Posts Tagged ‘extinction rebellion’

Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 63)

7. Mai 2023

[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]

Reich kam aus einer bürgerlichen Welt. Es ist nur natürlich, daß er aus dieser verkorksten Welt, die er gerade noch als Offizier in aller Pracht erlebt hatte, zur Linken floh. Ein Milieu, in dem er den Rest seines Lebens zubrachte. Ich glaube, die einzige bedeutende Ausnahme in seiner Umgebung war Elsworth F. Baker.

Interessant, wie er sich zunehmend entfremdete: erst in Skandinavien, was er in seiner Rede an den Kleinen Mann beschreibt, dann von seiner Sekretärin Gertrud Gaasland und den ganzen SAP-Sympathisanten um Ilse Ollendorff herum Anfang der 1940er Jahre in New York. Darauf brachten ihn seine ultralinken Anwälte (insbesondere Hays) in eine unmögliche Situation gegenüber zunächst Mildred Brady und dann der FDA, was ihn endgültig zum Umdenken zwang.

Oder man denke nur an Neill. Ein bekannter, „einflußreicher“ Mann in der englischen Linken, der von einer Peinlichkeit in die andere stolperte, als er unter seinen Bekannten für Reich Werbung machte.

Der Mann (Reich) muß eigentlich ständig zu sich selbst gesagt haben: „Ich verstehe die Welt nicht mehr!“

Meines Erachtens liegt des Rätsels Lösung in den Beweggründen für Reichs fanatischen Linksradikalismus 1927-1934: endlich wirklich ernst machen mit dem Linkssein. Überhaupt das erste Mal wirklich ernst machen. Das ganze ist kläglich gescheitert, weil sich Reich falsch verortet hatte (Marx, Lenin und im Hinterkopf auch Nietzsche).

Ich glaube nicht, daß Reich von irgendeiner realen Linken noch irgendetwas hielt. Siehe seine Ablehnung gegen jene, die ihm noch am ehesten Sympathie und sogar praktische Hilfe entgegenbrachten: die englischen Anarchisten und die amerikanische Bürgerrechtsorganisation ACLU.

Stattdessen eine fiktive, bzw. eine denkmögliche Linke: eine, die beispielsweise den „Kern-Marx“ („die lebendige Arbeit“) begriffen hat. Er glaubte wohl tatsächlich Marx besser verstanden zu haben, als ein Erich Fromm und die anderen Marx-Talmudisten, die sich ihren Lebtag mit nichts anderem beschäftigt hatten. (Ähnlich mit den Freudianern.) Es wäre auch irgendwie peinlich gewesen, wenn ausgerechnet der Ultra-Leninist Reich von 1928-1934 sich theoretisch von Marx abgewandt hätte.

Reichs „linke Gesprächspartner“ waren die toten Klassiker. Seine Adressaten waren zukünftige Generationen. Aber ich glaube nicht, daß er auch nur ansatzweise glaubte, Linke müßten die Konsequenzen, die er aus dem Scheitern der Linken gezogen hat, besser nach- und mitvollziehen können als andere.

Bezeichnend ist doch etwa die Auseinandersetzung mit Theodore P. Wolfe und Gladys Meyer über Pfaffen: Reich hat den Gedanken ventiliert, ausgerechnet in dieser Gruppe vielleicht Verständnis zu finden. Und nicht von ungefähr kommt die Tradition, die nach 9/11 selbst James DeMeo angesteckt hatte, bei der amerikanischen Rechten nach Resonanz für die Orgonomie zu suchen. Die Konservativen hätten ihre Seele noch nicht dem Teufel übereignet. Ausgerechnet sie glauben noch an die Zukunft. Man denke nur an den Greis Reagan, der voller jugendlichem Elan war.

