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Hamilton gegen Jefferson

18. August 2022

Bei der Amerikanischen Revolution, die schließlich allen europäischen Revolutionen vorangegangen ist, welche unser heutiges politisches Umfeld prägen, stoßen wir auf den zentralen Gegensatz zwischen dem pseudoliberalen „modern liberal“ Thomas Jefferson (1743 bis 1826) und dem konservativen Alexander Hamilton (1755 bis 1804). Der erstere hat damals genau jene Forderungen vertreten, die heute sowohl linke als auch rechte Blogger im Internet verbreiten: Einschränkung der Zentralregierung, Bürgerrechte, die permanente Rebellion, „Zivilgesellschaft“. Tatsächlich war sein Einfluß direkt für die Abspaltung der Südstaaten und den Bürgerkrieg verantwortlich. (Davis war die Wiedergeburt Jeffersons, Lincoln die Hamiltons.) Hamilton war für eine starke Zentralregierung und einen geordneten Staat nach englischem Muster, eine Zentralbank, eine vernünftige Armee und Marine, etc. Er verkörperte all das, was Linke und Rechte heute dermaßen an den USA hassen.

Mit seiner charakterstrukturellen Subversion hat Jefferson von Anfang an die Saat der Uneinigkeit und des Zerfalls gestreut. Zugegeben klingt alles gut, was er geschrieben hat über Unabhängigkeit, Freiheit, das Streben nach Glück, etc., befaßt man sich aber mit seinem Leben, sieht man, daß er ausschließlich in seinem Kopf gelebt hat, ein lebensfremder „Idealist“ und im Herzen ein pestilenter Charakter war.

Das ganze erinnert etwas an die Ursprünge des jetzigen Ukrainekonflikts. Dazu folgender Bericht von 2016, bei dem man Lenin mit Jefferson und Stalin, ja, mit Hamilton „gleichsetzen“ könnte. Es geht hier nicht um Moral, „Gut“ und „Böse“, sondern um gesellschaftliche Funktionen:

Der russische Präsident Wladimir Putin hat das Regime des Sowjetgründers Wladimir Lenin kritisiert und die brutalen Repressionen der bolschewistischen Regierung scharf verurteilt. (…) Putin prangerte an, daß Lenin und seine Regierung den letzten Zaren Russlands mitsamt seiner Familie und seinen Bediensteten brutal hingerichtet und Tausende von Priestern und Mitgliedern der Bourgeoisie umgebracht hatte. (…) Putin meinte, Lenins Ideologie sei wie eine „Atombombe“, die schließlich zum Untergang der Sowjetunion geführt habe. Er sagte, Lenin habe sich in seinem Streit mit Josef Stalin geirrt, der für ein Einheitsstaatsmodell eintrat, während Lenin den Republiken das Recht gab, die UdSSR zu verlassen. „Dieses Recht [auf Sezession] war die Mine mit Zeitzünder, die unter unserer Staatlichkeit plaziert wurde. Das war die Ursache für den endgültigen Zusammenbruch des Landes“, sagte Putin.

Hamilton ging es um den Erhalt und die Sicherung des einmal erkämpften. Der Utopist Jefferson wollte eine agrarisch organisierte, praktisch „basisdemokratische“ Nation, war geradezu ein „Grüner“. Hamilton wollte einen starken Staat, der einen freien Handel auf dem Kontinent ermöglicht und (nicht zuletzt durch angemessenen Protektionismus) auf eine entwickelte Industrienation zusteuert. Er war für eine bestimmende Elite, eine Art neue Aristokratie aufgrund von Leistung. Tatsächlich war er selbst ein illegitimes Kind und früh Waise. Er war auf einer fernen Insel in der Karibik geboren und aufgewachsen und mußte bereits mit 14 als kaufmännischer Angestellter für seinen Lebensunterhalt arbeiten. Nach wenigen Wochen leitete er die Firma für seinen erkrankten und sechs Monate ans Bett gefesselten Boß. Jefferson hingegen war in die herrschende Klasse der Kolonien hineingeboren. Der Unterschied zeigte sich auch darin, daß Hamilton für seine Zeit auf fast einmalige Art und Weise frei von Rassismus war, was Neger, Indianer und Juden betraf. Er selbst wurde wegen seiner Herkunft immer wieder als „Mulatte“ denunziert. (Heute dichten „Antizionisten“ ihm gerne jüdische Vorfahren an.)

