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Zum Gedenken an James DeMeo (14.1.1949 – 3.4.2022): Die „Saharasia-Theorie“ (Teil 1)
9. April 2022In der historischen Entwicklung der Reichschen „Orgonomie“ gab es nacheinander drei Theorien über den phylogenetischen Ursprung der Panzerung: das funktionalistische Modell nach Bronislaw Malinowski, wie Reich es 1931 in Einbruch der Sexualmoral dargestellt hat. Hier führt er die Aufhebung der Sexualität als Selbstzweck zurück auf äußere ökonomische Zwecke aufgrund universeller ökonomischer Akkumulations-Mechanismen – was aber eher auf das evolutionistische (pseudo-dialektische) System von Marx und Engels verweist:
Ein genuin Reichsches evolutionistisches Model wird 1951 in Die kosmische Überlagerung vorgelegt. Die wachsende Bewußtheit des Menschen führte irgendwann in der Urgeschichte dazu, daß er die existentielle Erschütterung durch den Sexus nicht mehr ertrug und sich dagegen sperrte, analog den Vorgängen bei katatonen Zusammenbrüchen. Reich beschreibt es in Die kosmische Überlagerung so, als seien die Triebe eine Gefahr für das Ich („Angst als Signal an das Ich“, Freud) und als sei deshalb etwas inhärent falsch am menschlichen Bewußtsein. Tatsächlich geht es aber nur um ein Problem der Integration von Funktionen, die schnell in Desintegration umkippen kann. Charles Konia zufolge war dieser Punkt mit der Sprachentwicklung erreicht, wo Bewußtsein und „Atemkontrolle“ aufeinandertreffen: während des biophysischen Integrationsprozesses konnten schon kleinste Störungen zu einem Zerfall (in diesem Fall Panzerung) führen. Ich selbst glaube, daß wir hier mit einem, wenn man so will „Kategorienfehler“, kämpfen: Es geht gar nicht um den Ursprung der Panzerung per se, sondern warum der Mensch so verdammt anfällig für Panzerung ist. Das einzige, was den Menschen vom Tier trennt ist Bewußtsein und Sprache.
Und schließlich in den 1980er Jahren das durch Reichs Auseinandersetzung mit der Wüstenbildung inspirierte diffusionistische Modell des Geographen James DeMeo, wonach die Entstehung der weltweiten Panzerung keiner universellen Mechanismen bedarf, da sie nachweisbar von einem mehr oder weniger klar umrissenen Herd („Saharasia“) sich im Laufe der Geschichte über die Erde ausbreitete.
Wie angedeutet schloß sich DeMeo dabei an Spekulationen des späten Reich über die Beziehung zwischen geographischen Wüsten und der inneren „emotionalen Wüste“ an. Denn Emotionelle Pest war für Reich nicht nur eine Metapher. Zum Beispiel schreibt Walter Hoppe:
Im Verlauf seiner Arbeit erkannte er (Reich) in der neurotischen Massenerkrankung, sofern sie nicht in der Stille abläuft, sondern in den zwischenmenschlichen Beziehungen Schaden anrichtet, einen Pestvorgang, der in seinen verheerenden Folgen die Pest des Mittelalters, die aus den menschenleeren Steppen Asiens im 14. Jahrhundert eingeschleppt wurde, bei weitem übertreffen würde. Reich prägte für diese Erscheinung den Begriff der emotionellen Pest. (Hoppe: Wilhelm Reich und andere große Männer der Wissenschaft im Kampf mit dem Irrationalismus, Kurt Nane Jürgenson, München 1984, S. 24)
Während sich die Psychoanalytiker vorher größtenteils auf Mythenforscher und Verwerter von Reiseberichten beriefen (z.B. Freud auf den Schreibtischgelehrten Frazer), war Reich der erste, der auf wirkliche ethnographische Feldforschung bezug nahm, auf den Frazer-Schüler Malinowski, der die Ethnographie erst zu einer Wissenschaft gemacht hatte. DeMeo hat schließlich in seiner „Saharasia-Studie“ die Sexualökonomie von über 1100 unterschiedlicher Kulturen miteinander abgeglichen.