Imgrunde geht es doch darum, daß die Linke seit Jahr und Tag zynisch, sarkastisch und voll von Verachtung ist. Erstaunlich miefig, defätistisch, depressiv und pestig aufgrund von Verwesung. Verliebt in den Untergang (a la Extinction Rebellion) und ins Obskure und Perverse (etwa Transgender). Imgrunde verkörpern sie jene blasierte, dem Untergang geweihte Welt, aus der Reich einst geflohen war. Es gibt nichts Traurigeres als einen Altlinken: die größten Arschlöcher, die miefigsten Launebremsen sind „alternde, impotente linke Sozialpädagogen“.

Ich persönlich hasse sie aber aus einem ganz anderen Grunde: IHR Produkt begegnet mir tagtäglich auf der Straße, diese außerirdischen Wesen, diese „Kinder der Zukunft“ der 68er. Und schaue ich zurück, finde ich bei Stirner Trost, nicht bei Marx, bei LaMettrie und nicht bei Rousseau.

Ich muß gerade daran denken, ob nicht Reichs Denken eine radikale, fast schon „Leibnizsche“, Absage an jede Form von Utopismus (= der Suche nach einer besseren Welt) ist, „an sich“: „Arbeitsdemokratie“ und „Kinder der Zukunft“ als Verkörperungen der dynamischen Kraft des Faktischen. Beides im Sinne der „Nichteinmischung“ – da alles perfekt ist, so wie es ist – bzw. ohne das ständige Einmischen es wäre.

Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 21)

30. September 2022

[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]

Wie Charles Konia im einzelnen analysiert hat, leben wir mittlerweile in einer antiautoritären Gesellschaft, d.h. einer Gesellschaft, die sich durch ihre Antihaltung gegen die traditionell gewachsenen Gesellschaften definiert. Ohne Sinn und Verstand, will sagen ohne Beachtung der Faktoren Panzerung und Emotionelle Pest, wurde der stille Ozean „Masse“ aufgewühlt und ist dabei alle Lebensmöglichkeiten in einer Art neuen Sintflut hinwegzufegen. Selbst der „Revolutionär“ Hitler, der Staat und Recht als „jüdische Erfindung“ betrachtete, die die „Darwinistische Biologie“ (bzw. das, was er darunter verstand) einschränke, ließe sich hier einreihen. Stichwort „extinction rebellion“…

Man darf nicht rationalistisch vorgehen, d.h. man darf die Dynamik des „vegetativen Lebens“ nicht außer acht lassen. Nehmen wir die Orgasmusangst. Sie ist nicht Grundlage, sondern Folge der Panzerung (in Die kosmische Überlagerung sieht Reich das wohl anders, aber da hat er auch einen Anknüpfungspunkt für Mystiker geschaffen). Immer wenn die Panzerung nachgibt, gerät „das vegetative Leben“ in Panik, wie ein Krüppel, dem man die Krücken wegstößt. Also muß man bei der Entpanzerung vorsichtig und systematisch vorgehen, damit sich „das vegetative Leben“ nicht vollends abpanzert – der Krüppel sich hinsetzt und nie mehr aufstehen will. Mein Problem ist nun nicht, daß Stirner Schaden anrichten könnte, sondern ob man die Reaktionen auf Stirner, der nun wirklich explizit alle „Krücken“ wegstößt, adäquat bewertet.

Die Gegner Stirners scheinen in ihrem irrwitzigen Haß gegen ihn (ohne zu wissen, was sie wissen) die teuflische Dynamik des Über-Ich-Abbaus erfaßt zu haben. Nur das erklärt diese Dämonisierung Stirners als Anti-Christ. Der Haß ist so groß und so echt, weil er auf eine fatale Weise dem intuitiven Wissen des „vegetativen Lebens“ entspringt. Es ist genau dieser Bereich, den Reich angeschnitten hat, als er von der quasi „Hegelschen“ Entfaltung des „vegetativen Lebens“ sprach; und als er das Orgon in der Natur erforschte, wobei aber die Differentia specifica zu anderen „Lebensenergien“ hervorzuheben ist: radikale Diesseitigkeit und „Pulsation“.

