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War Hitler antiautoritär? (Teil 1)

7. Oktober 2025

Die Frage scheint vollkommen absurd zu sein, gilt doch der Nationalsozialismus als die Inkarnation des autoritären Geistes schlechthin. Doch die Sache ist nicht so eindeutig. Erstens beruht Reichs Massenpsychologie des Faschismus zufolge der Nationalsozialismus ganz und gar nicht auf reiner Sexualunterdrückung, sondern gewann einen Großteil seiner Faszination aus der Überwindung des rigiden Kirchenglaubens und dessen, was die Nazis als „die Reaktion“ bezeichneten. Der Nationalsozialismus war in dieser Hinsicht nur eine der vielen Varianten der „lebensreformerischen“ Bewegung des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts.

Typisch antiautoritär am Nationalsozialismus war die Zentralisierung und Vereinheitlichung auf allen Ebenen. Im Rahmen des Modernisierungsschubs hat Hitler beispielsweise nicht nur die lateinische Schrift verpflichtend gemacht, sondern wollte auch die Mundarten abschaffen. Klingt nicht gerade „völkisch“! Dem Nationalsozialismus ging es ganz zentral, ähnlich den späteren „kulturrevolutionären“ Bemühungen Maos, um die Delegitimierung von lokalen Autoritäten. Das reichte bis in die Familie hinein: Hitler bot sich als Gegengewicht zu den autoritären Eltern an. Das machte auch einen Gutteil des Einflusses der „Hitlerjugend“ aus.

Entgegen dem Vorurteil, der das Dritte Reich gerne als „Monolith“ sieht, war wohl kein westlicher Staat jemals derartig desorganisiert wie Deutschland unter Hitler. Nirgends gab es eindeutige Zuständigkeitsbereiche und Willkür war gang und gäbe. Beispielsweise wurden im Krieg in einem Landesteil des besetzten Polens großzügig alle eingedeutscht, die sich zur deutschen Kultur bekannten, während in anderen strenge rassistische Kriterien (was immer das in diesem Zusammenhang auch bedeuten mag!) angelegt wurden. Daß der denkbar schlecht geplante Krieg fünf Jahre anhielt, verdankte Hitler ausschließlich der hochprofessionellen Generalität, die auch aus den dilettantischsten Befehlen noch etwas machte. Wie heute lebte die antiautoritäre Gesellschaft parasitär von dem, was die autoritäre sich über Jahrhunderte erarbeitet hatte. Das „Dritte Reich“ lebte in jeder Hinsicht von der Substanz, insbesondere aber der Expertise des deutschen Beamtenapparats.

Hitler selbst war das Gegenteil eines pflichtbewußten „Preußen“. Sein Tagesablauf war nicht der eines „obersten Beamten“, sondern der eines dekadenten Müßiggängers, der nie zu sprechen war und jede Entscheidung solange hinauszögerte, bis es zu spät war. Ich kriege „autoritäre“ Zustände, wenn ich die Literatur lese. Bei den Filmdokumenten über die Aufmärsche der Nazis, deren Design größtenteils auf den verhinderten Künstler und Architekten Hitler höchstpersönlich zurückgehen, werde ich unwillkürlich an die „Rocky Horror Picture Show“ oder an den Christopher Street Day erinnert. „Das soll doch wohl ein Scherz sein?!“ Und wenn man dann noch an Knallchargen wie Göring und Himmler denkt, die allen Ernstes mit Schminke im Gesicht herumliefen, macht es irgendwann „Knacks!“ im autoritären Gehirn! Stauffenberg war für dieses groteske Gesindel Ausdruck „der Reaktion“.

Den Vater hat Hitler gehaßt, die Lehrer waren ihm zuwider, er lehnte jeden Zwang ab und bevorzugte eine träge, ziellose Existenz.

Die Adenauer-Periode war eine der Restoration, insbesondere was die Wiederherstellung lokaler Autoritäten betrifft, bis „1968“ der antiautoritäre Ungeist wieder hervorbrach. Daß die Verbindung zu „1933“ ganz und gar nicht so abwegig ist, zeigt die Geschichte von Horst Mahler oder insbesondere die von Reinhold Oberlercher, „Hamburgs Dutschke“.

