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Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 144)

24. Juli 2024

[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]

Ein entscheidender Dissens zwischen Laska und mir war alt und grundsätzlich. Reich hatte in Christusmord gesagt, daß, wäre er 1928-1933 mit seiner Sexpol erfolgreich gewesen, dies eine absolute Katastrophe „für die Menschheit“ gewesen wäre. Laska konnte das nie nachvollziehen, denn was wäre etwa an Reichs Aufsatz über „Eltern als Erzieher“ (1926) falsch? Ich verwies auf das, was nach Reichs Tod tatsächlich eingetreten ist: die „sexuelle Revolution“, die ganze Generationen zerstört hat und irgendwann über die gegenwärtige „neosexuelle Revolution“ (Transgender) im Transhumanismus münden wird: Ende der Menschheit. (By the way: Reich hat sich mit dem Transhumanismus schon Anfang der 1940er Jahre in Massenpsychologie des Faschismus [Ausgabe von 1946] auseinandergesetzt. Ich wies Laska darauf hin – der fand es läppisch.)

Reich sah sich „nur“ als konsequentester Ausdruck bzw. als konsequentester Vertreter einer nach Lebensbefreiung strebenden gesellschaftlichen Strömung. Laska sprach von den drei einzigen konsequenten Vertretern der drei Phasen der Aufklärung. Die Enzyklopädisten, Junghegelianer und Psychoanalytiker waren sozusagen Wellenberge in der besagten Strömung; L und S und R sozusagen die jeweiligen Schaumkronen.

Laska selbst ist eine andere Kategorie. Entsprechend kann er auch kein „Verhängnis“ sein. Ohnehin paßt er nicht ins Schema, weil er bereits zu Reichs Lebzeiten („d.h. in dessen Welle“) geboren wurde. Ist Laska also „harmlos“? Durchaus nicht, will sagen: hier haben wir das Dynamit von L und S und R zu einer gewaltigen Bombe zusammengebunden… Aber wie angedeutet geht es nicht um eine reine Ideengeschichte im üblichen Sinne, sondern um geschichtliche Strömungen: die vegetative Energie strebt nach Expression. Der „Denker“ erschafft nicht etwa diese Strömungen, sondern er nimmt sie nur wahr, faßt sie in Worte und setzt sich dergestalt an ihre Spitze. Man wird einwenden, daß L und S und R doch gescheiterte Existenzen waren, die jeweils im Elend und Vergessen verreckt sind, aber ich spreche natürlich von einem jeweils „heimlichen Hit“, einer untergründigen Wirkungsgeschichte.

Wenden wir uns der besagten „Geschichtsströmung“ zu: Wir befinden uns mitten im Zusammenbruch von 6000 Jahren „gepanzerter Gesellschaft“ (oder, wenn man so will, „6000 Jahre Über-Ich“). Das ist so, als wenn man einem Krüppel die Krücken wegstößt: er wird straucheln, aufheulen und schwebt in Gefahr sich das Genick zu brechen. Er hat aber auch die Chance sich zu fangen und fürderhin aufrecht durchs Leben zu wandeln. Was ich gerade in der Welt sehe, ist folgendes: die Linke pusht unverantwortlich voran, so daß sich der Krüppel unausweichlich das Genick brechen wird, während die Rechte von den alten Krücken träumt, neue Krücken bauen will bzw. die alten zerbrochenen und unreparierbaren Krücken, die auch gar nicht mehr passen würden, irgendwie doch noch reaktivieren will. Das letztere ist ein, so auch Laskas Einschätzung, absolut hoffnungsloses Unterfangen, denn es gibt prinzipiell kein Zurück mehr – und es wäre ohnehin nicht wünschenswert. Die wirkliche Funktion der Rechten ist eine ganze andere: Aufklärung über die Krücken, wie sie uns abhanden gekommen sind, über ihr heutiges Fehlen und daß es nun gilt, ohne Krücken langsam und ohne Hast das Laufen zu lernen. Laska hatte diesen „charakteranalytischen“ Ansatz – und es ist kein Zufall, daß er, der Linke „65er“ (sic!) zunehmend „nach rechts abgedriftet“ ist.

Ob Konservative hier eine Rolle spielen können, hängt davon ab, ob sie lächerliche Reaktionäre sind, die sich der Strömung entgegenstellen, und früher oder später von ihr vernichtet werden, oder ob sie die Problematik der Panzerung/des Über-Ich zumindest erahnen. Übrigens gibt (bzw. gab) es mit dem heideggerisierenden Outdoor Illner jemanden, der – explizit nicht diese, aber – ein ähnliche Sicht bzw. Herangehensweise der rechten Speerspitze des deutschen Konservatismus vermitteln wollte: „Seinsgeschichte“ an die man sich akklimatisieren müsse… Hier zeigt sich, daß der Rechte immerhin ahnt, worum es geht, während der Linke einfach frisch und fröhlich, verpeilt und blind in den sicheren Untergang vorwärts stürmt.

