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Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 49)

15. Februar 2023

[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]

Peter Sichrovsky: Der Antifa-Komplex, München 1999. Mich interessierte das Buch, weil es von einem stammt, der erst Freund von Bubis und dann von Haider war. Offenbar ein freier Geist, der von allen gehaßt wird. Und dann ist da noch die kurze Literatur-Liste am Ende des Buches, wo Reichs Massenpsychologie des Faschismus (Köln 1997) auftaucht. Ich war gespannt, wie Sichrovsky diese Lektüre verarbeitet hat. Reich kam nicht vor, nur der Vollständigkeit halber erwähnte „psychonalytische Erklärungsansätze“ und Erich Fromm. Bis ich schließlich über den einzigen wirren Absatz im ansonsten sehr klar geschriebenen Buch stieß. Er schweigt über Reich, aber ausgerechnet an der Stelle, wo es um die LSR-Problematik geht (Über-Ich und „Unbehagen in der Kultur“), kommt er ins kaum nachvollziehbare Stottern:

Einige wenige – jedoch sehr lautstarke – Nachkommen der Täter versuchten den übertragenen väterlichen Schuldkomplex in eine Aggressivität gegen potentielle alte und neue Täter umzusetzen. Während das Schuldbewußtsein als die Differenz des Kulturanspruchs von Über-Ich und Ich die Antifa-Generation nicht weiter beschäftigte, quälte sie das Schuldgefühl als ein Unbehagen, das sich infolge der vom Kulturanspruch geforderten Triebunterdrückung einstellt und anhält, solange dieser Anspruch in Geltung ist. Die antifaschistische Generation vor allem in Deutschland kämpfte somit von Beginn an einen hoffnungslosen Ersatzkrieg, den ihre eigenen Vorfahren bewußt versäumt hatten. (S. 132)

Interessant wie einerseits Sichrovsky (Der Antifa-Komplex, S. 97) auf Edgar Alexanders Buch Der Mythus Hitler von 1937 reagiert, nämlich ganz in Übereinstimmung mit dem Katholen Alexander – und wie Reich reagierte: „M.“ (Karl Teschitz = Karl Motesiczky) nimmt LSR-Partei für die Nazis gegen die Katholiken und implizit etwa gegen (den natürlich erst später auftretenden) Stauffenberg. Teschitz spricht von den „positiven, fortschrittlichen Momente(n) im Nationalsozialismus“, dessen „fortschrittliche(m) Element“ (M.: Besprechung von „Edgar Alexander, Der Mythus Hitler“ Zeitschrift für Politische Psychologie und Sexualökonomie V(1)(15), S. 76-78).

Manche führen ja das Dritte Reich darauf zurück, daß Hitler nur einen Hoden hatte (stimmt nicht, er hatte mindestens zwei!), ein dicker Wälzer über Hitlers angebliche homophile Neigungen ist veröffentlicht worden, etc. So ein Monster kann er nicht gewesen sein, denn sonst hätten sich nicht so viele Riefenstahls, Rommels, (anfangs) Stauffenbergs, etc. von seinem Charme einfangen lassen. Thomas Mann hat ihn, spät und deshalb mutig, sogar als seinen „Bruder“ bezeichnet, desgleichen George Orwell.

Reich meinte, Hitler wäre der Normale schlechthin: „Nur dann, wenn die Struktur einer Führerpersönlichkeit mit massenindividuellen Strukturen breiter Kreise zusammenklingt, kann ein ‚Führer‘ Geschichte machen“ (Die Massenpsychologie des Faschismus, Fischer TB, S. 53). Gleichzeitig war er für Reich der „Unnormale“ schlechthin, nämlich der „Generalpsychopath“.

Genau diese Zwiespältigkeit machte das Faszinosum Hitler aus: auf der einen Seite der vorhersagbare Durchschnittsuntertan, auf der anderen der unvorhersehbar agierende wilde Mann. Aus dem gleichen Grund sind die Menschen ja auch von blutdürstigen Massenmördern so fasziniert, die bieder wirken, im Heimlichen aber unaussprechliche Dinge tun, d.h. ausbrechen. Das Phänomen Hitler hat demnach wenig bis gar nichts mit all dem moralischen und ethischen Brimborium zu tun, mit dem uns die Volkspädagogen quälen, sondern mit unserer gespaltenen, unauthentischen Existenz.

