Posts Tagged ‘Lebensbejahung’

Wilhelm Reich, Antifaschist

2. September 2018

Reich 1936: Im Neuheidentum des deutschen Nationalsozialismus brach sich das vegetative Leben abermals Bahn. Der vegetative Wellengang wurde von der faschistischen Ideologie besser erfaßt als von der Kirche und ins Irdische herabgeholt. Die nationalsozialistische Mystik der „Blutwallung“ und der „Verbundenheit mit Blut und Boden“ bedeutet somit gegenüber der altchristlichen Anschauung von der Erbsünde einen Fortschritt; er erstickt jedoch in neuerlicher Mystifizierung und in reaktionärer Wirtschaftspolitik. Die Lebensbejahung biegt neuerdings in Lebensverneinung um, wird zur Bremsung der Lebensentfaltung in der Ideologie der Askese, des Untertanentums, der Pflicht und der Volksgemeinschaft mit den Kapitalisten. Trotzdem kann man nicht die Sündenlehre gegen die Lehre von der „Blutwallung“ verteidigen; man muß die „Blutwallung“ vorwärtstreiben, sie zurechtbiegen. (Die Sexualität im Kulturkampf, Fischer TB, S. 267)

Reich 1938: Heute hörte ich die Rede Hitlers – Wie recht der Mann im Rahmen der Schweinerei hat!! Kein vernünftiges Argument gegen ihn!
Der Geist des Denkens und der Wahrheit ist heute dem der Masse konträr – morgen und später sind sie dieselben. Heute läuft die Menschheit wie eine Herde erkrankter Schafe jedem Hitler nach. (Jenseits der Psychologie, S. 258f)

Reich 1939: Nehmen wir an, daß der hitlersche Imperialismus den englischen besiegt, dann wäre auch nicht ein einziges menschliches Problem wirklich gelöst. Ebensowenig umgekehrt. Ob die Völker von diesem oder jenem unterdrückt werden, ist egal. Problem der Zeit ist nicht Wechsel der Herrschaft, sondern praktische Lösung menschlicher und sozialer Fragen. („Abschied von meinen europäischen Freunden“, Rundbrief z.n. Orgonomic Functionalism VII/5, Sept. 1961)

Reich 1942: Man kann den faschistischen Amokläufer nicht unschädlich machen, wenn man ihn, je nach politischer Konjunktur, nur im Deutschen oder Italiener und nicht auch im Amerikaner und Chinesen sucht; wenn man ihn nicht in sich selbst aufspürt; wenn man nicht die sozialen Institutionen kennt, die ihn täglich ausbrüten. (Die Massenpsychologie des Faschismus, Fischer TB, S. 15)

Reich 1953: Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß all das große Aufsehen, daß um Christus gemacht wurde, nur dem einen Zwecke diente, den begangenen Mord zu vertuschen und jede Spur auch nur des geringsten Verdachts auf einen solchen Mord zu verwischen. Vor allem sollte damit die Weiterführung des Mordens gesichert werden, von der Zeit direkt nach der Kreuzigung über das Mittelalter hin bis zu den brennenden Kreuzen und dem Mord an sanftsinnlichen Negern im Süden der Vereinigten Staaten und der Ermordung von sechs Millionen hilfloser Juden, Franzosen und anderer in Hitlerdeutschland.
Der lange Zeitraum von der tatsächlichen Ermordung Christi und dem, was dazu geführt hat, bis zu der Ermordung von Negern in Cicero, USA, von Pazifisten in der UdSSR und von Juden in Hitlerdeutschland ist voller Ereignisse ersten Ranges. Keine noch so detaillierte Erforschung all dieser einzelnen Ereignisse wird jedoch jemals auch nur ein bißchen vom wahren Wesen des Christusmordes enthüllen, denn es ist ja gerade das Hauptkennzeichen der Pest, den Mord und die Motive dafür zu verschleiern. (Christusmord, Freiburg 1978, S. 100f)

