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Die Orgonomie: Tod durch Isolation oder durch Verflachung

16. Mai 2021

1928 schrieb Reich in seinem Aufsatz Dialektrischer Materialismus und Psychoanalyse etwas, was ich hier nummerisch aufschlüssele:

    1. So würgt die momentane kapitalistische Daseinsweise der Psychoanalyse [die Neurosenheilung] von außen und von innen ab.
    2. Freud behält Recht: Seine Wissenschaft geht unter – wir fügen aber hinzu: in der bürgerlichen Gesellschaft; wenn sie sich ihr nicht anpaßt, sicher, wenn sie sich ihr aber anpaßt,
    3. dann erleidet sie den gleichen Tod, den der Marxismus bei den reformistischen Sozialisten erleidet, nämlich den Tod durch Verflachung, vor allem durch Vernachlässigung der Libidotheorie.
    4. Die offizielle Wissenschaft wird nach wie vor nichts von ihr wissen wollen, weil sie sie in ihrer klassenmäßigen Gebundenheit nicht akzeptieren darf.
    5. Die hinsichtlich der Ausbreitung der Analyse optimistischen Analytiker irren gewaltig. Diese Ausbreitung gerade ist Zeichen ihres beginnenden Untergangs. Da die Psychoanalyse, unverwässert angewendet, die bürgerlichen Ideologien untergräbt, da ferner die sozialistische Ökonomie die Grundlage der freien Entfaltung des Intellekts und der Sexualität bildet, hat die Psychoanalyse eine Zukunft nur im Sozialismus.

Von den Marxistischen Floskeln befreit, kann man das unmittelbar auf die Gegenwart übertragen:

  1. Die lebensfeindliche mechano-mystische „Daseinsweise“ bedrängt die Orgonomie von außen und unterhöhlt sie von innen.
  2. Dergestalt ist sie sowohl gefährdet, wenn sie sich nicht anpaßt (Abdrängen ins Abseits, vollständige Isolation) – und wenn sie sich anpaßt.
  3. Wenn sie sich anpaßt, erleidet sie „den Tod durch Verflachung“. Dieser erfolgt, wenn sie, um „akzeptabel“ zu werden, die Orgasmustheorie und die Entdeckung des Orgons hintanstellt.
  4. Die offizielle Wissenschaft will von der Orgonomie nichts wissen, da die Wissenschaft an die mechano-mystische Daseinsweise gebunden und von ihr abhängig ist und entsprechend mechano-mystisch denken muß.
  5. Die Ausbreitung der Orgonomie wäre ein sicheres Zeichen ihres Untergangs. Ihre Zukunft liegt im Projekt „Kinder der Zukunft“, d.h. in zukünftigen Generationen, deren Charakterstruktur, nicht zuletzt durch den Einfluß der Orgonomie, sukzessive immer weniger rigide sein wird.

Exemplifizieren wir diese Punkte:

  1. Die Angriffe auf die Orgonomie haben sich in Ton und Inhalt seit den Pressekampagnen gegen Reich zunächst in Skandinavien und dann in Amerika in keinster Weise geändert. Neuerdings gewinnen sie auch ihre alte Intensität zurück. Man denke nur an das Buch Adventures in the Orgasmatron und seine Rezensionen in wirklich jeder bedeutenden Zeitung der englischsprachigen Welt. Wie fremd und bedrohlich die Orgonomie dem mechano-mystischen Denken ist, sieht man auch daran wie schwer es auch den engagiertesten Studenten der Orgonomie fällt korrekte funktionelle Formulierungen vorzubringen.
  2. Die Orgonomie hat sich beispielsweise bei der Darstellung der Orgontherapie den gängigen Mustern angepaßt. Zunächst einmal durch Elsworth F. Bakers Buch Man in the Trap (Der Mensch in der Falle) von 1967, das weitgehende Konzessionen an die damals noch immer dominierende psychoanalytische Ausrichtung der Psychiatrie machte. Entsprechend vermittelt es einen falschen Eindruck, wie eine Orgontherapie wirklich abläuft. Ähnliches gilt für den Dokumentarfilm Way to Happiness, in dem weitgehende Konzessionen an die filmische Darstellbarkeit gemacht werden und die Orgontherapie so wirkt, als wäre sie eine hochdramatische „Körpertherapie“. Doch ohne derartige Konzessionen wäre die Orgontherapie schon längst vergessen, kaum mehr als ein exotischer Geheimtip bzw. eine bizarre Legende.
  3. Was geschieht, wenn die Anpassung sogar die beiden Essentials (Orgasmustheorie und Entdeckung des Orgons) umfaßt, hat auf drastische Weise die sogenannte „Reichianische Bewegung“ gezeigt. Es geht dabei nicht nur um das explizite Leugnen, sondern bereits um das taktische, gar „strategische“ Verschweigen der besagten Kernelemente der Orgonomie. Die angeblichen Freunde der Orgonomie nehmen den Feinden der Orgonomie die Drecksarbeit ab!
  4. Es ist kein Geheimnis, daß die Wissenschaft weitgehend von ihren Geldgebern abhängig ist bzw. ihre Geldgeber von sich abhängig macht, etwa durch das Zeichnen von Krisenszenarios, die immer neue Geldmittel erforderlich machen. Man denke nur an die „Klimaforschung“! Bei den Sozialwissenschaften geht das soweit, daß teilweise nicht einmal mehr der Anschein von Wissenschaftlichkeit gewahrt wird. Etwa wenn „Islamwissenschaftler“ apodiktische Behauptungen über den Islam aufstellen, die sie mit keiner einzigen Lehrmeinung irgendeiner islamischen Autorität belegen können. Derartiges wird immer wieder moniert. Vollkommen unberücksichtigt in der Wissenschaft bleibt jedoch, daß sich die Wissenschaftler instinktiv daran orientieren, daß Mensch und Gesellschaft so bleiben wie sie sind: gepanzert.
  5. Entsprechend wäre die Ausbreitung der Orgonomie ein sicheres Zeichen ihres Untergangs: Sie wäre dann offensichtlich keine Gefahr mehr für die gepanzerte Gesellschaft – und damit keine Orgonomie mehr. Sie kann nur eins tun: So weit es irgend möglich ist, die Denkweise der Zukunft vorrausnehmen und dadurch dazu beitragen die Daseinsweise der Zukunft vorzubereiten. Die gepanzerten Menschen müssen aufgeklärt werden und ungepanzerte Menschen müssen großgezogen werden. Die Orgonomie ist dabei jeweils nur der „bewußte“ Teil einer umfassenden „unbewußten“ Bewegung, die die gesamte Gesellschaft durchzieht. Ab und an wird in diesem Blog auf den einen oder anderen Vertreter dieser „Bewegung“ hingewiesen.