Sowohl Reich als auch Malinowski bezeichneten ihre Ansätze als Funktionalismus. Bei Malinowski bedeutet das: individuelle Bedürfnisse schaffen sich die kulturellen und technischen Voraussetzungen ihrer Erfüllung. Wenn bei verschiedenen Gruppen ähnliche Erscheinungen auftreten, dann deshalb, weil sie der naheliegendste Ansatz zur Bedürfnisbefriedigung sind. Der Löffel zum Essen von Suppe brauchte nicht vermittelt werden, sondern konnte sich unabhängig an den verschiedensten Orten ausbilden. Er erfüllt schlichtweg seine Funktion. Von daher wird deutlich, daß Malinowskis Funktionalismus ausschließlich die rationalen Elemente einer Gesellschaft erklären kann. Um den Irrationalismus (die Emotionelle Pest) erklären zu können, benötigt man als Zusatzannahme ein diffusionistisches Modell wie DeMeos Saharasia-Theorie.
Paul Mathews: Besprechung THE INVASION OF COMPULSORY SEX-MORALITY von Wilhelm Reich
16. Dezember 2021DIE SITUATIONISTISCHE INTERNATIONALE: Wilhelm Reich kontra die Situationisten (Teil 4)
28. September 2021von Jim Martin
DIE SITUATIONISTEN (Fortsetzung)
Später erschienen in den Vereinigten Staaten Streitschriften, die versuchten, Reich von einem situationistischen Standpunkt her zu rehabilitieren. In einem anrührenden Pamphlet, das 1973 unter dem Titel Remarks on Contradiction and its Failure erschien, wertete Ken Knabb seine eigene Beteiligung in einer amerikanischen Pro-Situ-Gruppe („Contradiction“) mit Hilfe der Betrachtungsweise der Reichschen Charakteranalyse aus. Dies war Reichs neuartige Therapietechnik, die die erstarrte Rolle identifizierte, welche vom Neurotiker gespielt wurde, um ihn vom vollständigen Kontakt mit dem Leben zu schützen. Sie richtet ihr Augenmerk besonders auf den Widerstand gegen die Analyse, und bedient sich tiefer Atmung zusammen mit der körperlichen Freisetzung des muskulären Festhaltens (Charakterpanzerung), um die Gesundheit wiederherzustellen.
„Die Mitglieder von Contradiction hätten ihrer Zwangslage mutig entgegentreten können, durch das Heranziehen jener grundlegenden Taktik, die Sackgasse gerade dadurch zu verlassen, daß man sich auf den Widerstand gegen die Analyse konzentriert. Dies hätte die Aufmerksamkeit nicht nur auf die grundlegenden Fehler kollektiver Organisation gelenkt, die ich in Remarks umrissen habe, sondern auch auf unseren individuellen Widerstand, will sagen unsere Charakter… Es sei nur gesagt, daß, obwohl unbestreitbar die Praxis der Theorie individuell therapeutisch wirkt, es mir ebenso wahr zu sein scheint, daß ein Angriff auf den Charakter des Einzelnen eine gesellschaftliche Strategie ist, ein praktischer Beitrag zur internationalen revolutionären Bewegung. Der Charakter des Pro-Situ wird durch das Schauspiel objektiv verstärkt (ein Charakter tritt natürlich am meisten durch seine Unfähigkeit hervor, seine Existenz als etwas anderes als ‚Banalität‘ wahrzunehmen, bis überstarke Symptome, die vielleicht seine gesellschaftliche Praxis sichtbar behindern, ihn zwingen, seine Aufmerksamkeit auf ihn zu lenken). Auf der anderen Seite, verhindert es all die Klarheit eines Artaud, der seinen Charakter isoliert angreift, nicht, daß das ‚äußere‘ Waren-Schauspiel, das er verächtlich beiseite schiebt, in seiner inneren Welt als Phantasie von fremden, bösartigen Wesen wiederkehrt, von denen er besessen ist. Wie eine Revolution in einem kleinen Land muß der Mensch, der eine Blockierung, eine eingefahrene Routine oder einen Fetisch aufbricht, aggressiv nach außen gehen, um dort radikale Alliierte zu finden oder aufzuwiegeln oder er wird das verlieren, was er gewonnen hat und seinem eigenen inneren Thermidor zum Opfer fallen. Die Auflösung des Charakters und die Auflösung des Schauspiels sind zwei Bewegungen, die einander bedingen und erfordern.“
