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Peter der Verschwörungstheoretiker: Arbeitsdemokratie vs. Weltverschwörung

3. Januar 2024

Ältere Einträge und Diskussionen im NACHRICHTENBRIEF zeigen einen Peter, der sich Verschwörungstheorien gegenüber sehr skeptisch positionierte und Verschwörungstheoretiker sogar herablassend pathologisierte. Auf deutsch: sie sind mir auf den Sack gegangen! Offensichtlich hat sich in Peters Einschätzung etwas grundsätzlich geändert. Zunächst einmal habe ich mich zu praktisch 100% vom Mainstream abgewendet. Ich höre weder Radio, noch schaue ich Fernsehen und Zeitungen und Zeitschriften, etwa den Spiegel, meide ich wie die Pest. Es ist, als hätte ich eine Sekte verlassen, der ich schon in der Grundschule beigetreten bin, denn nichts anderes ist diese linke Medienblase. Ich hatte den Verschwörungstheoretikern vorgehalten, daß sie in einer durch okulare Panzerung induzierten Wahnwelt lebten, doch tatsächlich war es eher umgekehrt: die Wahnwelt des Mainstream hatte bei mir ein okulare Panzerung (im Sinne von „Scheuklappen“) induziert und all den hirnerweichenden Quatsch glauben lassen, den etwa die Tagesschau verbreitet.

Trotzdem hat sich an meiner grundsätzlich kritischen Haltung gegenüber Verschwörungstheorien und ihren Vertretern nichts geändert. Die glauben nämlich, daß „alles geplant“ sei, es „keine Zufälle gibt“ und alles nach einem Skript abläuft. Eine „okulare“, vom Gehirn, bewußten Intentionen gesteuerte Welt. Entsprechend verheddern sie sich regelmäßig in den Netzen, die sie zwischen Personen und Geschehnissen spannen. Irgendwann paßt wirklich nichts mehr zusammen und nur noch Irre können der Verschwörungstheorie anhängen.

Es ist wie im Krieg: die großartigen Pläne der Feldherren laufen nur solange wie geplant ab, bis der Gegner die Frechheit besitzt zurückzuschießen, Brücken zu sprengen, Scheinangriffe zu lancieren, unerwartete Ressourcen zu aktivieren, etc. Darüber hinaus haben die meisten Verschwörungstheoretiker schlichtweg den Kern der Verschwörung nicht verstanden, obwohl sie selbst ständig darauf verweisen: „Chaosmagie“.

Womit ich ausdrücklich nicht die auf Fiktion und „fantasy“ beruhende „Chaosmagie“ meine, wie sie im Anschluß an Aleister Crowley entwickelt wurde und deren aus einem Fantasy-Roman stammendes Symbol, der „Chaosstern“ mit seinen acht nach außen gerichteten Pfeilen, sich etwa bei Alexander Dugin findet. Auf der wirklichen Chaosmagie beruht sowohl die Kabbala als auch der tibetische Tantrismus: eine neue Welt kann nur aus dem Chaos (dem Tohuwabohu, der essentiellen Leere aller Erscheinungen) erwachsen, der Zerstörung jedweder Form. Am Anfang der Welt war Durcheinander, Wirrwarr und entsprechend kann auch eine neue Welt nur aus dem Tohuwabohu entstehen. Das „antiautoritäre“ Chaos ist der Kern der Verschwörung, so daß darüber hinaus ein wirklich stringenter Plan per se nicht auszumachen ist, vielmehr würde er, wie widersinnig das auch klingen mag, „dem Plan“ widersprechen.

Zunächst einmal ist absolutes Chaos erstaunlicherweise sehr schwer herzustellen. Im nachhinein wird man doch immer irgendeine Regelmäßigkeit finden, beispielsweise weil die sechs Seiten „eines Würfels mit sechs unterschiedlichen Seiten“ niemals exakt gleich sein können. Zufallsgeneratoren greifen mittlerweile auf die kosmische Strahlung zurück, um dem „reinen Zufall“ zumindest nahe zu kommen und selbst das ist zweifelhaft, weil die Himmelsobjekte nicht gleichmäßig verteilt sind.