Als Hamilton unter Washington der erste Finanzminister der USA wurde, war das Land bankrott und es wäre nur natürlich gewesen, wenn eine „revolutionäre Regierung“ diese, ihre Schulden (a la Griechenland heute) schlichtweg negiert hätte. Nicht so Hamilton: er sah in den horrenden Schulden einen Glücksfall, eine Möglichkeit Vertrauen in die neue Regierung zu schaffen, so daß diese in Zukunft kreditwürdig werden würde. Am Ende seiner Amtszeit war das bankrotte Land, dem niemand bei klarem Verstand Geld geliehen hätte, zum kreditwürdigsten Land der Welt geworden. Dabei war Hamilton sogar so weit gegangen, daß er freiwillig die angehäuften Schulden der 13 Teilstaaten übernommen hatte. Sein Kalkül war u.a., daß die reichen Gläubiger alles dafür tun würden, die Zentralregierung prosperieren zu lassen. Schulden würden sich, so Hamilton, dergestalt von einer Bürde in eine Stärke verwandeln; von etwas, was die Einheit der Nation gefährdet, in etwas, was die Einheit der Nation zementiert. Schulden sind das, was eine Nation zusammenhält, weil sie eine wechselseitige Abhängigkeit, eine bioenergetische Spannung, erzeugen. Der Orgonom Robert Harman hat das in seiner Artikelserie über „Functional Economics“ (The Journal of Orgonomy) im Detail ausgeführt.

In Hamiltons Augen war Jefferson ein Politiker im schlimmsten Sinne des Wortes, ein Populist: jemand, der den Massen nach dem Munde redet, um an die Macht zu kommen und an der Macht zu bleiben – zur Hölle mit der Wahrheit. Hamilton selbst war ein lausiger Politiker, weil er es nicht übers Herz brachte, anderes zu sagen als die Wahrheit, egal wie unbequem sie auch sei. Er sprach nicht von „Freiheit“ und „Volksherrschaft“, sondern er schuf die Institutionen (die Zentralregierung, die Armee und den „Finanzkapitalismus“), die Amerika groß gemacht haben.

Während Jefferson die blutige Französische Revolution feierte, war Hamilton schockiert und angewidert. „Andererseits“ besaß der Großgrundbesitzer Jefferson 200 Sklaven, während der stets für seinen vergleichsweise mageren Lebensunterhalt hart arbeitende Hamilton einer der ersten und der prominenteste Gegner der Sklaverei war. Schließlich wurde Hamilton von Jefferson und seinen Leuten zu Fall gebracht, indem sie eine außereheliche Eskapade ausschlachteten, mit der Hamilton von seiner Geliebten und deren Ehemann erpreßt wurde. Der gutherzige und naive Hamilton tat für die damalige Zeit etwas, was aus jedem Rahmen des puritanischen Amerika fiel: um Vorwürfe der Korruption zu entkräften, veröffentlichte er eine Broschüre, in der er alle Einzelheiten seiner außerehelichen Affäre beschrieb und sogar die Briefe seiner kriminellen Geliebten veröffentlichte. Während Washington ihn weiter unterstützte und seiner Loyalität versicherte, konnte der pestilente Charakter Jefferson sein Glück kaum fassen: nun konnte Hamilton unter keinen Umständen mehr Präsident werden.

Später war es Hamilton, der durch seinen Einfluß Jefferson zum Präsidenten machte, um einen skrupellosen Glücksritter, Aaron Burr, davon abzuhalten als Präsident das moralische Rückgrat des Landes zu brechen. Burr sollte schließlich Hamilton in einem Duell erschießen.

