Wie die Komplexität der orgonomischen Fragestellung auf praktische Weise in das wirkliche Leben integrieren? Man müsse doch auch die andere Seite sehen, diese Sichtweise wäre doch einfach zu vereinfachend, so schematisch dürfe man das nicht sehen, dem Kritiker würden x Gegenbeispiele einfallen, etc. Wobei immer wieder neue Fragenkomplexe angerissen werden.
Das geschieht immer im Namen der „Wirklichkeit“ und der „Praktikabilität“. Die Wirklichkeit sei eben viel komplexer als unsere schönen Theorien und unsere vereinfachten Schemata wären viel zu grobschlächtig, um wirklich praktikabel zu sein.
Eben weil sie Kliniker und Pragmatiker waren, haben Reich und Elsworth F. Baker die Neurotiker auf eine einfache orgonometrische Gleichung reduziert (der abgewehrte und der abwehrende Trieb, der die Charakterstruktur bestimmt) – und die genaueren Klassifikationen draußen vor gelassen, weil man praktisch mit ihnen nichts anfangen kann. Es geht darum, sich vom unwesentlichen „Noise“ nicht erschlagen zu lassen und konsequent zum funktionellen Kern des Problems vorzudringen und dort anzusetzen.
Man nehme eine beliebige politische Affäre: natürlich kann man sich, wie es jeder Journalist tut, auf die „Wirklichkeit“ und damit auf den umfassenden Täuschungszusammenhang einlassen – oder man kann sich davon befreien und die Sache funktionell betrachten. Warum, zum Beispiel, haben sich die Konservativen auf mafiöse Methoden eingelassen? Das funktionelle Problem war die Linke in den 1970er und 1980er Jahren, die alles tat, um den Roten Faschismus im Osten zu stützen und im Inland durchzusetzen. Man stelle sich mal vor, die „realistische“ SPD hätte sich durchgesetzt und wir hätten die Staatsbürgerschaft der DDR anerkannt! Dagegen mußte und muß mit allen Mitteln mobil gemacht werden – was dann zu einem Selbstläufer wurde. – Was sonst so in den Zeitungen steht und im Fernsehen gesendet wird, geht, wie stets, am Kern des Problems vorbei. Hier ist es die aktionistische Linke, auf die die Rechte lediglich reagiert.
Und so in allem: der Funktionalist muß stets zu dem Kern des Problems vordringen, den alle anderen systematisch umgehen! Natürlich wäre es idiotisch, etwa bei einer Diskussion über Alkoholismus darauf zu insistieren, dem läge meist eine „unbefriedigte orale Panzerung“ zugrunde. Aber während die anderen der Vielgestaltigkeit des Phänomens Alkoholismus haltlos ausgeliefert sind und schließlich zu mechanistischen Erklärungen (Rezeptoren im Hirn, genetische Veranlagung, etc.) Zuflucht nehmen müssen, um nicht im klinischen Chaos zu versinken – hat der medizinische Orgonom festen Boden unter den Füßen, von dem aus er die Diskussion in die richtige Richtung lenken kann.
Warum fühlten sich die 68er letztendlich immer mehr zu Marx und Freud als zu Reich hingezogen? Weil Marx Tausende von Buchseiten hochkomplex und bis in jede kleinste Einzelheit den kapitalistischen Produktionsprozeß durchleuchtet hat – ohne selbst je eine Fabrik von innen gesehen zu haben oder irgendeine über politische Versammlungen hinausgehende Verbindung zur „arbeitenden/realistischen Sphäre“ gehabt zu haben! Reichs „Marxismus“, der aus der konkreten Sozialarbeit geflossen ist, war den 68ern einfach zu platt und schematisch – während Marx als „tief“ und „wirklichkeitsnah“ galt.
Das gleiche trifft auf Freud zu, der herrlich differenziert über die Neurosen und Perversionen schreiben konnte – während Reich als langweilig und zu grob schematisierend galt. Allein schon der naive Begriff von „psychischer Gesundheit“!
Reich:
Die Wirkung des Militarismus beruht massenpsychologisch im wesentlichen auf einem libidinösen Mechanismus: die sexuelle Wirkung der Uniform, die erotisch aufreizende, weil rhythmisch vollendete Wirkung der Parademärsche, der exhibitionistische Charakter des militärischen Auftretens sind einer Hausgehilfin oder einer durchschnittlichen Angestellten bisher praktisch klarer geworden als unseren gebildeten Politikern. (Die Massenpsychologie des Faschismus, Fischer TB, S. 50)
Wenn es um Fragen der „Umstrukturierung des Kleinkindes“ gehe, also um das, was Reich später als Projekt „Kinder der Zukunft“ bezeichnen sollte, sollten wir uns, so Reich, nicht an die „reaktionär ausgebildeten Psychologen halten“, sondern beispielsweise an das natürliche Empfinden von „Bergarbeitern“ (Die sexuelle Revolution, Fischer TB, S. 250).
Mit Marx und Freud und ihren kochkomplexen Erklärungsansätzen konnten die 68er im „wirklichen Leben“ etwas anfangen – während der Primitivling Reich für sie nichts weiter als ein unrealistischer, unpraktikabler Monomane war, mit dem man im „täglichen politischen Kampf, in der täglichen Praxis, in der täglichen Klinik“ nichts anfangen konnte.
Oder mit anderen Worten: Reich untergräbt das eine Kapital, von dem „Intellektuelle“ leben. Sie sind als „Übersetzer“ schlichtweg überflüssig, wenn die Lebenszusammenhänge einfach und überschaubar werden. – Sie sind Todfeinde der Arbeitsdemokratie.
Ja, diese Leute reden von Diskurs – die intolerantesten Menschen, die man sich überhaupt denken kann, die Begründer der Political Correctness, sprechen von Diskurs! Das Ergebnis dieses „Diskurses“ ist vorgegeben: „Fortschritt“ und „Demokratie“! Tatsächlich geht es nur um eins: den „Einfluß der Intellektuellen“:
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