Das LSR-Projekt und die Orgonomie

28. Oktober 2023

Warum hat sich Laska nie erklärt? Nie den Kern seines LSR-Projekts mundgerecht und für alle nachvollziehbar in wenigen programmatischen Sätzen zusammengefaßt und seiner Netzseite vorangestellt?

Meines Erachtens ist das so, weil die Geschichte der Stirnerianer und Reichianer gezeigt hat, daß dabei nur Trivialitäten herauskommen würden, die das ganze ins Gegenteil verkehren. Bei Stirner war das der „Egoismus“, dem doch ohnehin jeder frönt, bei Reich, und auch LaMettrie, die Lust, die doch ohnehin jeder anstrebt. Und selbst, wenn man alles ganz im Sinne Laskas formulieren würde, von wegen „Kinder der Zukunft“. „Über-Ich“ etc. Die Antwort seriöser Menschen auf „LSR in 10 Punkten“ wäre ein: „Bitte belästigen Sie mich nicht mit derartig pubertärem Zeugs!“

Aus einem ähnlichen Grund hat Reich die Psychoanalyse zur Charakteranalyse und dann zur Orgontherapie weiterentwickelt: weil inhaltliche Deutungen wie „Sie haben Ihre Mutter geliebt und Ihren Vater als Konkurrenten angesehen!“ verpuffen und mit einem müden Achselzucken goutiert werden: „Bitte belästigen Sie mich nicht mit derartigem Kinderkram!“

Laskas Projekt entspricht eindeutig dem Vorgehen des Orgontherapeuten. Anders als in der Psychoanalyse werden nicht Ideationen („freie Assoziation“, spontane Erinnerungen) benutzt, um Affekte auszulösen, sondern umgekehrt: die Lockerung der Panzerung und die mit ihnen einhergehenden Affekte produzieren spontan Ideationen (Erinnerungen), oder auch nicht, und die sind dann auch reliabel, bringen den Patienten tatsächlich weiter und erzeugen ihrerseits Affekte. Genauso mit dem LSR-Projekt: Laska wollte nicht „herumphilosophieren“, die Welt mit irgendwelchen letztendlich willkürlichen Theorien beglücken (durch Verwirrung noch mehr ins Unglück stürzen), sondern er wollte zu zwingenden Einsichten führen. Also nicht „Einsichten“ präsentieren, denen man sich anschließen kann, sondern zeigen, wie eine bestimmte, nicht genannte Einsicht bisher systematisch verdrängt wurde. Laska wies dabei auf ganz bestimmte historische Vorkommnisse hin.

Seine These war, daß die Aufklärung gescheitert ist und daß es drei, und zwar ausschließlich diese drei, hochspezifischen Schlüsselereignisse gegeben hat, die dieses Scheitern nicht nur exemplifizieren, sondern auch zeigen, wie man die Aufklärung doch noch retten könnte: LaMettries Verdrängung durch die Enzyklopädisten und deren Umfeld, insbesondere Rousseau, Stirners Verdrängung durch Marx und Nietzsche, und Reichs Verdrängung durch Freud und die Freudo-Marxisten. Es ging jeweils um das Über-Ich als unhinterfragbare Instanz und vor allem als eine Instanz, die sich hinter allen möglichen „aufklärerischen“ Masken verbirgt.

LSR ist an die besagten drei Ereignisse gebunden, deren Durchdringung die Aufklärung (d.h. die Aufhebung induzierter Unmündigkeit = die Auflösung des Über-Ich) wieder in Gang setzen könnte. Die Orgonomie hingingen ist weniger eingeschränkt, hat es einfacher, da sie durch Reichs Charakteranalyse über ein Strukturmodell verfügt, das jedem vermittelbar ist. Die Orgonomie kann auf jeder Ebene, zu jeder Zeit, bei jedem Ereignis ansetzen. Dem LSR-Projekt fehlt es vom Grundansatz her an einer solchen „Schablone“. Und überhaupt: wie einem Bäcker, Schreiner, Spezialisten für Quantenchromodynamik, der noch nie von Stirner gehört hat und der nur eine vage Vorstellung von Rousseau hat, – wie dem das LSR-Projekt nahebringen? Laskas Zielgruppe sind die heutigen Entsprechungen zu den „Enzyklopädisten“, „Junghegelianern“, „kritischen Theoretikern“. Die Zielgruppe der Orgonomie hingegen ist eher der „Laie“ als der Spezialist. Das sieht man schon daran, daß sich ab etwa 1928 Reichs Schreibstil drastisch veränderte: von einem mit Fremdworten gespickten „Psychoanalysesprech“ zu einer einfachen Sprache, die wirklich jeder ohne Anstrengung verstehen kann. Bezeichnenderweise ist er zu dieser Zeit auch nie dem typischen „Marxismussprech“ verfallen, den kein Mensch nachvollziehen kann – und der sich in nichts auflöst, wenn man ihn in einfache Sprache überträgt. (Man mache sich mal den Spaß und „übersetze“ auf diese Weise eine Rede Rudi Dutschkes!)