Hier legt Knabb seinen Finger auf den Kern des Problems. Er bietet eine Neuformulierung von Reichs Kritik am charakterlichen Rebellen. Mit dieser selbstbezüglichen Analyse übertrifft er alles, was die Situationisten jemals über Pro-Situs geschrieben haben. Im Gegensatz zu den französischen Philosophen war er in der Lage, Reichs Arbeit zu verstehen.
Im selben Jahr veröffentlichte Knabb eine Breitseite, Jean-Pierre Voyers Reich: How to Use. Voyer erörtert die Auflösung des Charakters und seine Rolle bei der Auflösung des Schauspiels.
„In allen Gesellschaften, in denen die modernen Produktionsverhältnisse vorherrschen, nimmt die Unmöglichkeit zu leben die individuellen Formen des Todes, des Wahnsinns oder des Charakters an. Mit dem unerschrockenen Dr. Reich und gegen seine entsetzten kompromißlerischen und heuchlerischen Anhänger (recuperators)* und Verleumder postulieren wir die pathologische Natur aller Charakterzüge, d.h. alles Chronischen im menschlichen Verhalten. Für uns ist weder unsere individuelle Charakterstruktur, noch das Aufklären ihrer Entwicklung wichtig, sondern die Unmöglichkeit sie für die Schaffung von Situationen zu verwenden. Der Charakter ist deshalb nicht nur eine ungesunde Wucherung, die man isoliert behandeln könnte, sondern zur gleichen Zeit ein individuelles Heilmittel in einer umfassend kranken Gesellschaft, ein Heilmittel, das uns erlaubt, die Krankheit zu ertragen, während es sie gleichzeitig verschlimmert.
Wir glauben, daß die Menschen ihren Charakter nur dadurch auflösen können, daß sie sich gegen die ganze Gesellschaft stellen (dies steht insofern im Konflikt mit Reich, als er die Charakteranalyse von einem spezialisierten Gesichtspunkt aus betrachtete); während auf der anderen Seite die Funktion des Charakters in der Anpassung an die Umstände besteht, bereitet seine Auflösung eine umfassende Kritik an der Gesellschaft vor. Wir müssen diesen Teufelskreis durchbrechen.“
1975 gab in Detroit Black and Red ein Pamphlet der britischen Solidarity von Maurice Brinton neu heraus: Authoritarian Conditioning. Sexual Repression and the Irrational in Politics. Es enthält eine achtbare Darstellung von drei Büchern Reichs: Der Einbruch der sexuellen Zwangsmoral, Die sexuelle Revolution und Die Massenpsychologie des Faschismus. Das erste dieser drei war eine Untersuchung über die Bedeutung der Arbeit des Anthropologen Bronislaw Malinowski für das Freilegen der kulturspezifischen Natur von Ödipuskomplex, Pathologie und Sexualunterdrückung. Die sexuelle Revolution ist hauptsächlich ein Bericht über Reichs Besuch in der Sowjetunion, der zu seiner Enttäuschung über die bolschewistische Revolution führte, welche ihre anfängliche Beseitigung des moralistischen Ehe- und Sexualrechts rückgängig gemacht hatte. Aus Die Massenpsychologie des Faschismus entnimmt Brinton Reichs Analyse „der verschiedenen Methoden, mit denen die moderne Gesellschaft ihre Sklaven so manipuliert, daß sie ihrer eigenen Versklavung zustimmen.