normen, die im dauernden Widerspruch zu der Wirklichkeit standen.
Der Geograph und Anarchist Pjotr Kropotkin (1842-1921) war in vieler Hinsicht ein Vorläufer James DeMeos und seiner Saharasia-Theorie. Ich verweise auf den Artikel von Mike Davis: „Klimapioniere – Von Eiszeiten, Wassermangel und Wüstenzonen“, wo ich auch den Hinweis auf Ruskin gefunden habe.
Kropotkin war der erste, der in den 1870er Jahren die Vorstellung aufbrachte,
daß die 14 000 Jahre seit dem letzteiszeitlichen Maximum eine Epoche anhaltender, katastrophischer Austrocknung der Kontinentalgebiete seien. Diese Theorie – man könnte sie die „alte klimatische Deutung der Geschichte“ nennen – war zu Beginn des 20. Jahrhunderts äußerst einflußreich, verlor aber in den 1940er Jahren mit dem Aufkommen der dynamischen Meteorologie und deren Unterstellung eines sich selbst justierenden physikalischen Gleichgewichts rasch an Bedeutung.
Es ging dabei insbesondere um die These von der Austrocknung seit der letzten Eiszeit als Triebkraft der eurasischen Geschichte. Danach waren Ostturkestan und das Kernland der Mongolei einst wasserreich und „kulturell fortgeschritten“. Davis zitiert Kropotkin:
All das ist nun verschwunden, und es muß die schnelle Austrocknung dieser Gebiete gewesen sein, die ihre Einwohner nötigte, hinunter zur Dsungarischen Pforte, ins Tiefland von Balqasch und Obi zu wandern und dabei die Einwohner der Niederungen vor sich herzutreiben, was die großen Einfälle und Völkerwanderungen in Europa während der ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung bewirkt hat.
Man vermeint DeMeo zu lesen, während der nächste Russe sozusagen das Negativ von Kropotkin ist:
Lew Gumiljow (1912-1992), ein sowjetischer Historiker, Ethnologe und Anthropologe prägt seit der Endzeit der Sowjetunion den antiwestlichen, „eurasischen“ Diskurs sowohl der rechtsradikalen Kreise in Rußland als auch bei den russischen Randvölkern, den von Gumiljow glorifizierten „Steppenvölkern“. Das ganze bezeichnet man als „Neo-Eurasianismus“. Gumiljow ist sozusagen der „Karl Haushofer“ eines neuen Nationalsozialismus.
In den 1950er Jahren begann Gumiljow sich mit der Geschichte der Kazaren und anderer Steppenvölker im mittelasiatischen Teil der Sowjetunion zu beschäftigen. Für ihn stellen die Russen im Verbund mit den Steppenvölkern eine „Großethnie“ dar, die sich immer wieder gegen den Hauptfeind, die Großethnie „katholisches Europa“, zur Wehr setzen mußte. Die Steppenvölker hätten dabei der gemeinsamen Mission wiederholt neue Kampfkraft beigesteuert, nachdem die Russen jeweils der Trägheit verfallen waren.
Die in einzelnen Erscheinungen vielleicht bedauerliche, in ihrer Gesamtheit jedoch fruchttragende Migration aus den südlichen Steppengebieten sei von Trockenperioden und der Wüstenausbreitung bestimmt gewesen, die wiederum auf die Sonnenaktivität und andere kosmische Einflüsse zurückgingen. Die „kosmischen Strahlen“ hätten diesen Völkern gleichzeitig auch „passionarnost“ verliehen; die Passion, Energie, Vitalität, den inneren Impetus, um andere Völker zu übermannen. Diese Strahlen seien vielleicht sogar für Mutationen und das Auftreten neuer „Rassen“ verantwortlich.
Im Rückgriff auf u.a. Wladimir Wernadski sind für Gumiljow Menschen „Funktionen“ der Biosphäre. Die Ethnien seien nicht nur eine Ansammlung von Individuen, sondern Teil umfassender „biogeochemischer“ Prozesse. Sie wären dem Zweiten Thermodynamischen Gesetz unterworden, der zum Energieausgleich und Stillstand führt, gäbe es nicht Phänomene gleicher Stärke, die dem entgegenwirkten. Die lebendige Materie besäße anti-entropische Eigenschaften. Diese Energie sei genauso real wie jene, die von den Physikern studiert wird.
