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Max Stirner, Soter (Teil 10)

2. Juni 2025

Wenn Stirner gegen das Naturrecht argumentiert, tut er das, weil es eben kein „Natur-Recht“ ist, sondern den Endpunkt der „Vergeistigung“ und „Heiligung“ darstellt, so daß nichts in der Natur wirklich Natur bleibt, d.h. „seinen Wert für sich behält“ (Der Einzige, S. 98). Folgt man nicht die fremden, „vergeistigenden“ Eingebungen, sondern wie ein Tier seinen Antrieben, wird man feststellen, daß man „trotzdem“ vernünftig handelt. „Allein die Gewohnheit religiöser Denkungsart hat unsern Geist so arg befangen, daß Wir vor Uns in unserer Nacktheit und Natürlichkeit –erschrecken; sie hat Uns so erniedrigt, daß Wir Uns für erbsündlich, für geborene Teufel halten“ (Der Einzige, S. 178). „Eure Natur ist nun einmal eine menschliche, Ihr seid menschliche Naturen, d.h. Menschen. Aber eben weil Ihr das bereits seid, braucht Ihr’s nicht erst zu werden“ (Der Einzige, S. 372). Die „eigene Kritik“ gleicht der „tierischen Kritik des Instinktes. Mir ist es, wie dem kritisierenden Tiere, nur um Mich, nicht ‚um die Sache‘ zu tun“ (Der Einzige, S. 400).

Der Mensch hat eine angeborene Natur:

Was Einer werden kann, das wird er auch. Ein geborener Dichter mag wohl durch die Ungunst der Umstände gehindert werden, auf der Höhe der Zeit zu stehen und nach den dazu unerläßlichen großen Studien ausgebildete Kunstwerke zu schaffen; aber dichten wird er, er sei Ackerknecht oder so glücklich, am Weimarschen Hofe zu leben. Ein geborener Musiker wird Musik treiben, gleichviel ob auf allen Instrumenten oder nur auf einem Haferrohr. Ein geborener philosophischer Kopf kann sich als Universitätsphilosoph oder als Dorfphilosoph bewähren. Endlich ein geborener Dummerjan, der, was sich sehr wohl damit verträgt, zugleich ein Pfiffikus sein kann, wird, wie wahrscheinlich Jeder, der Schulen besucht hat, an manchen Beispielen von Mitschülern sich zu vergegenwärtigen imstande ist, immer ein vernagelter Kopf bleiben, er möge nun zu einem Bürochef einexerziert und dressiert worden sein. Oder demselben Chef als Stiefelputzer dienen. Ja die geborenen beschränkten Köpfe bilden unstreitig die zahlreichste Menschenklasse. Warum sollten auch in der Menschengattung nicht dieselben Unterschiede hervortreten, welche in jeder Tiergattung unverkennbar sind? Überall finden sich Begabtere und minder Begabte. (Der Einzige, S. 364f)

„Was Du zu sein die Macht hast, dazu hast Du auch das Recht“, bedeutet nicht, einen Aufruf zu rücksichtsloser Gewalttätigkeit, d.h. „Unmündigkeit“, sondern ganz im Gegenteil, die Fähigkeit mit Freiheit mündig umzugehen (Der Einzige, S. 207). „Mündig“ sein bedeutet nicht „der“ Natur oder irgendwelchen Ideologien, sondern der eigenen Natur zu folgen: „Die Natur aber kann Mich zu dem nicht berechtigen, d.h. befähigen oder gewaltig machen, wozu Mich nur meine Tat berechtigt“ (Der Einzige, S. 208). Man betrachte hinsichtlich „Was Du zu sein die Macht hast, dazu hast Du auch das Recht“ auch das unmündige Kind mit seinem Lächeln oder seinem Weinen. „Bist Du imstande, seinem Verlangen zu widerstehen oder reichst Du ihm als Mutter nicht die Brust, als Vater so viel von deiner Habe, als es bedarf?“ (Der Einzige, S. 294f). Kind und Vater handeln schlicht als Naturwesen: „Ein Hund sieht den Knochen in eines andern Gewalt und steht nur ab, wenn er sich zu schwach fühlt. Der Mensch aber respektiert das Recht des Andern an seinem Knochen. Dies also gilt für menschlich, jenes für brutal oder ‚egoistisch‘“ (Der Einzige, S. 309).

„Eigner und Schöpfer meines Rechts – erkenne ich keine andere Rechtsquelle als – Mich, weder Gott, noch den Staat, noch die Natur, noch auch den Menschen selbst mit seinen ‚ewigen Menschenrechten‘, weder göttliches noch menschliches Recht“ (Der Einzige, S. 225). „Die Menschenrechte, das teure Werk der Revolution, haben den Sinn, daß der Mensch in Mir Mich zu dem und jenem berechtigt: Ich als Einzelner, d.h. als dieser, bin nicht berechtigt, sondern der Mensch hat das Recht und berechtigt Mich. Als Mensch kann Ich daher wohl berechtigt sein, da Ich aber, mehr als Mensch, nämlich ein absonderlicher Mensch bin, so kann es gerade Mir, dem Absonderlichen, verweigert werden“ (Der Einzige, S. 352).

Jeder Mensch ist ein Verbrecher, da jede Handlung und jede Unterlassung entweder ein göttliches bzw. „natürliches“ oder ein menschliches Recht verletzt: „Ihr wißt nicht, daß ein eigenes Ich nicht ablassen kann, ein Verbrecher zu sein, daß das Verbrechen sein Leben ist“ (Der Einzige, S. 222). „Es ist nicht Einer unter Euch, der nicht in jedem Augenblicke ein Verbrechen beginge: eure Reden sind Verbrechen, und jede Hemmung eurer Redefreiheit ist nicht minder ein Verbrechen. Ihr seid allzumal Verbrecher! Doch Ihr seid es nur, indem Ihr Alle auf dem Rechtsboden steht, d.h. indem Ihr es nicht einmal wißt und zu schätzen versteht, daß Ihr Verbrecher seid“ (Der Einzige, S. 308f).