“ Obwohl sich Brinton ziemlich tief in die Anthropologie Malinowskis eingearbeitet zu haben scheint, hat er offensichtlich einen der Hauptpunkte seiner Arbeit übersehen: die Untersuchung primitiver Ökonomien im Lichte des industriellen Kapitalismus. Eine der faszinierendsten Aspekte von Malinowkis Werk ist seine Erörterung des Geschenkaustausches; eine Ökonomie, die ohne Arbeitslohn auf Gegenseitigkeit beruhte und alle Aspekte des kulturellen Lebens durchdrang (einheitlich). Die gesamte Produktion war auf den freien Austausch von Geschenken bei Reisen zu benachbarten Klans ausgerichtet. Der Wettbewerb beruhte nicht darauf, wer am meisten bekommen, sondern wer das meiste geben konnte. Diese Art von Ökonomie wurde nur wenig berücksichtigt, obwohl eine pro-situationistische Zeitschrift vielsagend Potlatch betitelt war, was sich auf Geschenkgaben bei Primitiven bezieht.
Brintons Grundproblem ist, daß er es fast lieber gehabt hätte, wäre Reich 1936 gestorben. Bei Brinton werden wir vergeblich nach irgendeiner Erwähnung der Konzepte Roter Faschismus, Emotionelle Pest oder Orgon suchen.
* ANMERKUNG DES ÜBERSETZERS: Zum Wort recuperator (recuperateur, „Rückholer“) schreibt Jim Martin: „ein französisches Wort, das von den Situationisten benutzt wurde, um die Fähigkeit des ‚Schauspiels‘ (bzw. Kapitalismus/Kommunismus/moderne technologische Gesellschaft) zu beschreiben, sich den Widerstand gegen das Schauspiel einzuverleiben und dienstbar zu machen.“
Marx’ ursprüngliche Botschaft (Teil 3)
14. März 2020Die Arbeitswerttheorie (die „lebendige Arbeitskraft“, die Reich betonte) ging nicht auf Marx zurück, sondern auf Adam Smith. Man kann sie sogar weiter auf Aristoteles zurückführen. Das einzige Originelle, das Marx beigetragen hat (und das ist eigentlich das einzige Originelle am Marxismus, der Rest ist Plagiat, politische Ideologie und mißverstandene Hegelsche Dialektik), war die Reduktion der Arbeitswerttheorie auf eine unsinnige Absurdität, d.h. es gibt nach Marx keine andere Wertquelle als die Arbeitskraft. Es ist ziemlich witzig, daß der deutsche Reichist-Marxist Bernd Senf zugeben muß, daß zumindest der Wert von Gold nicht nur von der Arbeitskraft abhängt. Aber dann ist der gesamte Marxismus null und nichtig!
Solche Neomarxisten wirken dieser unvermeidlichen Schlußfolgerung entgegen, indem sie veraltete rationalistische Theorien des 19. Jahrhunderts über die Anfänge der Wirtschaft in der Menschheitsgeschichte vorbringen. Demnach wurde die ursprüngliche Wirtschaft vom praktischen Wert („Gebrauchswert“) bestimmt, erst später kam der irrationale Tauschwert und brachte alles durcheinander, so daß wir zu einer Wirtschaft zurückkehren sollten, die vom praktischen Wert bestimmt wird. Nun, diese Theorie ist schierer Unsinn! Man lese zum Beispiel Bronislaw Malinowski: So wie die Trobriander keinen Sex hatten, um sich fortzupflanzen, sondern nur zum Vergnügen, aßen sie nicht, um zu überleben, sondern nur zum Vergnügen. Tatsächlich kannten sie den Mechanismus des Verhungerns nicht, sondern schrieben alles der schwarzen Magie zu. Zu sagen, daß ihre Wirtschaft auf praktischem Wert beruht, ist Quatsch. Das Gegenteil ist der Fall! (Es ist ein Rätsel, wie Reich Malinowski lesen, sogar ein enger Freund von ihm sein und in den 1930er Jahren immer noch Marxist bleiben konnte!)