Sie bringt die Organismen dazu sich zu entfalten und zu vermehren. Dazu zählten auch die Menschen und Völker. Ausgelöst durch die bereits erwähnten „kosmischen Strahlungen“, die bestimmte Abschnitte der Erdoberfläche unabhängig von geographischen Barrieren träfen, würde es zu „passionierten“ Eruptionen und Exzessen bei den Völkern kommen, mit deren Hilfe sie die akkumulierte Energie wieder entladen. Dies erkläre warum mächtige Eroberer schnell wieder in Vergessenheit geraten. Ihr „Erschlaffen“ ist nur allzu natürlich.
Die entsprechenden energetischen Prozesse führen gesetzmäßig nacheinander zum Aufstieg einer Ethnie, ihrer Entwicklung, dem imperialen Höhepunkt, gefolgt von Trägheit, Rückzug und Erinnerung an die glorreichen Zeiten. Beim Aufwallen der nationalen Passion und ihrer „orgasmischen“ Entladung komme es zu den großen Eroberungen. So sah Gumiljow beispielsweise das derzeitige Verhältnis zwischen dem trägen Europa und dem von nationaler Passion getriebenen Arabien.
James DeMeo verweist in seinem Buch Saharasia zwar auf Gumiljows Forschungen über die Auswirkungen von Dürreperioden in Zentralasien auf die Wanderungsbewegungen der Steppenvölker, erwähnt jedoch weder die quasi „orgonomischen“ Anteile von dessen Theorie noch, daß Gumiljow sozusagen eine „faschistische Variante der Saharasia-Theorie“ vertritt. Geradezu zwangsläufig muß dieser „Anti-DeMeo“ im Antisemitismus münden: Für ihn stehen die Juden außerhalb der beschriebenen energetischen Prozesse. Sie seien ein merkantiler Fremdkörper, der in keiner organischen Beziehung zu seiner Umwelt steht.
Um das richtig einordnen zu können, verweise ich auf meine Ausführungen in Der Blaue Faschismus, wo gezeigt wird, daß der Nationalsozialismus auf ähnlichen quasi „orgonomischen“ Theorien beruht.
Bleiben wir auf dem eurasischen Kontinent: David Zhang (University of Hong Kong) et al. haben bei der Analyse von Klimadaten und historischen Aufzeichnungen entdeckt, daß es im Osten des chinesischen Kaiserreichs im vergangenen Jahrtausend immer dann gehäuft zu kriegerischen Auseinandersetzungen gekommen ist, wenn in diesem Zeitraum das Klima besonders kalt war. Im ganzen traten sechs große Kältephasen auf, die mit Perioden zusammenfielen, in denen es gehäuft zu kriegerischen Auseinandersetzungen kam. Die Wissenschaftler führen das auf die verringerten landwirtschaftlichen Erträge zurück. Die Kriege brachen meist etwa zehn bis dreißig Jahre nach Beginn der jeweiligen Klimaperiode aus. Die Forscher weisen auch darauf hin, daß der Dreißigjährige Krieg und andere Krisen in Europa und Asien mit dem Höhepunkt der „kleinen Eiszeit“ zusammenfallen.
Das ist eine weitere Bestätigung für einen zentralen Aspekt von James DeMeos Saharasiatheorie: lebenswidrige Umwelteinflüsse führen zu lebenswidrigem Verhalten. (Übrigens stehen wir gegenwärtig am Beginn einer neuen kleinen Eiszeit!)
Einer Studie von Richard Neugebauer von der Columbia Universität in New York zufolge erhöht eine mangelhafte Nährstoffversorgung im Mutterleib das Risiko, an Schizophrenie zu erkranken, deutlich. Beim Vergleich von klinischen Daten zwischen 1971 und 2001 von Patienten die vor, während und nach einer extremen Hungersnot Mitte des 20. Jahrhunderts in China zur Welt gekommen waren, wurde festgestellt, daß sich bei jenen, die während der Hungerperiode geboren wurden, das Risiko für Schizophrenie verdoppelt hatte.
Die Forscher fragen sich, ob der generelle Nährstoffmangel oder das Fehlen eines bestimmten Stoffes während der Schwangerschaft das auslösende Moment ist. Bezeichnenderweise wird nicht gefragt, ob auch der Umgang mit den Kindern unter dieser extremen Streßsituation eine Rolle spielt. Jedenfalls bestätigt diese Studie aufs neue James DeMeos Saharasia-These: daß Panzerung ursächlich auf Wüstenbildung (oder in diesem speziellen Fall auf die soziale Ver-Wüstung durch den Kommunismus) zurückgeht.