Posts Tagged ‘Pragmatiker’

Die Emotionelle Pest und das Wesen der Gegenwahrheit

11. Juli 2024

Manchmal ist es notwendig, die Gegenwahrheit um jeden Preis gegen die Wahrheit zu verteidigen. Beispielsweise kann das Weiterbestehen der Panzerung lebensrettend sein, weil ansonsten die freiwerdende Energie, wie bei einem Dammbruch bei Überschwemmungen, absolut verheerend sein kann. Andererseits ist etwa, als beliebiges Beispiel, der abrupte Heroinentzug bei Abhängigen, nicht die Katastrophe, als die sie immer hingestellt wird, d.h. er ist kaum schlimmer als eine gewöhnliche Infektion mit dem Norovirus, „bei der man lieber sterben möchte“. Die Propaganda, daß irgendwelche Süchte nicht zu bewältigen sind und ein Entzug lebensbedrohlich sei, ist ein typisches Beispiel für die Emotionelle Pest. Das ist keine „Gegenwahrheit“ sondern eine bequeme, wenn nicht bösartige LÜGE, denn sie führt nirgends hin und besitzt keinen Wahrheitskern; sie ist einfach nur destruktiv.

Nochmal, die Gegenwahrheit ist manchmal wertvoller als jede wohlfeile „Wahrheit“. Um bei unserem Beispiel zu bleiben, ist die Gegenwahrheit zu einer konsequenten Bekämpfung von Rauschdrogen, daß hier Tür und Tor geöffnet wird für den übergriffigen Staat. Warum nicht auch gleich den Zucker- und Fleischkonsum sanktionieren und überhaupt jeden Geldverkehr überwachen? Man sieht, die „Wahrheit“ lädt die Emotionelle Pest dazu ein sich frei zu entfalten!

Was soll das eigentlich sein „Gegenwahrheit“? Sie ist die Weltklugheit des Pragmatikers, der „gesunde Menschenverstand“, der angesichts der allumfassenden „Wahrheiten“, die von irgendwelchen Schreibtischen aus verbreitet werden, nur weise und weltklug mit dem Kopf schütteln kann. Gegenwahrheit ist weitgehend synonym mit Weisheit! Der „Schreibtischorgonom“ schaut verächtlich auf den Orgontherapeuten hinab, der Psychopharmaka verschreibt, wobei der Krämer der „grundsätzlichen orgonomischen Wahrheit“ nicht den blassesten Schimmer vom realen Leben, den Zwängen einer Arztpraxis und den spezifischen Charakterstrukturen der Menschen in der antiautoritären Gesellschaft hat. Würde die „grundsätzliche orgonomische Wahrheit“ sich blind, d.h. ohne Rücksicht auf die besonderen Gegebenheiten durchsetzen, wäre das absolute Chaos und damit letztendlich der Triumph der Lüge das Ergebnis!

Ich sehe hingegen kein Szenario, in dem es rational wäre, die Emotionelle Pest als manchmal notwendige Gegenwahrheit zu verteidigen. Es ist, wie gesagt, beispielsweise rational, die Panzerung zu „verteidigen“, damit der Organismus nicht von der orgonotischen Erregung überwältigt wird und zusammenbricht. Aber ich sehe keine Rationalität darin, klar umrissene Emotionelle Pest, d.h. die destruktive Irrationalität im zwischenmenschlichen Leben, wie z.B. die Beschneidung zu verteidigen – unter absolut keinen Bedingungen (jüdische Identität, „Hygiene“, AIDS-Prävention oder was auch immer). Mit Ausnahme sehr seltener medizinischer Bedingungen natürlich, was im Einzelfall der Pragmatiker, der Arzt, entscheiden muß und der von seiner Natur her kein Gegenstand einer generellen Debatte sein kann! Wie gesagt, die Gegenwahrheit ist immer besonders, partikular, gilt nur für bestimmte Fälle, während die Wahrheit immer allgemein, universal ist. Dabei hat die Pest von Natur aus keinen Sinn für das Besondere und Partikulare.

