Posts Tagged ‘subjektiver Geist’

Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 21)

30. September 2022

[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]

Wie Charles Konia im einzelnen analysiert hat, leben wir mittlerweile in einer antiautoritären Gesellschaft, d.h. einer Gesellschaft, die sich durch ihre Antihaltung gegen die traditionell gewachsenen Gesellschaften definiert. Ohne Sinn und Verstand, will sagen ohne Beachtung der Faktoren Panzerung und Emotionelle Pest, wurde der stille Ozean „Masse“ aufgewühlt und ist dabei alle Lebensmöglichkeiten in einer Art neuen Sintflut hinwegzufegen. Selbst der „Revolutionär“ Hitler, der Staat und Recht als „jüdische Erfindung“ betrachtete, die die „Darwinistische Biologie“ (bzw. das, was er darunter verstand) einschränke, ließe sich hier einreihen. Stichwort „extinction rebellion“…

Man darf nicht rationalistisch vorgehen, d.h. man darf die Dynamik des „vegetativen Lebens“ nicht außer acht lassen. Nehmen wir die Orgasmusangst. Sie ist nicht Grundlage, sondern Folge der Panzerung (in Die kosmische Überlagerung sieht Reich das wohl anders, aber da hat er auch einen Anknüpfungspunkt für Mystiker geschaffen). Immer wenn die Panzerung nachgibt, gerät „das vegetative Leben“ in Panik, wie ein Krüppel, dem man die Krücken wegstößt. Also muß man bei der Entpanzerung vorsichtig und systematisch vorgehen, damit sich „das vegetative Leben“ nicht vollends abpanzert – der Krüppel sich hinsetzt und nie mehr aufstehen will. Mein Problem ist nun nicht, daß Stirner Schaden anrichten könnte, sondern ob man die Reaktionen auf Stirner, der nun wirklich explizit alle „Krücken“ wegstößt, adäquat bewertet.

Die Gegner Stirners scheinen in ihrem irrwitzigen Haß gegen ihn (ohne zu wissen, was sie wissen) die teuflische Dynamik des Über-Ich-Abbaus erfaßt zu haben. Nur das erklärt diese Dämonisierung Stirners als Anti-Christ. Der Haß ist so groß und so echt, weil er auf eine fatale Weise dem intuitiven Wissen des „vegetativen Lebens“ entspringt. Es ist genau dieser Bereich, den Reich angeschnitten hat, als er von der quasi „Hegelschen“ Entfaltung des „vegetativen Lebens“ sprach; und als er das Orgon in der Natur erforschte, wobei aber die Differentia specifica zu anderen „Lebensenergien“ hervorzuheben ist: radikale Diesseitigkeit und „Pulsation“.

Vielleicht kennzeichnet das Symbol des orgonomischen Funktionalismus („gleichzeitige Gegensätzlichkeit und Identität“) auch die Art, wie Reich mit Stirner „fertiggeworden“ ist. Wobei man eben nicht Stirner mit der Oberfläche einfach gleichsetzen kann. Die Bewahrung der „Eigenheit“ (im Sinne von „Mir geht nichts über mich!“) gehört zur „gnostischen“ Oberfläche, die „Eigenheit“ (im Sinne von „Authentizität“, „Glücksfähigkeit“, „Liebesfähigkeit“) selbst natürlich zum Kern. Dieser ständig präsente „Untergrund“ ungepanzerten Lebens, der immer wieder an die Oberfläche dringt, ist das ominöse „vegetative Leben“.

Dem Geiste Stirners ist das fremd und verdächtig wegen seiner Gegenposition zu Hegel. Hegel wollte den Subjektiven Geist (Egoismus) durch den Objektiven Geist (Ethik) bändigen, auf daß es zur Synthese im Absoluten Geist kommt (Kunst und Philosophie). Das ganze auf der Grundlage des primordialen Reinen Geistes, der im Absoluten Geist seiner selbst bewußt wird. Meine Begrifflichkeit mag vielleicht falsch sein (ich bin wahrhaftig kein Hegel-Kenner), aber das ist so ungefähr der Kern des Hegelianismus. Stirners Gegenspieler Nietzsche hat ähnliches vertreten: das Individuum (Subjektiver Geist) muß durch eine harte Schule (Objektiver Geist), um wahrhaft souveränes Individuum (Absoluter Geist) zu werden. Das genaue Gegenteil von Stirner!

Gleichzeitig ist in diesem „Hegelianismus“ aber auch das Reichsche „Schema der kulturpolitischen Entwicklung“ aus Die sexuelle Revolution angelegt:

Ein Denken, das nicht für ein gnostisches „Ich und die Welt“ steht, sondern für ein „in mir und durch mich entfaltet sich die Welt“. Das ist eben der Punkt: das Absehen von der eigenen Person und die Würdigung „des Ganzen“, des „Weltprozesses“. Reich war davon geprägt. Man siehe insbesondere Die kosmische Überlagerung.

