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Reich und die Intellektuellen

28. Januar 2025

In dem von Birgit Johler herausgegebenen Band Wilhelm Reich Revisited (Wien 2008) verteidigt der österreichische Kulturwissenschaftler Prof. Dr. Robert Pfaller Reich gegen Michel Foucault und dessen Adepten, die Reich als obsolet hinstellen, da „die Macht“ nicht etwa sexuelle Lust unterdrücke, wie Reich behauptet hat, sondern ganz im Gegenteil gezielt anwendet, um die Masse zu korrumpieren. Pfaller wendet dagegen ein, daß Reich gezeigt habe, daß die Klassenverhältnisse die Menschen so umgeformt haben, daß sie ihre Unterdrückung aktiv unterstützen und diese sogar als lustvoll erleben. Reich spricht von der „Schere“, die sich zwischen der zur „Progression“ treibenden ökonomischen Entwicklung und dem reaktionären Empfinden der Masse auftut. In diesem Zusammenhang gibt Pfaller ein aktuelles Beispiel:

Man hätte Ende der 1990er Jahre in Österreich erwarten können, daß eine Bevölkerung, die von den immer hastiger und zerstörerischen Bewegungen eines unter neoliberalen Bedingungen agierenden multinationalen Kapitals in beträchtlichem Ausmaß bedroht war, ihre Wut gegen dieses Kapital und gegen diese Bedingungen richtet. Stattdessen richtete diese Bevölkerung ihre Wut vor allem gegen die von diesen Bedingungen hervorgerufene Migration der Arbeitskraft; nicht selten auch gerade gegen diejenigen, die versuchten, diese Bedingungen zu kritisieren und zu verändern: gegen Intellektuelle, Kunstschaffende, politisch Engagierte. Auch hätte man erwarten können, daß eine Bevölkerung unter solchen Bedingungen die Forderung nach besserem – z.B. staatlichem, gewerkschaftlichem oder anderem – Schutz gegen die vom multinationalen Kapital angerichteten Zerstörungen erhebt. Stattdessen beobachteten wir, wie diese Bevölkerung sich mit Begeisterung gerade denjenigen zuwandte, die völlig unverhohlen versprachen, noch die letzten Einrichtungen zu beseitigen, die solchen Schutz bieten konnten. Schließlich schien es, daß diese Bevölkerung, anstatt (wie Majakowski) zu rufen: „Her mit dem schönen Leben!“, noch geradezu Gefallen an Parteien und Persönlichkeiten fand, die ihr einen „Kassasturz“, eine „Budgetsanierung“ oder, noch klarer, einen „Verlust von Annehmlichkeiten“ (…) in Aussicht stellten.

Ich könnte jetzt die Sache mit der „neoliberalen Wirtschaftspolitik“ auseinandernehmen oder erläutern, wie bizarr ich es finde, daß die Suche nach „Schutz“ „progressiv“ sein soll. Pfaller könnte dann im Einzelnen Reich zitieren, der doch all dies vertreten habe. Beschäftigen wir uns lieber mit Leuten wie Pfaller, die im krassen Gegensatz zu Reich vollkommen abgeschnitten sind von den wirklichen Lebensverhältnissen der Massen und imgrunde nichts als Verachtung für diese aufbringen. Wenn sich die Massen gegen ihre staatliche Bevormundung, die bis hin zu „Gedankenverbrechen“ reicht, gegen Erstarrung und Regelwut, gegen immer höhere Steuern und Abgaben aussprechen, wird das prompt mit Verweis auf Reich pathologisiert.

Leute wie Pfaller verzweifeln, weil die Massen einfach nicht so funktionieren, daß sie den Interessen von „Intellektuellen, Kunstschaffenden und politisch Engagierten“ dienen. Die Massen sollen gefälligst für weniger Wettbewerb und mehr Staat sorgen, damit die „Intellektuellen, Kunstschaffenden und politisch Engagierten“ sich in den staatlichen und öffentlich-rechtlichen Nischen wie Parasiten entfalten können. Die Massen haben vor allem aber eins zu tun: eine identitätslose beliebig formbare „Masse“ zu werden. Dazu muß das Volk zur „Be-Völkerung“ werden, d.h. derartig zersplittern, daß eine Solidarität unmöglich wird. Oder mit anderen Worten: durch „Migration“ soll jedwedes „Milieu“ zerstört werden. Orientierung kommt dann nicht mehr aus der Tradition, sondern von „Intellektuellen, Kunstschaffenden und politisch Engagierten“. So haben Kommunisten schon immer agiert: die „Vermassung“ fördern und, im krassen Gegensatz zur Propaganda, jedwede Solidarität zwischen den Menschen („Fraktionsbildung“!) hintertreiben. Stattdessen wollen die Kommunisten eine vollkommen infantilisierte und „schutzbedürftige“ Bevölkerung, losgelöst von ihren arbeitsdemokratischen Wurzel.