In gewisser Weise ist die Emotionelle Pest näher an der Wahrheit – in gewisser Weise, denn sie benutzt die allgemeine Wahrheit, die in bestimmten Situationen vielleicht unangebracht ist, um, wie erläutert, Chaos zu erzeugen und dergestalt der Lüge Vorschub zu leisten. Emotionelle Pest und das, was Reich „Wahrheitskrämerei“ nannte, sind weitgehend identisch! Man nehme etwa das Thema Abtreibung: natürlich ist es „grundsätzlich“ verwerflich werdendes Leben zu töten – aber was die einzelnen Menschen, Partner, Familien und der Arzt aus dem unwiederholbaren, einmaligen Einzelfall heraus entscheiden, geht euch verfluchten Ethikern mit euren „ewigen Wahrheiten“ nichts, aber auch rein gar nichts an!

Die Emotionelle Pest, sagen wir die FDA, die gegen Reich vorgegangen ist, war nicht in der Lage, das Besondere bei Reich zu sehen. Sie, die FDA, war ständig mit Quacksalbern befaßt, was ihre gesamte Wahrnehmungsweise bestimmte. Entsprechend stolzierte sie im priesterlichen Gewand der „gesellschaftlichen Wahrheit“ einher. Reich war hingegen in der Lage, das Besondere in bestimmten Aktionen der FDA zu sehen, d.h. in der Unterbindung ECHTER Quacksalberei, wo die FDA eben nicht als pestilente Organisation agierte. Reich sah also die Gegenwahrheit sogar innerhalb der FDA. Die FDA hingegen sah nur das, was sie für „die Wahrheit“ hielt. Reich nahm sogar die Gegenwahrheit in dem wahr, was Hitler über Juden, Liberale und westliche Demokratien sagte. WIR können differenzieren, während die Pest nicht in der Lage ist, zu differenzieren. Das, unser Sinn für die Gegenwahrheit, hebt uns von der Pest ab – und macht uns, angesichts dieses unseres „Liberalismus“, gleichzeitig zu einem leichten Opfer für die Pest.

Reich der „schreckliche Vereinfacher“

8. August 2012

Wie die Komplexität der orgonomischen Fragestellung auf praktische Weise in das wirkliche Leben integrieren? Man müsse doch auch die andere Seite sehen, diese Sichtweise wäre doch einfach zu vereinfachend, so schematisch dürfe man das nicht sehen, dem Kritiker würden x Gegenbeispiele einfallen, etc. Wobei immer wieder neue Fragenkomplexe angerissen werden.

Das geschieht immer im Namen der „Wirklichkeit“ und der „Praktikabilität“. Die Wirklichkeit sei eben viel komplexer als unsere schönen Theorien und unsere vereinfachten Schemata wären viel zu grobschlächtig, um wirklich praktikabel zu sein.

Eben weil sie Kliniker und Pragmatiker waren, haben Reich und Elsworth F. Baker die Neurotiker auf eine einfache orgonometrische Gleichung reduziert (der abgewehrte und der abwehrende Trieb, der die Charakterstruktur bestimmt) – und die genaueren Klassifikationen draußen vor gelassen, weil man praktisch mit ihnen nichts anfangen kann. Es geht darum, sich vom unwesentlichen „Noise“ nicht erschlagen zu lassen und konsequent zum funktionellen Kern des Problems vorzudringen und dort anzusetzen.

Man nehme eine beliebige politische Affäre: natürlich kann man sich, wie es jeder Journalist tut, auf die „Wirklichkeit“ und damit auf den umfassenden Täuschungszusammenhang einlassen – oder man kann sich davon befreien und die Sache funktionell betrachten. Warum, zum Beispiel, haben sich die Konservativen auf mafiöse Methoden eingelassen? Das funktionelle Problem war die Linke in den 1970er und 1980er Jahren, die alles tat, um den Roten Faschismus im Osten zu stützen und im Inland durchzusetzen. Man stelle sich mal vor, die „realistische“ SPD hätte sich durchgesetzt und wir hätten die Staatsbürgerschaft der DDR anerkannt! Dagegen mußte und muß mit allen Mitteln mobil gemacht werden – was dann zu einem Selbstläufer wurde. – Was sonst so in den Zeitungen steht und im Fernsehen gesendet wird, geht, wie stets, am Kern des Problems vorbei. Hier ist es die aktionistische Linke, auf die die Rechte lediglich reagiert.

