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Freuds verzweifelter Kampf gegen Reich, um sein Lebenswerk zu retten

17. Februar 2013

Warum hat Freud auf der Sexualtheorie mit einer derartig sektiererischen Ausschließlichkeit, etwa gegenüber Jung und Adler, bestanden? Weil die Sexualtheorie die einzige Möglichkeit für Freud war, sich gleichzeitig gegen drei existentielle Bedrohungen für die Psychoanalyse zu immunisieren:

  1. Bestand die Gefahr, daß sie sozusagen in ihren Mutterboden zurückfallen und versinken würde: dem „okkulten Schlamm“ des „Mesmerismus“, der 100 Jahre zuvor den damaligen „Skeptikern“ zum Opfer gefallen war. Nicht nur, daß Sexualität das Antidoton zu jeder Art von „Religion“ war, auch sorgten die von Freud postulierten „Partialtriebe“ (anale Libido, orale Libido, etc.) dafür, daß jede einheitliche Lebenskraft gedanklich „zerstückelt“, sozusagen „dekonstruiert“ („weganalysiert“) wurde. Der Geist Mesmers wurde dergestalt gebannt.
  2. Die Psychoanalyse war kaum mehr als die Analyse von „Texten“ (Deutung der „freien Assoziation des Patienten“). Der Rückgriff auf die Sexualität, das „Animalische“ schlechthin, sorgte dafür, daß Freud als mehr dastand denn als bloßer Philosoph a la Schopenhauer und Nietzsche. Er ging quasi mit „materiellen Stoffen“ um, nicht mit bloßen Konzepten.
  3. Gleichzeitig war es Freuds Bestreben, die Psychoanalyse vom Arztberuf und der Biologie zu emanzipieren, insbesondere der Neurologie, seinem ursprünglichen Fachgebiet. (Nachdem er Psychoanalytiker geworden war, sollte er sich nie wieder mit der Entwicklung der Naturwissenschaft beschäftigen!) Die Sexualität war etwas, was anatomisch nicht greifbar war. „Libido“ konnte Dinge „besetzen“ und Dingen „entzogen“ werden. Neue Anatomische Entdeckungen konnten dieses System nicht gefährden.

Tatsächlich sollte Jung zu einer Art „Religionsstifter“ werden und Adler zu einer Art „Lebensphilosoph“ (Gemeinschaftsgefühl, Wille zur Macht, Philosophie des Als-Ob, etc.). Bei Reich löste sich die Psychoanalyse in Anatomie auf. Von „Deutung“ blieb bei ihm fast nichts.

Reich sollte zwar, im Gegensatz zu Jung und Adler, an der Sexualtheorie festhalten (sogar konsequenter als Freud selbst!), jedoch hatte er ihr das für Freud Wesentliche genommen: Mit seiner Genitaltheorie hatte er sie zu einer einheitlichen Kraft gemacht. Damit war „Mesmer“ wieder da, „Philosophie“ wurde wieder möglich und nicht zuletzt wurde die Psychoanalyse „remedizinisiert“. Alle drei Punkte werden bereits in der ersten Ausgabe von Reichs Die Funktion des Orgasmus (1927) deutlich: die Funktion des Orgasmus verband die Partialtriebe in einem System „kommunizierender Röhren mit einem gemeinsamen Flüssigkeitsstand“, die Genitalität gab Anlaß für sexualreformerische Traktate und Gesellschaftskonstruktionen, Angst war wieder eine Sache „der Nerven“ bzw. der Intoxikation mit nicht abgebauten „Sexualstoffen“.

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