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Sexualität und Arbeit (Teil 2)

24. Juli 2025

In Massenpsychologie des Faschismus beschreibt Reich seine Massenversammlungen zur Zeit der Sexpol Anfang der 1930er Jahre und wie die sexualpositive „Massenatmosphäre“ der Meetings die generelle Sexualablehnung zwar nicht aufheben, aber zumindest zeitweise paralysieren könne, so daß das allerintimste Empfinden gesellschaftsverändernd fruchtbar gemacht werden kann: „Es geht also nicht darum zu helfen, sondern Unterdrücktheit bewußt zu machen, den Kampf zwischen Sexualität und Mystik ins Licht des Bewußtseins zu rücken, ihn unter dem Drucke einer Massenideologie zum Auflodern zu bringen und in soziale Aktion zu überführen“ (Massenpsychologie des Faschismus, Fischer TB, S. 175).

Wie sähe ein solches Vorgehen heute in der antiautoritären Gesellschaft aus? Zunächst einmal werden wir alle ohnehin schon von den intimsten (sexuellen) Geheimnissen unserer Mitmenschen ständig belästigt. Und das nicht nur über die Medien, sondern auch im Alltag, wo die Menschen manchmal eine geradezu psychotische Distanzlosigkeit zeigen. Dazu hat sicherlich auch das Internet beigetragen, wo man sich so schön hinter einem Avatar verbergen kann. Kontaktlosigkeit wohin man schaut.

Die „Unterdrücktheit“ bewußtmachen? Reich dachte da in erster Linie an die Unterdrückung des sexuellen Lebensglücks. Die Unterdrückung des rein materiellen Lebensglücks führt unmittelbar zur Rebellion und bedarf keiner Massenpsychologie. Da die sexuelle Unterdrückung jedoch den Charakter des Massenindividuums so verformt, daß es die Unterdrückung hinnimmt, sogar für sie streitet, wollte Reich wie oben erörtert, diese inneren Hemmungen sozusagen austricksen.

Die Glieder der antiautoritären Gesellschaft sind leider ganz anders geartet, da von inneren Hemmungen nicht mehr die Rede sein kann. Die Massenindividuen sind tendenziell nicht mehr triebgehemmt, sondern ganz im Gegenteil triebhaft. Was also bewußtmachen?

Um diese Frage beantworten zu können, wäre es nützlich, zunächst die funktionelle Identität von Sexualität und Arbeit zu erfassen:

Wir nennen die Beziehung eines Menschen zu seiner Arbeit, wenn sie ihm Freude macht, „libidinös“; die Beziehung zur Arbeit ist, da Arbeit und Sexualität (im engsten und weitesten Sinne) aufs engste miteinander verflochten sind, gleichzeitig eine Frage der Sexualökonomie der Menschenmassen; von der Art, wie die Menschenmassen ihre biologische Energie anwenden und befriedigen, hängt die Hygiene des Arbeitsprozesses ab. Arbeit und Sexualität entstammen der gleichen biologischen Energie. (ebd., S. 263)

Anfang der 1930er Jahre war Arbeit geprägt von:

  1. gutem Handwerk („eine Sache um ihrer selbst willen tun“)
  2. Pflichtgefühl gegenüber dem Chef bzw. der Obrigkeit

Darauf (und zwar ausschließlich darauf) geht der Reichtum Deutschlands zurück. Wie kein anderes Land (vielleicht mit Ausnahme von Japan und Korea) verkörpert es eine autoritäre Gesellschaft – bzw. hat sie verkörpert.

Als leidgeprüfter Konsument und (Mit-) Produzent erfährt jeder tagtäglich, daß beide Grundlagen unserer Gesellschaft zusehends erodieren. An ihre Stelle tritt:

  1. Show („welchen Eindruck macht meine Arbeit?“)
  2. Egoismus („wie kann ich den Chef übervorteilen?“)

Oder mit anderen Worten: es geht darum, nicht „ausgebeutet“ zu werden. Dafür gibt es mittlerweile sogar „Ratgeber“ im Buchhandel: geschäftig tun, wenn der Vorgesetzte vorbeigeht, ansonsten nur das allernotwendigste leisten, damit das Nichtstun nicht auffällt.

Früher lebte man, um zu arbeiten, heute arbeitet man, um zu leben. Das „wahre Leben“ beginnt nach Arbeitsschluß. Die Menschen befinden sich in einem chronischen Expansionszustand und sind vollkommen kontaktlos, was man schon daran sieht, daß von der Substanz gelebt wird.

