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Die biologische Fehlrechnung in der Ökonomie (Teil 3)

4. September 2023

Der Austausch von Waren, von dem die klassische Ökonomik ausgeht, ist eine Verfallserscheinung der ursprünglichen Ordnung, wie Bronislaw Malinowski sie anhand der Trobriader Melanesiens gezeigt hat (siehe Reichs Der Einbruch der sexuellen Zwangsmoral). Diese basierte fast ausschließlich auf Vertrauen: man gab etwas und wußte, daß man eines Tages einen höheren Gegenwert zurückerhalten würde. „Zeit“ war nie leer, sondern immer etwas, was mit „bioenergetischer Spannung“ gefüllt war.

Mit dem Zerfall dieser ursprünglichen Ordnung ging dieses Vertrauen und diese „Zeitfülle“ verloren. Der Mensch „verfiel dem Gold“. Wenn ich das richtig verstanden habe, handeln davon fast alle Mythen vom Verlust der alten Ordnung, die Wagner in seinem krypto-kommunistischen Ring der Nibelungen zusammengeführt hat. An die Stelle von Vertrauen tritt die Gier nach Gold und die Willkür der Götter, die wie Wotan ständig „ordnend“ eingreifen und trotzdem nur immer mehr Chaos erzeugen, bis es schließlich zur „Götterdämmerung“ kommt, letztendlich weil niemand mehr irgend jemanden vertrauen kann und alles dem Nihilismus (sozusagen der „Zeitleere“) verfällt. (In Tolkiens kongenialem krypto-katholischem Herr der Ringe geht es um die Wiederherstellung einer ewigen moralischen Ordnung, zu der es keine mögliche Alternative gibt.)

Freud vertrat die diametrale Gegenposition zur Anthropologie Reichs, d.h. am Anfang steht die Willkürherrschaft des „Urvaters“, der schließlich von seinen eigenen Söhnen beseitigt wird (Stichwort Ödipuskomplex). Wie man sich das konkret vorstellen kann, läßt sich anhand der Eigentumsökonomik Gunnar Heinsohns aufzeigen. Dieser zufolge stand am Anfang, d.h. in der Antike, die Verwaltung und mehr oder weniger willkürliche paternalistische Verteilung von Gütern. Nach einem revolutionären Umbruch wurde der Feudalbesitz (materielle Beherrschung) aufgeteilt und durch einen Rechtsakt in Eigentum (rechtliche Beherrschung) umgewandelt. Konkret war das die gleichmäßige Aufteilung des Landes unter den vatermörderischen Revolutionären. Von diesem Zeitpunkt an geht es, so die Vorstellung Heinsohns, nicht mehr um das Verteilen von Gütern, sondern um die Verwertung des Eigentums unter den Bedingungen der Erzwingung von Mehrertrag durch den Zins. Wer bei einem Kreditgeschäft auf die freie Verfügbarkeit seines Eigentums, das etwa verpfändet oder verkauft werden kann, zeitweise verzichtet, möchte dafür kompensiert werden („Eigentumsprämie“), der Kreditnehmer kann also das fremde Eigentum, das er zeitweise besitzt, zum eigenen Vorteil nicht frei nutzen, sondern muß einen Zins unter der ständigen Drohung erwirtschaften, bei Nichterfüllung das eigene Eigentum, das den Kredit absichert, durch entsprechende Rechtstitel zu verlieren.

Eigentum wird durch einen nichtphysischen Rechtsakt geschaffen. Am Anfang steht die Parzellierung des Landes mit je einem Eigentümer der einzelnen Parzellen. Dadurch, daß es eingezäunt wird, ändert sich an einem Stück Land zunächst einmal gar nichts, trotzdem ist das, Heinsohn zufolge, der alles entscheidende Bruch in der Wirtschaftsgeschichte, denn durch das Eigentum, wird der Kredit- und Zinsmechanismus ingang gesetzt und der Eigentümer dadurch gezwungen, dieses Land profitabel zu bewirtschaften. Plötzlich zählen persönliche Beziehungen rein gar nichts mehr, der Austausch wird sozusagen „blind“, vor allem aber „mathematisiert“, d.h. infolge des abstrakten Eigentumsbegriffs zählt einzig und allein die Quantität: die unmenschliche Kälte des Kapitalismus.

Heinsohn (ähnlich wie zuvor Freud) sieht nicht, daß es sich hier um Verfallserscheinungen der ursprünglichen „ungepanzerten“ Ordnung handelt und die beschriebene „Blindheit“ eine Folge von Panzerung ist.