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Schmerz, Lust, Motivation, Emotion, Hauptwiderstand: Orgontherapie

19. November 2025

In der Orgontherapie gibt es zwei in den meisten Darstellungen vernachlässigte zentrale Elemente. Das erste Element verweist auf die Vergangenheit, d.h. auf den Grund, warum wir uns überhaupt abpanzern. Das zweite verweist auf die Zukunft, d.h. was an die Stelle der Panzerung tritt: das freie, lustvolle Strömen der organismischen Orgonenergie.

Meinem Spruchkalender zufolge hat der Kabarettist Anselm Vogt gesagt: „Er verfehlte die Lust, weil er den Schmerz vermeiden wollte.“ Genau dieser Mechanismus verursacht die Panzerung und erhält sie aufrecht. Beispielsweise sehen wir nicht die atemberaubende Schönheit dieser Welt und nehmen nicht am zwischenmenschlichen Dialog teil – an jenem grandiosen Roman, an dem die Menschheit seit Jahrtausenden kollektiv arbeitet –, weil wir schmerzvolle Dinge nicht sehen und nicht hören wollen. Das pulsierende Leben geht an uns vorbei. Stattdessen stolpern wir blind, taub und stumm durchs Leben und scheitern an ihm. Ein ganzes Leben verfehlt, nur weil wir einem kleinen, weil vorübergehenden Schmerz ausweichen wollten. Wir sind wie verschreckte Meeresmuscheln, die sich aus Angst nicht mehr öffnen. Menschen bleiben lieber ein ganzes Leben lang einsam und allein, nur weil sie vor dem Schmerz der Zurückweisung Angst haben. Ein „Ereignis“, das nur Sekundenbruchteile andauert. Wir nehmen lieber Jahrzehnte des Nachbarschaftsstreits auf uns, statt einmal (nämlich ganz zu Anfang) für ein oder zwei Minuten die offene Konfrontation zu suchen. Tatsächlich beruht fast unser gesamtes Rechtssystem darauf: daß die Menschen nicht ihr eigenes Leben in die Hand nehmen, sondern allem ausweichen und sich hoffnungslos verheddern – verpanzern. Die Orgontherapie will diesen sprichwörtlichen Gordischen Knoten durchschlagen.

Wie macht sie das? Nicht durch den Appell an Vernunft und Einsicht, wie man aus den obigen Ausführungen vielleicht schließen könnte, und erstrecht nicht durch „Körperarbeit“, sondern mittels Mobilisierung der organismischen Energie. Dies natürlich in einem sehr spezifischen Sinne, d.h. im Sinne einer Stärkung der Motivation. Nur eine entsprechend große Motivation bringt uns nämlich dazu, den kurzen Schmerz auf uns zu nehmen. „Denke nicht an die mögliche schmerzhafte Zurückweisung, sondern an die ungeheure Lust, die du in ihren Armen genießen wirst!“ – Das ist natürlich leichter gesagt als getan, aber es geht ja schließlich auch nicht um „Motivationstraining“ („Tsjakkaa – Du schaffst es!“), sondern um den Kern der Orgontherapie: die zielgerichtete Mobilsierung von Emotionen: „Die Mobilisierung der plasmatischen Strömungen und Emotionen ist (…) identisch mit der Mobilisierung von Orgonenergie im Organismus“ (Charakteranalyse, KiWi, S. 472).

Nun, jeder Idiot kann Emotionen mobilisieren. Schließlich ist das das Metier der Politiker, die alle ihrem ungeschlagenen Meister Adolf Hitler nacheifern. Es bedarf eines Therapeuten, der weiß was er tut. Es bedarf jemanden, der sich in der Welt der Psychopathologie, in der Welt der Neurosen und Psychosen auskennt (ein Psychiater) und da Emotionen immer auch etwas Körperliches sind, sollte er selbstredend Arzt sein. Und es bedarf jemanden, der sich in der Funktionsweise der organischen Orgonenergie auskennt: es bedarf eines medizinischen Orgonomen.