Wenn absolute Unordnung annäherungsweise hergestellt ist bzw. gerade dann, passieren die wahnwitzigsten Zu-Fälle. Da kennt jeder aus dem Alltag, wenn Ereignisse aus heiterem Himmel so gut zusammenpassen, daß man das nicht hätte besser planen können. Man verläßt sich auf seine Serendipity (um Laskas Lieblingsbegriff zu benutzen). Synchronizität bzw. Serialität ist etwas Reales – und prinzipiell nicht Steuerbares. Das einzige, was man tun kann, ist die sich bietende Gelegenheit beim Schopf zu packen. Eben das ist „Chaosmagie“. Prinzipiell ist das lebenspositiv, denn es zeigt, daß sich spontan immer eine „natürliche Ordnung“ etablieren wird, ganz entsprechend dem Reichschen Diktum, daß das Lebendige immer wieder von neuem die Bedingungen des Lebens aus sich selbst erschaffen wird. Das ist sowohl die Grundlage der Orgasmustheorie als auch der Arbeitsdemokratie. Selbststeuerung und Anarchie ist machbar, Herr Nachbar!

Wie bei allem gibt es auch hier eine lebensnegative, „pestilente“ Wende, nämlich die der Weltverschwörer. Ein Beispiel ist der 7. Oktober in Israel. Es ist zu kurz gegriffen, wenn man frägt, ob die rechtsextreme, von religiösen Spinnern dominierte israelische Regierung den Hamas-Überfall selbst inszeniert hat, um die Palästinenserfrage der Endlösung näher zu bringen. Man vergißt dabei den tiefsitzenden Rassismus, der europäisch-stämmigen Elite Israels, für die Araber kaum mehr als Halbaffen sind, die nichts zuwege bringen und die man deshalb nicht wirklich ernstnehmen muß; die grenzenlose Überschätzung der eigenen Möglichkeiten und denen der amerikanischen Militärtechnik; und nicht zuletzt den antiautoritären Zerfall der israelischen Gesellschaft und damit die Zersetzung aller Standards, auch der militärischen was Führung, Disziplin und Eigenverantwortung betrifft. Mit anderen Worten: das Chaos hat für das Chaos gesorgt und die kabbalistischen Verschwörer sehen ihre Stunde gekommen. „Man braucht nur Gottvertrauen!“ – Ich verweise nochmals auf meine Weihnachtsbotschaft.

https://www.youtube.com/watch?v=B8gWU2CH32U

Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 40)

5. Januar 2023

[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]

Der Marxismus ist aus Marx‘ „Widerlegung“ von Stirners Anthropologie hervorgegangen. Siehe Marx‘ Die deutsche Ideologie. Bei Stirner dreht sich alles um die „inneren Hierarchien“, d.h. die Verinnerlichung der gesellschaftlichen Ideologie, also das, was Freud „Über-Ich“ und Reich „Panzerung“ genannt hat. Diese Dichotomie von (Eigen-) Natur und Gesellschaft wurde von Marx ersetzt durch die von materiellem Unterbau und ideellem Überbau, d.h. deine Eigenheit ist (ideelle) Illusion bzw. widersetzt sich dem unaufhaltsamen (materiellen) Fortschritt.

Ende der 1920er und Anfang der 1930er Jahre vermischt der Pseudo-Marxist Reich diese beiden Sichtweisen, indem er frägt auf welche Weise die gesellschaftliche Ideologie auf das Individuum einwirkt. Die Marxsche Gesellschaftslehre mußte, so Reich, diese Frage als außerhalb ihres Bereichs liegend offenlassen, die Psychoanalyse hingegen kann sie beantworten: in der Familie bekommt das Kind ein Über-Ich verpaßt. Reich beschrieb die Schere zwischen „progressivem“ Unterbau (Ökonomie) und „regressivem“ Überbau (Ideologie). Beispielsweise ist ein Arbeiter in moderne Zusammenhänge eingebunden, doch sein Bewußtsein ist immer noch von der bäuerlichen Herkunft seiner Familie geprägt.

