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Das Geschäftspotential der orgastischen Impotenz

30. Mai 2013

Das Handelsblatt machte gestern aus Anlaß des unmittelbar bevorstehenden Patentablaufs von Viagra, das seit 1998 auf dem Markt ist, mit der Schlagzeile auf „Potential mit Potenz“. Die Pharmabranche erwarte einen Boom.

Bis heute hätten Mediziner an 37 Millionen impotente Männer 1,8 Milliarden Viagra-Tabletten verschrieben. Der Patentinhaber und Hersteller Pfizer habe damit sage und schreibe 24,8 Milliarden Dollar umgesetzt. Jetzt wollen in Deutschland 22 weitere Pharmakonzerne ins lukrative Geschäft mit der Impotenz einsteigen, in Österreich sind es 16. Es sollen ganz neue Märkte erschlossen werden. Ein Marktforscher kommentiert: „Es wirken hier Mechanismen wie im Konsumgüterbereich: Je tiefer der Preis fällt, desto stärker steigt die Nachfrage.“

Auch andere Medikamente, mit denen Menschen ihre Lebensqualität steigern wollen, bringen steigende Umsätze. Beispielsweise habe sich der Umsatz mit Botox seit 2003 auf 1,8 Milliarden Dollar vervierfacht. Der Absatz von Provigil, einem Mittel gegen Schläfrigkeit, das immer öfter als Konzentrationsmittel eingesetzt wird, erhöhte sich 2012 um 20 Prozent. Ritalin werde heute viermal mehr verordnet als noch im Jahr 2000. Studenten benutzen es als „Lernhilfe“.

Das Handelsblatt kommentiert:

Moderne Gesellschaften geben sich der Illusion hin, gegen jede Art körperlicher und mentaler Schwäche gebe es eine Pille. Diese Illusion landet in der Kasse der Pharmaindustrie: Sie profitiert von der Sehnsucht nach dem perfekten Leben.

Das ist zu kurz gegriffen: tatsächlich macht die Pharmaindustrie ihre Profite mit der orgastischen Impotenz der Massen. Die verhärmten Gesichter und sogar der mentale Zerfall, die beide mit chronischer orgastischer Impotenz zwangsläufig einher gehen, halten die Wirtschaft in Gange. Es wird immer schlimmer, da die zunehmende sexuelle Enthemmung mit einem entsprechend zunehmendem Frust einhergeht.

Reich erklärte diesen Zusammenhang wie folgt:

Die mechanistische und sexualökonomisch unorientierte Medizin hat zu den Biopathien keinen Zugang. Biopathien sind Erkrankungen zufolge Störungen der biologischen Pulsation des autonomen Lebensapparates. Diese Störungen sind im wesentlichen sozial bedingt; sie sind sexuelle Stauungskrankheiten. Ihr hervorragendstes Anzeichen ist der gestörte Haushalt der biologien Energie, oder kurz, die orgastische Impotenz, die biologisch korrektes Pulsieren des Lebensapparates unmöglich macht und die orgonotische Potenz herabsetzt. Ihre Anzahl ist in stetem Wachsen begriffen. (Der Krebs, Fischer TB, S. 405)

Auf die Frage, warum es zu diesem Wachstum gekommen sei, antwortet Reich, daß früher die sexuellen Verdrängungen und die Panzerung weitaus ausgeprägter waren, doch seien die sexuellen Ansprüche immer mehr durchgebrochen, kollidierten jedoch mit den eingeschränkten äußeren und inneren Möglichkeiten der Befriedigung. Die zunehmende Bewußtheit der sexuellen Bedürftigkeit mußte zur inneren Zerrissenheit und zunehmenden biopathischen Erkrakungen führen. Reich weiter

(…) Erziehung und Medizin haben mit dieser sozialen Entwicklung nicht Schritt gehalten. Das heißt: Die Menschen blieben in ihrer strukturellen Fähigkeit, sich lebendig durchzusetzen, weit hinter ihrem Wissen und ihren Ansprüchen zurück. Die Stauung der biologischen Energie in den menschlichen Organismen ist daher weit größer, als sie vor 20 oder 40 Jahren war. (…) Wenn nun die menschlichen Organismen einer immer größeren Differenz von Lebensverlangen und Befriedigungsfähigkeit ausgesetzt sind, dann ist es klar, daß die Stauungen der biologischen Energie im selben Maße größer werden. Je größer aber die Sexual-Stauung, desto größer der Schaden, den sie im Organismus physiologisch und emotionell anrichtet. (…) Das riesenhafte Anwachsen der Biopathien ist also einfacher Ausdruck der Diskrepanz zwischen sexuellem Lebenswillen und sexueller Lebensunfähigkeit. Der Lebenswille ist riesenhaft geworden, die Lebensfähigkeit (sexuelle Potenz, Verantwortungsfähigkeit, Selbstregulation etc.) dagegen ist nicht angewachsen. (ebd., S. 413)

Die Pharmaindustrie lebt von dieser Diskrepanz. Mit orgastisch potenten Menschen wären Kampagnen, wie sie im folgenden beschrieben werden, unmöglich:

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