Er ist beispielsweise in der Lage einen Wutausbruch des Patienten zu unterbrechen, weil die Wut nur eine in diesem Moment wichtigere Emotion, etwa das Weinen, am Ausdruck hindern soll, also nichts anderes als Abwehr ist. Er denkt funktionell, nicht mechano-mystisch („Der Ausdruck von Wut ist [an und für sich] gut!“). Der medizinische Orgonom ist nicht Teil der anti-autoritären Kultur, in der jeder (fast!) alles und das zu jedem Zeitpunkt ausdrücken darf – nur nicht seine wahren (im Zweifelsfall „faschistischen“) Gefühle. Der medizinische Orgonom mißachtet das zentrale Dogma der anti-autoritären Gesellschaft und fällt Werturteile, aber er wird niemals moralistische Urteile fällen. Beispielsweise wird immer klar sein, daß er Homosexualität als neurotisches Symptom betrachtet, aber er wird niemals einen homosexuellen Patienten moralisch abwerten. Oder mit anderen Worten: der Patient ist 100%ig in sicheren Händen; ihm wird gesagt, was er wissen muß, um zu gesunden, aber er wird niemals und unter keinen Umständen in seiner Integrität angegriffen. Stelle dich deinen Ängsten, versuche sie auszuhalten und werde du selbst und damit Teil dieser wunderbaren Welt. Alles andere, alles andere als Orgontherapie, ist bloße Zeitverschwendung und macht alles nur noch schlimmer. Die Lebensenergie, das Orgon, wurde entdeckt, sie folgt gewissen Gesetzmäßigkeiten, die der medizinische Orgonom kennt und die ausschließlich er therapeutisch nutzen kann.

Ein mir immer mehr ins Auge springendes Problem ist, daß Leute, die brotlose Fächer, etwa Politologie oder Ethnologie, studiert haben (der wirkliche Bedarf an neuen Politologen und Ethnologen pro Jahr läßt sich mit den Fingern einer Hand ablesen!), statt Taxifahrer zu werden, sich als „Reichianische“ „Körperpsychotherapeuten“ niederlassen – und unglaublicherweise auch noch Leute finden, die sie bezahlen. Würden die auch zu einem Automechaniker gehen, dessen einzige Ausbildung ein Studium der, sagen wir mal, Slawistik ist?! Natürlich nicht. Aber in Sachen menschlicher Emotionen hält sich wirklich jeder für einen Experten – und findet Anhänger. Lauter kleine Adolf Hitlers mit ihrem debilen Gefolge auf dem Weg ins Verderben!

All das Muskelquetschen und „Energiemobilisieren“ und „Charakteranalysieren“ bringt rein gar nichts, wenn nicht immer wieder und wieder der Patient mit seinem charakterlichen Hauptwiderstand konfrontiert wird, bis er ihn schließlich existentiell als Symptom erfährt und aufgibt. Orgontherapie ist nicht wildes Herumschreien und Ausleben verdrängter Emotionen, sondern wohldurchdachte „biopsychiatrische Chirurgie“, die ausschließlich von ausgebildeten und ständig supervidierten Spezialisten durchgeführt werden kann.

Kapitalismus und die Funktion des Orgasmus (Teil 5)

2. Juli 2015

In Ökonomie und Sexualökonomie habe ich dargestellt, wie die Befreiung der Sexualität aus ihren mittelalterlichen Fesseln den Kapitalismus hervorgerufen hat und daß die planwirtschaftliche Zersetzung des Kapitalismus uns zurück ins Mittelalter treibt (wie bereits 1933 infolge der Weltwirtschaftskrise geschehen).

Durch die Verkümmerung von Sexualität (Zwangsmoral) und Konsum (sozialistische Verzichtsideologie) kommt es beim Individuum und im gesellschaftlichen Organismus langsam zur „Schrumpfungsbiopathie“. Der Marxismus läuft auf eine reglementierte Zuteilungswirtschaft hinaus, in der dem Träger des Arbeitsprozesses die Spannungslösung an seinem Arbeitsprodukt vorenthalten wird, was genauso verheerend ist wie ein Coitus interruptus. Die Beschneidung der Arbeitsenergie rächt sich ähnlich wie die Nichtbeachtung der sexualökonomischen Naturgesetze.

Die „gesellschaftlicher Abpanzerung“ der Sexualenergie ist funktionell identisch mit der „gesellschaftlichen Abpanzerung“ der Arbeitsenergie.

Die beiden humanbiologischen Grundfunktionen Sexualität und Arbeit sind ursprünglich in der gleichen Institution beheimatet: der Familie („Familie“ im weitesten Sinne des Wortes!). Die Familie geht aus der sexuellen Gemeinschaft hervor, die wiederum auf der Überlagerungsfunktion gründet („genitale Umarmung“). Mit der Familie kommt es zur ersten Teilung der Aufgaben im Überlebenskampf: die Funktion „Arbeit“ taucht auf. Diese neue Funktion, mit all ihren „Sachzwängen“, steht in einem gewissen Gegensatz zur Sexualität. Zum Beispiel gibt es, damit das reibungslose Funktionieren der Arbeitsteilung garantiert ist, in ausnahmslos allen Kulturen (die noch nicht ganz vom Patriarchat untergraben wurden) das Inzesttabu, sowie (wenn auch weniger ausgeprägt) die öffentliche Tabuisierung der sexuellen Gemeinschaft der Eheleute. Zum Beispiel ist das schlimmste denkbare Schimpfwort der Trobriander: „Beschlafe deine Frau!“ Ähnlich ist die Sexualität in der späteren arbeitsteiligen Gesellschaft am Arbeitsplatz tabuisiert. Ihr Ort ist die „Freizeit“.

