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Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 132)

28. Mai 2024

[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]

Theodor Reik reduziert in seinem Buch Geständniszwang und Strafbedürfnis die Psychoanalyse auf eine von der Libidotheorie bereinigte Ichpsychologie, die er gleichzeitig scheinbar unlösbar an Freuds neue Todestriebtheorie kettet (wie es übrigens Freud selbst in Das Ich und das Es vorexerziert hat). Sowohl Reik als auch Reich plädieren in ihren Arbeiten dafür, zwischen dem Über-Ich und dem Ich zu vermitteln, doch für Reich ist dies nur ein erster Schritt, an den sich die Vermittlung zwischen Ich und Es anschließen muß, damit es zur realen Triebbefriedigung kommen kann (zumal die Strenge des Über-Ich von der erogenen Fixierung abhängt). Reik sieht aber vollkommen vom Libidogeschehen ab und reduziert alles auf „Signale“ zwischen starren festumrissenen psychischen Einheiten. Reich wendet sich gegen diese Personifikation der psychischen Instanzen, so als wären sie voneinander unabhängige Personen, zwischen denen sich ein Drama abspielt. Reich beharrt darauf, daß der neurotische Konflikt sich zwischen der Außenwelt und dem Lust-Ich abspielt, das sich aus Angst vor Strafe an diese Außenwelt anpaßt und daran scheitert, während nach Reik die Neurose auf dem Konflikt zwischen Trieb und dem Bedürfnis nach Strafe beruht. Der Konflikt ist also für Reik, gemäß Freuds sich im Geständniszwang und Strafbedürfnis manifestierenden Todestrieb, von vornherein im Individuum angelegt und muß nicht erst von der Gesellschaft ins Individuum getragen werden. Reich hebt hervor, wie bequem doch eine solche Theorie für die Gesellschaft ist.

Was wie „Reich vs. Reik“ aussah, war in Wirklichkeit „Reich vs. Freud“. Und was wie „ärztliche Psychoanalytiker vs. Laienanalytiker“ aussah, war in Wirklichkeit „LSR vs. DMF“ – und es hat was, wenn später „emanzipatorische“ und „Marxistische“ „Reichianer“ in der Frage der „Laienanalyse“ stets mit Freud übereinstimmten.

Wenn Reich darauf bestand, daß nur Ärzte Psychoanalystiker sein dürften, ging es ihm explizit darum, daß „Geisteswissenschaftler“ wie Reik eben den „Geist“, d.h. das Über-Ich in die Psychoanalyse tragen. Das gleiche ist dann später auch prompt in der Orgonomie geschehen, als Laien, die sich als „Orgontherapeuten“ gerierten, die Orgonomie geradezu systematisch auf mystische Gleise leiteten.

Es ging um die zentrale widersprüchliche Dichotomie: kein Sollen von unten (aus dem Es), aber Ethik von oben (aus dem Über-Ich). Sozusagen die Welt als Wille (Es) und Vorstellung (Über-Ich). Daß aus dem Sein kein Sollen folge und das dazu parallele „Ethisieren“ ist der Kern der Ideologie des Liberalismus – und des Faschismus.