Der linksliberale Charakter Jefferson setzte alles auf den „kleinen Mann“ von der Straße, von dem er, der Großbürger, nicht den geringsten Schimmer hatte. Für den konservativen Charakter Hamilton hatte er bis über dessen Tod hinaus nur Verachtung und Haß, denn der sei „Monarchist“ gewesen, also genau das, wogegen man in der Revolution aufgestanden war. Hamilton hingegen betrachtete sie nie als „Revolution“, sondern als bloßen Kampf für die Unabhängigkeit. Die Demokratie war ihm ein Greuel, die Krankheit des neuen Landes, weil er im Gegensatz zu Jefferson eine realistische Sicht der menschlichen Natur hatte. Es war sein Einfluß, der für das spezifische amerikanische Regierungssystem aus „checks and ballances“ sorgte, so daß Leute wie Jefferson keinen allzu großen Schaden anrichten konnten.

Hamilton betrachtete die Demokratie als große Gefahr. Wohin sie führt, zeigt sich heute, wo die Parasiten des Staates ihre Agenda auf Kosten der Zukunft durchsetzen. Hamiltons Vision für die Massen, aus denen er schließlich stammte, war nicht die illusionäre „Partizipation“ an der Politik, sondern: durch die praktische Teilnahme am Arbeitsprozeß sollten sie – teilhaben und sich ihren Einfluß erarbeiten. Wählen sollten nur jene dürfen, die sich eine entsprechende wirtschaftliche Position erarbeitet haben.

All diese Gegensätze sind vom charakterologischen Gegensatz zwischen Linken und Konservativen geprägt: die Identifikation mit den Massen, die Rebellion gegen den Vater, der kontaktlose „Idealismus“ auf der einen Seite, der Wettstreit mit dem Vater und Realismus, insbesondere was die menschliche Natur und die praktischen Notwendigkeiten des Lebens betrifft, auf der anderen Seite.

Was für ein Mann Hamilton war, zeigt sich an zwei Episoden: Als Student, gerade mal 20, stellte er sich todesmutig dem „revolutionären Mob“ entgegen und rettete so dem royalistischen Direktor seiner Universität das Leben. Dabei war er, Hamilton, es gewesen, der in Pamphleten, die weite Verbreitung und große Aufmerksamkeit erlangten, für die Unabhängigkeit der Kolonisten von England geworben hatte. Es war Hamilton, der bei Yorktown maßgeblich die letzte und entscheidende Schlacht gegen die Engländer anführte – buchstäblich: todesmutig Schritt er voran in den Kugelhagel hinein. Nichts dergleichen läßt sich auch nur annähernd über Jefferson berichten. Er gab sich lieber sadistischen Phantasien hin und schwafelte davon, daß der Baum der Freiheit immer wieder durch das Blut der Tyrannen und Patrioten bewässert werden müsse.

Hamilton hatte sich alles selbst erarbeitet. Ein „Bastard“ und mittelloser „Migrant“, der zur rechten Hand General Washingtons wurde (tatsächlich war er „Washingtons Gehirn“), ein Kriegsheld, der eine Einheit zusammenstellte, die heute die älteste Einheit der US-Armee ist; der nach dem Krieg innerhalb weniger Monate autodidaktisch zum Anwalt wurde, den ersten Verein zur Abschaffung der Sklaverei ins Leben rief, eine Bank gründete und der schließlich als Präsident Washingtons Finanzminister de facto zu dessen „Ministerpräsidenten“ wurde und damit zum eigentlichen Herrscher Amerikas, dem er bis heute seinen Charakter aufgedrückt hat. Ohne ihn würde Nordamerika heute vielleicht aussehen wie Südamerika! Jefferson hingegen war als einer der reichsten Männer der Kolonien geboren worden, nur um mit horrenden Schulden zu sterben. Ein Nichtsnutz, dem bis heute universell Bewunderung gezeugt wird…

