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Der außerirdische Shrek

30. April 2025

ein Gastbeitrag von R. Delt

[Hier ein kleiner Nachtrag zur nicht sehr schmeichelhaften Darstellung von Reichs Unterstützer William Steig letztes Jahr.]

Vor kurzem bin ich auf Jonathan Cotts Pipers at the Gates of Dawn: The Wisdom of Children’s Literature (1983) gestoßen. Der Band hat auch ein langes Kapitel über „William Steig and his Path“. Es ist das beste, was ich bisher über Steig und seine Arbeit gelesen habe. (Cott interviewte auch Arthur und Jeremy Steig.)

Es gibt viele Bezüge zu Reich und dessen Einfluß auf Steig. Es gibt keine feindlichen oder abfälligen Kommentare, außer ein langes eine ganze Seite umfassendes Zitat von David Boadella, die seine berühmt-berüchtigte Aussage über den „paranoiden Wahn“ enthält, der sich „lautlos und tückisch wie ein seelischer Krebs“ in Reich hineingefressen habe (Wilhelm Reich, 1981, S. 305).

Nebenbei: Interessanterweise diskutiert Steig die „Bin ich ein Außerirdischer?“-Geschichte, die wegen Christopher Turner gegenwärtig als angeblicher Nachweis für Reichs Wahnsinn weit verbreitet ist. Leider macht Morton Herskowitz einen sehr einseitigen – ich würde sogar sagen verzerrten – Kommentar in seiner Rezension von Turners Buch, der von Stephan Simonian in seiner eigenen Rezension zitiert wird:

Gegen Ende seines Lebens wurde deutlich, daß gelegentlich der Wahn auf die Realität übergriff. Als er schrieb, daß sein Vater ein Außerirdischer von einem anderen Planeten gewesen sein könnte, war das wahnhaft.

Nun, Steig sieht Reichs Aussage nicht als Zeichen einer wahnhaften Täuschung. Ich für meinen Teil denke, daß man dieses Zitat im Kontext sehen muß. Siehe S. 1 von Contact with Space, wo dieser Gedanke an „eine ganz entfernte Möglichkeit“ (sic!) als provokatives Argument zum Anstoß für neue Erkenntnisse und die Einstimmung in die Dimension des Weltraums dient. – Ich glaube nicht, daß Reich jemals geglaubt hat, daß sein Vater ein außerirdisches Wesen war, als Teil seines neurotischen „Familienromans“ (frei nach Freud) oder aus welchem Grund auch immer. Wir wissen, daß er zu dieser Zeit in der Lage war, sich rational mit Problemen im Zusammenhang mit seinem Vater auseinanderzusetzen – beispielsweise mit dem Judentum seines Vaters in seinem Brief an Ola Raknes vom Januar 1957 (Fury on Earth, S. 463).

Steigs wichtigste Erinnerungen werden auf S. 92-94 zitiert. Steig beginnt mit der Erwähnung seiner „Some Notes on Art Inspired by Reich“ (Orgone Energy Bulletin, January 1952). In dem Interview von Anfang 1979 im Haus von William Steig und dessen Frau Jeanne in Kent, Connecticut, erzählte er Cott, er habe seine Anmerkungen über Kunst im Sommer 1951 verfaßt. „Reich war sehr inspirierend und ich fühlte mich sehr gut.“

Er sei Reich das erste Mal 1946 begegnet. Damals lief ihm eine Bekannte über den Weg, die so fabelhaft aussah, wie er sie nie zuvor erlebt hatte. Sie gab an, sie sei bei Reichs Mitarbeiter Theodore Wolfe in Therapie. Daraufhin besorgte sich Steig Die Funktion des Orgasmus, las die Nacht über in dem Buch und kontaktierte am nächsten Tag Reich. Bevor die Therapie beginnen konnte, mußte Steig, der nach Reichs Einschätzung in einer sehr schlechten Verfassung war, zunächst einen Orgonakkumulator benutzen. Es dauerte eine Woche, bevor er etwas im Akkumulator spürte. Erst dann konnte die Therapie bei Reich beginnen, die etwa ein Jahr dauerte.