Gewisserweise kann man vom Gegensatz zwischen Genealogie und Entwicklung sprechen. Die Generationen meiner Vorfahren werden immer weniger, sozusagen „spitzen sich zu“ (16 Ururgroßeltern, 8 Urgroßeltern, 4 Großeltern, 2 Eltern), während ich selbst Ursprung einer sich immer weiter auffächernden Entwicklung sein kann. Das Gewissen bzw. Über-Ich, das ganze kulturelle Gepäck, ist sozusagen „überdeterminiert“, während mir selbst praktisch unendlich viele Optionen offenstehen.

Meines Dafürhaltens drückt das Stirner wie folgt aus:

Kommt es darauf an, sich zu verständigen und mitzuteilen, so kann Ich (…) nur von den menschlichen Mitteln Gebrauch machen, die Mir, weil Ich zugleich Mensch bin, zu Gebote stehen. Und wirklich habe Ich nur als Mensch Gedanken, als Ich bin Ich zugleich gedankenlos. Wer einen Gedanken nicht los werden kann, der ist soweit nur Mensch, ist ein Knecht der Sprache, dieser Menschensatzung, dieses Schatzes von menschlichen Gedanken. Die Sprache oder „das Wort“ tyrannisiert Uns am ärgsten, weil sie ein ganzes Heer von fixen Ideen gegen uns aufführt. Beobachte Dich einmal jetzt eben bei deinem Nachdenken, und Du wirst finden, wie Du nur dadurch weiter kommst, daß Du jeden Augenblick gedanken- und sprachlos wirst. Du bist nicht etwa bloß im Schlafe, sondern selbst im tiefsten Nachdenken gedanken- und sprachlos, ja dann gerade am meisten. Und nur durch diese Gedankenlosigkeit, diese verkannte „Gedankenfreiheit“ oder Freiheit vom Gedanken bist Du dein eigen. Erst von ihr aus gelangst Du dazu, die Sprache als dein Eigentum zu verbrauchen. (Der Einzige und sein Eigentum, reclam, S. 388)

Wenn man sich meine obige Skizze anschaut: im Fokalpunkt bricht sozusagen die („gedanken- und sprachlose“) Biologie ein und die Karten werden neu gemischt. Das ist der ganze Sinn der Reichschen „sexualökonomischen Lebensforschung“.

Man kann die obige Abbildung aber auch anders interpretieren, mehr „Marxistisch“: Affektiv („plebejisch“) sagt das Menschentier „ich“, doch dieses „Ich“ wird von einem Chor gesungen: den unendlich vielen Zellen, Organen, Antrieben, physiologischen Vorgängen, etc. „Ich habe mein Sache auf Nichts gestellt“, verweist im Sinne des jüdischen Altertums auf das absolute „Chaos“ unzähliger Strebungen („Tohuwabohu“). Tatsächlich fließen im retikulären Aktvierungssystem Myriaden Impulse zusammen, um so unser Bewußtsein zu bilden, ungefähr so wie in der Abbildung dargestellt.

Interessanterweise kann man die Geschichte der Arbeitsdemokratie ähnlich betrachten: Warum spreche ich Sie im Plural an („sie“)? Soweit ich mich an germanistische Aussagen erinnere, wurde das erst am Ausgang des 18. Jahrhunderts wirklich Usus. Vorher wurde weitgehend „geduzt“. Nur die Untertanen sprachen den Herrscher im Plural mit „Sie“ an, weil der ja nie „ich“, sondern immer nur „Wir“ sagte (Pluralis majestates). Das „Sie“ ist dann im bürgerlichen Zeitalter langsam zu einer allgemeinen Höflichkeitsform geworden. (Im Englischen ist das entgegen dem ersten Anschein nicht anders, denn „you“ steht ursprünglich für das Plural „ihr“!)

In der einfachen Ökonomie des Mittelalters waren die Menschen noch „Individuen“, während mit der wachsenden Arbeitsteilung der Einzelne immer mehr in ein Netz von Beziehungen eingebunden war. Schaute er „zurück“, was andere alles zuarbeiten mußten, damit er ein Produkt produzieren konnte, war es, als blicke er auf eine „Genealogie“ zurück. Entsprechend wurde auch aus einfachen Menschen ein „wir“, das mit „Sie“ angeredet werden muß. Wir tendieren dazu „Penner“ und Pensionäre zu duzen, während Leute, die voll im Arbeitsleben stehen, die ganze Gesellschaft vertreten: wir, ihr, „Sie“.