Die Wahrheit deines Feindes ist die Gegenwahrheit zu deiner eigenen Wahrheit. Wenn der Feind deiner Wahrheit die Wahrheit spricht, dann ist bei deiner eigenen Wahrfielt etwas falsch, unausgereift oder unvollständig. Bevor die Morde Hitlers voll verstanden werden konnten, mußte die Wahrheit, die er über Marxisten, Juden, Liberale und die Weimarer Republik gesagt hatte, erkannt werden. Das Erkennen seiner Wahrheit, d.h. der eigenen Gegenwahrheit, war entscheidend, um den nächsten Schritt machen zu können, zu fragen: „Wie ist es möglich, daß ein Hitler überhaupt so weit aufsteigen konnte? Wie können siebzig Millionen Deutsche, relativ gut unterrichtete und hart arbeitende Menschen, sich von einem eindeutigen Psychopathen in einen solchen Alptraum führen lassen?“ Ohne eine solche Fragestellung konnte man auch keine Antwort erhalten. Hitler vertrat ganz klar eine Gegenwahrheit.
Die Antwort auf Hitler wurde in der Charakterstruktur der breiten Masse gefunden, die seine Morde möglich machte. Es war das Volk, das Hitler hochbrachte, und nicht Hitler, der das Volk unterdrückte. (ebd., 357)

Zur Illustration des Faschismus HEUTE:

https://www.youtube.com/watch?v=qBTSmCe3vFA

Arbeitsdemokratie, Reichtum und orgastische Impotenz

16. Juni 2018

Wirkliche Unternehmer, d.h. an der Arbeitsdemokratie ausgerichtete Unternehmer, machen Gewinne, um sie in das weitere Wachstum ihres Betriebes zu investieren, um ihre Vision voranzubringen. Diese aufzustellen und anzustreben und andere damit anzustecken ist ihre arbeitsdemokratische Funktion. Ihr Wohlstand dient nur der Erhaltung ihrer Arbeitskraft, als Ansporn mehr zu leisten und nicht zuletzt zur Repräsentation gegenüber Kreditgebern und Investoren. Letztendlich ist ihr Reichtum Ausdruck ihrer Lebensbejahung.

Ganz anders der „antiarbeitsdemokratische“ Unternehmer. Bei ihm dienen der Reichtum und das Streben nach immer mehr Reichtum nur der Kompensation einer tiefsitzenden Unzufriedenheit, „Unbefriedigbarkeit“, letztendlich schwerer orgastischer Impotenz. Die innere Leere soll durch materielle Güter aufgefüllt werden. Da dies unmöglich ist, wirkt der typische Reiche so auffällig unzufrieden, mißmutig, melancholisch und frustriert. Er hat alles und steht trotzdem vor dem nichts. Man hat alles erreicht und wird doch nicht froh. Ein Leben, das nur noch im Suff, unter Drogen und Psychopharmaka ertragen werden kann. Die bloße körperliche Nähe dieser „Nihilisten“ kann unerträglich sein!

Eine mechanistische, kollektivistisch-sozialistische Erklärung dieser „Tristesse der reichen Parasiten“ wäre, daß sie abgetrennt sind vom gesellschaftlichen Arbeitsprozeß, isoliert sind von ihren arbeitenden Brüdern und Schwestern, die sie ausbeuten und vor denen sie ständig unbewußt Angst haben; Angst, daß sie ihres Diebesgutes („Eigentum ist Diebstahl“) wieder verlustig gehen. Oder wie man so schön sagt: „Geteiltes Leid ist halbes Leid, geteilte Freud ist doppelte Freud!“ Der bioenergetische Kern dieser Volksweisheit ist, daß menschlicher Kontakt die Bioenergie erregt und damit die Kontraktion („Leid“) aufhebt bzw. die Expansion („Freud“) weiter verstärkt. Der in der Arbeitsdemokratie eingebundene Unternehmer hat daher nicht die emotionalen Probleme des reichen Kapitalistengesindels.

Eine mystische Erklärung wäre, daß materielle Güter unsere Seele nicht wirklich berühren können, uns sogar nur noch weiter von Gott, „der Geist ist“, trennen – „denn eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr, als daß ein Reicher ins Himmelreich komme“. Diese auf verzerrtem Kernkontakt beruhende Auffassung kommt der Erklärung mit der orgastischen Impotenz noch am nächsten, obwohl sie auf der Negierung alles „Weltlichen“, letztendlich Sexuellen beruht.