Und so in allem: der Funktionalist muß stets zu dem Kern des Problems vordringen, den alle anderen systematisch umgehen! Natürlich wäre es idiotisch, etwa bei einer Diskussion über Alkoholismus darauf zu insistieren, dem läge meist eine „unbefriedigte orale Panzerung“ zugrunde. Aber während die anderen der Vielgestaltigkeit des Phänomens Alkoholismus haltlos ausgeliefert sind und schließlich zu mechanistischen Erklärungen (Rezeptoren im Hirn, genetische Veranlagung, etc.) Zuflucht nehmen müssen, um nicht im klinischen Chaos zu versinken – hat der medizinische Orgonom festen Boden unter den Füßen, von dem aus er die Diskussion in die richtige Richtung lenken kann.

Warum fühlten sich die 68er letztendlich immer mehr zu Marx und Freud als zu Reich hingezogen? Weil Marx Tausende von Buchseiten hochkomplex und bis in jede kleinste Einzelheit den kapitalistischen Produktionsprozeß durchleuchtet hat – ohne selbst je eine Fabrik von innen gesehen zu haben oder irgendeine über politische Versammlungen hinausgehende Verbindung zur „arbeitenden/realistischen Sphäre“ gehabt zu haben! Reichs „Marxismus“, der aus der konkreten Sozialarbeit geflossen ist, war den 68ern einfach zu platt und schematisch – während Marx als „tief“ und „wirklichkeitsnah“ galt.

Das gleiche trifft auf Freud zu, der herrlich differenziert über die Neurosen und Perversionen schreiben konnte – während Reich als langweilig und zu grob schematisierend galt. Allein schon der naive Begriff von „psychischer Gesundheit“!

Reich:

Die Wirkung des Militarismus beruht massenpsychologisch im wesentlichen auf einem libidinösen Mechanismus: die sexuelle Wirkung der Uniform, die erotisch aufreizende, weil rhythmisch vollendete Wirkung der Parademärsche, der exhibitionistische Charakter des militärischen Auftretens sind einer Hausgehilfin oder einer durchschnittlichen Angestellten bisher praktisch klarer geworden als unseren gebildeten Politikern. (Die Massenpsychologie des Faschismus, Fischer TB, S. 50)

Wenn es um Fragen der „Umstrukturierung des Kleinkindes“ gehe, also um das, was Reich später als Projekt „Kinder der Zukunft“ bezeichnen sollte, sollten wir uns, so Reich, nicht an die „reaktionär ausgebildeten Psychologen halten“, sondern beispielsweise an das natürliche Empfinden von „Bergarbeitern“ (Die sexuelle Revolution, Fischer TB, S. 250).

Mit Marx und Freud und ihren kochkomplexen Erklärungsansätzen konnten die 68er im „wirklichen Leben“ etwas anfangen – während der Primitivling Reich für sie nichts weiter als ein unrealistischer, unpraktikabler Monomane war, mit dem man im „täglichen politischen Kampf, in der täglichen Praxis, in der täglichen Klinik“ nichts anfangen konnte.

Oder mit anderen Worten: Reich untergräbt das eine Kapital, von dem „Intellektuelle“ leben. Sie sind als „Übersetzer“ schlichtweg überflüssig, wenn die Lebenszusammenhänge einfach und überschaubar werden. – Sie sind Todfeinde der Arbeitsdemokratie.

Ja, diese Leute reden von Diskurs – die intolerantesten Menschen, die man sich überhaupt denken kann, die Begründer der Political Correctness, sprechen von Diskurs! Das Ergebnis dieses „Diskurses“ ist vorgegeben: „Fortschritt“ und „Demokratie“! Tatsächlich geht es nur um eins: den „Einfluß der Intellektuellen“:

[youtube:http://www.youtube.com/watch?v=z0yuRp0RWqU%5D