Und ist die gesamte Marxistische Werttheorie nicht ein mechano-mystischer Begriff? Die Leute sagen „Arbeit fließt in Produkte und bestimmt deren Wert“. Wie Malinowski betont, handelt es sich um ein äußerst mechanistisches Konzept, da „Bewertung“ ein subjektiver Prozeß ist („Selbstregulierung“). Und es ist auch ein äußerst mystisches Konzept, da es sich in nichts von der Behauptung der Katholiken unterscheidet, daß Wein und Brot nach der Segnung völlig andere Substanzen sind als zuvor. Übrigens: Werttheorie und Transsubstantiationstheorie haben die gleiche Quelle: Aristoteles! Marxismus ist eine Religion, keine Wissenschaft! Gott wird einfach durch die „Menschheit“ und Christus der Erlöser durch das „Proletariat“ ersetzt.
Dies beweist auch die Erforschung der Anfänge des Marxismus: Er wurde als ethisches, zutiefst anti-sexuelles philosophisch-theologisches Glaubenssystem geschaffen, um der anti-ethischen extrem atheistischen, individualistischen, „nihilistischen“, „solipsistischen“, „individual-anarchistischen“ Zerstörung des Hegelianismus (der selbst Theologie in der Verkleidung der Philosophie war) entgegenzuwirken, kurz: es sollte Max Stirners Einfluß negiert werden.
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Die bio-ökonomischen Grundlagen unseres Gesellschaftssystems (Teil 3: Kapitalismus, Sozialismus, Arbeitsdemokratie)
31. Januar 2020Der Mensch ist nicht so, wie es sich mystische Schwärmer auf der Linken vorstellen. Von Natur aus ist er kein Sozialist, der selbstlos alles teilt, sondern er wird in weiten Teilen vom Agon bestimmt. Beschäftigt man sich eingehender mit den Trobriandern, wie sie von Bronislaw Malinowski in mehreren Bänden dargestellt wurden, sieht man, daß selbst deren Leben von Konkurrenz und persönlichem Ehrgeiz geprägt war.
In Der Einbruch der sexuellen Zwangsmoral beschreibt Reich, wie die Trobriander auf ihren vor Neuguinea liegenden Inseln Reichtum („Yamswurzeln“) akkumulierten, um ihr gesellschaftliches Prestige durch die dadurch ermöglichte Freigiebigkeit zu erhöhen. Insbesondere tut dies aber der Häuptling, der sich so letztendlich die Loyalität seiner Untertanen erkauft – die er vorher ausgepreßt hat. Dieses System, in dem jeder nach seinen Fähigkeiten „nach oben“ gibt und der dergestalt akkumulierte Schatz dann mehr oder weniger egalitär vom Oberen unter allen sozusagen „nach deren Bedürfnissen“ verteilt wird, ist die Essenz des Sozialismus. So funktionierten alle Gesellschaften, weltweit und von jeher. Das spiegelt sich nicht zuletzt in den religiösen Ritualen (aus denen sich letztendlich alle Caritas und Ethik ableitet): den Göttern wird etwa eine Kuh geopfert, deren Fleisch dann an die Gemeinde verteilt wird.