Was wäre also Sexpol-Arbeit heute? Zunächst einmal muß man sich bewußtmachen, daß Reichs sozusagen „gruppentherapeutischer“ Ansatz zu Sexpol-Zeiten funktionell identisch ist mit dem sich zeitlich unmittelbar daran anschließenden vegetotherapeutischen, also „körpertherapeutischen“ Ansatz: es ging um die Freilegung der biologischen Energie durch Beseitigung der Hemmungen.

In der antiautoritären Gesellschaft ist jedoch kein Platz mehr für die überkommene von Reich und Elsworth F. Baker entwickelte weitgehend körpertherapeutisch orientierte Orgontherapie, da die „Beseitigung von Hemmungen“ beim Neuen Menschen zu noch mehr Kontaktlosigkeit führt, also sich sein Zustand noch weiter verschlimmert.

Die vordringlichste Maßnahme ist deshalb die Wiederherstellung der Kontaktfähigkeit. Das bedeutet es heute, wenn man etwas „ins Licht des Bewußtseins“ rücken will! „Sexpol-Arbeit“ bedeutet heute nichts anderes als logisches, d.h. orgonometrisches Denken. Oder mit anderen Worten: sie kann nur bedeuten, den Massen die Orgonomie nahezubringen. Es geht also hier bei „Liebe, Arbeit und Wissen“ vor allem um das Wissen.

Die Frage ist, welche soziale Strömungen die Orgonomie heute nutzen kann. Früher waren Nationalsozialismus und Stalinismus unser Todfeind, heute sind es Political Correctness, Wokeness und Multikulturalismus (bzw. sind sie hinzugetreten). Früher war es der verzerrte Kontakt, heute ist es die Kontaktlosigkeit. Eine hervorragende Verkörperung jener Kräfte, die die Orgonomie nutzen kann, finden sich insbesondere dort, wo die Arbeitsfunktion unterstützt wird, also bei der sogenannten „Rechten“ mit ihrem bemerkenswert klaren und „amoralischem“ Denken.

Die innere Dynamik der antiautoritären Gesellschaft (Teil 6)

26. März 2022

Die Orgasmusformel Spannung – Ladung – Entladung – Entspannung hat zwei Phasen: die Überlagerungsphase (Spannung – Ladung) und die Phase der orgastischen Zuckung (Entladung – Entspannung). Sie bestimmt nicht nur unmittelbar den individuellen Organismus, sondern mittelbar auch den gesellschaftlichen Organismus. In der antiautoritären Gesellschaft äußert sich das wie folgt:

Spannung geht mit zentraler Erregung einher, die nicht ertragen werden kann und unmittelbar zum „bionösen Zerfall“ führt, d.h. Anarchie mit späterer Reorganisation der Gesellschaft auf einer primitiveren Ebene (Kommunismus). Womit wir bereits den Kern der antiautoritären Gesellschaft vor uns haben.

Energetische Überlagerung und die daraus resultierende „materielle“ Produktion findet nicht mehr statt. An ihre Stelle tritt das Aufbrauchen der von vergangenen Generationen erwirtschafteten immateriellen und materiellen Werte.

Die „Ladung der Peripherie“ führt zu Kontakt, was in der antiautoritären Gesellschaft unmittelbar zu Panik und hysterischem Weglaufen führt. Entladung wird zu chaotischer „Action“ und Entspannung wird zum indolenten „Chillen“.

Das ganze entspricht einer Art „Pseudobioenergetik“, die nur noch eine groteske Karikatur des Lebens darstellt. Um das unmittelbar zu erfahren, braucht man sich nur der heutigen „Kultur“ auszusetzen, die mehr und mehr wie eine bizarre Drogenparty voll von Kokain, Speed, Ecstasy und Pot wirkt: Anarchie, die mit Konformismus changiert (beispielsweise sind all die bunten Kids auf erschreckende Weise gleichförmig), Eskapismus, Aktionismus und Indolenz. Was schließlich bleibt ist die schwarze Tristesse der orgastischen Impotenz.

Letztendlich wird in der „Neosexualität“ die Friktion negiert, das Hin und Her der Pulsation und das Auf und Ab der Kreiselwelle. Negiert wird die orgonotische Erregung, das Leben selbst. Auf gesellschaftlicher Ebene äußert sich das in gesellschaftlicher „bunter“ Atomisierung und gleichzeitigem „grauen“ Kollektivismus: mit einem Wort Krebs, d.h. Kommunismus.