Die von mir im ersten Teil großzügig interpretierte und zusammengefaßte orgonomische Wirtschaftstheorie, die hier, hier und hier im einzelnen konkretisiert wird, wird durch die überzeugenden Beiträge von Gunnar Heinsohn weitgehend negiert. Vor der durch Eigentum geregelten Gesellschaft stehe das Feudalsystem (das wiederum aus den Stammesgesellschaften hervorgegangen ist) und damit die bloße Verwaltung und mehr oder weniger willkürliche Verteilung von Gütern. Nach einem revolutionären Umbruch wurde der Feudalbesitz (materielle Beherrschung) aufgeteilt und durch einen Rechtsakt in Eigentum (rechtliche Beherrschung) umgewandelt, d.h. mit Eigentumstiteln versehen. Von diesem Zeitpunkt an geht es, so die Vorstellung Heinsohns, nicht mehr um das Verteilen von Gütern, sondern um die Verwertung des Eigentums unter den Bedingungen der Erzwingung von Mehrertrag durch den Zins.
Wer bei einem Kreditgeschäft auf die freie Verfügbarkeit seines Eigentums, das etwa verpfändet oder verkauft werden kann („Eigentumsprämie“), zeitweise verzichtet, möchte dafür kompensiert werden, der Kreditnehmer kann also nicht nur das fremde Eigentum, das er zeitweise besitzt, zum eigenen Vorteil nutzen, sondern muß auch einen Zins unter der ständigen Drohung erwirtschaften, bei Nichterfüllung das eigene Eigentum, das den Kredit absichert, durch entsprechende Rechtstitel zu verlieren. Zu Konjunkturschwankungen kommt es, wenn es, insbesondere in Folge von Innovationen, zu Veränderungen der Eigentumsprämie kommt, weil der Wert des Eigentums neu eingeschätzt wird.
Eigentum wird durch einen nichtphysischen Rechtsakt geschaffen. Am Anfang geschah das durch Parzellierung des Landes mit je einem Eigentümer der einzelnen Parzellen. Dadurch, daß es eingezäunt wird, ändert sich an einem Stück Land zunächst einmal gar nichts, trotzdem ist das, Heinsohn zufolge, der alles entscheidende Bruch in der Wirtschaftsgeschichte, denn durch das Eigentum wird der Kredit- und Zinsmechanismus in Gang gesetzt und der Eigentümer dadurch gezwungen, dieses Land profitabel zu bewirtschaften. Plötzlich zählen persönliche Beziehungen rein gar nichts mehr, der Austausch wird sozusagen „blind“, vor allem aber „mathematisiert“, d.h. infolge des abstrakten Eigentumsbegriffs zählt einzig und allein die Quantität.
Eine genuine Ökonomie, d.h. ein wirkliches Bewirtschaften, wird, Heinsohn zufolge, nicht durch letztendlich biologisch bedingte Bedürfnisse angetrieben, sondern durch die blinde Mechanik der Eigentumsökonomie. Erst durch sie kommt es zu wirtschaftlicher Dynamik mit einem entsprechenden Austausch von Gütern bzw. Waren. Der „von Natur aus“ rational tauschende „Mensch an sich“ sei, so Heinsohn, eine Illusion, die darauf beruht, daß die Wirtschaftswissenschaften die letzten 100 Jahre ethnologischer Forschung ignoriert haben. Der entsprechende Tausch sei in Stammes- und Feudalgesellschaften nicht auffindbar, sondern beruhe dort schlicht auf Reziprozität. Man denke in unserer Gesellschaft etwa an Freundschaftsdienste und Nachbarschaftshilfe, die (unter den mißbilligenden Augen des Finanzamtes und der Handwerkskammer) neben der eigentlichen Ökonomie existieren.
Erst wenn die Ökonomie durch das Eigentum auf ein neues Abstraktionsniveau gehoben wird, tritt der Homo oekonomicus, der „10 Kühe gegen 100 Schafe“ tauscht, in Erscheinung. Das ist die berühmte „unmenschliche Kälte“ des Kapitalisten, der „selbst seine Großmutter verschachern würde“. Diese Kälte kommt in die Welt, weil der Eigentümer letztendlich mit seinem Vermögen als Sicherheitspfand haftet, wenn er seine Kredite nicht mehr erfüllen kann, mit denen er die Produktion vorfinanzieren mußte. Waren werden dementsprechend nicht etwa produziert, um Bedürfnisse zu befriedigen, sondern damit der Unternehmer seine Schulden bedienen kann.