Dieser Sozialismus findet sich etwa bei den Wikingern oder bei den arabischen Stämmen. Auf diese Weise erkaufte sich der normannische Fürst, aber auch etwa Mohammed, die Loyalität seiner Krieger. Jeder einzelne Krieger ergatterte bei Raubzügen soviel er konnte, übergab den Großteil seiner Beute dem Stammesführer, der es sammelte und schließlich den Schatz gleichmäßig verteilte. Es diente einer gegenseitigen sozialen Beruhigung: das Stammesmitglied erkaufte sich das Wohlwollen des Stammesführers, indem es so viel darreichte, wie nur irgend möglich in seiner Kraft stand, und umgekehrt erkaufte sich der Stammesführer die Liebe seiner Untertanen durch seine blinde Gerechtigkeit: jeder erhielt den gleich Anteil.
Das ist Sozialismus, der dergestalt letztendlich auf dem Agon und Gewalt basiert. Die Krieger mußten Angst vor dem gewalttätigen Fürsten haben (ansonsten wäre er gar nicht erst Fürst geworden bzw. als solcher anerkannt worden) und beschwichtigten ihn mit ihren Gaben, wobei sie sich gegenseitig auszustechen suchten. Der Fürst mußte seinerseits Angst vor den Kriegern haben, weshalb er einen Großteil seines Vermögens unter ihnen verteilte. Loyalität war letztendlich wertvoller als alles Gold der Welt. Gleichzeitig sorgte dieser Mechanismus dafür, daß eine gewisse Egalität zwischen den Kriegern herrschte, die sich nämlich ansonsten wegen Neides und dem Streben, selbst an die Spitze zu gelangen, gegenseitig abgemurkst hätten. Die Funktion des Fürsten war es, sozusagen die Uhr immer wieder auf Null zu stellen, damit der Agon von vorne ansetzen konnte.
Sozialismus ist einfach nur ein Mechanismus, um bei wilden Bestien, d.h. Menschen, ein einigermaßen gedeihliches Zusammenleben zu ermöglichen. Und je gepanzerter Menschen sind, desto drängender wird dieses Motiv. Entsprechend ist auch der moderne Sozialismus in Skandinavien, Rußland, etc. nichts wirklich Modernes, sondern eine direkte Fortsetzung des vielleicht ältesten Gesellschaftssystems der Welt. Zum Roten Faschismus wird dieses System erst, wenn ihm die Grundlage entzogen wird, nämlich die viszerale Angst vor Gewalt. Wenn die Herrschenden keine Angst mehr vor den Beherrschten haben und wenn die Beherrschten auch untereinander friedlich bleiben würden, selbst wenn es keine Umverteilung von oben her gäbe – also wenn aus den Massen verachtenswerte Schoßhunde geworden sind, dann haben wir den Roten Faschismus vor uns. Mediokere Figuren wie Stalin, Mao oder Angela Merkel, getragen von blökenden Schafen.
Übrigens läßt sich so, frei nach Gunnar Heinsohn (nur ohne waghalsige Konstruktionen einer alternativen Geschichte auf den Spuren Velikovskys!), auch der Kapitalismus ableiten. Alle erhalten zu einer (ständig wiederkehrenden!) Stunde Null gleich viel – und das Monopoly kann seinen Lauf nehmen. Mord und Todschlag gehen ihren Gang, bis das System durch Monopolbildung zu kollabieren droht und die sozialistische Resettaste gedrückt werden muß, damit das kapitalistische Spiel von neuem beginnen kann.
Die Arbeitsdemokratie steht außerhalb dieses Wahnsinns und bildet gleichzeitig seine Grundlage. Wenn beispielsweise die Trobriander ein Kanu bauen, ist alles vom erworbenen Fachwissen und Geschick der Arbeitenden und der Rationalität des Arbeitsprozesses bestimmt. Die „irrationalen“ Leidenschaften bzw. das alles vorantreibende Agon ist dem nur aufgesetzt und abhängig von dieser „materialistischen“ arbeitsdemokratischen Grundlage. Je weniger orgastisch impotent die Menschen sind, desto eindeutiger tritt die Arbeitsdemokratie in den Vordergrund – jenseits von Sozialismus und Kapitalismus.