Posts Tagged ‘Seinsgeschichte’

Warum sollte ich mich für Philosophie interessieren?

11. November 2025

Gemeinhin liest man einen Philosophen, etwa Nietzsche, um daraus irgendwelche Lebensweisheiten zu schöpfen. Man schaut etwa, was Nietzsche über Künstler geschrieben hat, und wägt das dann mit den eigenen Erfahrungen mit Künstlern im eigenen Leben ab. Gemeinhin merkt man schnell, daß das nirgendwo hinführt und die eigene Positionierung in der Welt in keinster Weise erleichtert, sondern eher zu mehr Verwirrung führt. Fruchtbarer hingegen ist es die betreffende Stelle von Nietzsches Biographie her zu lesen, also beispielsweise als Kommentar über Wagner. In diesem Kontext wird alles plastischer und man findet alle möglichen Parallelen in der eigenen Wirklichkeit, denkt an den passionierten Wagnerianer Hitler oder die Verwirklichung des „Gesamtkunstwerks“ in Hollywood. Ein ansonsten läppischer Aphorismus aus der so ganz anderen Welt eines verkrachten Altphilologieprofessors vom Ende des 19. Jahrhunderts öffnet dergestalt den kritischen Zugang zu einer ganz neuen Sichtweise.

Oder man nehme läppisch wirkende Aussagen über Polypen in Teichen oder die Auswirkungen von Drogen auf das Gehirn. Der oberflächliche Leser zuckt nur mit den Schultern, während sich der vorgebildete Leser unvermittelt in einem aufregenden Gedankenstrudel wiederfindet, weil Nietzsche hier Teil der Aufklärung ist, die seit DesCartes das Lebendige und das Bewußtsein im Rahmen der Naturgesetze verstehen wollte. Nietzsche und mit ihm der Leser sind dann nicht mehr irgendwelche Spintisierer, sondern werden Teil einer sich durch die Geschichte ziehenden quasi autonomen „Bewußtwerdung“ der vegetativen Strömung, die dem Geschichtsprozeß zugrunde liegt, seit die Menschen vor Urzeiten das Sprechen und das Denken lernten.

Die Philosophiegeschichte ist dann nicht mehr eine langweilige, abseitige und im Grunde überflüssige Beschäftigung von Philosophiestudenten, die sich auf eine Existenz als Taxifahrer vorbereiten, sondern rückt in das Zentrum unserer Existenz als Mensch, wenn diese mehr sein soll als sinnleeres Fressen, Fernsehen und Ficken!

Warum Nietzsche oder irgendeinen anderen Denker lesen? Aus dem gleichen Grunde warum man sich für Ökonomie interessieren sollte: um sich im „ideellen“ (und materiellen) Fluß des Geschichtsprozesses zu positionieren. Entweder wird man Teil des nach vorne strebenden Lebensimpulses oder man geht zugrunde. Es ist wie der einzelne Soldat im Gefecht: entweder weiß er, wo genau der Feind und der Freund steht, wo er Deckung findet und wie er den jeweiligen Feind vernichten kann oder er bleibt als Kanonenfutter auf der Strecke; oder der, der sich noch immer auf die Stabilität der Fiatwährungen verläßt, während am Horizont sich bereits die wirtschaftliche Apokalypse abzeichnet.

Hinzu kommt der Trost, Teil von etwas zu sein, das umfassend ist, weit zurückweist und Zukunft hat. Ich könnte jetzt schreiben, daß sich im Menschen das Orgon seiner selbst bewußt wird und ich im Kern das Orgon bin, das sich in dem entfaltet, was wir als „Geschichtsprozeß“ bezeichnen… Das Problem dabei wäre, daß alles zu sehr an Hegel („Weltprozeß“), Heidegger („Seinsgeschichte“) und Konsorten (weitere neoplatonistische Vorstellungen) erinnerte, d.h. an mystisch verzerrte und pervers entstellte Ahnungen dessen, was ich hier zum Ausdruck bringen will – und es grundlegend verfehlt. Diese Systeme sind nämlich direkter Ausdruck von Kontaktlosigkeit und Augenpanzerung, während es hier um das diametrale Gegenteil geht. Es geht um das dreidimensionale Sehen, d.h. die umfassende Positionierung in Raum und Zeit. Es geht schlichtweg ums LEBEN, um Tiefe und Weite, um den Nietzscheschen Pathos im besten Sinne, sozusagen um… …den Pathos der Eigentlichkeit!

Man lese Werke wie F.A. Langes Geschichte des Materialismus, Reichs Äther, Gott und Teufel und Menschen im Staat, um einen Zugang zu dem hier angedeuteten zu finden.

Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 144)

24. Juli 2024

[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]

Ein entscheidender Dissens zwischen Laska und mir war alt und grundsätzlich. Reich hatte in Christusmord gesagt, daß, wäre er 1928-1933 mit seiner Sexpol erfolgreich gewesen, dies eine absolute Katastrophe „für die Menschheit“ gewesen wäre. Laska konnte das nie nachvollziehen, denn was wäre etwa an Reichs Aufsatz über „Eltern als Erzieher“ (1926) falsch? Ich verwies auf das, was nach Reichs Tod tatsächlich eingetreten ist: die „sexuelle Revolution“, die ganze Generationen zerstört hat und irgendwann über die gegenwärtige „neosexuelle Revolution“ (Transgender) im Transhumanismus münden wird: Ende der Menschheit. (By the way: Reich hat sich mit dem Transhumanismus schon Anfang der 1940er Jahre in Massenpsychologie des Faschismus [Ausgabe von 1946] auseinandergesetzt. Ich wies Laska darauf hin – der fand es läppisch.)

Reich sah sich „nur“ als konsequentester Ausdruck bzw. als konsequentester Vertreter einer nach Lebensbefreiung strebenden gesellschaftlichen Strömung. Laska sprach von den drei einzigen konsequenten Vertretern der drei Phasen der Aufklärung. Die Enzyklopädisten, Junghegelianer und Psychoanalytiker waren sozusagen Wellenberge in der besagten Strömung; L und S und R sozusagen die jeweiligen Schaumkronen.

Laska selbst ist eine andere Kategorie. Entsprechend kann er auch kein „Verhängnis“ sein. Ohnehin paßt er nicht ins Schema, weil er bereits zu Reichs Lebzeiten („d.h. in dessen Welle“) geboren wurde. Ist Laska also „harmlos“? Durchaus nicht, will sagen: hier haben wir das Dynamit von L und S und R zu einer gewaltigen Bombe zusammengebunden… Aber wie angedeutet geht es nicht um eine reine Ideengeschichte im üblichen Sinne, sondern um geschichtliche Strömungen: die vegetative Energie strebt nach Expression. Der „Denker“ erschafft nicht etwa diese Strömungen, sondern er nimmt sie nur wahr, faßt sie in Worte und setzt sich dergestalt an ihre Spitze. Man wird einwenden, daß L und S und R doch gescheiterte Existenzen waren, die jeweils im Elend und Vergessen verreckt sind, aber ich spreche natürlich von einem jeweils „heimlichen Hit“, einer untergründigen Wirkungsgeschichte.

Wenden wir uns der besagten „Geschichtsströmung“ zu: Wir befinden uns mitten im Zusammenbruch von 6000 Jahren „gepanzerter Gesellschaft“ (oder, wenn man so will, „6000 Jahre Über-Ich“). Das ist so, als wenn man einem Krüppel die Krücken wegstößt: er wird straucheln, aufheulen und schwebt in Gefahr sich das Genick zu brechen. Er hat aber auch die Chance sich zu fangen und fürderhin aufrecht durchs Leben zu wandeln. Was ich gerade in der Welt sehe, ist folgendes: die Linke pusht unverantwortlich voran, so daß sich der Krüppel unausweichlich das Genick brechen wird, während die Rechte von den alten Krücken träumt, neue Krücken bauen will bzw. die alten zerbrochenen und unreparierbaren Krücken, die auch gar nicht mehr passen würden, irgendwie doch noch reaktivieren will. Das letztere ist ein, so auch Laskas Einschätzung, absolut hoffnungsloses Unterfangen, denn es gibt prinzipiell kein Zurück mehr – und es wäre ohnehin nicht wünschenswert. Die wirkliche Funktion der Rechten ist eine ganze andere: Aufklärung über die Krücken, wie sie uns abhanden gekommen sind, über ihr heutiges Fehlen und daß es nun gilt, ohne Krücken langsam und ohne Hast das Laufen zu lernen. Laska hatte diesen „charakteranalytischen“ Ansatz – und es ist kein Zufall, daß er, der Linke „65er“ (sic!) zunehmend „nach rechts abgedriftet“ ist.

Ob Konservative hier eine Rolle spielen können, hängt davon ab, ob sie lächerliche Reaktionäre sind, die sich der Strömung entgegenstellen, und früher oder später von ihr vernichtet werden, oder ob sie die Problematik der Panzerung/des Über-Ich zumindest erahnen. Übrigens gibt (bzw. gab) es mit dem heideggerisierenden Outdoor Illner jemanden, der – explizit nicht diese, aber – ein ähnliche Sicht bzw. Herangehensweise der rechten Speerspitze des deutschen Konservatismus vermitteln wollte: „Seinsgeschichte“ an die man sich akklimatisieren müsse… Hier zeigt sich, daß der Rechte immerhin ahnt, worum es geht, während der Linke einfach frisch und fröhlich, verpeilt und blind in den sicheren Untergang vorwärts stürmt.