Orgonomie und Metaphysik (Teil 43)

9. März 2022

Triebtäter werden ständig von zwanghaften Vorstellungen heimgesucht, die bei bestimmten Anlässen ausgelebt werden, ohne daß sie noch der Willenskontrolle unterliegen, sie reiben sich die Augen und plötzlich liegt ein totes Kind oder eine tote Frau vor ihnen. Trotzdem sollte man diese Leute bestrafen, genauso wie man Leute bestrafen sollte, die Verbrechen im Alkoholrausch begehen, denn sie hatten die Pflicht psychiatrische Hilfe zu suchen bzw. das Trinken einzustellen: und für diese Unterlassung müssen sie genauso hart bestraft werden, wie für die eigentliche Tat, die sie im strengen („bewußten“) Sinne ja gar nicht getan haben.

Die Sache mit der Willensfreiheit bzw. deren Fehlen ist ein typischer Ausfluß der mechano-mystischen Lebensanschauung: der Geist ist frei (handelt durch voraussetzungsloser Intention), die Materie ist ein endloser Regreß in der Ursache-Folge-Verkettung. Was es hingegen tatsächlich gibt, jenseits dieses Mechano-Mystizismus, sind unterschiedliche Freiheitsgrade bzw. Freiheit nur in bestimmten Grenzen (orgonomischer Funktionalismus). Entsprechend gibt es keine absolute Willensfreiheit, wie es auch keine absolute Verantwortungslosigkeit gibt.

Hinzu kommt, daß man stets selbst Teil der Ursache-Folge-Kette ist. Man kann sich nicht „mystisch“ außerhalb der Welt stellen, indem man nach Art eines „materialistischen“ Türkenfatalismus sagt, „die Umstände“ und dergleichen seien schuld. Tut man das doch, dann erklärt man sich selbst zum Objekt und darf sich nicht wundern, wenn man als solches behandelt wird.

Gesetzt wir folgen der Willensfreit: Freiheit zeigt sich immer in der Setzung eines Bezugssystems oder, um mit Nietzsche zu reden, der Setzung einer Perspektive, inklusive eines Horizonts. Diese Setzung ist aber natürlich gleichzeitig eine Beschränkung der Freiheit, d.h. ich kann zwar ein Spiel erfinden, also Spielregeln definieren, muß mich dann aber auch an diese halten, damit das ganze überhaupt Sinn macht. Ohnehin ist die „willkürliche“ Setzung selbst nicht frei, denn sie folgt dem „Befehl“ des Lebens, d.h. es steht uns gar nicht frei, keine Grenzen für die Freiheit zu ziehen. Es steht nicht in unserem Ermessen nicht Beschränkungen vorzunehmen, denn deren Setzung konstituiert ja gerade unser Leben, das nichts anderes ist als „Pulsation innerhalb einer Membran“. Das Setzen ist der Vollzug des Lebens selbst: wir sind gezwungen frei zu sein, – indem wir Grenzen setzen.

Das ganze wird klarer, wenn wir es orgonometrisch formulieren. Der orgonometrische Gegensatz der Freiheit ist die Verantwortung und das gemeinsame Funktionsprinzip (CFP) dieser beiden Funktionen ist die Selbstregulierung.

Was das Verhältnis von Freiheit und Verantwortung betrifft, so kann man es nicht von der gesellschaftlichen Atmosphäre trennen. Sowohl in gesunden als auch in autoritären Zeiten waren Freiheit und Verantwortung einfache (sich gegenseitig anziehende) Funktionen (wenn die Freiheit stärker wird, wird auch die Verantwortung stärker), während in Zeiten des sozialen Verfalls die beiden Funktionen antithetisch werden: die Freiheit frißt die Verantwortung und andersherum. Zum Beispiel zerstört die „Verantwortung in Zeiten von Corona“ jede Art von Freiheit, und der Eifer, frei von Corona zu sein, zerstört jede Verantwortung, Loyalität, Freundschaft und Liebe.

Die CFP von Freiheit und Verantwortung ist, wie gesagt, die Selbstregulierung. Diese Gleichung verkörpert das Wesen der Orgonometrie selbst: Ich habe die Freiheit, meinen Körper so frei zu bewegen, wie ich will – innerhalb der strengen Grenzen der Biomechanik und der Schwerkraft –, oder ich verletze mich, vielleicht tödlich. Es gibt niemals eine „absolute Freiheit“: das CFP schränkt alles ein. Letztlich ist man nur dann frei und handelt verantwortungsvoll, wenn man im Sinne von Max Stirner „Eigner seiner selbst“ ist: selbstbestimmt. Es gibt keine absolute Freiheit und keine absolute Verantwortung!