The Journal of Orgonomy (Vol. 32, No. 1, Spring/Summer 1998)

23. August 2012

Der „Charakter“ einer Gesellschaft und der Charakter der Menschen, die in dieser Gesellschaft leben, bedingen einander. Zur alten autoritären Gesellschaft gehörte entsprechend der „triebgehemmte Charakter“, zur neuen antiautoritären der triebhafte.

Wo immer man hinschaut, scheinen die westlichen Gesellschaften in den Selbstzerstörungsmodus übergegangen zu sein: Überschuldung, die nur in einer Hyperinflation enden kann, ein kultureller Zerfall, der unaufhaltsam die Grundlagen unserer Gesellschaft untergräbt, eine auf allen Ebenen verantwortungslose Politik, die so agiert, als gäbe es kein Morgen. In welchem Ausmaß diese Gesellschaft antiautoritär ist, sieht man daran, daß jede Verunglimpfung der alten Traditionen, insbesondere des Christentums, nicht nur toleriert, sondern gefeiert wird, während gleichzeitig der mittelalterliche Islam im Namen des „Antikolonialismus“ hofiert und „in unsere Mitte geladen“ wird.

Neulich habe ich, vielleicht das erste Mal in diesem Jahrtausend, mir Samstagabend einen ganzen Werbeblock bei RTL angeschaut: ein Kulturschock! Derartig dumm, geschmacklos, hohl, infantil und widerlich… Ich war wirklich entsetzt, denn im Vergleich von vor vielleicht 15 Jahren hat der Kulturzerfall rapide zugenommen. Leute, die diesen Scheiß alltäglich sehen, bekommen das gar nicht mit.

Die autoritäre Gesellschaft, die „gesellschaftliche Panzerung“ ist seit 50 Jahren am Zusammenbrechen, was aber nicht zu mehr Freiheit führt, sondern zu einer neuen Art von Panzerung. Die nun freiwerdende, vorher im Körperpanzer gebundene Angst, wird von einer desorganisierten Panzerung aufgefangen, die vor allem von einer starken Augenblockade und der damit einhergehenden Kontaktlosigkeit geprägt ist und ständig zwischen Triebhaftigkeit („Freiheit“) und sadistischer Triebunterdrückung schwankt. Man denke nur an die Permissivität und dem gleichzeitigen extremen Moralismus der Political Correctness.

Diesen Zustand finden wir sehr gut in dem Film Rocky Horror Picture Show verkörpert, der wirklich nichts anderes beschreibt als die Ablösung der autoritären durch die antiautoritäre Gesellschaft: an die Stelle von berechenbaren Spießern treten unberechenbare Freaks.

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Die Menschen werden nervöser und unglücklicher als sie es jemals waren. Die Spannung, die Anspannung, steigt, während gleichzeitig die Kapazität sinkt, diese Spannung zu ertragen: Spannungsbögen werden nicht mehr ertragen. Liebe wird nicht mehr ertragen, sondern nur Sentimentalität und der perverse Thrill. Arbeit wird nicht ertragen, sondern nur noch Chillen und Fun. Wissen zu erwerben, ist zu mühsam, aber man ist um so Meinungsfreudiger.

Das Piercing ist unmittelbarer Ausdruck dieser bioenergetischen Zusammenhänge. Charles Konia sieht im Piercing bei den „normaleren” Individuen Aufmüpfigkeit gegen die gesellschaftliche Norm, narzißtisches Verhalten und Identitätssuche am Werk. Man möchte in einer zerfallenden Gesellschaft zumindest zu einem „Stamm“ gehören („tribal“). Bei den Pathologischeren kommt ein masochistisches Moment hinzu: der Versuch, die innere Spannung, den „Druck“ zu lösen. Schließlich tritt bei manchen Formen der Schizophrenie der Drang zur Selbstverstümmelung zutage („Questions and Answers“, S. 112f).