Es ist wirklich vollständig egal, was Leute wie Pfaller mehr oder weniger Kluges über Reich schreiben; ob sie für oder gegen ihn sind, Foucaultianer sind oder nicht. Wichtig ist einzig und allein, was für Interessen sie vertreten! Oberflächlicher sozioökonomische Interessen, tiefer „charakterstrukturelle“ Interessen. Es geht schlicht darum, daß Kommunisten (die sich heute als „Sozialisten“ und „Linksliberale“ tarnen) das „freie Spiel der Kräfte“ nicht ertragen können („die immer hastiger und zerstörerischen Bewegungen“). Im Namen des „Antifaschismus“, gar im Namen von Wilhelm Reich, perpetuieren sie deshalb das (faschistische) Elend.

Während Philosophen wie Pfaller und Foucault naiv herumphilosophieren und an ihren Theorien herumbasteln, beschäftigt sich die Orgonomie mit den arbeitsdemokratischen und biologischen Hintergründen ihres Denkens.

Nur ein Idiot kann begeistert sein, wenn sich Geistesgrößen wie Pfaller dazu herablassen Reich ideologisch bzw. „wissenschaftlich“ (man beachte die Anführungszeichen!) zu „rehabilitieren“. Die Orgonomie bewegt sich auf einer ganz anderen Ebene als alle Philosophien und „Weltanschauungen“. Sie steht grundsätzlich außerhalb derartiger „Diskurse“, deren Inhalt vollkommen nebensächlich ist. Das einzige, was zählt, ist die Funktion des ach so klugen Geredes.

Überhaupt die IntellektuellenAch ja

Peters Lektüre von KINDER DER ZUKUNFT (Teil 5)

13. Januar 2018

Kinder der Zukunft: einer der entscheidenden Sätze findet sich auf S. 22f: Ziel sei es, „den natürlichen Ausdruck des Neugeborenen zu verstehen und jede Einschränkung zu beseitigen“. Dieses Grundanliegen Reichs kann man wirklich auf alle Gebiete ausdehnen: in der Therapie wird versucht, den natürlichen Ausdruck freizulegen und zu unterstützen, desgleichen in den Versuchen die Arbeitsdemokratie freizulegen, selbst beim Cloudbusting, was die Selbststeuerung der Atmosphäre betrifft – überall. Das ist der Kern der Orgonomie. Sozusagen: der Kern ist ihr Kern. Und genau deshalb ist dieses Buch auch so überaus wichtig. Und genau weil es so wichtig ist:

Auf S. 27 schreibt Reich, daß „die Natur in den tiefen Quellen des lebendigen Prinzips ein Zusammenwirken der Menschen anstrebt“, doch die neurotischen Prinzipien „diese grundsätzliche Einigkeit der internationalen menschlichen Existenz zerreißen und trennen“. Das sollte, so Reich weiter, im Schmelztiegel USA leicht zu begreifen sein, im Gegensatz zu Ländern mit „nationalen Beschränkungen“. Soweit Reich. Das Prinzip „Kinder der Zukunft“ soll hier, ganz gemäß dem Zeitgeist nach zwei verheerenden Weltkriegen, der Durchsetzung des internationalistischen Projekts dienen. Etwa im Sinne dieser Schmelztiegelhexe (und, nein, ich bin kein Antisemit, aber sie ist nun mal das beste Beispiel):

Wir müssen bei Reich das Überzeitliche vom Zeitgebundenen trennen. Die Wahrheit von damals ist heute eine lebensfeindliche, pestilente Lüge, die unser Leben insbesondere aber das Leben unserer deutschen Kinder in eine veritable Hölle verwandelt! Oder wie Reich auf S. 29 schreibt: die biophysikalischen Grundlagen „sind jenseits der Veränderlichkeit“, während Institutionen und Ideologien unbedeutende sekundäre Funktionen darstellen, die veränderbar sind.

Ich werde gefragt, warum ich so streng mit dem Buch Kinder der Zukunft umgehe. Schlechte Umgangsformen, kompromißlos, extrem, etc. Sozusagen schlecht für „die Bewegung“ oder „die Sache“. Ich gebe nur das wider, was mir aufgefallen ist und was der Leser m.E. wissen sollte. Die Übersetzung ist flüssig zu lesen und gibt das Original korrekt wider. Aber ist das SELBSTVERSTÄNDLICHE erwähnenswert? Ist erwähnenswert, daß jeder SELBSTVERSTÄNDLICH das Buch lesen sollte, der sich auch nur marginal für Reich interessiert?

