Die Frage scheint vollkommen absurd zu sein, gilt doch der Nationalsozialismus als die Inkarnation des autoritären Geistes schlechthin. Doch die Sache ist nicht so eindeutig. Erstens beruht Reichs Massenpsychologie des Faschismus zufolge der Nationalsozialismus ganz und gar nicht auf reiner Sexualunterdrückung, sondern gewann einen Großteil seiner Faszination aus der Überwindung des rigiden Kirchenglaubens und dessen, was die Nazis als „die Reaktion“ bezeichneten. Der Nationalsozialismus war in dieser Hinsicht nur eine der vielen Varianten der „lebensreformerischen“ Bewegung des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts.
Typisch antiautoritär am Nationalsozialismus war die Zentralisierung und Vereinheitlichung auf allen Ebenen. Im Rahmen des Modernisierungsschubs hat Hitler beispielsweise nicht nur die lateinische Schrift verpflichtend gemacht, sondern wollte auch die Mundarten abschaffen. Klingt nicht gerade „völkisch“! Dem Nationalsozialismus ging es ganz zentral, ähnlich den späteren „kulturrevolutionären“ Bemühungen Maos, um die Delegitimierung von lokalen Autoritäten. Das reichte bis in die Familie hinein: Hitler bot sich als Gegengewicht zu den autoritären Eltern an. Das machte auch einen Gutteil des Einflusses der „Hitlerjugend“ aus.
Entgegen dem Vorurteil, der das Dritte Reich gerne als „Monolith“ sieht, war wohl kein westlicher Staat jemals derartig desorganisiert wie Deutschland unter Hitler. Nirgends gab es eindeutige Zuständigkeitsbereiche und Willkür war gang und gäbe. Beispielsweise wurden im Krieg in einem Landesteil des besetzten Polens großzügig alle eingedeutscht, die sich zur deutschen Kultur bekannten, während in anderen strenge rassistische Kriterien (was immer das in diesem Zusammenhang auch bedeuten mag!) angelegt wurden. Daß der denkbar schlecht geplante Krieg fünf Jahre anhielt, verdankte Hitler ausschließlich der hochprofessionellen Generalität, die auch aus den dilettantischsten Befehlen noch etwas machte. Wie heute lebte die antiautoritäre Gesellschaft parasitär von dem, was die autoritäre sich über Jahrhunderte erarbeitet hatte. Das „Dritte Reich“ lebte in jeder Hinsicht von der Substanz, insbesondere aber der Expertise des deutschen Beamtenapparats.
Hitler selbst war das Gegenteil eines pflichtbewußten „Preußen“. Sein Tagesablauf war nicht der eines „obersten Beamten“, sondern der eines dekadenten Müßiggängers, der nie zu sprechen war und jede Entscheidung solange hinauszögerte, bis es zu spät war. Ich kriege „autoritäre“ Zustände, wenn ich die Literatur lese. Bei den Filmdokumenten über die Aufmärsche der Nazis, deren Design größtenteils auf den verhinderten Künstler und Architekten Hitler höchstpersönlich zurückgehen, werde ich unwillkürlich an die „Rocky Horror Picture Show“ oder an den Christopher Street Day erinnert. „Das soll doch wohl ein Scherz sein?!“ Und wenn man dann noch an Knallchargen wie Göring und Himmler denkt, die allen Ernstes mit Schminke im Gesicht herumliefen, macht es irgendwann „Knacks!“ im autoritären Gehirn! Stauffenberg war für dieses groteske Gesindel Ausdruck „der Reaktion“.
Den Vater hat Hitler gehaßt, die Lehrer waren ihm zuwider, er lehnte jeden Zwang ab und bevorzugte eine träge, ziellose Existenz.
Die Adenauer-Periode war eine der Restoration, insbesondere was die Wiederherstellung lokaler Autoritäten betrifft, bis „1968“ der antiautoritäre Ungeist wieder hervorbrach. Daß die Verbindung zu „1933“ ganz und gar nicht so abwegig ist, zeigt die Geschichte von Horst Mahler oder insbesondere die von Reinhold Oberlercher, „Hamburgs Dutschke“.
