Hamiltons Vermächtnis ist Amerika selbst, eine prosperierende, dynamische Gesellschaft, die zum „Weltpolizisten“ aufgestiegen ist, der auf allen Kontinenten die Emotionelle Pest in Schach hält. Über Friedrich List steht Hamilton am Urgrund der erfolgreichen Wirtschaftsmodelle in Asien, angefangen bei Japan und kulminierend im modernen China. Ohne seinen indirekten Einfluß hätten möglicherweise Hunderte von Millionen Menschen verhungern müssen. Nicht zuletzt ist naürlich an Deutschlands wirtschaftlichen Aufstieg bis 1914 zu denken! Jeffersons Vermächtnis sind „Visionäre“, „Idealisten“, Schwätzer, Verschwörungstheoretiker, gemeingefährliche Demagogen, „Piraten“, Truther, Weltverbesserer. Nichtsnutze, die keinen blassen Schimmer von den wirtschaftlichen und arbeitsdemokratischen Zusammenhängen haben. Etwa Bert Brecht: „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“ Leeres Gewäsch von Leuten, die in ihrem Leben nie etwas Praktisches geleistet haben!

Zum folgenden Video lese man auch die Kommentare: der abgrundtiefe Haß gegen Hamilton…

https://www.youtube.com/watch?v=notJuFGXQ9w

Und hier der Grund für diesen Haß auf Hamilton. Hamilton im Gespräch mit Washingtons Nachfolger, Präsident John Adams:

https://www.youtube.com/watch?v=KaWBs46USqE

Wie ist es zur gegenwärtigen Wirtschaftskrise gekommen?

3. Juli 2012

Alexander Solschenizyn zufolge liegt die Marxistische Analyse immer falsch. Man betrachte einmal die gängige Marxistische Erklärung der gegenwärtigen Krise des Kapitalismus, die darauf hinausläuft, daß die Automatisierung rapide zugenommen hat, deshalb der Markt gesättigt ist und damit die Arbeit knapp wird. Es könne deshalb kein Mehrwert, der ausschließlich aus der menschlichen Arbeitskraft hervorgehen kann, mehr erwirtschaftet werden. Der Kapitalismus sei damit am Ende. Das Kapital versuche zwar verzweifelt sich am „Kapitalmarkt“ sozusagen durch „Selbstbefruchtung“ zu vermehren, doch das sei zum Scheitern verurteilt und mache den Fall ins Nichts für den Kapitalismus nur um so steiler. Die „Arbeitsgesellschaft“ habe ausgedient und eine neue planwirtschaftliche Gesellschaftsordnung sei unausweichlich.

Diese Marxistische Analyse hat einen wahren Kern, auf den Reich als einziger hingewiesen hat. Es dreht sich wirklich alles um die Arbeitsfunktion. Damit steht jedoch etwas im Mittelpunkt, was die Marxisten, für die Menschen nur „Charaktermasken“ ihrer objektiven Rolle im wirtschaftlichen Gefüge sind, nie begriffen haben bzw. nie nachvollziehen konnten: die Charakterstruktur der Massen.

Dazu eine bezeichnende Begegnung mit einem alten Bekannten von mir. Ein Beamter im gehobenen Dienst mit lebenslanger Absicherung, einem sehr hohen Einkommen, großen Ersparnissen, die gewinnbringend angelegt wurden, einer lächerlich geringen Arbeitsbelastung. Eines Tages drückt mir dieser Kerl seine neue Bibel in die Hand, nach der er mittlerweile sein ganzes Arbeitsleben ausgerichtet habe: Die Entdeckung der Faulheit: Von der Kunst, bei der Arbeit möglichst wenig zu tun von Corinne Maier. Ich solle mich doch auch nicht mehr von meinem Chef terrorisieren lassen. Passiver Widerstand sei angesagt! Der Bestseller kommt aus Frankreich, wo eh die meisten für den Staat arbeiten und die 35 Stundenwoche gilt!