Am Anfang habe die Therapie vorwiegend aus Gesprächen bestanden. Nur ab und an habe Reich mit den Fingern in den Körper gestochen. Er konzentrierte sich dabei vorwiegend auf das Atmen. „Er hatte auch Sinn für Humor. Einmal hatte er einen kleinen Haufen von Centstücken auf seinem Tisch und sagte, daß er mir einen Cent für jeden Atemzug, den ich mache, gäbe.“

Reich habe immer sofort gesehen, was man hatte. So habe Steig einmal zuhause sich mit dem Zeichnen von Clowns beschäftigt und als er dann später am Tag zu Reich kam, war das erste, was Reich zu ihm sagte: „Sie sind heute ein Clown.“ Reich hatte ihm gesagt, daß Steig Cartoonist geworden sei, weil Steig seinen eigenen Horror verarbeiten mußte, den er empfand, wenn er Gesichter sah.

Meine letzten paar Sitzungen mit ihm waren durchweg Lach-Sitzungen. Er brachte mich ständig zum Lachen und das Lachen ging weiter und weiter nach unten. Er bezeichnete mich als Melancholiker und sagte, daß, wenn ich das nicht überwände, ich in der Klapsmühle enden würde – er meinte, daß ich viel lachen müßte. Ich war ein echter Depressiver. Ich war manchmal so deprimiert, daß ich nicht einmal wußte, wo ich war, wenn ich die Straße entlang schlurfte.

Einmal habe ihm Reich während der Therapie gesagt: „Steig, ich kann mit ihnen nichts anfangen. Sie sind ein hoffnungsloser Fall.“ Als Steig daraufhin aufstand und sich wieder anzog, sagte Reich, daß er es noch mal mit ihm versuchen werde. „Ich ging zurück zur Couch und alle möglichen Dinge begannen zu geschehen: meine Hände waren gelähmt, ich fühlte mich zusammengeschrumpft und er fragte mich: ‚Wo sind Sie?‘ Und ich sagte: ‚Ich bin im Müll‘. Daraufhin bekam ich Krämpfe. Es war ein großer Durchbruch.“

Ich war in meinen 40ern, als ich in Therapie ging und einmal weinte ich mit der Stimme eines Kindes – ich mochte es kaum glauben. Reich brachte es fertig, dich frühe Erfahrungen wieder durchmachen zu lassen, etwa das Saugen als Säugling. Ich habe es nicht gemacht, es passierte einfach von selbst, unfreiwillig. Und dieses Wiedererleben von alten Erfahrungen ist seltsam: Du weißt, du bist ein 40jähriger Mann und du machst Dinge, die zu einem Einjährigen gehören. Es ist alles da eingesperrt.

Reich habe, so Steig weiter, Menschen geholfen, der Welt so viel gegeben, nur um mit Vorwürfen überhäuft zu werden. So sei es nur verständlich, wenn er vielleicht ab und an auf irrationale Weise zornig geworden sei. Es habe viele Leute gegeben, die ihn ausspionierten und – es sei keine Paranoia, wenn man im Gefängnis endet. Reich hätte nicht ins Gefängnis gemußt, wenn er schlau und gewieft vorgegangen und alle legalen Tricks ausgeschöpft hätte.

Am Ende seines Lebens spekulierte er, ob sein wahrer Vater ein Außerirdischer gewesen sein könnte. Ich war darüber besorgt, wie die Leute das auffassen würden. Ich denke, er hat damit zum Ausdruck gebracht, daß, da er so anders als alle anderen war, er das Gefühl hatte, nicht auf diesen Planeten zu gehören. Leute sagten, er sei verrückt, bevor er jemals so etwas gesagt hat. Die Leute haben ihn immer als verrückt bezeichnet, aber zu unterschiedlichen Zeitpunkten auf dem Weg, je nachdem wie weit sie ihm hatten folgen können. Reich war immens geistig gesund und kämpfte nahezu im Alleingang eine gewaltige Schlacht und es gelang ihm dabei irgendwie einen klaren Kopf zu bewahren, trotz der unglaublichen Verfolgungen.