Bei aller Gegensätzlichkeit gibt es in den Bereichen Sexualenergie und Arbeitsenergie ganz ähnliche Störungen aufgrund von Panzerung im Individuum. Zum Beispiel kann man den Kapitalismus als eine Art „gesellschaftlicher Orgontherapie“ betrachten, weil er die Menschen dazu zwingt, aufzustehen und sich zu bewegen. Wer „sitzt“ kommt unter die Räder. (Das ist im übrigen auch der tiefere, bioenergetische Beweggrund für die „Globalisierungsgegner“ in Deutschland: sie wollen angesichts einer sich bewegenden Welt sitzen bleiben.) Genauso ist es in der Sexualität: wer sich nicht ständig bemüht, findet keinen Partner, kann ihn nicht halten oder endet in einer festgefahrenen lustlosen Beziehung, die nur noch die Bequemlichkeit zusammenhält. Das einzige, was uns davon abhält materiell und sexuell erfolgreich, glücklich und reich zu sein, ist unsere Panzerung, die uns dermaßen verkrüppelt, daß jeder Maulwurfshügel zu einem unüberwindbaren Bergmassiv wird. (Auf unverantwortlich freiheitskrämerische Weise spielen sogenannte „Motivationstrainer“ mit dieser Wahrheit – die in ihren Händen zu einer gemeinen Lüge wird.)

Hinzu kommt die „gesellschaftliche Abpanzerung“. Man denke etwa an die Trennung der Geschlechter in islamischen Ländern, die das „Heiratsmarktgeschehen“ behindert, wenn nicht unmöglich macht und zu sexuellen Übergriffen in den Familien führt, wo wegen der Polygamie ohnehin alle Unterschiede verwischt sind. (Tatsächlich werden in islamischen Ländern fast flächendeckend immer die Cousinen bzw. Cousins geheiratet, was in Jordanien z.B. zu einer Epidemie erblicher Blindheit geführt hat.) Diese Art gesellschaftlicher Abpanzerung der Sexualenergie ist funktionell identisch mit der gesellschaftlichen Abpanzerung der Arbeitsenergie, z.B. wenn sich zwischen dem Produzenten und den Konsumenten diverse Zwischenglieder schieben, die, anstatt das Marktgeschehen zu unterstützen, es behindern (Bürokratien, politische Interessenvertreter, Zwischen- und Großhändler, Gewerkschaften, das Rechtssystem, die Einkommenssteuer: kurz alle mittelalterlichen Restbestände aus der vorkapitalistischen, ständischen Welt der Zünfte).

Jerome Eden schrieb dazu:

Aus seiner gepanzerten Struktur heraus produziert ARM [der gepanzerte Mensch, armored man] die Zwillingsbrüder seiner Versklavung – den „Mittelsmann“ und den Politiker. Wie die Mittlere Schicht seiner gepanzerten Struktur besteuert der Mittelsmann die Energie, die Früchte bioenergetischer Arbeit, weil ARM nicht fähig ist, für seine eigene Produktivität, für den Verkauf und die Verteilung seiner selbst erzeugten Güter die Verantwortung zu übernehmen. Der Politiker repräsentiert ARMs oberflächliche Fassade. Beide sind wesentlich für die Fortdauer der gepanzerten Gesellschaft. Sie können in einer arbeitsdemokratischen Gesellschaft nicht geduldet werden. (The Value of Values, Careywood, Idaho: Jerome Eden, 1980)

Hierher gehört auch das Problem des Geldes, das den Austausch zwischen Produzenten und Konsumenten erst ermöglicht. Wird das Geld so manipuliert, daß es seine zentrale Funktion, einen reibungslosen Austausch zwischen den Marktteilnehmern zu gewährleisten, nicht mehr erfüllen kann, also nicht mehr für Gerechtigkeit sorgt, sondern ganz im Gegenteil das Gift der Ungerechtigkeit in die Gesellschaft trägt, trifft das die Arbeitsdemokratie ins Mark.