Der Kapitalismus kollabiert aus dem gleichen Grund wie der Sozialismus kollabiert ist: aus mangelnder „Arbeitsmoral“. Oder wie das Leitmotiv der Werktätigen in der „DDR“ lautete: „Ihr tut so, als würdet ihr uns bezahlen und wir tun so, als würden wir für euch arbeiten!“

Das Wort „Arbeitsmoral“ ruft zwar weitgehend die richtigen Assoziationen hervor, ist jedoch in der Hinsicht irreführend, daß es hier nicht um eine moralische, sondern um eine bioenergetische Frage geht. Während in der alten autoritären Gesellschaft vor allem die Sexualität geschädigt war, ist es in der neuen antiautoritären Gesellschaft, die sich seit etwa 1960 ausgeformt hat, die Arbeitsfunktion. Ich habe mich darüber bereits in Der Rote Faden: Aldous Huxley ausgelassen.

In der antiautoritären Gesellschaft, die tatsächlich aus „materiellen Gründen“ entstanden ist, kommt es zu einer alle Gesellschaftsschichten umspannenden Einstellung der Verantwortungslosigkeit, zu Anspruchsdenken und Rebellion gegen vermeintliche „Ausbeutung“ (selbst von höheren Beamten!). Hinzu kommt, daß jene, die in der voll ausgeprägten antiautoritären Gesellschaft aufgewachsen sind, d.h. die Generation Facebook, von vornherein gar nicht mehr arbeitsfähig sind. Mit diesen Vollidioten, man denke nur an die „Piraten“, kann niemand mehr etwas anfangen.

Auch wenn einem immer wieder rührselige Geschichten über Leute gezeigt werden, die sich todarbeiten: in Ländern wie Griechenland, wo die Arbeitsfunktion schon immer gestört war, ist sie durch den Einfluß sozialistischer Politiker in den letzten Jahren vollends zusammengebrochen. Allgemein kranken die „Südländer“ der Europäischen Union unter einer mangelnden Arbeitsmoral, was vor allem eine Auswirkung der jahrhundertealten katholischen Unkultur ist.

Ganz ähnlich sieht es in Amerika aus. Deutsche Unternehmen sind immer wieder entsetzt, wie schlecht die Leute ausgebildet sind, was für einen geringen Arbeitsethos sie haben und wie niedrig allgemein die Produktivität ist. Beispielsweise ist die Challenger-Katastrophe unmittelbar auf den alles durchdringenden Pfusch zurückzuführen. Diese Unkultur, in der alles nur ein „Job“ ist, der lustlos erledigt wird, wurde vor Jahren beispielsweise in dem Buch Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten von Robert M. Pirsig aus dem Jahr 1974 angeprangert und, wie der Titel schon zeigt, denkbar ungeeignete Gegenmittel vorgeschlagen.

Würde man der Marxistischen Analyse folgen und die „Arbeitsgesellschaft“ überwinden, käme es zu einer dramatischen Verschärfung des heimlichen Dauerstreiks und zum endgültigen, vielleicht irreversiblen Kollaps der Gesellschaft. Milliarden Menschen, die ihr Überleben einzig und allein dem Kapitalismus verdanken, würden elendig verrecken. Da die Menschen unfähiger sind denn je, ihre eigenen Angelegenheiten zu handhaben, würde sich der Sozialismus eh als nichts anderes entpuppen als eine Art Neo-Feudalismus – wie er sich in der EUdSSR ohnehin bereits abzeichnet.

Ralf Dahrendorf hat 2009 versucht, die damals anhebende Wirtschaftskrise auf „Mentalitäten“ zurückzuführen: „verhaltensprägende Leitkulturen, die bei Minderheiten beginnen, dann aber ganze Gesellschaften erfassen“. In der alten (in unserem Sprachgebrauch: in der triebgehemmten autoritären) Gesellschaft habe der „Sparkapitalismus“ vorgeherrscht, wie ihn Max Weber im Zusammenhang mit der protestantischen Ethik beschrieben hat. Diese besage, daß „das kapitalistische Wirtschaften eine verbreitete Bereitschaft verlangt, unmittelbare Befriedigung aufzuschieben“.