Reich sei ein bemerkenswerter Mensch gewesen. „Du wußtest, daß er ein großer Mann war, sobald du in seiner Gegenwart warst. Es war seine ganze Haltung. Wenn er einen Raum von der Rückseite aus betrat, drehte sich jeder um, weil etwas passierte.“

Kurz nachdem Steig seine Therapie mit Reich abgeschlossen hatte, fragte ihn dieser, ob er Illustrationen zu seinem kürzlich abgeschlossenen Manuskript, der Rede an den Kleinen Mann, beitragen würde. Steig sagt dazu: „Es war eine Art Geschenk von ihm für mich – so empfand ich es.“

Jeremy Steig (Teil 1)

13. Juni 2024

Get Me Out of Here: A Memoir : Steig, Jeremy: Amazon.de: Bücher

Der Jazz-Flutist (DER Jazz-Flutist) Jeremy Steig ist mir seit Mitte der 1970er Jahre stets ein Begriff gewesen. Er gehörte zu den Pionieren des Jazzrock und hatte ab und an mit dem Keyboarder Jan Hammer gespielt. Jan Hammer war einer meiner Helden, weil er beim ursprünglichen, von mir mit fanatischer Inbrunst vergötterten Mahavishnu Orchester gespielt hatte. Über Hammer war ich auf Wilhelm Reich gestoßen, als er ihn 1974 in einem NDR-Radio-Interview mit Michael Naura in einem Nebensatz erwähnt hatte. Um so erstaunter war ich, als mir vielleicht 20 Jahre später aufging, daß Jeremy Steig tatsächlich der Sohn von William Steig war: am Ende einer der engsten Vertrauten Reichs, der beispielsweise entscheidend für die Herausgabe von Reichs letztem Buch Contact with Space war.

Entsprechend freudig gespannt und voller Neugier war ich, als ich Jeremy Steigs Autobiographie Get Me Out of Here! zur Hand nahm. Hatte er Jan Hammer auf Reich aufmerksam gemacht, als sie zusammen 1970 Steigs Album Energy (!) einspielten? Im Buch erfährt man davon nichts. Überhaupt, es ist zwar ab und an abschätzig vom „Reichianischen Kult“ die Rede, aber Orgonon wird nicht erwähnt, Reich nicht beschrieben, kein einziger Orgontherapeut. Der junge Steig muß auf Orgonon gewesen sein, muß mit Reichs Sohn Peter gespielt haben und, vor allem, er muß Reich häufiger persönlich begegnet sein. Nicht ein Wort! Erwähnt wird, was Kinder bis zum heutigen Tag immer wieder beklagen: daß die Orgontherapeuten Sadisten sind, die Kinder mit ihrer schmerzhaften Behandlung (Druck auf spastische Muskeln) quälen und traumatisieren. Auch wird Felicia Saxe erwähnt, eine frühe „Orgontherapeutin“, die sexuell übergriffig war, Kinder masturbierte und ihre Brüste und Vulva ins Gesicht drückte. Eine wirklich ekelerregende Person, die Reich bald rausschmiß. (Ein entsprechender Artikel von Susanna Steig, Jeremys Cousine, ist im Buch vollständig abgedruckt.) Und nicht zuletzt wird beschrieben, wie Kinder als Versuchsobjekte betrachtet wurden, deren Sexualität neugierig verfolgt wurde. Bei Jeremy kam hinzu, daß sein Vater sich nach der frühen Trennung von seiner Mutter kaum um seinen Sohn kümmerte und wenn er ihn besuchen durfte, mit immer neuen Geliebten seines Vaters konfrontiert war. Die vermeintlichen „Kinder der Zukunft“ störten und kaum eines wurde zu einem glücklichen Erwachsenen. Steig erwähnt beispielsweise den Sohn von Reichs Assistenten Myron Sharaf und Grethe Hoff, der späteren kurzzeitigen Gefährtin Reichs: er beging als Teenager Selbstmord.

Jeremy Steig imponiert auch nicht gerade als „Kind der Zukunft“. Er führte ein zielloses (und kinderloses) Leben, war zeitlebens ständig bekifft, driftete mit Meskalin, LSD und anderen Psychedelika ab, seine Karriere als Musiker verlief im Sande (am Ende konnte er nur deshalb finanziell überleben, weil die Beastie Boys eine kurze Passage von ihm gesampelt hatten) und er starb schließlich an Krebs. Seine Musik ist mir stets merkwürdig auf den Keks gegangen und seinen Produkten als Zeichner fehlt m.E. jede Tiefe. Das Buch, an dem Steig bis kurz vor seinem Tod arbeitete, selbst ist bar jeder tieferen Einsicht ins Leben: 40 Jahre als bekiffter Messie in einer New Yorker Sozialwohnung. Fünf Kurzehen und zahllose sexuelle Eskapaden ohne jede tiefere emotionale Bindung (bis auf die letzte Ehe mit einer Japanerin). Er imponiert mir als Produkt dessen, was ich mir als die New Yorker liberale Kulturschickeria ausmale.