Vielleicht kennzeichnet das Symbol des orgonomischen Funktionalismus („gleichzeitige Gegensätzlichkeit und Identität“) auch die Art, wie Reich mit Stirner „fertiggeworden“ ist. Wobei man eben nicht Stirner mit der Oberfläche einfach gleichsetzen kann. Die Bewahrung der „Eigenheit“ (im Sinne von „Mir geht nichts über mich!“) gehört zur „gnostischen“ Oberfläche, die „Eigenheit“ (im Sinne von „Authentizität“, „Glücksfähigkeit“, „Liebesfähigkeit“) selbst natürlich zum Kern. Dieser ständig präsente „Untergrund“ ungepanzerten Lebens, der immer wieder an die Oberfläche dringt, ist das ominöse „vegetative Leben“.

Dem Geiste Stirners ist das fremd und verdächtig wegen seiner Gegenposition zu Hegel. Hegel wollte den Subjektiven Geist (Egoismus) durch den Objektiven Geist (Ethik) bändigen, auf daß es zur Synthese im Absoluten Geist kommt (Kunst und Philosophie). Das ganze auf der Grundlage des primordialen Reinen Geistes, der im Absoluten Geist seiner selbst bewußt wird. Meine Begrifflichkeit mag vielleicht falsch sein (ich bin wahrhaftig kein Hegel-Kenner), aber das ist so ungefähr der Kern des Hegelianismus. Stirners Gegenspieler Nietzsche hat ähnliches vertreten: das Individuum (Subjektiver Geist) muß durch eine harte Schule (Objektiver Geist), um wahrhaft souveränes Individuum (Absoluter Geist) zu werden. Das genaue Gegenteil von Stirner!

Gleichzeitig ist in diesem „Hegelianismus“ aber auch das Reichsche „Schema der kulturpolitischen Entwicklung“ aus Die sexuelle Revolution angelegt:

Ein Denken, das nicht für ein gnostisches „Ich und die Welt“ steht, sondern für ein „in mir und durch mich entfaltet sich die Welt“. Das ist eben der Punkt: das Absehen von der eigenen Person und die Würdigung „des Ganzen“, des „Weltprozesses“. Reich war davon geprägt. Man siehe insbesondere Die kosmische Überlagerung.

Ich sehe eine der wichtigsten Aufgaben der Auseinandersetzung mit Stirner darin, einen vor gewissen infantilen Wahnvorstellungen zu bewahren. Sich „der orgonomischen Sache“ zu opfern, ist ein Widerspruch in sich selbst: da „die orgonomische Sache“ genau das ist, was Stirner in den Mittelpunkt stellt: Selbstregulierung, Autonomie, Eigenheit, gesunder Egoismus.

Stirner kann also „die Orgonomie“ davor bewahren in einen infantilen Wahn abzugleiten. Umgekehrt kann die Orgonomie „Stirner“ davor bewahren, sich in eine ebenso infantile „Eigenheit“ (im Sinne von: „So, jetzt spiele ich nicht mehr mit!“) zu verrennen. Wenn man Reichs Tagebuch liest, ist man m.E. Zeuge des Kampfes zwischen genau diesen beiden „Infantilismen“ in Reichs Brust. Diese Pulsation zwischen sich der Welt öffnen und „ausströmen“ wollen und dem Bedürfnis sich zu bewahren.

Wie Reich in seinen Tagebuchnotizen schreibt: Man kann sich nicht (a la Epikur) zurückziehen und verstecken: „sie“ erwischen einen doch und tun alles, um einem die Seele kaputt zu machen. Man kann dasitzen und nichts tun: „sie“ fühlen sich immer provoziert. Man könne nur kämpfen, ob man will oder nicht. Stirner war ein Einzelkämpfer (der sich nach Mitkämpfern sehnte), Reich sah sich mehr als jemand, der „das vegetative Leben“ hinter sich hatte, also jenes, was sich in der Ausdruckssprache des Lebendigen ausdrücken will. Der eine war extremer „Antihegel“, der andere war (nein, kein auf die Füße gestellter, sondern) ein „entpanzerter Hegel“.