Dazu Konias eigene klinische Beobachtungen: ein jugendlicher paranoid Schizophrener hatte seit geraumer Zeit Zigaretten auf seinem Arm ausgedrückt. Konnte damit aber aufhören, nachdem er seinen Unterarm piercen ließ und dort Ringe in der Haut trug. Offensichtlich reduzierten die Ringe die Gefühle und die „Spannung“ in seinem Arm. Auf der anderen Seite antwortete ein Jugendlicher, warum er in seinen Brustwarzen Ringe trage: „Um etwas zu fühlen!“

Einerseits werden die erogenen Zonen gepierct, um dort das Empfinden (die „Spannung“) zu reduzieren. Andererseits werden die gleichen Piercings benutzt, um Gefühle zu verstärken und verminderten Empfindungen und Gefühlen des Abgestorbenseins entgegenzuwirken. Siehe dazu auch meinen Blogeintrag Fuck me!.

Konia verweist auf eine Studie, daß Gepiercte in psychiatrischen Kliniken (immer im Vergleich zu vergleichbaren ungepiercten Patienten) signifikant mehr Angstsymptome hatten, sich auch anderen Selbstverstümmelungen hingaben und dissoziales Verhalten zeigten. Irrerweise hatten sie auch auffällig oft Interesse an Russisch Roulette (sic!): als Zuschauer oder sogar als Teilnehmer.

Man denke in diesem Zusammenhang an die selbstmörderischen Stunts, etwa „S-Bahn-Surfing“, dem so viele Jugendliche frönen.

Ein derartiges Verhalten bestimmt, wie bereits gesagt, die gesamte Gesellschaft. Der nackte Irrsinn ist allgegenwärtig. Wenn man beispielsweise das Verhalten der Politiker betrachtet, die für jeden denkenden Menschen sichtbar das Land gegen die Wand fahren, sollte man weniger auf die Ideologie oder auf „Sachzwänge“ blicken, sondern darauf, daß es die Charakterstruktur der Durchschnittsmenschen karikaturhaft überzeichnet, sozusagen rekapituliert.

Da sind zunächst einmal die Politiker, die der zunehmenden Infantilität und Verantwortungslosigkeit der Massen entgegenkommen und sich gleichzeitig gegenüber „höheren Ebenen“ genauso verhalten: die Wähler wenden sich dem „Sozialstaat“ zu und die Politiker „Europa“. Niemand will mehr Verantwortung auf seiner Ebene tragen.

Am Ende steht dann der Politiker, der aufgrund seiner vollendet triebhaften Struktur dem „Kleinen Mann“ Führung bieten kann. Diese Art von Politiker beschreibt Konia wie folgt („Neither Left Nor Right (Part II continued): The Consequences Of Political Illusion“, S. 92-111):

Der soziopathische Politiker habe, so Konia, eine glatte aber gut entwickelte Fassade, die sich jedem äußeren Widerstand anpaßt. Es gelinge ihm ausgezeichnet Menschen zu bezaubern. In seiner Umgebung rufe er ein wohliges Gefühl der Entspannung hervor, womit er Vertrauen und öffentliche Unterstützung gewinne. Sein Lächeln solle die Ahnungslosen entwaffnen und ihr Vertrauen gewinnen. Seine Überzeugungen und Beziehungen seien jedoch bloße Funktion seines Verlangens nach narzißtischer Befriedigung und persönlichem Gewinn. Er empfinde nur Verachtung für die Regeln des Anstandes und für das Vertrauen, das ihm entgegengebracht wird. Das Lügen falle ihm bemerkenswert leicht. Gewissensbisse seien ihm fremd. Anderen werde die Schuld in die Schuhe geschoben. Selbst wenn seine Verbrechen öffentlich werden, bleibe er entspannt und zeige keine Angst. Sein Charme und Mangel an Schuldgefühl veranlasse die Öffentlichkeit an seine Unschuld zu glauben. Er bleibe so lange loyal, als es seinen Zwecken und Interessen diene, obwohl er umgekehrt anderen unverbrüchliche Treue abverlange (S. 101).

Die Nähe zum, wie Reich ihn nannte, „Generalpsychopathen“ (Hitler) ist evident. Eine Massenpsychologie des Faschismus in der antiautoritären Gesellschaft ist ein Desiderat.