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Was ist das „rationale Über-Ich“ im LSR-Projekt?

11. Juli 2023

Ich habe mich stets an Bernd Laskas Unterscheidung zwischen „irrationalem Über-Ich“ und „rationalem Über-Ich“ gestoßen. Siehe insbesondere seine Formulierungen in Individuelle Selbstermächtigung und rationales Über-Ich. Man denke im Vergleich nur an sein LSR-Motto „Liquidar Super-Ego Radicalmente“. Danach doch noch ein Über-Ich ins LSR-Projekt zu schmuggeln, erschien mir stets als inkonsequent. Das irrationale Über-Ich sei, so Laska, vorrational durch Enkulturation entstanden, eingebleut worden, und würde die Ausbildung eines rationalen Über-Ich, das ein gedeihliches Miteinander ermöglicht, verhindern. Man verbietet sich, gemäß dem rationalen Über-Ich, selbst etwas, was der gegebenen Situation und den eigenen langfristigen Interessen abträglich ist, statt antrainierten Vorgaben, also dem irrationaln Über-Ich, zu folgen.

Das ist nachvollziehbar, verwirrt aber m.E. die im genannten Motto zusammengefaßte Grundbotschaft des LSR-Projekts; führt sie formallogisch geradezu ad absurdum. Klarheit wird geschaffen, wenn wir Freuds tiefenpsychologische Begrifflichkeit (Es, Ich, Über-Ich) hintanstellen und uns Reichs biopsychologischen Formulierungen zuwenden, also der Unterscheidung in bioenergetischen Kern, sekundäre Schicht und Fassade.

Es gibt nur eine Übereinstimmung zwischen dem Freudschen und dem Reichschen Modell: die irrationale sekundäre Schicht, die sich als Produkt der Panzerung zwischen den inhärent rationalen Kern und die Fassade schiebt, entspricht teilweise dem Über-Ich. Das Über-Ich ist sozusagen die psychische Repräsentanz der Panzerung. Es gilt die Panzerung und damit das Über-Ich aufzulösen.

Tatsächlich muß man aber zwischen der durch und durch irrationalen sekundären Schicht und der mehr neutralen „mittleren Schicht“ unterscheiden. Oder wie Reich es ausdrückte: der Kranke ist seiner Panzerung ausgeliefert, sie beherrscht ihn, während der Gesunde frei über seine Panzerung verfügt. Auch der Gesunde kann sich „zusammenreißen“, „zumachen“, seine Impulse kontrollieren. Das ist aber eine willentliche, rationale Kontrolle, anstelle des Kontrollverlusts des Neurotikers, der seiner Panzerung (seinem Über-Ich) willenlos ausgeliefert ist.

Auch muß man zwischen dem Über-Ich und „der Stimme des Gewissens“ unterscheiden, das tiefenpsychologisch dem „Ichideal“ und biopsychologisch dem Kontakt mit dem bioenergetischen Kern entspricht. Das Beste in uns, unsere höchsten und edelsten Aspirationen, versuchen, das dem Kern Aufoktroyierte, Fremde, „das Innere Vergiftende“ zu sequestrieren. Die Fassade und der Kern streben danach miteinander Kontakt aufzunehmen und lösen dabei die sekundäre Schicht auf – jedenfalls versuchen sie es. „Man überwindet den inneren Schweinehund.“ Große, erhebende Kunst ist Ausdruck davon.

Aber zurück zum eigentlichen Thema: Laskas „irrationales Über-Ich“ ist funktionell identisch mit der sekundären Schicht, sein „rationales Über-Ich“ mit der mittleren Schicht. Ich habe mich mit dieser Problematik schon des öfteren beschäftigt, beispielsweise hier.