Ich sehe eine der wichtigsten Aufgaben der Auseinandersetzung mit Stirner darin, einen vor gewissen infantilen Wahnvorstellungen zu bewahren. Sich „der orgonomischen Sache“ zu opfern, ist ein Widerspruch in sich selbst: da „die orgonomische Sache“ genau das ist, was Stirner in den Mittelpunkt stellt: Selbstregulierung, Autonomie, Eigenheit, gesunder Egoismus.

Stirner kann also „die Orgonomie“ davor bewahren in einen infantilen Wahn abzugleiten. Umgekehrt kann die Orgonomie „Stirner“ davor bewahren, sich in eine ebenso infantile „Eigenheit“ (im Sinne von: „So, jetzt spiele ich nicht mehr mit!“) zu verrennen. Wenn man Reichs Tagebuch liest, ist man m.E. Zeuge des Kampfes zwischen genau diesen beiden „Infantilismen“ in Reichs Brust. Diese Pulsation zwischen sich der Welt öffnen und „ausströmen“ wollen und dem Bedürfnis sich zu bewahren.

Wie Reich in seinen Tagebuchnotizen schreibt: Man kann sich nicht (a la Epikur) zurückziehen und verstecken: „sie“ erwischen einen doch und tun alles, um einem die Seele kaputt zu machen. Man kann dasitzen und nichts tun: „sie“ fühlen sich immer provoziert. Man könne nur kämpfen, ob man will oder nicht. Stirner war ein Einzelkämpfer (der sich nach Mitkämpfern sehnte), Reich sah sich mehr als jemand, der „das vegetative Leben“ hinter sich hatte, also jenes, was sich in der Ausdruckssprache des Lebendigen ausdrücken will. Der eine war extremer „Antihegel“, der andere war (nein, kein auf die Füße gestellter, sondern) ein „entpanzerter Hegel“.

Marx’ ursprüngliche Botschaft (Teil 2)

12. März 2020

Im Zentrum von Hegels Philosophie steht die Frage, wie Bewegung überhaupt möglich ist. Man kennt das Paradoxon von Zenon: Ein Pfeil kann sich vom „philosophischen“ Standpunkt aus nicht bewegen, weil der Pfeil in jedem Moment, in dem wir den Pfeil mit unserem „philosophischen Auge“ betrachten, stillsteht. Wie die Bilder eines Filmes. Nach Hegel ist die Bewegung nur möglich, weil zwei sich gegenseitig ausschließende Tatsachen (der Pfeil ist entweder hier oder er ist dort) koexistieren können (Bewegung des Pfeils). Diese Einheit von „hier“ und „da“ ist die synthetische Funktion des Geistes, und somit ist alles um uns herum eigentlich nichts als Geist oder vielmehr die Entfremdung des „reinen Geistes“ der Logik und seiner Bewegungsgesetze in Zeit und Raum hinein: These, Antithese, Synthese. Dieser „Geist“ ist autonom, d.h. weder mein Geist („hier“) noch dein Geist („dort“), sondern der universelle Geist.

Der zunächst reine und dann entfremdete Geist wird zum „absoluten Geist“, wenn er sich in Kunst und Musik, Religion und Philosophie manifestiert, wo er sich schließlich seiner selbst bewußt wird. Dieser „absolute Geist“ ist die höhere Synthese des „subjektiven Geistes“ des Individuums und des „objektiven Geistes“ der Ethik: Familie, Gesellschaft, Staat. Der „objektive Geist“ manifestiert sich in der Geschichte der Welt, und die Geschichte der Welt ist nichts anderes als die Geschichte von Staaten, Reichen und Dynastien. Das Endziel dieser Entwicklung ist eben der „absolute Geist“. Daher muß das egoistische Individuum, das die Entwicklung des „objektiven Geistes“ behindert, um jeden Preis unterworfen werden, d.h. muß vollständig der Ethik unterworfen werden. Der Staat ist alles, denn der Staat ist die Manifestation Gottes, oder vielmehr der Staat führt zur endgültigen Manifestation Gottes als „absoluter Geist“.

So waren „Staaten mit philosophischem Ziel“ wie Nazideutschland und die (durch und durch „deutsche“) Sowjetunion die höchsten Manifestationen des Hegelschen Denkens. Das ist keine „Verschwörungstheorie“, sondern das Fortwirken einer besonderen Weltanschauung, die ansteckend ist. Man kann sie auf Hegel zurückführen, auf Martin Luther, auf die Gründer der römischen Kirche, auf Platon und weiter zurück auf die alten saharasischen Götterreiche, die James DeMeo beschrieben hat.

Marx war die Fortsetzung von Hegel: die völlige Unterwerfung des egoistischen Individuums unter die Idee der Menschheit, d.h. der preußischen Schule. Max Stirner war das Gegenteil von Hegel: „egoistische“ Selbstregulierung, d.h. Neills Summerhill. Stirner war ein Todfeind der Ethik an sich. Er war gegen das „Über-Ich“ und für „die Kinder der Zukunft“.

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