Heinsohn führt des weiteren aus, daß Geld im eigentlichen Sinne nicht durch das Bedürfnis nach Tauscheffizienz entstanden sei, sondern durch Kreditvereinbarungen zwischen Eigentümern ständig entsteht, d.h. nichts anderes als Anspruch auf Gläubigereigentum ist. Aus diesem Grund gab es im Sozialismus, obwohl „Geldscheine“ gedruckt wurden, gar kein Geld. Auch können Güter und Waren kein Geld im eigentlichen Sinne sein. Wenn man auf „Kauri-Muscheln“ auf Neuguinea und ähnliches deutet, bestreitet Heinsohn, mit Verweis auf die Ethnologie, schlichtweg, daß es sich um „wirkliches Geld“ handelt, da die besagten „Kauri-Muscheln“ kein allgemeingültiges Zahlungsmittel darstellen und beispielsweise niemals gegen „minderwertigere“ Güter getauscht werden können.
Aus dieser Perspektive scheint wenig bis nichts von Robert A. Harmans Erläuterungen zu bleiben, denen zufolge der Geldfluß in unserer Gesellschaft eine sekundäre Begleiterscheinung der Ausbreitung bioenergetischer Erregung zwischen Menschen ist, die gemeinsam ihre biologischen Bedürfnisse erfüllen wollen. Klarheit wird geschaffen, wenn man erkennt, daß Harman die bioenergetischen und ständig wirksamen Grundlagen der Ökonomie beschreibt, die durch die Emotionelle Pest bedroht sind, während Heinsohn den Übergang zur, wenn man so will, „mechanischen Ökonomie“ aufgezeigt hat, die von allen bioenergetischen Prozessen radikal abstrahiert und entsprechend mit mathematischen Modellen beschrieben werden kann. Bei der ersteren geht es um letztendlich biologisch bedingte Tauschgeschäfte, bei der letzteren um Schuldverhältnisse, die auf abstrakten Rechtstiteln beruhen. Das ganze ähnelt dem Verhältnis von Orgonphysik und mechanistischer Physik, die erfolgreich operiert, so als gäbe es die Orgonenergie gar nicht.
Heinsohn ist Katastrophist, der geradezu von „Brüchen“ in der Geschichte besessen ist, da es in seiner Anschauungswelt stets eines mechanischen Anstoßes von außen bedarf, um Bewegung in Gang zu setzen. Der von ihm konstatierte Bruch ist aber durchaus nicht so grundsätzlich, wie er behauptet, denn, wie im ersten Teil angedeutet, gab es auch in Stammesgesellschaften „Parzellen“ und Rechtstitel. Natürlich nicht im heutigen Sinne als Herrschaftsrecht, aber trotzdem sind es eindeutig Vorläufer, zumal nur durch eine solche Kontinuität die Tauschdynamik einer Eigentumsökonomie überhaupt erst erklärbar ist: man führte den alten Tausch unter neuen Bedingungen (d.h. einerseits „ohne Ansehen der Person“ und andererseits unter dem Druck der Haftbarkeit mit dem persönlichen Eigentum) weiter. Es ist nämlich nicht recht einzusehen, warum ausgerechnet das Eigentum anfänglich für wirtschaftliche Dynamik sorgen soll, d.h. warum die Eigentümer überhaupt ihr Eigentum gefährden, indem sie sich auf die Eigentumsökonomie einlassen.
Natürlich bestreitet Heinsohn nicht, daß es in Stammesgesellschaften jede Menge von Tauschvorgängen gibt. Auch dort ist der Tauschvorgang selbst wichtiger als die Tauschobjekte, nur daß dort ihr jeweiliger Gegenwert keiner bestimmten Regel zu unterliegen, sondern rein subjektiv zu sein scheint. In unserer gegenwärtigen Ökonomie können wir ähnliches, d.h. einen derartigen „irrationalen“ Tausch beobachten, nämlich dann, wenn es um Luxusgüter und um Kunst geht. Werner Sombart zufolge hat sich ausgerechnet aus diesem Bereich heraus der Kapitalismus entwickelt: Auch wird nicht nur die Eigentumswirtschaft von immateriellen Strukturen (nämlich Rechtstiteln) bestimmt, sondern gerade auch Stammesgesellschaften (die Tradition mit ihren Regeln und vorgegebenen Strukturen).
Wenn der Tausch gewaltsam unterbrochen wird, reorganisiert sich die Gesellschaft spontan auf der Grundlage der Bedürfniserfüllung. Man denke in diesem Zusammenhang etwa an die „DDR“, in der es als Reaktion auf die ineffiziente Planwirtschaft spontan zur Bildung eines landesweiten Netzes von Tauschbeziehungen kam. Zwar beruhte dieses (ähnlich den erwähnten Freundschafts- und Nachbarschaftsdiensten) auf persönlichen und meist vollkommen willkürlich Tauschverhältnissen, jedoch stellte es die ideale Vorbereitung auf den westdeutschen Kapitalismus dar. Es ist bemerkenswert, wie sich manche „gelernte DDR-Bürger“ in das Wirtschaftssystem des Westens eingepaßt haben und dies nicht etwa trotz, sondern wegen ihrer Sozialisation in einer Parallelgesellschaft, in der alles nur über persönliche Kontakte lief. Es geht hier um Zusammenhänge, die dem wirtschaftsfremden Hochschultheoretiker Heinsohn fremd bleiben müssen.
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