Ein anderes Beispiel: Teile von Äther, Gott und Teufel (1983) mußten ins Deutsche übersetzt werden. Eine ganz überwiegend gute Übersetzung. Nicht erwähnenswert, da SELBSTVERSTÄNDLICH. Erwähnenswert sind einzig und allein Stellen wie: „es gibt keinen luftleeren Raum“ (sic!), weil der Übersetzer allen Ernstes „vacuum“ mit „luftleer“ widergegeben hat. Ich muß so etwas erwähnen, allein schon, weil es sonst niemand macht. Für mein Empfinden ist ein solches Schweigen gewissenlos, nach dem Motto: „Hauptsache Äther, Gott und Teufel ist auf deutsch erschienen!“

Warum fehlt in Kinder der Zukunft, im Gegensatz zur amerikanischen Originalausgabe, die Quellenangabe des zentralen und wichtigsten Kapitels des Buches, „Die Kinder der Zukunft“? („Children of the Future. I. Report on the Orgonomic Infant Research Center“, Orgone Energy Bulletin, 2(4), Oktober 1950, S. 194-206). Kann man sich solche Nachlässigkeiten bei einem Freud-Buch vorstellen? Deshalb die rigiden Formalitäten, die Reich und später Elsworth F. Baker ihrer Umgebung aufzwangen: angesichts von „Orgasmus, Sexualökonomie und Entspannung“ muß man Respekt erzwingen. Siehe Reichs Rede an den Kleinen Mann.

Ich weiß, ich bin kleinlich, aber Fußnote 3, S. 21: „Der Begriff Sexualökonomie ist eine Weiterentwicklung der Freudschen Trieblehre.“ Warum nicht: „Die Sexualökonomie ist eine Weiterentwicklung der Freudschen Trieblehre“? Der Begriff der Sexualökonomie umfasse, so diese Fußnote des Übersetzers, die Gesamtheit der menschlichen Antriebe, nicht nur, wie häufig fälschlicherweise angenommen werde, den Sexualtrieb. Und warum heißt es denn „Sexualökonomie“? Lautet der Untertitel des Buches nicht „Zur Prävention sexueller Pathologien“? „Sexualität“ steht schlichtweg für die Expansion des Energiesystems, das eine Einheit ist, nicht, wie bei Freud, ein Sammelsurium voneinander vollkommen unabhängiger Triebe, die miteinander griechische Tragödie spielen. Regulator dieses Energiesystems ist der Orgasmus. Und was macht diese Fußnote? Sie relativiert die Bedeutung der Sexualität!

Aber zitieren wir das Glossar von Die Massenpsychologie des Faschismus:

Sexualökonomie. Der Begriff bezieht sich auf die Regulierungsweise der biologischen Energie oder, was dasselbe ist, des sexuellen Energiehaushalts des Individuums. Sexualökonomie meint die Art, in der ein Individuum mit seiner biologischen Energie wirtschaftet – wieviel davon es eindämmt, wieviel davon es orgastisch entlädt. Die Faktoren, die diese Regulierungsweise bestimmen, sind soziologischer, psychologischer und biologischer Natur. Die sexualökonomische Wissenschaft hat die aus dem Studium dieser Faktoren gewonnene Gesamtheit des Wissens zum Inhalt gehabt. Der Begriff bezeichnet Reichs Arbeit vom Zeitpunkt seiner Widerlegung der Freudschen Kulturphilosophie bis zur Entdeckung des Orgons, wonach er zu dem Terminus Orgonomie – Wissenschaft von der Lebensenergie – abgewandelt wurde.

So einfach, so funktionell ist das Leben! Ohnehin hätten wir uns das alles ersparen können, denn im amerikanischen Original lautet die Fußnote von Raphael und Higgins (die dort übrigens skandalöserweise nicht als solche gekennzeichnet ist, so daß jeder Leser sie Reich zuweisen wird, dessen Originalaufsatz gar keine Fußnoten hat!) entsprechend der offiziellen orgonomischen Definition von „Sexualökonomie“: „Sex economy refers to the manner in which the organism regulates its biological (orgone) energy.“ Ist dieses Fußnoten-Durcheinander etwa nicht erwähnenswert?

Warum, warum, warum müssen wirklich alle Bücher Reichs zu einem editorischen Alptraum entarten?!

In der Fußnote 5, S. 22 wird Dr. Müschenichs Doppelblindstudie über den Orgonenergie-Akkumulator erwähnt. Sie stamme aus dem Jahr 1995 (sic!). Als Beleg wird auf Dr. Müschenichs Buch von 1987 verwiesen… Puhhhhh… Ja, jetzt bin ich wirklich kleinlich, aber… Puhhhh…

P.S.: Gerade eben habe ich für neue Blogbeiträge in Reich-Büchern geblättert: In Charakteranalyse werden in einer Abbildung „blockierte Erregung“ und „blockierende Erregung“ miteinander vertauscht (KiWi, S. 574). In Äther, Gott und Teufel wird in einer Abbildung der Panzer nicht mit „Panzer“ beschriftet, sondern mit – „Liebe“ (1983, S. 67).