In dem, was wir als „triebhafte antiautoritäre Gesellschaft“ bezeichnen, hat sich ein grundlegender Mentalitätswandel zugetragen. Zunächst wurde immer mehr Wert auf Konsum gelegt, was die protestantische Arbeitsmoral untergrub. Auf diesen „Konsumkapitalismus“ folgte dann, angefangen in den 1980er Jahren, der „Pumpkapitalismus“:

der Schritt vom Realen zum Virtuellen, von der Wertschöpfung zum Derivathandel. Die Haltung, die sich ausbreitete, erlaubte den Genuß nicht nur vor dem Sparen, sondern überhaupt vor dem Bezahlen. „Enjoy now, pay later!“ wurde zur Maxime. Sie erfaßte alle Bürger, auch die, die das heute nicht gerne hören. Sie wurde dann aber zur Einladung an die subtilen Konstruktionen derer, die sich darauf kaprizierten, aus Geld Geld zu machen. Genauer gingen die daran, aus Geld, das ihnen nicht gehörte und das es vielleicht gar nicht gab, Geld zu machen, das sie in die Welt der Superreichen katapultierte.

Ein Zurück zur protestantischen Ethik werde es, so Dahrendorf weiter, zwar kaum geben.

Wohl aber ist eine Wiederbelebung alter Tugenden möglich und wünschenswert. (…) Arbeit, Ordnung, Dienst, Pflicht bleiben Erfordernisse der Voraussetzungen des Wohlstandes; der Wohlstand selbst aber bedeutet Genuß, Vergnügen, Lust und Entspannung. Menschen arbeiten hart, um im strengen Sinn überflüssige Dinge zu schaffen. (…) Zum Sparkapitalismus werden wir nicht zurückkehren, wohl aber zu einer Ordnung, in der die Befriedigung von Bedürfnissen durch die nötige Wertschöpfung gedeckt ist.

Ohne es zu ahnen, kommt Dahrendorf hier dem Kern des Problems und seiner Lösung sehr nahe. Ich habe den Zusammenhang zwischen Arbeit, Konsum und der Reichschen Orgasmustheorie an anderer Stelle ausführlich ausgeführt.

Zusammenfassend kann man mit Dahrendorf sagen, daß es grundsätzlich drei Theorien der Krise gibt, die man mit den Namen Marx, sowie (wie ich finde) Freud und Reich verbinden kann:

  • Marx hatte recht, als er auf die Arbeitskraft als Quelle allen Reichtums hinwies. Das bedeutet aber noch lange nicht, daß uns eine Marxistische Analyse irgendwo hinführt. Oder wie Dahrendorf süffisant anmerkt:

    Hatte nicht Karl Marx schon prophezeit, daß es mit dem Kapitalismus ein schlimmes Ende nehmen werde? Das war zwar vor anderthalb Jahrhunderten, in denen allerlei geschehen ist, aber manche kümmert die kleine Verzögerung wenig.

  • Freud hatte recht, als er darauf hinwies, daß Menschen aus irrationalen, letztendlich infantilen, Gründen heraus handeln. Beispielsweise wird die Krise, die im September 2008 ihren Anfang nahm, mit falschen Entscheidungen von Politikern und ganz ernsthaft etwa auf „persönliche Animositäten zwischen dem Lehman-Chef Richard Fuld und dem damaligen Finanzminister Henry Paulson“ zurückgeführt. Zu erwähnen ist auch das Treiben von Finanzbetrügern wie Bernard Madoff, etc.
  • Für Reich sind beide Ansätze bis zu einem gewissen Grade weiterführend, doch dies nur, wenn man stets die zugrundeliegende Regulierung der biologischen Energie in den Massenindividuen, d.h. die Charakterstruktur der Massen, im Auge behält. Letztendlich geht es um biologische Probleme der Arbeitsenergie und um das, was Dahrendorf mit dem Begriff „Mentalität“ umschreibt, d.h. um bio-soziale Prozesse.